Karl Marx, Napoleon III., der Caesarismus und die Sklaven
Viele Texte von Karl Marx sind an abgelegenen Orten publiziert und / oder durch politische Repressionen an der Verbreitung gehindert worden und dann in Vergessenheit geraten. Engels hat einige von ihnen nach dem Tod von Marx neu herausgegeben und mit Vorworten versehen, welche eine ‚authentische‘ Interpretation und zugleich eine Fortschreibung angesichts veränderter politischer Verhältnisse anboten.1
Einen später berühmten Text, Der Achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, hat Marx selbst 1869, 17 Jahre nach einer Veröffentlichung, die das Publikum weitgehend verfehlt hatte, erneut drucken lassen. Er hat dann ein, auf den 23. Juni 1869 datiertes Vorwort2 verfasst, das eigentlich nur feststellte, dass er keinen Grund für eine Überarbeitung gesehen habe, wobei er einige Nebelkerzen geworfen hat. Zugleich hat er im Hinblick auf die veränderte Diskussionslage Bemerkungen einfließen lassen, die im späteren 20. Jahrhundert aus ihrem Zusammenhang gelöst und zu grundlegenden Äußerungen veredelt worden sind. Wie es dazu gekommen ist, soll hier erörtert werden, wobei zunächst die Geschichte der (überwiegend gescheiterten) Veröffentlichung des Textes nachzuzeichnen ist.
Es geht also nicht um eine Interpretation des Achtzehnten Brumaire, den Engels wiederholt zum Grundlagenwerk der „materialistischen Geschichtsauffassung“ erklärt hat3 und der seit dem späteren 20. Jahrhundert zu einem der am häufigsten interpretierten Texte von Marx avanciert ist. Dazu kann auf eine überreiche Sekundärliteratur verwiesen werden.4
Der zeitgeschichtliche Anlass
Louis Napoleon Bonaparte, Neffe Napoleons, französischer Staatspräsident durch Volkswahl seit Dezember 1848, war immer mehr auf Konfrontation mit der Nationalversammlung gegangen, seitdem diese das 1848 eingeführte allgemeine (Männer-)Wahlrecht de facto erheblich eingeschränkt hatte. Im Juli 1851 wollte er den Ausschluss einer unmittelbaren Wiederwahl als Präsident durch Verfassungsänderung aufheben, erhielt dafür in der Nationalversammlung zwar eine deutliche Mehrheit, jedoch nicht die erforderliche Dreiviertelmehrheit. Am 2. Dezember 1851 löste er verfassungswidrig die Nationalversammlung auf und ordnete ein Plebiszit an, das seine Amtszeit auf zehn Jahre verlängerte und ihm Vollmacht für die Etablierung einer neuen Verfassung gab, die er am 14. Januar 1852 in Kraft setzte.
Der 2. Dezember war der Jahrestag der Kaiserkrönung Napoleons 1804. Dessen coup d’état hatte am 9. November 1799 stattgefunden, dem 18. Brumaire des Jahres VIII nach dem damals noch geltenden Revolutionskalender. Mit ihm wurde die Direktoriums-Verfassung aufgehoben; anschließend wurde durch Plebiszit eine neue Verfassung angenommen, die Napoleon als Erstem Konsul kaum begrenzte Kompetenzen gab. Die Parallele – verfassungswidrige, gewaltsame Auflösung des Parlaments, Machtkonzentration an der Staatsspitze, anschließende (Schein-)Legitimierung durch eine Volkabstimmung – wurde durch den Titel von Marx’ Schrift zum Ausdruck gebracht, was einem anscheinend schon etablierten Sprachgebrauch folgte.5
Zugleich verwies dieser Titel auf den ständigen Vergleich zwischen Onkel und Neffe, in dem letzterer von Marx immer als groteske Karikatur des echten Napoleon dargestellt und deshalb konsequent nur Louis Bonaparte genannt wurde. „Der achtzehnte Brumaire des Idioten für den achtzehnten Brumaire des Genies!“6
Dass dieser ‚Idiot‘ auch Kaiser werden würde, hatte Marx am Ende seines Textes vorausgesehen, wie er in seinem Vorwort von 1869 hervorhob, worauf noch zurückzukommen ist. Dazu hatte es, als Marx seinen Text Ende März 1852 abschloss, keiner besonderen Prophetengabe bedurft, auch wenn noch nicht feststand, dass dies noch im gleichen Jahr, wiederum am 2. Dezember (nach einem weiteren Plebiszit), geschehen sollte.
Die Erstveröffentlichung in den USA7
Marx war schon im Dezember 1851 entschlossen gewesen, die neue Entwicklung in Frankreich publizistisch zu verarbeiten. Er verfügte jedoch nur noch nur über begrenzte Publikationsmöglichkeiten, nachdem seine in London herausgegebene Zeitschrift Neue Rheinische Zeitung. Politisch ökonomische Revue, in der er seine erste Analyse der französischen Verfassungsentwicklung 1848/49 veröffentlicht hatte, Ende 1850 eingegangen war. (Erst bei der Neuveröffentlichung durch Friedrich Engels 1895 erhielt diese Artikelserie die Überschrift Die Klassenkämpfe in Frankreich).8 Deutsche Verleger wollten sich in einer Zeit der Repression auf diesen berüchtigten Autor nicht einlassen. Für deutschsprachige Veröffentlichungen kam nur die Emigrantenpresse in den USA in Frage.
Besondere Hoffnung setzte Marx auf Joseph Weydemeyer, mit dem er seit Mitte der 1840er Jahre verbunden war. Weydemeyer, zuletzt Redakteur der Neuen Deutsche Zeitung (Frankfurt am Main; Ende 1850 auf behördlichen Druck eingestellt), hatte im Rhein-Main Gebiet den Bund der Kommunisten reorganisiert und sich Mitte 1851 (nach Verhaftungen von Kommunisten andernorts) vorsichtshalber zur Auswanderung entschlossen.9 Marx erwartete von Weydemeyer, dass er in den USA als sein literarischer und politischer Agent tätig werde.10 In New York wollte Weydemeyer ab Anfang Januar 1852 die Wochenzeitung Die Revolution herausgeben. Als Marx die Bitte von Weydemeyer um Beiträge für diese Zeitung erreichte, kündigte er Weydemeyer sofort einen Artikel „Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte“ an. Marx’ Version im Vorwort von 1869, Wedemeyer habe ihn zu einem Beitrag über den Staatsstreich in Frankreich aufgefordert, kann so nicht stimmen.11
Es sollte dann eine Artikelserie werden. Die ersten Lieferungen von Marx im Januar und Februar 1852 kamen jedoch zu spät, da die Zeitung bereits nach zwei Ausgaben ihr Erscheinen hatte einstellen müssen. Seit Mitte Februar wurden zwischen Marx, Weydemeyer und Adolf Cluß (ebenfalls Mitglied des Kommunistenbundes, inzwischen in Washington lebend und wie Weydemeyer von Marx regelmäßig mit Aufträgen bedacht) Möglichkeiten einer Fortsetzung von Die Revolution in anderer Form bzw. einer anderweitigen Veröffentlichung von Marx’ Serie erörtert. Marx schrieb währenddessen weiter, kam am 25. März zum Schluss. Da Weydemeyer und Cluß Geld auftreiben konnten12 und Cluß den Absatz in deutschen (kommunistischen) Emigrantenkreisen in den USA organisieren wollte, wurde der gesamte Text schließlich als Broschüre, die zugleich als erste Nummer von Die Revolution. Eine Zeitschrift in zwanglosen Heften figurierte,13 Ende Mai 1852 in einer Auflage von 1000 Exemplaren in New York gedruckt.
Der passende Publikationsort war das jedoch nicht, schließlich war „das Ding mehr für Europa als Amerika geschrieben“.14 Eine französische Ausgabe war nicht möglich, eine geplante englische Übersetzung kam nicht zustande; deutsche Verleger lehnten die Übernahme der Originalfassung ab. Einen von ihnen, der sich sonst „äußerst radikal“ gab, watschte Marx dafür 1869 noch einmal ab.15 Ein erheblicher Teil der in New York gedruckten Auflage sollte deshalb durch Kanäle jenseits des Buchhandels in Deutschland verbreitet werden. Auch wenn Exemplare nach Deutschland gelangten, ist Marx’ Angabe von 1869, es habe sich „um einige hundert“ gehandelt, unglaubwürdig; sie trifft auf die Absicht, nicht auf den Erfolg zu.16 Im November 1859 hatte Marx übrigens noch öffentlich erklärt, die für Deutschland gedachten Exemplare seien überall an den Grenzen konfisziert worden.17
Neue Chancen auf dem Buchmarkt dank Napoleon III.?
