Die Kampagne 2006
Vom 4. Februar bis 1. April 2006 fand die dritte Feldkampagne von H.U.N.E. statt. Der systematische Survey des Festlandteils und der Insel Us wurde beendet; daneben wurden mehrere Grabungen unternommen.
Leider verhinderte die politische Situation im Untersuchungsgebiet die planmäßige Durchführung der Kampagne. Im Flutungsgebiet des Staudamms sind etwa 50.000 Menschen von der Aussiedlung bedroht. Sie gehören dem muslimischen Stamm der Manasir an. Anfang 2006 haben sich die Manasir entschlossen, ihren zivilen Widerstand gegen die Bedingungen ihrer Umsiedlung und die in Aussicht gestellten Kompensationsmaßnahmen zu verstärken. In diesem Rahmen haben sie die Ausweisung aller in der Region tätigen Archäologen beschlossen. Sie hofften, damit ein Zeichen ihres Widerstands zu setzen, die Aufmerksamkeit der nationalen und internationalen Öffentlichkeit auf ihre Situation zu lenken und – im besten Fall – auf Grund der Behinderung der archäologischen Arbeit die Flutung hinauszuzögern. Mitglieder der H.U.N.E.-Mission haben ein Treffen mit dem Komitee der Manasir organisiert. In diesem Treffen, das am 20.Februar 2006 in Salamat stattfand, wurde der Beschluss ausführlich diskutiert, letztendlich aber aufrechterhalten. Da die H.U.N.E.-Mission die Interessen der Manasir respektiert und unterstützt, haben wir das Untersuchungsgebiet am Vierten Katarakt wenige Tage später verlassen.
Wir hoffen, die Arbeiten im Bereich der Inselkonzession im Frühjahr 2007 wieder aufnehmen zu können. Der sudanesische Antikendienst hat die Missionen ausdrücklich gebeten, eine weitere Kampagne durchzuführen, und auch das Komitee der Manasir hat inzwischen seine Unterstützung dafür in Aussicht gestellt.
Um die diesjährige Frühjahrskampagne nicht vorzeitig abzubrechen, hat sich die H.U.N.E.-Mission um eine neue Konzession außerhalb des Flutungsgebiets bemüht. Das Insel-Team konnte seine Arbeiten ab dem 25. Februar auf der Insel Mograt fortsetzen. Mograt ist mit 30 km Länge die größte Insel im gesamten Nil. Sie liegt zwischen dem Vierten und dem Fünften Katarakt bei der modernen Stadt Abu Hamed, in der Region, wo der seit der Antike genutzte Überlandweg von Ägypten durch die Ostwüste wieder auf das Niltal trifft. Mograt hat damit eine soziopolitisch brisante Position und verspricht interessante archäologische Funde. Archäologisch ist die Insel weitgehend unerforscht; Grabungen wurden auf Mograt noch nie durchgeführt.
Das Festland [Text: Julia Budka]
Der folgende Bericht bezieht sich auf die Aktivitäten der Humboldt University Nubian Expedition am linken Nilufer zwischen dem Gebel Musa und Salamat im Februar 2006. Wie schon 2005, diente das Dorf Kirbekan als Basisstation und täglicher Ausgangspunkt. Für 2006 waren ein zweiwöchiger Survey und sechs Wochen Grabung an ausgewählten Plätzen geplant. Eine rapide Veränderung der politischen Stimmung vor Ort erzwang jedoch einen vorzeitigen Abbruch der Arbeiten nach knapp drei Wochen vor Ort. Glücklicherweise konnte noch vor der Abreise das ausständige Gebiet der Konzession in Auszügen begangen und ein Friedhof ausgegraben werden. Das ethnographische Projekt zur Siedlungsweise und Wohnarchitektur der modernen Monasir, das 2005 begonnen worden war, fand ebenso eine Fortsetzung.
