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H.U.N.E. - Die Nubien-Expedition der Humboldt-Universität zu Berlin

Karten zur Lage der Grabung

Rettungsgrabung im Sudan

Derzeit entsteht am 4. Nilkatarakt im Nordsudan ein riesiger Staudamm. Nach seiner Inbe­trieb­nah­me im Jahr 2008 werden 170 Kilometer Flußtal überschwemmt. Eine einmalige Kul­turland­schaft wird damit für immer in den Wassern des neuen Stausees versinken. Im Gegen­satz zum Bau des Assuan-Staudammes in 1960er Jahren gibt es am 4. Katarakt keine UNESCO-Kampagne, um dieser Situation zu begegnen, die antiken Stätten zu dokumentieren und sie damit für die Nachwelt zu bewahren. Ohne archäologische Arbeiten in dem Gebiet aber wird ein ganzes Kapitel der Menschheitsgeschichte, das zentral für das Verständnis der nubischen Kulturen und für die Entstehung der afrika­ni­schen Zivilisationen ist, unwieder­bringlich verloren sein.

Vor diesem Hintergrund hat das Seminar für Archäologie und Kulturgeschichte Nordost­afri­kas der Humboldt-Universität zu Ber­lin die Verantwortung für einen 40 Kilometer langen Ab­schnitt im Zen­trum des Flutungs­ge­bietes übernommen. Das Ziel des Projektes, das im Früh­jahr 2004 mit einem ersten Survey seine Arbeit vor Ort aufgenommen hat, ist, die Region systematisch zu erkunden, alle ar­chäologi­schen Fundplätze zu erfassen und die wichtigsten von ihnen in Grabungen zu un­ter­suchen

Das Forschungsgebiet

Das Konzessionsgebiet der H.U.N.E. befindet sich fast genau im Zentrums des großen Bo­gens, wo der Nil von Nordosten nach Südwesten fließt. Es umfaßt:

  1. einen zirka 40 Kilometer langen Ab­schnitt auf dem linken, südwestlichen Ufer des Nils, be­grenzt vom Gebel Musa flußabwärts und dem Marktort Salamat flußauf,
  2. eine Gruppe von vier größeren und mehreren kleineren Inseln in dem begleitenden Fluß­ab­schnitt.

Die Namen dieser Inseln sind Us, Sur, Sherari und Shirri. Sie sind bis zu 10 Kilometer lang und mitunter mehrere Kilometer breit. Die größte Insel, Shir­ri, um­faßt etwa 30 Quadrat­kilo­meter.

Die historischen Daten

Auf der archäologischen Landkarte ist die Region zwischen dem 4. und 5. Nilkatarakt ein weißer Fleck. Seit dem frühen 20. Jahrhundert hat sich die wissenschaftliche Untersuchung des sudanesischen Niltals auf Unter­nubien, also das Gebiet, das heute von den Wassern des Assuan-Staudam­mes bedeckt ist, sowie auf monumentale Fundplätze Obernubiens konzen­triert. An Hand der dadurch gewonnenen Befunde konnte die Abfolge der antiken Kulturen des Mittleren Niltals etabliert werden. Die prähistorischen Epochen, vor allem reiche neolithi­sche Kulturen, sind im Niltal selbst ebenso wie in den angrenzenden Wüstengebieten gut belegt.

Aus ihnen ist gegen 2500 v. Chr. das Königreich von Kerma, mit seinem Zentrum am 3. Kata­rakt, hervorgegangen. Eine erste südwärts gerichtete Expansion des pharaonisch-ägyptischen Staates im frühen 2. Jahr­­tausend v. Chr. hat Kerma nicht erreicht. Erst gegen 1500 v. Chr. wur­de die Region von Kerma und das Gebiet bis zum 5. Katarakt in einer zwei­ten Erobe­rungs­welle unter ägyptische Kontrolle gebracht.