Ein weiterer Anlauf für eine Publikation des Textes in Deutschland 1856 ist versandet.18 Seit Mitte der 1860er Jahre forderte Wilhelm Liebknecht, der wichtigste Verbindungsmann von Marx in Deutschland, diesen (und Engels) wiederholt auf, ältere Schriften für Nachdrucke zur Verfügung zu stellen, da er sie für Propagandazwecke benötige. Von Marx sei fast nichts bekannt – im Gegensatz zu Lassalle. Marx und Engels behandelten diese Anfragen meistens dilatorisch.19 Ende 1864 teilte Liebknecht mit, dass Gräfin Hatzfeldt eine Publikation des Achtzehnten Brumaire fördern wolle, aber Marx lehnte scharf (ohne Begründung) ab,20 wobei seine persönliche wie politische Aversion gegen Hatzfeldt eine Rolle gespielt haben dürfte. Als Liebknecht im April 1865 darauf hinwies, das Erscheinen von Napoleons III. Caesar-Biographie21 biete eine günstige Gelegenheit für eine Neupublikation des Achtzehnten Brumaire, stimmte Marx umgehend zu.22 Ende Mai meldete dann aber Liebknecht, ein angesprochener Verleger habe „Angst“, und es werde auch schwer werden, einen Drucker für eine Ausgabe im Selbstverlag zu finden.23 Die Sorge vor behördlichem Einschreiten war vermutlich begründet; es hat 1865 Fälle gegeben, in denen französische Gesandtschaften deutsche Staaten zu Maßnahmen gegen kritisch-ironische Repliken auf das Caesar-Buch des Kaisers veranlasst haben.24
Die Öffentlichkeit hatte damit gerechnet, dass sich der französische Kaiser quasi als neuer Caesar darstellen würde. Diese Erwartung war durch die Aussage im vorab verbreiteten Vorwort genährt worden, dass Männer wie Caesar, Karl der Große und Napoleon von der Vorsehung dazu bestimmt gewesen seien, den Völkern ihren Weg zu weisen.25 Wenn Napoleon III. über Caesar schreibt, müsse dies notwendig ein Plädoyer für seinen eigenen Caesarismus sein, nur dass der Kaiser so geschickt sei, diese Botschaft über den antiken Fall zu vermitteln, und nicht etwa eine Geschichte des ersten Napoleon vorzulegen, sollte Wilhelm Rüstow noch behaupten, nachdem er die Caesar-Biographie einer detaillierten Sachkritik unterzogen hatte.26 ‚Caesarismus‘ als Chiffre für eine Gleichsetzung der Herrschaft von Napoleon III. mit derjenigen von Julius Caesar war seit Beginn der 1850er Jahre en vogue (siehe weiter unten).
Diese Annahme bezüglich der eigentlichen Botschaft des Buches von Napoleon III. wird durch den Text kaum gedeckt. Der 1865 erschienene erste Band bot einen Abriss der römischen Geschichte von den Anfängen bis zum ersten Consulat Caesars (59 v. Chr.); der im folgenden Jahr publizierte zweite Band behandelte dann Caeasars Gallischen Krieg und die innenpolitische Zuspitzung in Rom bis zur Eröffnung des Bürgerkriegs durch Caesar zu Beginn des Jahres 49 v. Chr. Caesars Alleinherrschaft, seine Reformen und seine Ermordung kamen nicht mehr vor.
Es handelte sich um eine ‚positivistische‘, auf Ausschöpfung der antiken Überlieferung gründende Darstellung. Sie diente dem Ehrgeiz des Herrschers, in der Öffentlichkeit als Schriftsteller und Wissenschaftler anerkannt zu werden.27 Er trat damit in Idealkonkurrenz zu Historiker-Staatsmännern wie Guizot oder Thiers, aber eben auch mit Napoleon I., der in der Verbannung auf St. Helena die Feldzüge Caesars analysiert hatte.28
Napoleon III. hatte sich von einer Reihe namhafter französischer Altertumswissenschaftler und Militärfachleute zuarbeiten lassen, den Text jedoch selbst verfasst.29 Theodor Mommsen, der eine Beteiligung abgelehnt hatte,30 spottete in privaten Briefen über das „erbärmliche Scriptum“, das „ganz den Eindruck eines kurzen Abrisses der römischen Geschichte für Sekunda“ mache, und sah sich in der Erwartung, enttäuscht, „den Caesarismus von einem Praktiker theoretisch und exemplifikatorisch verteidigt zu sehen“.31
Neuauflage ohne öffentliches Echo
Liebknecht hatte sein Drängen auf eine Neuausgabe des Achtzehnten Brumaire nicht aufgegeben. Ein weiteres Angebot von Liebknecht 1868 schlug Marx aus, da er nun Otto Meißner in Hamburg, bei dem im Herbst 1867 Das Kapital, Bd. 1, erschienen war, für eine Publikation gesammelter Schriften gewinnen wollte. Meißner ging darauf nicht ein, erklärte sich aber im Januar 1869 bereit, den Achtzehnten Brumaire neu aufzulegen, nachdem ihm Marx die Bereitschaft eines anderen Verlegers mitgeteilt hatte. Für Meißner war dies nun eine Frage der Autorenbindung. Er übernahm die Neuausgabe, „weil ich ihr Verleger bin und bleiben möchte“.32 Die von Marx im Vorwort von 1869 apostrophierte „buchhändlerische Nachfrage“ nach diesem Text ist also zumindest zu relativieren. Die Ausgabe bei Meißner erschien dann im Juli 1869.
Ein nennenswertes Presseecho blieb aus, wofür Marx auch dem Verleger die Schuld gab.33 Dass Liebknecht nichts getan habe, um die Verbreitung zu fördern, regte ihn noch mehr auf.34 Warum der Text so wenig Resonanz fand, ist verwunderlich. Man kann nur spekulieren, ob dies anders gewesen wäre, wenn Marx ihn für die Neuausgabe aktualisiert hätte. Der Verkauf dieser Ausgabe (vermutlich wieder 1.000 Exemplare) zog sich über 15 Jahre hin. Der Braunschweiger Ausschuss, der de facto Parteivorstand der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, hatte 1869 für einen Absatz von 1.000 Exemplaren einer „Volksausgabe“ Exemplaren garantieren wollen, sich jedoch mit Meißner nicht einigen können.35 Immerhin erschien 1885 wieder bei Meißner eine dritte Auflage mit einem kurzen Vorwort von Engels.36 Verschiedene Bemühungen seit 1869, eine französische Übersetzung erscheinen zu lassen, blieben ohne Erfolg. Dazu kam es erst 1891.37
Als 1914 nach Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist (damals 30 Jahre nach dem Tod des Autors) der SPD-Verlag Dietz eine Neuedition des Achtzehnten Brumaire herausbrachte, meinte Franz Mehring, die Schrift sei bisher, da in einem bürgerlichen Verlag erschienen, Arbeitern kaum bekannt gewesen, erfordere zu ihrem Verständnis aber Erläuterungen (die es in dieser Ausgabe noch nicht gab).38 Die Promotion zum ‚klassischen‘ Text sollte noch länger dauern.
Verweigerte Aktualisierung
Eine Neubearbeitung beziehungsweise Aktualisierung seines Textes, der „unter dem unmittelbaren Druck der Ereignisse“ entstanden und für den nur „historisches Material“ bis Ende Februar 1852 verarbeitet worden sei, wollte Marx 1869 nicht vornehmen. Damit entzog er sich den Fragen, wie die von Napoleon III. betriebene Modernisierungspolitik (Industrialisierung; Infrastruktur)39 und die Liberalisierungsschritte (seit Mitte der 1860er Jahre) zu bewerten waren und warum das Regime, dem er eine kurze Lebensdauer prophezeit hatte, nach 17 Jahren immer noch bestand. Engels hat diese Neuausgabe des Achtzehnten Brumaire mit der Bemerkung angekündigt, aus der Schrift lasse sich lernen, warum „gerade jetzt“ das „Wundergenie“ Napoleon III. „Böcke über Böcke schießt und einen politischen Fehler über den anderen begeht“,40 diesen ‚Transfer‘ vorzunehmen, blieb jedoch der Leserschaft überlassen.