Ergebnisse des Surveys von 2006
Der nördlichste Bereich der Festlandkonzession der Humboldt Universität zwischen den Dörfern Shellal und Salamat war weder 2004 noch 2005 erforscht worden und stellte so ein dringendes Desiderat für 2006 dar. Die Landschaft wird in diesem Bereich von einem felsigen und eher flachen Hügelland gekennzeichnet. Breite Wadis sind selten; die heutigen Dörfer liegen am Hang und auf der ersten Hügelkette unmittelbar über einem relativ breiten Fruchtlandstreifen. In diesem Bereich wurde in zwei Zweierteams zu Fuß ein Survey durchgeführt, der zeichnerische Skizzen von 88 neu entdeckten Fundplätze, digitale Fotodokumentation und die Einmessung mit GPS-Geräten erbrachte. Aufgrund der Morphologie der oberflächlich sichtbaren Strukturen und des aufgefundenen Fundmaterials können die Fundplätze von 2006 im groben wie folgt verschiedenen Zeithorizonten zugeschrieben werden, wobei bei einigen eine Mehrfachnutzung über unterschiedliche Zeiträume offensichtlich war. Mangels eindeutiger Befundlage können 19 Fundplätze zeitlich nicht näher eingeschränkt werden.
Dabei handelt es sich um fünf Siedlungen, fünf Unterstände/Hütten aus Trockenmauerwerk, fünf Steinstrukturen, vier Bruchsteinmauern, eine Ansammlung von Artefakten (Siedlungsplatz), 46 Friedhöfe unterschiedlichsten Typs und verschiedene isolierte Grabanlagen sowie vier Felskunststationen. Acht Fundplätze waren wohl über mehrere Perioden in Benutzung und vereinen verschiedene Aspekte – Grabbauten treten in diesen Fällen gemeinsam mit Siedlungsresten, Bruchsteinmauern, Unterständen und Felskunst auf.
Ausgewählte Fundplätze
ShN 14 – Kerma-Tumuli
Tumuli, die auf den verschiedenen felsigen Hügelkämmen und Plateaus situiert sind, konnten in großer Zahl aufgezeichnet werden. Diese Grabbauten sind bereits aus dem südlichen Konzessionsgebiet und durch andere Missionen im Bereich des Vierten Kataraktes gut bekannt und können der lokalen Kerma-Kultur (ca. 2500-1550 v. Chr.) zugeordnet werden. Bei diesen Tumuli überwiegen zwei Grabformen – einerseits hohe konische Steinhaufen (z.B. ShN 14), andererseits runde bis ovale Steinringe von unterschiedlichen Ausmaßen.
Kuppelgräber
So genannte Kuppel- und Felsspaltgräber stellen weitere Grabtypen der Region dar, die besonders stark an die natürliche Landschaft und die Topographie des Kataraktgebietes gebunden sind. Namensgebend für diesen Typ von Gräbern ist eine aus Steinblöcken errichtete Kuppel, die direkt auf den gewachsenen Felsen aufsetzt und an ein Iglu erinnert (ShN 38). Dass Kuppelgräber im gesamten Konzessionsgebiet von H.U.N.E. nachweisbar sind, stellt eine der wichtigsten Erkenntnisse des Surveys von 2006 dar. Bislang war der nördlichste Nachweis dieses Grabtyps im Dorf Mushra gewesen; der kleine Friedhof ShN 27 mit derartigen Grabbauten verlagert den Befund um 13 km weiter nach Norden. Die mit den Fundplätzen assoziierte Keramik spricht dafür, dass sie vorwiegend in die spätere Kerma- bis in Napatanische Zeit zu datieren sind (z.B. ShN 04, ShN 18, ShS 11, ShS 13).
ShN 10 – neolithischer Siedlungsplatz
Das felsige Hügelland rund um Shellal beherbergt mehrere Siedlungsplätze aus neolithischer Zeit. Davon zeugen Konzentrationen von entsprechenden Keramikscherben und Steinartefakten sowie Steinstrukturen, die als Relikte von ovalen und runden Hütten bzw. Unterständen zu interpretieren sind (z.B. ShN 10, ShN 35 and ShN 37).
ShS 22 – mittelalterliche Siedlung
Der Fundplatz ShS 22 stellt eine gut erhaltene Siedlung aus dem christlichen Mittelalter dar. Mindestens fünf Strukturen konnten dort festgestellt werden; sowohl halbrunde als auch annähernd rechteckige Bauten sind vorhanden. Einraumbauten sind ebenso nachgewiesen wie zwei oder drei Räume bzw. aneinander anschließende Einheiten. Kleine Annexbauten besitzen häufig keinen Eingang und dienten wohl zur Unterbringung von Vieh. Als Baumaterial wurden Lesesteine verwendet, die in unregelmäßigen Lagen übereinander gestapelt wurden. Teilweise wurden die anstehenden Felsen in diese Architektur einbezogen, häufig bilden große Felsbrocken die Rückwand der Bauten, die kaum mehr als einen einfachen Unterstand darstellen. Auf diese Weise wurden vorhandene Steinformationen optimal genutzt.