Im 8. Jahrhundert v. Chr. erstarkte eine lokale Bevölkerung, deren Kerngebiet nörd­lich des 4. Kataraktes in Napata lag und konnte nun umgekehrt Ägypten erobern. Sie ist als 25. Dynastie in die pharaonische Geschichtsschreibung eingegangen. Obwohl dies eine kurze Episode blieb, hat der kuschi­tische Staat, der sich in dieser Epoche heraus­bildete, seine Hoheit über das Gebiet zwischen der ägyptischen Grenze bei As­suan und den Regionen südlich des heu­tigen Khartoum durch das folgen­de Jahrtausend erhalten. Die sukzessive Verla­gerung seines Machtzentrums in das weiter südlich gelegene Me­roe führte zur Differenzierung einer frühen napatanischen und einer späteren meroitischen Epoche.

Im 6. Jahrhundert n. Chr. wurde Nubien von Byzanz aus missioniert. Die drei, später zwei christ­lichen Reiche von Nobadia, Makuria und Alodia existierten bis in das 15. Jahrhundert, bevor sie dem ottomanischen Ägypten im Norden und dem Königreich der Funj im Süden endgültig unterlagen. In der Folge wurde das Christentum in Nubien sukzessive vom Islam überlagert.

Insgesamt ist das Gebiet des Mittleren Niltals die zweite Wiege komplexer Ge­sellschaften in Afrika und hat zeitweise sogar seinen mächtigen nördlichen Nachbarn, Ägypten, über­flü­gelt.

 

Die wissenschaftlichen Fragen

Während sich die archäologische Forschung im Sudan darauf konzentrierte, diese kulturelle Ab­fol­ge zu rekonstruieren und mit historischen Details zu füllen, blieben viele Fragen zum täglichen Leben von nichtelitären Teilen der Gesellschaft, zu Randgruppen und ihrer Rolle in der Abfolge dieser Ereignisse bisher offen. Noch beunruhigender, besteht noch immer keine Klarheit über die Konstan­ten und die Brüche zwischen den einzelnen Epochen, etwa die Ent­stehung Kerma-Rei­ches oder der napatanischen Dynastie sowie den letztendlichen Zusam­menbruch des meroitischen Staa­tes. Um die Gründe für diese Entwick­lun­gen zu finden und damit auch die historischen Ereignisse, die Spitze des Eisbergs der Geschichte, zu verstehen, muß die Analyse auf die tieferen Straten der lokalen Bevölkerungen, die ländlichen Gebiete und die Randzonen der großen Zentren ausgedehnt werden.

Einige Antworten liegen in der Region des 4. Katarakts. Wie bereits die erste Kampagne der HUNE im Frühjahr 2004 bestätigt hat, ist das Gebiet unerwartet reich an archäologischen Fundstätten aus allen Perioden der nubischen Vorgeschichte und Geschichte: von der Stein­zeit bis in islamische Epoche.

 

Erfahrung: Rettungskampagne beim Bau des Asuan-Staudammes

Kiosk unter Wasser (Quelle: www.numibia.net/nubia/images/philae_trajan.jpg)Eine dem 4. Katarakt ähnliche Situation bestand für das über 400 km lange Niltal in Unter­nubien, das heute vollständig in den Wassern des Assuan-Stausees verschwunden ist. Vor der endgültigen Flutung wurde das Gebiet in insgesamt drei großangelegten archäologischen Missionen untersucht. Während der letzten, der UNESCO-Kampagne der 1960er Jahre, konnten sogar komplette Bauwerke versetzt werden.

Noch wichtiger jedoch war die Dokumentation und partielle Ausgrabung von über tausend Fundstel­len. Die gesammelten Informationen sind noch heute eine wesentliche Quelle für die Rekonstruktion der nubischen Geschichte. Jeder Platz, der damals nicht erfaßt wurde, jedes Areal, das nicht im Survey begangen wurde, bleibt für immer ein weißer Fleck auf der ar­chä­ologischen Landkarte – und damit ein Verlust nicht nur für uns, sondern auch für alle späteren Generationen und für die Menschheitsgeschichte in Afrika.

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