Marx’ Behauptung, er habe in der Neuausgabe nur Druckfehler korrigiert und einige inzwischen unverständliche Anspielungen gestrichen, stimmt jedenfalls nicht. Wie gravierend die weitergehenden Eingriffe waren, ist schwer zu beurteilen; wie sie im Einzelfall motiviert waren, lässt sich nur spekulativ beantworten.41 Leichter zu erklären ist, dass eine ironische, mit biblischen Vergleichen gespickte, Passage zum Glauben an das ‚heilige allgemeine Wahlrecht‘ entfallen ist.42
Marx und Engels hatten das allgemeine Wahlrecht je nach den politischen und verfassungsrechtlichen Umständen in den jeweiligen Staaten unterschiedlich eingeschätzt. Für Frankreich erschien es ihnen angesichts der Praxis unter Napoleon III. als ein Instrument der Manipulation der politisch unmündigen Masse. Das galt nach ihrer Einschätzung (worin sie mit den Liberalen übereinstimmten) auch für Bismarcks Einführung dieses Stimmrechts für den Norddeutschen Bund 1866/67, solange nicht Presse-, Vereins-, Versammlungsfreiheit usw. in vollem Umfang gesichert seien. Aber sie waren dann hinsichtlich Deutschlands zu einer tendenziell positiven Bewertung gekommen,43 so dass Marx es anscheinend 1869 angebracht fand, seine sarkastischen Bemerkungen zu streichen.
Marx wollte sich nicht auf die jüngsten Debatten in Frankreich über das System Napoleons III. einlassen, obwohl er sie aufmerksam verfolgte.44 Er verwies nur auf die 1852 annähernd zeitgleich mit dem Achtzehnten Brumaire erschienenen Schriften von Victor Hugo45 und Pierre-Joseph Proudhon46, die es im Gegensatz zu ihm selbst nicht verstanden hätten, die „Heldenrolle“ einer „mittelmäßigen und grotesken Personage“ [Napoleon III.] aus den Bedingungen des Klassenkampfes in Frankreich zu erklären. Fair war diese Beurteilung gewiss nicht, sondern folgte eher dem Prinzip, sich am deutlichsten von denen abzugrenzen, mit denen die größte inhaltliche Übereinstimmung bestand.47 Proudhon war zudem Marx’ bête noire seit den späteren 1840er Jahre gewesen. Den Vorwurf an dessen Adresse, eine Apologie des Staatsstreichs vom 2. Dezember 1851 geliefert zu haben, hatte Marx schon in seinem ‚Nachruf‘ auf Proudhon (de facto eine Abrechnung) 1865 erhoben.48
Im Vorwort 1869 stellt Marx mit Genugtuung fest, dass sich die weitergehende Prophezeiung seines letzten Satzes von 1852 bereits erfüllt habe: „Aber wenn der Kaisermantel endlich auf die Schultern Louis Bonapartes fällt, wird das eherne Standbild Napoleons von der Höhe der Vendôme-Säule herabstürzen“.
Marx hatte also vorhergesagt, dass nach einer Thronbesteigung Louis Bonapartes die aktuelle Napoleon-Statue auf der nach dem Vorbild der Trajanssäule 1806-1810 errichteten Triumphsäule auf der Place Vendôme entfernt werde. Napoleon war damals als römischer Imperator dargestellt worden. Dieses Standbild ist 1814 demontiert worden. 1833 ist eine neue Statue errichtet worden, die Napoleon in französischer Offiziersuniform zeigte. Napoleon III. hat Ende 1863 diese Statue (die nicht demoliert, sondern an anderer Stelle aufgestellt wurde) durch eine Nachahmung der ursprünglichen von 1810 ersetzen lassen und damit den Antikebezug im Sinne des zeitgenössischen Caesarismusbegriffs (siehe weiter unten) wiederhergestellt. Allerdings hat Napoleon III. auf jegliche Einweihungszeremonie und entsprechende Selbstinszenierung im November 1863 verzichtet, vielleicht weil er sich des ungeteilten Beifalls der Öffentlichkeit nicht sicher sein konnte. 49
Marx kommentiert dies nicht. Möglicherweise besteht aber ein Zusammenhang mit der folgenden Passage. Es folgt nämlich der Hinweis, dass der Napoleon-Kult durch das Werk des Oberst Charras über den Feldzug von 1815 (mit Napoleons definitiver Niederlage bei Waterloo)50 erschüttert und in französischen Arbeiten der letzten Jahre „mit den Waffen der Geschichtsforschung, der Kritik, der Satire und des Witzes“ erledigt worden sei, was man außerhalb Frankreichs kaum wahrgenommen habe.
Wollte Marx ausdrücken, dass die Assoziation Napoleon-Caesar dem Prestige des aktuellen Kaisers nichts mehr nutzen konnte, wenn der Nimbus des großen Vorgängers zerstört war? Wie auch immer, man hätte vielleicht erwartet, dass Marx das unwissende deutsche Publikum über „die ungeheure geistige Revolution“ aufkläre, welche die Zerstörung der Napoleon-Legende bedeute.
Stattdessen heißt es, er hoffe, dass „meine Schrift zur Beseitigung der jetzt namentlich in Deutschland landläufigen Schulphrase vom sogenannten Cäsarismus beitragen“ werde. Die Begründung dafür wird nun auf einer ganz anderen Ebene erbracht, nämlich mit dem Hinweis auf den fundamentalen Unterschied zwischen antiken und modernen Klassenkämpfen; darauf ist noch zurückzukommen.
Das Vorwort, für das Marx kaum länger als einen Tag gebraucht haben wird,51 war eine Verlegenheitslösung, die auch zeitgenössischen Lesern schon Rätsel aufgegeben haben dürfte, doch lässt sich diese Vermutung mangels Zeugnissen über die öffentliche Wahrnehmung leider nicht verifizieren.
Caesarismus-Gerede
Merkwürdig ist, dass Marx die „Caesarismus“-Phraseologie für ein spezifisch deutsches, zudem ziemlich neues Phänomen zu halten scheint. Was ‚Schulphrase‘ genau meint, muss offenbleiben.
Der Vergleich Caesar-Napoleon I. gehörte zur Napoleon-Legende, die auch dessen Neffe zur Beförderung seines eigenen politischen Aufstiegs benutzt hatte.52 Den Begriff ‚Caesarismus‘ hat dagegen erst Auguste Romieu geprägt (oder allgemein verbreitet), der 1850, also noch vor dem Staatsstreich vom Dezember 1851, mit diesem Schlagwort eine Konzentration der Staatsgewalt als notwendiges Mittel zur Vermeidung des Bürgerkrieges und zur Bannung der „roten Gefahr“ propagierte hatte. Romieu stellte ständig Bezüge zwischen der römischen Kaiserzeit und der eigenen Gegenwart her und betonte, dass es auf die Effizienz einer auf das Militär gestützten Herrschaft ankomme, nicht auf dynastische Legitimität, was darauf deutet, dass er noch nicht unbedingt an den Napoleon-Neffen als Kandidaten für diese Rolle dachte.53 Romieu hat kontroverse Debatten in Frankreich ausgelöst und wurde international rezipiert. In der Folge machte „Caesarismus“ zusammen mit den synonym verwendeten Begriffen „Bonapartismus“ (der deutlich älter ist), „Napoleonismus“54 und „Imperialismus“ (im Sinne einer Militärmonarchie) Karriere in der politischen Publizistik Europas,55 womit je nach Standpunkt zum System Napoleons III. – als Liquidator oder Beförderer der sozialen Revolution, als Militärdiktator oder als durch Plebiszite legitimierter Repräsentant des Volkswillens56 – eine affirmative oder polemische Stoßrichtung verbunden war, manchmal auch nur eine wertneutrale Etikettierung.57 Zudem wurden die Kategorien einerseits rückwirkend auf den ersten Napoleon appliziert und andererseits ihre Übertragbarkeit (im Sinne einer Analyse wie auch einer Wunschvorstellung) auf andere zeitgenössische Ordnungen diskutiert.