ShN 19 - Felsbildstation
Das Felsbildpanel ShN 19 umfasst ein bislang einzigartiges Motiv in unserem Konzessionsgebiet. Die Fläche des Felsens wird größtenteils von mehreren Rindern mit langen Hörnern eingenommen, die in mindestens drei Reihen übereinander angeordnet sind, wobei einige der Tiere Standlinien besitzen. Nördlich schließt eine menschliche Figur an. Der Grad der Patinierung spricht dafür, dass sowohl die Rinder als auch die Figur aus demselben Zeithorizont stammen. Treiber und Hirten sind häufiger im Verband mit Tieren nachgewiesen, aber die hier dargestellte Person scheint eine Frau zu repräsentieren. In scheinbar tanzender Pose hat sie die Arme über den Kopf gehoben. Auf der Insel Us konnte eine ähnliche Figur im Verband mit Straussen gefunden werden (Näser 2005, US042). ShN 19 scheint am ehesten in den Kerma-Zeithorizont zu datieren, was nicht zu letzt auch aufgrund der hohen Dichte an benachbarten Tumuli dieser Epoche wahrscheinlich ist.
Grabung 2006:
Der kermazeitliche Friedhof KIR 236
Bereits bei der Begehung im Februar 2005 fiel ein Fundplatz in der Nähe des Dorfes Umm Ushira als besonders lohenswert in Hinsicht auf eine kommende Grabung auf. Es handelt sich um einen klassischen Kuppelgrabfriedhof, bei welchem mehrere Gräber zu einer dichten, an Bienenwaben erinnernden Einheit angeordnet waren (KIR 236). Die Steinstrukturen wiesen einen besonders guten Erhaltungszustand auf. Besonders das zentrale Hauptgrab (Grab 2) stand über 1,50 m hoch an und wirkte wie eine mehrstöckige Konstruktion und noch ungeplündert. Der enge Verband der einzelnen Grabbauten in KIR 236 ließ eine verwandtschaftliche Beziehung der Bestatteten zueinander annehmen. Insofern sollte eine Freilegung unter Einbeziehung eines Anthropologen erfolgen und wurde auf das Jahr 2006 verschoben. Dieser Entschluss erwies sich im Nachhinein als folgenschwer – bei einer Sichtung des Grabungsplatzes im Februar 2006 mussten wir feststellen, dass dieser im letzten Jahr geplündert worden war. Besonders das gut erhaltene Grab 2 war vollkommen zerstört worden und zahlreiche Keramikscherben und Knochenfragmente bezeugten die ehemalige Reichhaltigkeit seines Inventars. Die Plünderer hatten ganz offensichtlich das eigentliche bzw. das unterste Bestattungsniveau nicht erreicht, denn eine Art Grube über dem anstehenden Felsen war noch mit Füllsand gefüllt und zahlreiche Knochenfragmente und Scherben lagen darin verstreut. Insofern war es nötig, diese Störungen zu säubern und die verbliebenen Grabbauten (Gräber 5 und 6 im Süden) zu untersuchen. Der nunmehr gestörte Zustand des Fundplatzes ließ die Anzahl der Gräber ohne Grabung nicht klar bestimmen.
