Die Kampagne 2005
Von Anfang Februar bis Anfang April 2005 fand die zweite Feldkampagne von H.U.N.E. statt. Der systematische Survey des Konzessionsgebiets wurde fortgesetzt; außerdem wurden erste Grabungen unternommen.
Es wurden über 800 neue Fundplätze identifiziert und erfasst. Ihre nach einem einheitlichen Muster durchgeführte Dokumentation umfasst jeweils eine Kartierung durch GPS-Koordinaten, eine detaillierte Beschreibung aller oberflächlich sichtbaren Strukturen, zahlreiche Fotografien und sowie teilweise maßstäbliche Skizzen. Oberflächenfunde, vor allem Keramik und Steinwerkzeuge, aber auch verschiedene andere Objekte wurden abgesammelt. Sie werden derzeit in Berlin ausgewertet, um Anhaltspunkte für eine genaue Datierung der Fundplätze zu erhalten.
Das Festland [Text: Julia Budka]
„Der Kirbekan-Survey im Februar-März 2005“
Die zweite H.U.N.E.-Kampagne dauerte vom 11. Februar bis zum 29. März 2005. Das auf dem Festland tätige Team konzentrierte sich auf den südlichen Abschnitt des Konzessionsgebietes, den Landstrich vom Gebel Musa im Süden bis Kereiti im Norden – eine Strecke von 10 km.
Dabei diente das in etwa auf halber Strecke zwischen Gebel Musa und Kereiti gelegene Dorf Kirbekan als Hauptquartier und täglicher Ausgangspunkt.
Während der ersten Hälfte der Kampagne wurde in Zweier-Teams ein Survey durchgeführt, der aufgrund der lokalen topographischen Gegebenheiten zu Fuß erfolgte und zeichnerische Skizzen der Objekte, digitale Photodokumentation, Einmessung mit GPS-Geräten sowie bei ausgewählten Fundplätzen auch die genaue Vermessung mit einer Totalstation umfasste. In diesen drei Wochen konnten insgesamt 384 individuelle neue Fundplätze dokumentiert werden. Diese enorme Anzahl sowie vor allem die breite zeitliche Spanne der belegten Nutzungsphasen vom 4. Jahrtausend v. Ch. bis in subrezente Zeit illustrieren den archäologischen Fundreichtum der Region und die hohe Dichte an Denkmälern, die sich schon während der ersten Begehung im Frühjahr 2004 abgezeichnet hatte.
Da nun mit über 570 Fundplatztypen – die 384 neuen Plätze aus 2005 lassen sich als insgesamt 445 Einzeltypen kategorisieren, hinzu kommen 118 individuelle, gesamt 126 aus 2004 – eine repräsentative Menge vorliegt, können die Haupttypen archäologischer Relikte im Konzessionsgebiet von H.U.N.E. wie folgt beschrieben werden:
• Felsbilder, Felsinschriften und Graffiti: Die dominierenden Motive der Felsbildkunst sind Kamele (mit und auch ohne Reiter) sowie Rinder. An weiteren Tierdarstellungen begegnen vorwiegend Ziegen und Capride, Strauße, Giraffen und Canide. Seltener sind Darstellungen von Menschen (meist Jäger und Krieger) sowie Symbole (v.a. christliche Kreuze) und Kirchen belegt.
• unterschiedliche Typen von Friedhöfen – mit Tumuli (Oberbauten als Steinkreise unterschiedlicher Ausformung), mit Steinkistengräbern unterschiedlicher Form und Größe, mit Kuppelgräbern sowie mit Felsspalt-Gräbern
• Isolierte Gräber derselben Typen, die sich zu mehreren Untergruppen zusammenfassen lassen
• diverse Steinsetzungen und –legungen (teilweise rätselhafter Funktion)
• eine Kirche (sehr schlecht erhalten) mit dazugehörigem Steinkisten-Friedhof
• Siedlungsplätze mit oder ohne Architektur/Strukturen
• Siedlungen aus Trockenmauerwerkbauten und diverse Unterstände
• Bruchsteinmauern
Ausgewählte Fundplätze des Kirbekan-Surveys 2005
Felsbilder
Felsinschrift
UQ 006 – Ausschnitt einer christlichen Inschrift mit griechischen Buchstaben, im Kernbereich des heutigen Dorfes Umm Qatatīa |
Friedhöfe
Isoliertes Grab
KIR 005 – isoliertes Kuppelgrab (dome grave) im Hinterland von Kirbekan, freistehend auf den anstehenden Fels gesetzt, geplündert, Datierung unklar |
Siedlungsplätze
Siedlung
KIR 054 – Blick auf den westlichen Abschnitt einer Siedlung aus mehreren Trockenmauerwerk-Bauten; auf einer natürlichen Terrasse auf der Insel Kirbekan |
Bruchsteinmauern
KIR 185 – Bruchsteinmauer entlang eines Hügelkammes im Hinterland von Umm Qatatīa, Nord-Süd verlaufend; eine Art Demarkationslinie? |
Ausgewählte Funde
Grabungsplätze der 2005-Saison
Während der zweiten Hälfte der Kampagne wurden kleinere Grabungen und Testschnitte an ausgewählten Plätzen durchgeführt und verschiedene Strukturen zeichnerisch dokumentiert. Zwei Grabungsplätze erwiesen sich dabei von besonderem Interesse – eine Kirche aus dem christlichen Mittelalter (KIR 257) sowie ein Friedhof aus der napatanischen Epoche (KIR 208).