‚Caesarismus‘ suggerierte am deutlichsten die Parallele zwischen den beiden französischen Kaisern und der Alleinherrschaft Julius Caesars bzw. dem anschließenden römischen Kaisertum. Manche Autoren bezogen Caesarismus allerdings ausschließlich auf die römische Kaiserzeit.58
Das damit verbundene Konfusionspotential hat sich auch am Beispiel Theodor Mommsens gezeigt. Im dritten (und vorläufig letzten Band) seiner Römischen Geschichte hatte Mommsen 1856 eine Verherrlichung von Julius Caesar geboten, nicht nur als Genie in allen Dingen (größter Feldherr, Schriftsteller, Liebhaber etc.), sondern auch als der „höchste und unumschränkte Vertrauensmann“ der Nation, der „Demokrat auch als Monarch“ geblieben sei. Auch wenn Mommsen erklärte, Caesar habe nie „zu Brutalitäten gegriffen wie die des achtzehnten Brumaire [1799 – WN] eine war“59, so nahmen doch Zeitgenossen seine Caesar-Apotheose als camouflierte Propaganda für ein System à la Napoleon III. wahr. Mommsen protestierte in der zweiten Auflage von 185760 mit einem Einschub von knapp zwei Seiten energisch dagegen, „geschichtliches Lob und geschichtlichen Tadel, von den gegebenen Verhältnissen abgelöst, als allgemein gültige Phrase zu verbrauchen, in diesem Fall das Urteil über Caesar in ein Urteil über den sogenannten Caesarismus umzudeuten. Freilich soll die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte die Lehrmeisterin des laufenden sein […]. In diesem Sinne ist die Geschichte Caesars und des römischen Caesarentums wahrscheinlich eine schärfere Kritik der modernen Autokratie, als eines Menschen Hand sie zu schreiben vermag“.61
Mommsens Erklärungsversuch hat jedenfalls die Verwirrung nicht beenden können. Marx hat in einer Fußnote im Kapital Mommsen vorgehalten, mit seiner Rede von ‚Kapitalismus‘ in der Antike die Differenz zur modernen Ökonomie verkannt zu haben.62 Das lässt zwar als möglich erscheinen, dass auch seine Kritik am Caesarismus-Gerede auf Mommsen zielt, sicher ist dies jedoch nicht.63
Wenn „jetzt … in Deutschland“ großzügig auszulegen ist, kann man an diverse Äußerungen aus den 1860er Jahren denken. Beispiele von Bruno Bauer (?),64 Johann Baptist Schweitzer,65 Wilhelm Liebknecht,66 Ludwig Bamberger67 oder Heinrich von Treitschke68 belegen jedenfalls die gängige Verwendung von ‚Caesarismus‘ durch Autoren unterschiedlicher politischer Couleur. Die Kategorie ist aber auch in den Kontroversen über die autoritären Führungsstrukturen innerhalb des von Lassalle 1863 gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins verwendet worden. Dass sie weite Kreise gezogen hat, belegt ein (ungelenkes) Schreiben von drei Berliner Mitgliedern an Marx Ende 1865, in dem sie sich beklagen, in der Organisation sei der „Cäsarismus den demokratischen Prinzipien“ aufgepfropft worden.69
Eine Assoziationskette
Eindeutig ist, was Marx an ‚Caesarismus‘ stört. Mit dieser „oberflächlichen geschichtlichen Analogie“ verwische man den grundlegenden Unterschied der „materiellen, ökonomischen Bedingungen des antiken und modernen Klassenkampfes“, aus dem nur gänzlich unterschiedliche „politischen Ausgeburten“ hervorgehen könnten, die „nicht mehr miteinander gemein haben als der Erzbischof von Canterbury mit dem Hohenpriester Samuel“. Wie immer auch Marx auf diesen aparten Vergleich70 gekommen sein mag – es geht um eine Aussage nach dem Motto, nicht Äpfel mit Birnen zu verwechseln.
Substantieller erscheint die Feststellung, man vergesse, dass „nämlich im alten Rom der Klassenkampf nur innerhalb einer privilegierten Minorität spielte, zwischen den freien Reichen und den freien Armen, während die große produktive Masse der Bevölkerung, die Sklaven, das bloß passive Piedestal für diese Kämpfe bildete. Man vergißt Sismondi’s bedeutenden Ausspruch: Das römische Proletariat lebte auf Kosten der Gesellschaft, während die moderne Gesellschaft auf Kosten des Proletariats lebt“.
Marx erinnert an Erkenntnisse, die eigentlich Allgemeingut sein sollten. Dass sich der „Klassenkampf der antiken Welt […] hauptsächlich in der Form eines Kampfes zwischen Gläubiger und Schuldner“ abgespielt und „in Rom mit dem Untergang des plebejischen Schuldners, der durch den Sklaven ersetzt wird“, geendet habe, hatte er en passant im Kapital erwähnt.71 Seine Einsichten zur römischen Geschichte dürfte Marx vor allem aus Niebuhrs Römischer Geschichte aus den späten 1820er Jahren bezogen haben.72
Sismondis Text stammt von 1837;73 das Zitat hatte Marx auch in einer Fußnote im Kapital angeführt.74 Die Unterscheidung zwischen dem antiken, (vermeintlich) von ‚Brot und Spielen‘ lebenden, und dem modernen von Lohnarbeit abhängigem Proletariat war gängig, stellte keine tiefschürfende Erkenntnis dar. Sie findet sich zum Beispiel in dem bekannten Buch von Lorenz Stein über den französischen Sozialismus: „So wie uns die Plebs der römischen Kaiserzeit entgegentritt, ist sie im eigentlichen Sinne des Wortes eine Anhäufung von Taugenichtsen, die keine andere Lebensaufgabe haben als die, auf Kosten des Staates zu leben und zu genießen. Das will der [heutige - WN] Proletarier nicht; er will arbeiten, gern, gut und viel, aber er will für seine Arbeit einen angemessenen Lohn […]“.75 Marx hätte für diese Gegenüberstellung zum Beispiel auch einen Text von Moses Heß von 1863 zitieren können – hätte dieser nicht „Cäsar Napoleon“ [Napoleon III.] attestiert, das Recht auf Arbeit durch staatliche Interventionen am effektivsten zu sichern.76
Das Zitat aus dem Brumaire-Vorwort 1869 ist wichtig geworden in der Debatte um die ‚Sklavenhaltergesellschaft‘ im ‚orthodoxen‘ Marxismus. Der russische Althistoriker Maschkin hat 1949 Marx’ Kritik am Caesarismus-Begriff zitiert, zollte dann aber der höheren Autorität Lenins Tribut, der irgendwo vom römischen Caesarismus gesprochen hatte, sprang dann auf Bemerkungen von Marx und Engels zum Bonapartismus des 19. Jahrhunderts – kurz tat genau das, was Marx eigentlich ‚untersagt‘ hatte.77 Elisabeth Charlotte Welskopf hat in ihrer 1957 publizierten kommentierten Sammlung von ‚Klassiker-Zitaten‘ zur Antike festgestellt, dass Marx damit einen Klassenkampf der Sklaven auszuschließen scheine, dem aber anderslautende Aussagen von Lenin und Stalin (letzterer war während der Entstehungszeit des Buches noch ein ‚Klassiker‘78) entgegen gestellt.79
Zu lösen war das Problem, wie man die Verneinung des Klassenkampfs zwischen Freien und Sklaven in der Antike im Vorwort von 1869 mit der prima facie gegenteiligen Aussage im Kommunistischen Manifest80 vereinbaren könne. Eine Möglichkeit bestand darin, zwischen ökonomischem Klassenkampf, der im älteren, und politischem, der im jüngeren Text gemeint sei, zu unterscheiden.81 Die zweite Möglichkeit – die anscheinend zunächst von nichtmarxistischen Althistorikern als eine Art Vermittlungsangebot ins Spiel gebracht worden ist – lautete, die Aussage von 1869 als stillschweigende Revision der älteren Position zu verstehen.82 Übernahm man das, gab es die Chance, mit diesem Zitat die Gültigkeit der ‚Sklavenhaltergesellschaft‘ für die gesamte Antike aufzuheben83 – womit man wiederum eine, nur auf eine Teilepoche der römischen Geschichte bezogene, Aussagen von Marx84 generalisierte – bzw. die Bedeutung von Sklavenaufständen zu relativieren.85
Wer „die ganz eindeutige Stellungnahme“ von Marx im Vorwort 1869 hartnäckig ignorierte, zog sich den Vorwurf zu, immer noch einem „paläomaterialistischem Klassenkampfschema“ stalinistischer Provenienz verhaftet zu sein.86
Das ist gewiss eine stark reduzierte Wiedergabe einer komplizierten Diskussion; der Befund, dass man die Schlusspassage des Vorworts von 1869 Marx ohne jede Beachtung des Kontexts87 zu einer tiefgründigen Analyse der Antike erhoben hat, ist jedoch evident. Das gilt übrigens auch für andere Randbemerkungen von Marx, nicht nur zur Antike.88
Die einfache Frage wurde nicht gestellt, was die Feststellung zum antiken Klassenkampf im Vorspann zu einem Buch zu suchen hat, in dem die antiken (römischen) Verhältnisse nicht vorkommen – außer, dass sich Marx über die Rom-Imitatio in der ersten Revolutionsperiode von 1789-1814 mokiert hat.89
Dabei war es einfach der in den Jahren zwischen Erst- und Zweitedition des Achtzehnten Brumaire angeschwollene ‚Caesarismus‘-Diskurs, der Marx zu seiner Bemerkung als Schluss einer Kette von Assoziationen zu der neueren Diskussion um das Regime Napoleons III veranlasst hatte.