Grab 6
Im südlichen Bereich des Fundplatzes liegt westlich neben Grab 5 das sehr ähnliche Grab 6, dessen Nordseite direkt an das zentrale Grab 2 anschließt. Vergleichbar mit Grab 5, so zeichnete sich auch beim im Durchmesser ca. 2 m messenden Grab 6 noch eine kuppelförmige Struktur ab. Beim Abtragen kam abermals relativ fundleerer Flugsand zum Vorschein. Er enthielt einige Knochensplitter, die eine antike Plünderung vermuten ließen. Innerhalb einer Höhe von 20 cm stießen wir auf zwei leicht verworfene Lagen von Steinplatten, die jeweils ein ursprüngliches Pflaster bzw. dessen geplünderte Reste darstellen könnten. Unterhalb der unteren Steinlage kam im Nordwesteck der Schädel zum Vorschein. Auf derselben Höhe fand sich an der Ostseite ein Keramikscherben, der gegen einen Stein geklemmt war. Nachdem die verworfenen Steine dieses Niveaus abgebaut wurden, kamen substantielle Reste der Bestattung zum Vorschein. Diese lagen in einer annähernd runden Grube (ca. 1,20 m Dm.) direkt über dem gewachsenen Felsen. Der Kopf war offensichtlich von den Plünderern abgerissen worden, er lag zwischen mehreren kleinen Steinen und die Wirbelsäule befand sich ein Stück weit entfernt. Verworfene Halswirbel und das Schlüsselbein kamen beim Entfernen des Schädels zum Vorschein. Reste der Wirbelsäule, das Becken und Femur verdeutlichen, dass es sich bei der Bestattung um einen rechten Hocker mit Kopf im Norden und Blick nach Süden handelt. Sowohl die Größe des Kopfes als auch die Länge des Femurs von 35 cm verdeutlichen, dass es sich beim Toten um keinen Erwachsenen, sondern ein jugendliches Individuum, handelt. Dies ist besonders interessant, da die Keramik aus Grab 6 – neben dem erwähnten Scherben ist noch ein Randstück eines Bechers, das hinter der Wirbelsäule lag, zu nennen – sehr nahe Parallelen im Inventar von Grab 2 findet, das in Hinblick auf die Datierung in den späteren Middle Kerma-Horizont weist (ca. 1800-1700 v. Chr.)
Vergleichbar mit Grab 5, beinhaltete auch die Bestattung in Grab 6 Reste von Schmuck – im Bereich des Halses kamen unter dem Schädel mehrere Perlen zum Vorschein – es handelt sich um diverse Röllchen- und Ringperlen aus Fayence, Straußeneischale und Knochen, die ehemals zu einer Halskette zusammengefasst waren (KIR 236.21).
Grab 2
Grab 2 bildet den Mittelpunkt des Friedhofes. 2005 stand die Kuppel des Grabes noch über 1,20 m hoch an. Diese Steinstruktur war von den rezenten Räubern jedoch komplett auseinander genommen worden. Die Nord- und Westseite waren dementsprechend mit Geröll bedeckt. Im Osten schließt der höchste der natürlichen Felsbrocken an. Die Plünderer hatten ihre Aktivität auf dem Niveau der untersten Steinlage der ehemaligen Kuppel eingestellt und wir fanden eine annähernd runde Fläche von ca. 3 m Durchmesser vor. Zahlreiche Scherbenfragmente und Knochenfragmente zeigten, dass die Räuber bis zu diesem Niveau fündig geworden waren. Doch als wir die sandige Füllung bis zum gewachsenen Felsen aushoben, kamen zahlreiche Knochenfragmente und weitere Keramik zum Vorschein. Im südlichen Teil der Grube lagen Reste von Armknochen noch annähernd im Verband zusammen. Dazwischen kamen zahlreiche Fayence-Ringperlen zutage, die ehemals zu einer Kette bzw. einem Armband zusammengeknüpft waren.
Zusammenfassende Bemerkungen
Die Ausgrabung von KIR 236 machte deutlich, dass es sich um einen kleinen Friedhof der späteren Kerma Moyen/Kerma Classique Zeit handelt. Insgesamt vier Gräber konnten innerhalb der Bienenwabenförmig angeordneten Einzelstrukturen differenziert werden. Einige Aspekte sprechen stark dafür, dass „zweistöckige“ Bestattungen vorlagen – zunächst wurden direkt über den gewachsenen Felsen Grabbeigaben und ein Leichnam platziert. Diese „Grube“ wurde mit Sand gefüllt und von einem Lage Steinplatten nach oben abgeschlossen. Darüber baute man die charakteristische Kuppel – auch hier wurden zumindest Gegenstände deponiert, eine weitere Bestattung ist darüber hinaus sehr wahrscheinlich. Aufgrund des gestörten Befundes von KIR 236 kann nicht mit Gewissheit festgestellt werden, in welcher zeitlichen Abfolge die Bestattungen über und unterhalb der Steinlegung der Kuppel zueinander stehen. Da insgesamt nur Kermazeitliche Keramik zum Vorschein kam, ist eine zeitliche Nähe wahrscheinlich. Grab 2 des kleinen Friedhofes scheint mit seinen beachtlichen Ausmaßen und eindeutiger Mehrstöckigkeit das Hauptgrab gewesen zu sein. Im direkt anschließenden Grab 6 wurde ein noch nicht erwachsenes Individuum mit derselben Keramik als Beigabe bestattet – eine Deutung von KIR 236 als Familienfriedhof ist insofern nahe liegend.