Die Kirche von El Kuneisa
Mit der Hilfe von Arbeitern aus der Region wurde im Verlauf von zwei Wochen der Fundplatz KIR 257, unweit des Gebel Musa, untersucht. Dabei traten die Überreste eines christlichen Gebäudes zutage, bei welchem es sich am ehesten um eine Kirche handelt. Die sichergestellten architektonischen Reste inmitten moderner Felder sind nur spärlich und umfassen vor allem zwei parallele Lehmziegelmauern, die wohl ehemals einen Bestandteil des Gewölbes der Kirche bildeten. Als die unteren Mauern des Gebäudes zerstört wurden, um die dortigen Lehmziegeln als Baumaterial wieder zu verwenden, stürzte naturgemäß das Gewölbe ein und blieb in der Position auf natürlichem Sediment liegen, in der es 2005 ausgegraben wurde.
Besonders hervorzuheben ist bei der Kirche von El Kuneisa einerseits das Fundmaterial –dieses umfasst nicht nur einen hohen Prozentsatz an keramischen Feinwaren, sondern auch beschriftete Tonplatten, diverse Kleinfunde wie Spinnwirtel, Putzreste und Fragmente eines tönernen Fenstergitters – anderseits die Verbindung zum nahe gelegenen Friedhof mit Steinkistengräbern, der im heutigen Dorfbereich entdeckt wurde sowie der inhaltliche Kontext zu den zahlreichen christlichen Symbolen im Repertoire der Felsbilder der näheren Umgebung, insbesondere zu der Kirchendarstellung KIR 333, die nur wenige Hundert Meter vom Kirchenstandort entfernt gefunden wurde (siehe oben).
Ein napatanischer Friedhof
Für unser Wissen über funeräre Archäologie, Grabbauten und Bestattungssitten der Region brachte die Kampagne 2005 einen wesentlichen Erkenntniszuwachs. 56 Friedhöfe und 64 Einzelgräber wurden dokumentiert. Besonders hervorzuheben ist die Gruppe der so genannten Kuppelgräber (engl. dome graves), die scheinbar eine lokale Grabvariante darstellen. Diese Bauten konnten auch von anderen Missionen am Vierten Katarakt festgestellt werden und wurden aufgrund des Fundmaterials von der Kermazeit bis in die napatanische Epoche datiert.
Um die zeitliche Einordnung der Gräber in der Region um Kirbekan exemplarisch zu prüfen, wurden acht der Anlagen ausgegraben. Vier isolierte Gräber wurden nahezu vollständig geplündert vorgefunden. Besonders aussagekräftige Befunde erbrachte jedoch der Friedhof KIR 208, der mindestens acht Gräber umfasst. In zweien dieser Kuppelgräber fanden sich noch die Bestattungen in situ, zwei weitere zeigten ausreichend Knochenmaterial um die Position der Skelette als Hockerbestattungen zu rekonstruieren. Jede der Bestattungen war zwar in antiker Zeit geplündert worden, doch hatten die Räuber entweder einiges übersehen oder sie legten keinen Wert auf Dinge wie einfache Perlenketten und Keramikgefäße. Für uns als Archäologen sind diese zurückgelassenen Objekte hingegen von großer Bedeutung – denn sie lassen uns nicht nur die Gräber datieren (in diesem Fall in die Napatanische Zeit, konkret ins 8.-7. Jahrhundert v. Chr.), sondern sie geben auch Auskunft über die Ausstattung der Gräber, wodurch in weiterer Hinsicht Einblicke in das damalige Bestattungsbrauchtum die Jenseitsvorstellungen möglich sind.