Schlussbemerkung zum „Bonapartismus“
Der Achtzehnte Brumaire wird oft als Grundschrift der ‚Bonapartismus-Theorie‘ angesehen. Man kann darüber streiten, ob Marx über die Analyse der französischen Entwicklung 1848-1851 hinaus ein allgemeines Herrschafts- und Politikmodell im Auge hatte. Eindeutig ist jedoch der begriffsgeschichtliche Befund, dass Marx in dieser Schrift nicht von ‚Bonapartismus‘ spricht. Bonapartisten sind die Anhänger des Präsidenten, entsprechend gibt es bonapartistische Abgeordnete, Agenten, Zeitungen, Generale, etc. Der konkrete Bezug auf die Person Napoleons III. herrscht auch, wenn ich recht sehe, von einer Ausnahme abgesehen,90 in den späteren Texten von Marx vor. 1871 hat Marx eine Kurzdefinition des Systems Napoleons III. gegeben: „Das Kaisertum, mit dem Staatsstreich als Geburtsschein, dem allgemeinen Stimmrecht als Beglaubigung und dem Säbel als Zepter, gab vor, sich auf die Bauern zu stützen […], die Arbeiterklasse zu retten […], die besitzenden Klassen zu retten […], alle Klassen zu vereinigen durch die Wiederbelebung des Trugbilds des nationalen Ruhms. In Wirklichkeit war es die einzige mögliche Regierungsform zu einer Zeit, wo die Bourgeoisie die Fähigkeit, die Nation zu beherrschen, schon verloren und wo die Arbeiterklasse diese Fähigkeit noch nicht erworben hatte“.91 Charakterisiert wird hier „Kaisertum“ bzw, „Imperialism“, was ein gängiger Sprachgebrauch war,92 aber eben nicht ‚Bonapartismus‘.93 Tendenziell als Systembegriff, der die Ablösung von der Person Napoleons III. und die Übertragung auf das Regime Bismarcks zulässt, ist ‚Bonapartismus‘ / ‚bonapartistisch‘ eher von Engels verwendet worden.
Ob jedoch gerechtfertigt ist, aus den verstreuten Äußerungen (inklusive Briefen) von Marx / Engels eine „Bonapartismus-Theorie“ zu ‚rekonstruieren‘ (wie es immer so schön heißt, wenn die beiden Gründerheroen eben keine geschlossene Theorie hinterlassen haben), wie dies wohl als erster August Thalheimer in den späten 1920er Jahren in Bezug auf den Faschismus gemacht hat, ist hier nicht zu diskutieren; auch nicht, ob die Übernahme von Bonapartismus und Caesarismus (letzterer Begriff hat den Marxschen Exorzismus überlebt, wie auch seine Wiederverwendung durch Gramsci gezeigt hat94) in die Wissenschaftssprache einen Mehrwert an Erkenntnissen zum Beispiel hinsichtlich der Rolle von Bismarck (oder auch von Cavour) verschafft hat, oder ob dies auf populistische Regierungschefs der Gegenwart passt. Zur Verwirrung führt jedenfalls, wenn zwischen Quellensprache (hier Marx / Engels) und Wissenschaftssprache nicht unterschieden wird.
Vgl. Wilfried Nippel, Friedrich Engels und die Politik des Vorworts, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 11, H. 3, 2017, S. 67–78.↩︎
Karl Marx / Friedrich Engels, Werke, Berlin 1956ff. (=MEW) 8, S. 559f. = MEW 16, S. 358–360 = Karl Marx / Friedrich Engels, Gesamtausgabe, Berlin 1974ff. (=MEGA) I/11, S. 130. – MEGA (noch nicht abgeschlossen) bietet umfangreiche Kommentierungen und in den Briefbänden erstmals auch die Briefe dritter Personen an Marx und Engels. Ich gebe, wenn möglich die Zitate nach beiden Ausgaben, verzichte darauf aber bei Briefen von Marx und Engels, die über das Datum in MEW leicht aufzufinden sind. Die Wiedergabe von Zitaten folgt der modernisierten Orthographie in MEW.↩︎
Vorbemerkung zu Engels, Der deutsche Bauernkrieg, Neuausgabe 1870; MEGA I/21, S. 168 = MEW 16, S. 394. Im Vorwort zur 3. Aufl. des Achtzehnten Brumaire 1885 hat Engels geschrieben, Marx habe in dieser „genialen Arbeit“ zuerst das, einem Naturgesetz gleichkommende „große Bewegungsgesetz der Geschichte“ entdeckt, dass nämlich „alle geschichtlichen Kämpfe, ob sie auf politischem, religiösem, philosophischem oder sonst ideologischem Gebiet vor sich gehn, in der Tat nur der mehr oder weniger deutliche Ausdruck von Kämpfen gesellschaftlicher Klassen sind"; MEGA I/ 30, S. 60 = MEW 21, S. 249. Dass es aber nicht um einen ökonomischen Determinismus ging, sondern Marx „fast nur […] die besondere Rolle“ der „politischen Kämpfe und Ereignisse […], natürlich innerhalb ihrer allgemeinen Abhängigkeit von ökonomischen Bedingungen“ behandelt hat, hat Engels in einem Brief an Conrad Schmidt, 27. Oktober 1890, dargelegt (MEGA III/30, S. 545), der gewiss im Hinblick auf eine künftige Veröffentlichung (wie dann sofort nach seinem Tode geschehen) geschrieben worden war.↩︎
Zur Einordnung und Erschließung des Textes eignet sich vorzüglich: Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. Kommentar von Hauke Brunkhorst, Frankfurt am Main, Suhrkamp 2007. Zahlreiche Arbeiten aus jüngerer Zeit gelten weniger den inhaltlichen Aussagen, sondern dem Text als sprachlichem Kunstwerk mit zahlreichen literarischen Anspielungen und Metaphern sowie den geschichtsphilosophischen Reflexionen über Wiederholungsstrukturen in der Geschichte.↩︎
Richard Reinhard (Paris, Sekretär von Heinrich Heine) an Marx, 4. Dezember 1851: „18. Brumaire des Genies“ versus „18. Brumaire der Absurdität“; Engels an Marx, 3. Dezember 1851: „Travestie des 18. Brumaire“; MEGA III/4, S. 518f. bzw. 259. Aus diesen beiden Briefen (und einem Schreiben von Lassalle, 12. Dezember 1851; MEGA III/4, S. 531f.) hat Marx prägnante Formulierungen in seinen Text übernommen.↩︎
MEGA I/11, S. 96. Nicht mehr in der Ausgabe 1869, in der die Eingangspassage stark zusammengestrichen worden ist; MEW 8, S. 111.↩︎
Die Editionsgeschichte des Achtzehnten Brumaire ist ausführlich dokumentiert in: MEGA I/11 (1985, bearbeitet von Martin Hundt u.a.), S. 676–701, und MEGA I/21 (2009, bearbeitet von Jürgen Herres u.a), S. 1426–1429, auf die hier für Nachweise ausdrücklich verwiesen sei. Zur Geschichte des Zeitungsprojekts von Weydemeyer siehe ferner Martin Hundt, Die New-Yorker „Revolution“ von 1852, Marx-Engels-Jahrbuch 7, 1984, S. 226–253. Ich führe hier nur ausgewählte Belege an.↩︎
Engels hat diesen Text mit einem Vorwort versehen, dem dann seit dem ‚Revisionismusstreit“ in der Sozialdemokratie eine ganz eigene (bizarre) Auslegungsgeschichte folgte; vgl. Wilfried Nippel, Der Dauerstreit um das „politische Testament“ von Engels, in: Detlef Lehnert / Christina Morina (Hrsg.), Friedrich Engels und die Sozialdemokratie. Werke und Wirkungen eines Europäers, Berlin 2020, S. 195–218.↩︎
Siehe Eckhart G. Franz, Die hessischen Arbeitervereine im Rahmen der politischen Arbeiterbewegung der Jahre 1848–1850, Archiv für Hessische Geschichte und Altertumskunde NF 33, 1975, S. 167–262, hier 234ff.↩︎
Marx an Weydemeyer, 16. und 31. Oktober 1851; MEGA III/4, S. 237 und 245f.↩︎
Weydemeyer hatte am 1. Dezember 1851 an Engels geschrieben und um Beiträge von Marx gebeten, dabei aber an den Nachdruck von Texten gedacht. Engels hat diesen Brief am 15. Dezember erhalten und am nächsten Tag an Marx weitergeleitet; MEGA III/4, S. 512–516 bzw. 273f. Marx kündigte Weydemeyer seinen Beitrag mit Brief vom 19. Dezember 1851 an; MEGA III/4, S. 276.↩︎