Die Beigabenkeramik von KIR 236 ist besonders interessant – wie bereits 2005 bei Kuppelgräbern aus der Napatanischen Zeit festgestellt werden konnte, so können zwei Traditionen innerhalb der Töpferwaren unterschieden werden. So liegen einerseits Produkte vor, die eindeutig als lokale, grobe Ware gekennzeichnet sind, andererseits aber auch dekorierte Gefäße aus sehr feinem Ton, die eventuell als Importe aus dem Gebiet um Kerma anzusprechen sind. Ob diese unterschiedlichen Traditionen Rückschlüsse auf die in derartigen Gräbern Bestatteten zulassen, wäre durch weitere Grabungen und Keramikauswertung auf einer breiteren Materialbasis abzuklären.
Die Inseln [Text: Claudia Näser]
Die Arbeiten auf der Insel Us am Vierten Katarakt
In fünf Tagen Feldarbeit wurden auf Us 65 neue Fundplätze dokumentiert. Sie bestätigen und erweitern das in den bisherigen Kampagnen gewonnene Bild der Besiedlungsgeschichte der Insel. Die ältesten Fundplätze datieren aus den späten prähistorischen Epochen, d.h. dem Mesolithikum und dem Neolithikum. Ein erster Besiedlungshöhepunkt ist für die Kermazeit, im 3. und 2. Jahrtausend v. Chr., zu konstatieren. Zahlreiche Friedhöfe dieser Epoche wurden im Untersuchungsgebiet dokumentiert. Die Anordnung und die Größe ihrer Graboberbauten deuten auf die Umsetzung einer sozialen Hierarchie in der Anlage des Friedhofs hin.
Erstmals wurde die keramische Leitform der meroitischen Epoche (3. Jh. v. – 3. Jh. n. Chr.), eine typische bemalte und gestempelte Ware, die aus vielen Regionen des nubischen Niltals bekannt ist, auch im Konzessionsgebiet von H.U.N.E. nachgewiesen. Fragmente dieser Ware wurden auf dem Friedhof US036 gefunden.
Weitaus umfangreicher sind aber die Befunde für die folgende postmeroitische Epoche (4. – 7. Jh. n. Chr.). Sie ist im Survey 2006 mit fünf Friedhöfen vertreten. Ihr Charakteristikum sind monumentale Graboberbauten in Form von Erdtumuli oder Steinkreisen. Typischerweise sind die Friedhöfe dieser Epoche in weiten sandigen Tälern, fernab der flussnahen Siedlungsbereiche angelegt. Ausschlaggebend für diese Position ist vermutlich das weiche Sediment der Talböden, das die Anhäufung großer Tumuli und die Ausschachtung großer Bestattungsanlagen erleichterte.
Quantitativ am stärksten vertreten ist die christliche Epoche (7. – 15. Jh. n. Chr.). Sie ist nicht nur in Friedhöfen mit den typischen Steinkistengräbern, sondern auch in zahlreichen Siedlungsplätzen präsent. Der größte wurde dieses Jahr auf der Nordspitze der Insel Us dokumentiert. Er umfasst ca. 20.000 m2 und zeigt mehrere terrassierte Strukturen an den Abbrüchen zum Nilufer hin, die möglicherweise Wehrcharakter haben. Leider konnte der Fundplatz auf Grund des vorzeitigen Abbruchs der Arbeiten nicht mehr im Detail aufgenommen werden.
Bei dem Fundplatz US022, auf dem in der Kampagne 2005 (siehe dort) eine spätchristliche Kirche freigelegt worden war, wurde ein Ziegelbrennofen in einer Grabung untersucht (US025). Er diente zweifelsohne zur Herstellung des Baumaterials für die Kirche US022.
