Der unlängst erschienene Bericht zur Lage der Bibliotheken 2016/17 des Deutschen Bibliotheksverbands e.V. (dbv) enthält erwartungsgemäß eine Vielzahl von interessanten Punkten und Forderungen zur Weiterentwicklung des Bibliothekswesens. Aus unserer Perspektive ist der Anspruch an eine

Nachhaltige Finanzierung für Informationsinfrastrukturen für die Geisteswissenschaften

erwartungsgemäß besonders relevant.

Der Treiber ist an dieser Stelle die Entwicklung der Digital Humanities, die ein wachsendes Bewusstsein für die Rolle von Daten auch in der geisteswissenschaftlichen Forschungspraxis mit sich bringt. Selbst wer nicht digital ediert, Texte statistisch auswertet oder auf Visualisierungen setzt, begegnet dem Konzept der Daten spätestens dann explizit, wenn er digital publiziert und implizit bereits, wenn er/sie eine Internetsuchmaschine oder einen Online-Katalog für die Recherche verwendet.

Da folglich jede digitale Forschungspraxis unweigerlich mit Daten umgehen muss, viele wissenschaftliche Bibliotheken aber traditionell oft immer noch ihren Schwerpunkt in der bibliothekarischen Verwaltung von Medieneinheiten haben, ist es außerordentlich wichtig, eine Öffnung der Bibliotheken und ihrer Dienstleistungen an dieser Stelle nicht nur zu betonen, sondern auch sinnvoll auszugestalten.

Es geht hierbei nicht notwendigerweise um die vollständige Ablösung des Bestandsmodells durch ein Datenvernetzungsmodell. Deutlich ist jedoch, dass die Idee der Bestandsverwaltung viele Bedarfe der digitalen Geisteswissenschaften verfehlt, so dass die Infrastrukturentwicklungen für diese Forschungskulturen nicht selten an den Bibliotheken vorbei laufen oder, wenn es doch einen Bezug gibt, sie innerhalb der Einrichtungen als weitgehend vom Kerngeschäft abzukoppelnde Sonderfälle gelten.

Möglicherweise ist das aktuell noch berechtigt, ist es doch gerade in den Geisteswissenschaften möglich, traditionelle Forschungspraxen weitgehend unbeinträchtigt fortzusetzen. Da die Rolle des Digitalen und damit der Datenorientierung jedoch in allen Wissenschaften perspektivisch an Bedeutung eher gewinnt, braucht es dennoch einerseits entsprechend zugeschnittene Dienstleistungen und andererseits Umsetzungsszenarien für die Einrichtungen. Nicht zu vergessen ist, dass wissenschaftliche Infrastruktureinrichtungen auch eine Verantwortung für eine Art Transformationsmanagement haben, also Entwicklungen und Medienbrüche eben nicht als plötzlich und disruptiv wahrnehmen, sondern sie aktiv mitgestalten und in Rückbindung an den Bedarf ihrer Zielgruppen auch lenken.

Das Papier des dbv skizziert für beide Aspekte - Dienstleistungen und Umsetzungen - kurz konkrete Ansatzpunkte. So leuchtet die Kooperation von Rechenzentren und Bibliotheken unmittelbar ein:

“Rechenzentren bringen Kompetenzen bei der Speicherung von Daten ein, Bibliotheken ihr Know-How beim Nachweis und für die Wiederauffindbarkeit.”

Die komplexen Prozesse der Sammlung (bzw. Harvesting), Speicherung und Langzeitverfügbarhaltung sowie Vermittlung, Aktivierung und Kuratierung von Forschungsdaten sind vermutlich nur auf diese Weise verschränk- und umsetzbar.

Bei den tatsächlichen Dienstleistungen rückt der dbv Aspekte in den Mittelpunkt, die zumindest an der Humboldt-Universität schon angelegt sind und perspektivisch vor dem Hintergrund der in eDissPlus zusammengetragen Aspekte weiter ausgestaltet werden sollen:

  • Unterstützung bei der Erstellung von Datenmanagementplänen
  • Hilfe bei der Auswahl von Fachrepositorien
  • Angebot von Lösungen für die Langzeitarchivierung von Forschungsdaten
  • Unterstützung von Publikationsvorhaben.

Mit dem Anspruch an eine Erweiterung des die Bedürfnisse digitaler Wissenschaft auffangenden bibliothekarischen Dienstleistungsrahmens geht allerdings die Notwendigkeit einer adäquaten Ausstattung sowohl mit technischen Ressourcen und mehr noch mit einschlägig qualifizierten Mitarbeiter/innen einher. Der dbv formuliert entsprechend:

“Investiert werden muss vor allem neben den Grundlagen der Forschungsarbeit in die qualitativ hochwertige Digitalisierung und Retro-Digitalisierung durch Fachpersonal und mit modernster Technik sowie in den Aufbau der nötigen sozialen und technischen Infrastruktur in den Bibliotheken.”

Nach den bisherigen Erfahrungen aus dem Projekt ist der zweite Teil - die soziale und technische Infrastruktur - derzeit ein noch größeres Desiderat als die Digitalisierungsvorhaben.

Innerhalb dieses Bereiches die “soziale Infrastruktur”, was u.a. Ansprechpartner/innen meint, die in der Lage sind, jeweils die fachwissenschaftlichen Ansprüche mit den infrastrukturellen Möglichkeiten zusammenzuführen. In einem erweiterten Szenario ist es durchaus vorstellbar, derart qualifizierte Mitarbeiter/innen als Embedded Librarians weitaus stärker in die konkreten Forschungszusammenhänge einzubinden und sie u.U. sogar bei größeren Forschungsprojekten zum Teil des Projektteams werden zu lassen.

Wie auch immer die Entwicklung aussehen wird, so ist doch deutlich, dass die beobachtbare Schwerpunkterweiterung in den Geisteswissenschaften um datentechnologisch geprägte Forschungsfragen, -ansätze und Methodologien zwangsläufig Verschiebungen im bibliothekarischen Berufsbild und im institutionellen Selbstverständnis nach sich ziehen muss. Dies jedoch ist nur durchsetzbar, wenn entsprechende Angebote in den Betriebs- und Beschäftigungsprofilen der Bibliotheken berücksichtigt werden können. Dazu braucht es, wie der dbv sehr richtig fordert, ein gesamtstaatliches Bekenntnis und einen Willen auf Seiten der Träger, solche Angebote und Entwicklungen langfristig und also nachhaltig abzusichern.