Dazu gehört die rührende Geschichte, dass ein gerade aus Frankfurt eingetroffener Schneider seine gesamten Ersparnisse in Höhe von 40 Dollar zur Verfügung stellte; Weydemeyer an Marx, 9. April 1852; MEGA III/5, S. 314.↩︎
Marx hat in seinem Vorwort versehentlich vom zweiten Heft gesprochen; in den MEW-Bänden ist dies im Text korrigiert worden.↩︎
Jenny Marx (die die Reinschrift erstellt hatte) an Weydemeyer, 13. Februar 1852; MEGA III/5, S. 42.↩︎
Es handelte sich um Otto Wigand (Leipzig); MEGA I/21, S. 1429f. In diesem, auf ‚linke‘ Literatur ausgerichteten Verlag war u.a. 1845 Friedrich Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England, erschienen. Die Buchdruckerei gleichen Namens in Leipzig, in der Meißner das Kapital und auch den Achtzehnten Brumaire hatte herstellen lassen, war ein anderes Unternehmen; siehe Ingrid Kießhauer, Otto Friedrich Wigand: 10. August 1795 bis 1. September 1870, in: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 1, 1991, S. 155–188, hier 177.↩︎
Von Marx’ damaligem Kontaktmann in Köln, Adolf Bermbach, sollten 250 Exemplare abgesetzt werden, was sich jedoch wegen Bermbachs Verhaftung im Zusammenhang mit dem Kölner Kommunistenprozess nicht realisieren ließ; auch der Versuch, einen Teil der ca. 130 an einen deutschen Buchhändler in London gelieferten Exemplare von dort in den deutschen Buchhandel bringen zu lassen, ist fehlgeschlagen; MEGA I/11, S. 692.↩︎
In einem Hamburger Blatt veröffentlichte Erklärung zum Prozess von Carl Vogt gegen die Augsburger Allgemeine Zeitung; MEGA I/18, S. 10 = MEW 14, S. 689.↩︎
Gustav Lewy an Marx, vor dem 9. April 1856; MEGA III/5, S. 254. Lewy spricht auch von einem „zweiten Teil“, der dann gleich mitgedruckt werden solle; was damit gemeint ist, ist nicht zu klären; interessant ist aber Lewys Annahme, der Text von 1852 sei angesichts der „jüngsten Erfolge“ Napoleons III. nicht mehr interessant genug.↩︎
Siehe Wilfried Nippel, Die Arbeit an einem Gesamtwerk von Marx: Engels, Bernstein, Kautsky, in: Martin Endreß / Christian Jansen (Hrsg.), Karl Marx im 21. Jahrhundert. Bilanz und Perspektiven. Frankfurt am Main 2020, S. 457–509, hier 459–461.↩︎
Liebknecht an Marx, 2. Dezember 1864; Marx an Hatzfeldt, 22. Dezember 1864; MEGA III/13, S. 97 und 124.↩︎
Liebknecht an Marx, 8. April 1865; MEGA III/13, S. 379. Liebknecht schreibt: „La vie de César“. Der Titel des Buches war: Histoire de Jules César, tome I, Paris 1865. Es gab Übersetzungen in mehr als ein halbes Dutzend Sprachen (darunter Deutsch), die annähernd zeitgleich erschienen sind.↩︎
Liebknecht an Marx, 8. April 1865; Marx an Hatzfeldt, 10. April 1865; MEGA III/13, S. 379 und 382.↩︎
Liebknecht an Marx, 27. Mai 1865; Marx an Liebknecht, 24. Juni 1865: das daraus nichts geworden sei, sei ihm recht, er wolle den Text lieber für eine Sammlung seiner Aufsätze aufsparen; MEGA III/13, S. 473 und 485.↩︎
Siehe Melvin Kranzberg, An Emperor Writes History. Napoleon III’s Histoire de Jules César, in: Teachers of History. Essays in Honor of Laurence Bradford Packard, hrsg. v. H. Stuart Hughes. Ithaca, N. Y. 1954, S. 79–104, hier 99. Es ging u.a. um die kleine Schrift von Auguste Rogeard, Les propos de Labiénus (1865), in der das Schicksal des Rhetors Titus Labienus geschildert wird, der in augusteischer Zeit die alte republikanische Freiheit beschworen und nach dem Verbot seiner Schriften Selbstmord begangen hatte. Von ihr sind sofort mehrere deutsche Übersetzungen unter unterschiedlichen Titel erschienen, einige auch mit der expliziten Feststellung, es handle sich um einen Kommentar zum Caesar Buch Napoleons III.↩︎
Vgl. das angelsächsische Presseecho, zitiert bei Edmund Richardson, The Emperor’s Caesar: Napoleon III, Karl Marx and the History of Julius Caesar, in: Thorsten Fögen / Richard Warren (Hrsg.), Graeco-Roman Antiquity and the Idea of Nationalism in the 19th Century, Berlin 2016, S. 113–129, das in vielen Fällen nur die Erwartung an das Buch, allenfalls die Kenntnis des Vorworts widerspiegelt. Das Vorwort ist auf 20. März 1862 datiert, es ist dann spätestens im Vorfeld der Publikation des Bandes 1865 verbreitet worden. In der Rezension, Literarisches Centralblatt, Nr. 40, 1865 (30. September), Sp. 1049–1053, heißt es, es sei „zuerst telegraphisch“ übermittelt worden.↩︎
Geschichte Julius Cäsars von Kaiser Napoleon dem Dritten. Commentirt von Wilhelm Rüstow, Stuttgart 1867, S. 1–5, 23 und 35ff. Rüstow führt dazu einerseits das Vorwort des Kaisers an, skizziert andererseits dessen Biographie und bisherigen Publikationen.↩︎
So schon die Einschätzung von Ludwig Bamberger, Über Rom und Paris nach Gotha oder die Wege des Herrn v. Treitschke, Stuttgart 1866, S. 22: es gehe um die Eitelkeit des Kaisers, der sich als „gelehrter und eleganter Literat“ präsentieren wolle. – Die erstrebte Aufnahme in die Académie française ist dem Kaiser aber verwehrt worden; Kranzberg (oben, Anm. 27), S. 80.↩︎
Posthum erschienen: Précis des guerres de César par Napoléon, écrit par M. Marchand à l'île Sainte-Hélène, sous la dictée de l'empereur, Paris 1836.↩︎
Siehe Kranzberg (oben, Anm. 27), S. 84–90; Claude Nicolet, Caesar and the Two Napoleons, in: Miriam Griffin (Hrsg.), A Companion to Julius Caesar, Oxford 2009, S. 410–417, hier 415f. – Der zweite Band mit der Analyse der Feldzüge Caesars hat den Anstoß zu diversen kriegswissenschaftlichen Arbeiten gegeben; siehe Karl Christ, Caesar. Annäherungen an einen Diktator, München 1994, S. 261f.↩︎
Belege bei Lothar Wickert, Theodor Mommsen. Eine Biographie. Bd. 4, Frankfurt am Main 1980, S. 138ff.↩︎
Zit. bei Wickert, S. 153f. – Dagegen hatte Gustav Freytag in seiner Rezension, Die Grenzboten Jg. 24, 1. Semester, 2. Bd., 1865, S. 201–220, hier 203, dem Kaiser ein „tendenziöses Bestreben, eine Apologie des Cäsarismus“ zu leisten, unterstellt, dies jedoch v.a. auf das Vorwort bezogen.↩︎
Meißner an Marx, 27. Januar 1869; zit. MEGA I/21, S. 1426.↩︎
Marx an Engels, 25. September 1869; MEW 32, S. 371.↩︎
Marx an Engels, 10. Mai 1870; MEW 32, S. 503 – Liebknecht hatte am 8. Februar 1870 gegenüber Engels erklärt, er habe gerade erst erfahren, dass die Schrift publiziert sei; er werde für eine ausführliche Besprechung in der von ihm herausgegeben Zeitung „Der Volksstaat“ sorgen; Wilhelm Liebknecht, Briefwechsel mit Karl Marx und Friedrich Engels, hrsg. v. Georg Eckert, Den Haag 1963, S. 94f. Statt einer Rezension hat „Der Volksstaat“ im März 1870 das Vorwort von 1869 abgedruckt; MEGA I/21, S. 1429.↩︎
Zum Angebot siehe MEGA I/11, S. 699; Marx an Engels, 12. Februar 1870; MEW 32, S. 442; zum Scheitern ,der Verhandlungen siehe Liebknecht an Engels, 8. Februar 1870 (wie vorherige Anm.); auch der in diesem Brief angekündigte erneute Versuch ist gescheitert.↩︎
MEGA I/30, S. 59f. = MEW 21, S. 248f. Engels war enthusiastisch (oben, Anm. 3), verzichtete aber im Gegensatz zu einer sonstigen Gewohnheit darauf, Bezüge zur aktuellen politischen Entwicklung herzustellen, vermutlich wegen des Sozialistengesetzes. Das wäre wahrscheinlich anders gewesen, wenn die „Volksbuchhandlung“ (Hottingen bei Zürich), in der Publikationen erschienen, die in Deutschland möglicherweise verboten würden, die Rechte von Meißner bekommen hätte; Eduard Bernstein an Engels, 2. Februar 1884; Eduard Bernsteins Briefwechsel mit Friedrich Engels, hrsg. v. Helmut Hirsch, Assen 1970, S. 245.↩︎