Ausgewählte Fundplätze
Keramik der neolitischen Epoche
Lesefunde von verschiedenen Fundplätzen auf Us
US053
Archäologische Strukturen auf dem Gebel Us: Steinkreise unklarer Datierung
US036
Dekorierte Keramik der meroitischen Epoche: Fragmente eines Gefäßhalses mit polychromer Bemalung und zwei Reihen Stempeldekor in Form von Uräus-Schlangen
US028
Postmeroitischer Friedhof mit monumentalen Steinkreisen und einer Reihe christlicher Steinkistengräber (rechts) im Luftbild
US063
Siedlung aus christlicher Zeit auf der Nordspitze der Insel Us
US025
Werkplatz: Ziegelbrennoffen in der Grabung
Satellitenbild
mit der Inselgruppe der H.U.N.E.-Konzession am Vierten Katarakt links im Bild und der Insel Mograt im oberen Nilknick
Der Survey auf Mograt
In einer ersten Erkundung der Insel zu Fuß und mit dem Auto wurden 60 Fundplätze dokumentiert. Zu den besonders bemerkenswerten Entdeckungen gehören zwölf Fundplätze mit Steinwerkzeugen aus paläolithischer Zeit (vermutlich Mittel- und Jungpaläolithikum: ca. 300.000 – 20.000 v. Chr.). Fundplätze dieser Periode sind im nubischen Niltal sehr selten; der Befund auf Mograt ist daher außergewöhnlich und in den folgenden Jahr unbedingt im Detail zu untersuchen. Auch neolithische Fundplätze sind in unerwartet großer Anzahl und Ausdehnung präsent. Mehrere Friedhöfe können vermutlich der Kermazeit zugewiesen werden; sollte sich diese Datierung bewahrheiten, wäre dies die südlichste bisher festgestellte Ausdehnung dieser Kulturstufe. Besonders hervorzuheben sind mehrere monumentale Tumuli auf dem Fundplatz MOG034, die in ihrer Abdeckung mit schwarzen und weißen Kieseln den Gräbern der Klassischen Kermazeit auf dem namensgebenden Fundplatz von Kerma am Dritten Katarakt gleichen.
Im Survey auf Mograt wurden außerdem zahlreiche Friedhöfe der napatanischen Periode (8. – 4. Jh. v. Chr.) festgestellt. Wiederholt wurden an ihrer Oberfläche Scherben ägyptischer Importkeramik gefunden, die auf einen engen Kontakt mit den Zentren weiter flussab verweisen. Ebenfalls dokumentiert wurden mehrere postmeroitische und christliche Friedhöfe, zahlreiche christliche Siedlungen und mehrere Festungsanlagen aus christlicher Zeit.
Grabungen auf Mograt
In der Umgebung des Ortes Karmel im Süden von Mograt wurden mehrere Fundplätze in Grabungen untersucht. Dazu gehören:
Die Festung Gebel al-Hilla wurde im Detail kartiert. Die auf einem Felsrücken nahe des Flusses gelegene, knapp 5000 m2 große Anlage ist das das prominenteste Monument auf Mograt und wurde schon von den frühen europäischen Reisenden erwähnt. Oberflächenfunde erlauben ihre Datierung in die christliche Zeit; offensichtlich wurde die Festung aber durchgängig bis in die islamische Periode genutzt.
Ausgewählte Fundplätze
MOG024
Die Grabung auf dem paläolithischen Fundplatz: Sieben des Aushubs
MOG024
Steinartefakt, sogenannter Levallois-Kern, aus der Grabung
MOG034
Tumulus der Kermazeit (?) mit Decke aus schwarzen und weißen Kieseln; Durchmesser ca.15,5 m
MOG012
Grabung auf dem napatanischen Friedhof: Freilegen der intakten Bestattung in Grab 4
MOG012
Keramik aus dem napatanischen Friedhof, Grab 4: die Schale unten links und die Flasche rechts sind Importe aus Ägypten
MOG012
Oberflächenfunde von dem napatanischen Friedhof: Keramik bisher unbekannter Typen
MOG001
Grabung auf dem christlichen Friedhof: Oberbauten aus Lehmziegeln; eine kleine kreuzförmige Anlage im Zentrum
MOG001
Grabung auf dem christlichen Friedhof: monumentaler Oberbau aus Lehm- und Brandziegeln mit Resten von weißem Verputz
MOG001
Grabung auf dem christlichen Friedhof: Blick in das geöffnete Gewölbe von Grab 11 mit intakter Bestattung
Fragmente von Grabstelen aus Terrakotta
von den christlichen Friedhöfen MOG001 und MOG002 in der Umgebung von Karmel (Mograt)
MOG004
Die Festung Gebel al-Hilla: Blick auf die Ostseite mit dem Haupteingang und zwei Eckbastionen
MOG004
Keramische Lesefunde aus der Festung Gebel al-Hilla; in der oberen Reihe eine Scherbe mit gemaltem Dekor aus christlicher Zeit