KIR 208: Überblick des Friedhofes | |
KIR208_3: Blick auf die enge Hockerbestattung in Grab 3 |
Ausgewählte Funde aus Friedhof KIR 208:
KIR 208_24c: Anhänger/Ohrring aus Fayence mit Längsdurchbohrung – gefunden neben dem Schädel in Grab 2 |
— weitere Fundplätze und Funde —
Die Inseln [Text: Claudia Näser]
Der Insel-Survey konzentrierte sich auf Sherari, mit 6,5 km² die kleinste der vier Hauptinseln der Konzession. Sie konnte nahezu vollständig begangen werden; es wurden insgesamt 141 Fundplätze erfasst. Historisch reicht ihre Sequenz von der Steinzeit bis in die christliche Epoche. Besonders bemerkenswert sind mehrere Fundplätze der späten prähistorischen Perioden, also dem 4. bis 2. Jahrtausend v. Chr. Zu ihnen gehört ein Friedhof der Kermazeit, auf dem über 150 Gräber gezählt wurden. Unter den Lesefunden von diesem Fundplatz sind Scherben von Keramik- und Steingefäßen, die eindeutig als Importe aus dem pharaonischen Ägypten zu identifizieren sind. Sie erlauben eine Datierung in das frühe 2. Jahrtausend v. Chr.
In der zweiten Hälfte der Kampagne kehrte das Team auf die Insel Us zurück, um Grabungen auf zwei Fundplätzen durchzuführen, die bereits im letzten Jahr identifiziert worden waren. Auf dem Fundplatz US022 wurde Lehmziegelbau untersucht, der an Hand der Oberflächenbefunde funktional nicht einzuordnen war. Er erwies sich als eine kleine Kirche in außerordentlich gutem Erhaltungszustand. Sie konnte vollständig freigelegt werden. Ihr Grundriss ist nahezu quadratisch und misst ca. 9 x 9 m. Die architektonische Einrichtung umfasst einen aus Lehmziegeln gesetzten Altar, ein Lesepult sowie bankartige Einbauten in den beiden Sakristeien. Unter einer Mauer in Eingangsnähe wurde ein Gründungsziegel gefunden. Er trägt eine kurze Tintenaufschrift mit den Namen der Kirchenpatrone, dem Heiligen Jakob und Maria, Mutter Gottes. An der Außenseite der Kirche konnte ein intaktes Grab freigelegt werden. Es enthielt die Bestattung eines etwa sechzigjährigen Mannes.
Eine Testgrabung auf dem neolithischen Siedlungsplatz US007 ergab reiche Funde an Keramik und Steinwerkzeugen, vor allem aber zahlreiche gut erhaltene Tierknochen. Einige von ihnen konnten bereits als Überreste domestizierter Rinder identifiziert werden. Auf Grund dieser viel versprechenden Befunde soll die Arbeit auf diesem Platz in der nächsten Kampagne fortgesetzt werden.
Auf Us wurde außerdem ein spezieller Felskunstsurvey durchgeführt – die Insel gehört zu den reichsten und interessantesten Felskunstlandschaften des Vierten Katarakts. Insgesamt wurden 160 Felskunstplätze dokumentiert. Sie umfassen einige sehr komplexe Fundstellen sowie zahlreiche ungewöhnliche Motive und Bildkompositionen, die das Repertoire der nordostafrikanischen Felskunst grundsätzlich erweitern. Eine Besonderheit der Felskunst des Vierten Katarakts sind sogenannte rock gongs oder Steintrommeln. Es handelt sich dabei um zumeist unbehauene Granitblöcke, die glockengleiche metallische Klänge hervorbringen, wenn sie mit einem harten Gegenstand geschlagen werden. Seit prähistorischer Zeit als Musikinstrumente genutzt, überliefern sie in einzigartiger Weise auch den Klang vergangener Zeiten. Auf Us konnten mehrere solcher rock gongs identifiziert werden.
Neben den archäologischen Arbeiten hat H.U.N.E. 2005 auch ein Teilprojekt durchgeführt, das sich speziell den heutigen Bewohnern der Region und ihrer Kultur widmet. Siehe ausführlich dazu das Unterprojekt Culture of the Manasir.
Sherari
Us