Siehe Renate Merkel-Melis, Zur Entstehungsgeschichte der französischen Ausgabe des 18. Brumaire des Louis Bonaparte, in: Klassen-Revolution-Demokratie. Zum 150. Jahrestag der Erstveröffentlichung von Marx’ Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte (Beiträge zur Marx-Engels Forschung Neue Folge 2002), Berlin 2003, S. 100–112.↩︎
Neue Parteiliteratur, wieder in: Franz Mehring, Politische Publizistik 1905–1918 [Mehring, Gesammelte Schriften, hrsg. v. Thomas Höhle u.a., Bd. 15], Berlin ³1977, S. 614–616.↩︎
Marx hat in diversen (anonymen) Artikeln in der New York Tribune in den späten 1850er Jahre der Finanzierung entsprechender Maßnahmen durch die Investment-Bank Crédit mobilier erhebliche Aufmerksamkeit gewidmet, dies aber für einen die Finanzkrise verschärfenden Faktor gehalten.↩︎
Biographische Skizze zu Marx, 1869; MEGA I/21, S. 80 = MEW 16, S. 364.↩︎
Auf einige Unterschiede ist von Paul Kampffmeyer, Zur Geschichte des Marxismus, Sozialistische Monatshefte 32, 1926, S. 764–766, sowie in den Neuausgaben des Textes durch David Rjazanov (Wien 1927; zuvor russisch 1926) und Jacob Peter Mayer (Berlin 1932) verwiesen worden; detaillierte Nachweise finden sich in MEGA I/11, S. 697–699, und im Variantenapparat); ferner bei Natalja Kudrjaschowa, Zur Geschichte der zweiten deutschen Ausgabe von Karl Marx' Schrift „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ von 1869, Marx-Engels-Jahrbuch 6, 1983, S. 251–264.↩︎
MEGA I/11, S. 185, Z. 41–186, Z. 11; MEW 8, S. 204, ist diese Streichung nicht vermerkt.↩︎
Die veränderte Einstellung lässt sich nicht nur aus der Marx-Engels-Korrespondenz erkennen, sondern auch an Publikationen von Engels ablesen. Anfang 1865: allgemeines Wahlrecht ist Fallstrick, nicht Waffe für das Proletariat; MEGA I/20, S. 105 = MEW 16, S. 7 (Die preußische Militärfrage und die deutsche Arbeiterpartei); Anfang 1870: dank dieses Wahlrechts ist Vertretung in Parlamenten realisierbar; MEGA I/21, S. 169 =MEW 16, S. 395 (Vorbemerkung zur Neuausgabe Deutscher Bauernkrieg).↩︎
Siehe Marx an Kugelmann, 3. März 1869; MEW 32, S. 596f. Gegenüber Engels begründete er den Verzicht auf eine Neubearbeitung damit, er wolle Verzögerungen vermeiden und könne dies gegebenenfalls in einer französischen Ausgabe (für die es jedoch keine realistische Chance gab) nachholen; MEGA I/21, S. 1427.↩︎
Napoléon le petit, London 1852. [Napoleon der Kleine; mehrere deutsche Übersetzungen 1852/53].↩︎
La révolution sociale démontrée par le coup d'État du 2 décembre, Paris 1852 [Die sociale Revolution durch den Staatsstreich vom 2. December 1851 erwiesen, Bremen 1852]. Im Schlusskapitel dieses Buches hatte Proudhon im Anschluss an Romieu die Alternative ‚Anarchie oder Cäsarismus‘ formuliert, aber anders beantwortet: Louis Bonaparte könne nicht wie Julius Caesar die Plebs mit den Erträgnissen aus einem Weltreich materiell befriedigen, sondern müsse für die Plebejer der Moderne Arbeit schaffen, was nur unter Rückgriff auf sozialistische Konzepte möglich sei und schließlich in den (nach Proudhon) Idealzustand der Anarchie münden werde.↩︎
Siehe Wolfgang Wippermann, Die Bonapartismustheorie von Marx und Engels, Stuttgart 1983, S. 164–167 und 176f.; Petra Weber, Sozialismus als Kulturbewegung. Frühsozialistische Arbeiterbewegung und das Entstehen zweier feindlicher Brüder, Marxismus und Anarchismus, Düsseldorf 1989, S. 331–333.↩︎
MEGA I/20, S. 66 = MEW 16, S. 31.↩︎
Siehe Volker Sellin, Napoleon auf der Säule der Großen Armee. Metamorphosen eines Pariser Denkmals, in: Europäische Sozialgeschichte. Festschrift für Wolfgang Schieder, hrsg. v. Christof Dipper u.a., Berlin 2000, S. 377–402, hier 391–393. – Die Vendôme-Säule ist dann von der Pariser Kommune im Mai 1871 spektakulär abgerissen worden. In seiner endgültigen Fassung der im Namen der Internationalen Arbeiter-Assoziation verfassten Darstellung der Pariser Kommune sprach Marx vom Niederreißen des „kolossalen Symbols des Kriegsruhms“; MEGA I/22, S. 309 (deutsch) bzw. 156 (englisch). Das klingt abgeschwächt im Vergleich zu der in seinem vorhergehenden Entwurf notierten offiziellen Begründung: Symbol von Barbarei, roher Gewalt, falschem Ruhm, Verherrlichung des Militarismus, Leugnung des internationalen Rechts; MEGA I/22, S 47.↩︎
Marx bezieht sich wahrscheinlich auf die 4. Aufl. von Jean-Baptiste Charass, Histoire de la Campagne de Waterloo, 1863. Die erste Auflage war bereits 1857 erschienen. Zur Biographie und den Werken von Charras über die Feldzüge Napoleons siehe Werner Kaegi, Jacob Burckhardt. Eine Biographie, Bd. 4, Basel 1967, S. 266–280 (Charras war seit seiner Niederlassung in Basel 1858 ein enger Bekannter von Burckhardt gewesen); zum Buch über den Feldzug von 1815 ausführlich Adrian Jenny, Jean-Baptiste Adolphe Charras und die politische Emigration nach dem Staatsstreich Louis-Napoleon Bonapartes. Gestalten, Ideen und Werke französischer Flüchtlinge, Basel 1969, S. 250–260. – Im Text des Achtzehnten Brumaire wird Charras als einer der für Louis Bonaparte „gefährlichsten Parlamentsführer“ erwähnt, die beim Staatsstreich 1851 als erste verhaftet worden waren; MEGA I/11, S. 173 = MEW 8, S. 192.↩︎
MEGA I/21, S. 1427.↩︎
Siehe z. B. Michael Erbe, Der Caesarmythos im Spiegel der Herrschaftsideologie Napoleons I. und Napoleons III., in: Lebendige Antike. Rezeptionen der Antike in Politik, Kunst und Wissenschaft der Neuzeit. Kolloquium für Wolfgang Schiering, hrsg. v. Reinhard Stupperich, Mannheim 1995, S. 135–142.↩︎
Auguste Romieu, L’ère des Césars, Paris 1850 (Der Cäsarismus oder die Notwendigkeit der Säbelherrschaft, dargetan durch geschichtliche Beispiele von den Zeiten der Cäsaren bis auf die Gegenwart, Weimar 1851); Le spectre rouge de 1852, Paris 1851 (Das rothe Gespenst von 1852, Berlin 1851); ND beider deutscher Übersetzungen, hrsg. v. Günther Maschke, Wien 1993; zu Romieu siehe Alfred Heuß, Der Caesarismus und sein antikes Urbild [1980], in: ders., Gesammelte Schriften, Stuttgart 1995, Bd. 3, S. 1803ff.↩︎
Verwendet von Constantin Frantz, Louis Napoleon 1852 [ND, hrsg. v. Günther Maschke, Wien 1990], der darin ein Modell für Europa zur Überwindung des Parlamentarismus sah. Im Kontext des italienischen Krieges 1859 identifizierte er dann Napoleonismus mit französischer Hegemonialpolitik, der mit einer staatlichen Einigung Deutschland zu begegnen sei; Untersuchungen über das europäische Gleichgewicht, Berlin 1859. In dieser Diskussion werden Befürworter der französischen Außenpolitik oft als Bonapartisten bezeichnet, was nicht heißen muss, dass sie auch Anhänger des politischen Systems waren.↩︎
Siehe die Belege bei Arnaldo D. Momigliano, Per un riesame della storia dell’ idea di Cesarismo, Rivista strorica italiana 68, 1956, S. 220–229; Hans Werner Kettenbach, Lenins Theorie des Imperialismus. Teil 1: Grundlagen und Voraussetzungen, Köln 1965, S. 11–46; Dieter Flach, Der sogenannte römische Imperialismus. Sein Verständnis im Wandel der neuzeitlichen Erfahrungswelt, Historische Zeitschrift 222, 1976, S. 1–42; Dieter Groh, „Cäsarismus. Napoleonismus, Bonapartismus, Führer, Chef, Imperialismus“, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 726–771; Peter Baehr, Accounting for Caesarism, Economy and Society 16, 1987, S. 341–356; Innocenzo Cervelli, Cesarismo. Alcuni usi e significati della parola (secolo XIX), Annali dell’Istituto Storico Italo-Germanico in Trento 22, 1996, S. 61–197; Hans Kloft / Jens Köhler, „Cäsarismus“, in: Der Neue Pauly, Bd. 13, Stuttgart 1999, Sp. 623–629. – Im folgenden werden einige Beispiele aus der Zeit vor 1869 genannt.↩︎
Dafür wird gern eine Formulierung des späteren Napoleon III. von 1840 herangezogen; L’idée napoléonienne, wieder in: Ouevres de Napoléon III, Bd. 1, Paris 1869, S. 37: „La nature de la démocratie est de se personnifier dans un homme“; sie stand dort aber nur in einer Fußnote als ein Kommentar zu einem Satz von Thiers über die Aristokratie. Vermutlich ist sie erst später als Grundsatzäußerung wahrgenommen worden.↩︎
Walter Bagehot, Caesarianism as it now exists [Artikel März 1865], in: The Collected Works, hrsg. v. Norman St. John-Stevas, Bd. 4, London 1968, S. 111–116.↩︎
Der Artikel „Cäsarismus“, in: Staats- und Gesellschafts-Lexikon, hrsg. v. Hermann Wagener, Bd. 5, Berlin 1851, S. 121–123, behandelte nur Julius Caesar. Jacob Burckhardt verwendete 1852 ‚Caesarismus‘ für das römische Kaisertum mit der Bemerkung: „ich wüßte nicht, weshalb die Wissenschaft gegen diesen von Romieu aufgebrachten Begriff sich spröde erweisen sollte“; Die Zeit Constantin’s des Großen, hrsg. v. Hartmut Leppin u.a., München 2013 (J. Burckhardt, Werke. Kritische Gesamtausgabe, Bd. 1), S. 40. In späteren Vorlesungen hat er vom „überall nachgeahmten napoleonischen Cäsarismus“ Napoleons I. gesprochen; Über das Studium der Geschichte, hrsg. v. Peter Ganz, München 1982, S. 367; oder: der Caesarismus sei „momentan viel mächtiger als die alte Monarchie von Gottes Gnaden"; Geschichte des Revolutionszeitalters, hrsg. v. Wolfgang Hardtwig u.a., München 2009 (Werke, Bd. 28), S. 8; dort diverse weitere Nennungen v.a. bezüglich Napoleon III. – Ein späteres Beispiel für einen ausschließlichen Bezug auf Rom ist Wilhelm Rüstow, Der Cäsarismus. Sein Wesen und sein Schaffen, aufgewiesen an einer kurzen Geschichte der römischen Cäsaren von Augustus bis auf die Theilung des Weltreiches, Zürich 1879. Zu Beginn verwies er aber darauf, dass „in der neueren und neuesten politischen Literatur, insbesondere in der Tagesspresse“, Verfechter des ‚Caesarismus‘ und des ‚Parlamentarismus‘ aufeinanderprallten.↩︎
Theodor Mommsen, Römische Geschichte, 9. Aufl., Berlin 1904, Bd. 3, S. 466.↩︎
Mommsens prompte Reaktion ist vermutlich vor allem auf private Kommunikation zurückzuführen. Die bei Heinz Gollwitzer, Der Cäsarismus Napoleons III. im Widerhall der öffentlichen Meinung Deutschlands, Historische Zeitschrift 173, 1952, S. 23–75, hier 60–62, oder Albert Wucher, Theodor Mommsen. Geschichtsschreibung und Politik, Göttingen 1956, S. 123, Anm. 42, angeführten Belege sind sämtlich späteren Datums (meistens aus Briefen), zeigen somit nur, dass Mommsens Dementi nicht allgemein akzeptiert worden ist. – Der anonyme Rezensent von Mommsen, Römische Geschichte, Bd. 2, Literarisches Centralblatt 1856, Sp. 796, hatte allerdings aus einer Bemerkung zu Gaius Gracchus geschlossen, Mommsen zeige eine Vorliebe für die napoleonische Monarchie.↩︎
Mommsen, Römische Geschichte, Bd. 3, S. 476f.↩︎
MEGA II/5 [Erstausgabe 1867], S. 120, Anm. 40; MEW 23 [4. Aufl. 1890], S. 182, Anm. 39.↩︎
Kautsky hat, Marx folgend, in seinem Nachruf auf Mommsen diesem die ständige Vermischung der Epochen vorgehalten und dazu explizit die Parallele Caesar-Napoleon gezählt; Karl Kautsky, Theodor Mommsen, Die Neue Zeit Jg. 22, Bd. 1, H. 6 (November) 1903, S. 161–167, hier 163.↩︎
Art. „Bonapartismus“, in: Staats- und Gesellschaftslexikon, Bd. 4, 1860, S. 259–277: Bonapartismus wird als zeitgenössisches Äquivalent zum antiken Caesarismus definiert. Der Artikel behandelt dann sowohl Julius Caesar als auch Napoleon I. und Napoleon lII., wobei die Bemerkungen zu letzterem durchaus Parallelen zu Marx, Achtzehnter Brumaire, aufweisen. – Dass Bruno Bauer der Autor war, ist nicht so sicher, wie man lange geglaubt hat; siehe Henning Albrecht, Das „Staats- und Gesellschaftslexikon“ von Hermann Wagener im Spiegel der Redaktionskorrespondenz, in: Politische Gesellschaftsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Festgabe für Barbara Vogel, hrsg. v. Henning Albrecht u.a., Hamburg 2006, S. 273–294, hier 286, Anm. 79. – Carl Schmitt, Donoso Cortés in gesamteuropäischer Perspektive, Köln 1950, S. 96f., hat Bruno Bauer als Ziel von Marx’ Kritik am Caesarismus-Begriff vermutet, scheint sich aber auf Bauer, Christus und die Caesaren (1877), zu beziehen.↩︎
Artikel vom 27. Januar 1865, wieder in: Johann Baptist Schweitzer, Politische Aufsätze und Reden, hrsg. v. Franz Mehring, Berlin 1912, S. 41f.: „‘Parlamentarismus` heißt Regiment der Mittelmäßigkeit […], während ‚Cäsarismus` doch wenigstens kühne Initiative, doch wenigstens bewältigende Tat heißt“. – Schweitzer gehörte zur Führung des Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV). Marx und Engels hatten ursprünglich ihre Bereitschaft zur Mitarbeit an der von Schweizer geleiteten Parteizeitung bekundet, sich dann aber von ihm wegen dessen Annäherung an Bismarck wieder distanziert.↩︎
Rede Liebknechts, 28. Februar 1865 (nach Zeitungsbericht): Der „französischer Cäsarismus“ sei „nichts anderes als der nackteste Absolutismus, der die hungernden Massen durch ‚Brot und Spiele‘, durch sozialistische Scheinkonzessionen und Aktionen zu gewinnen und durch die bestochenen Massen die Freiheit zu unterdrücken strebe“; in: Die 1. Internationale in Deutschland. Dokumente und Materialien, hrsg. v. Rolf Dlubek u.a., Berlin 1964, S. 40. – Liebknecht in einem Zeitungsartikel vom 20. Januar 1869: Schweitzer (inzwischen ADAV-Vorsitzender) spiele das „Spiel des Bismarck’schen Cäsarismus“, zit. MEGA I/21, S. 2043; Liebknecht, Über die politische Stellung der Sozialdemokratie, insbesondere mit Bezug auf den Norddeutschen „Reichstag“, Vortrag vom 31. Mai 1869: der französische Caesarismus sei in Preußen kopiert worden, das allgemeine Wahlrecht ein „Triumph des Despotismus“ und eine „Waffe der Reaktion“; Caesarismus und Demokratie seien unvereinbar; Text wieder in: Wilhelm Liebknecht, Kleine Politische Schriften, hrsg. v. Wolfgang Schröder, Leipzig 1976, S. 14–29, hier 15, 22f. und 27. Dieser Text ist aber erst nach Erscheinen der Neuauflage des Achtzehnten Brumaire publiziert worden. Danach ist er mehrfach neu abgedruckt worden. Liebknecht hat diese Auffassung zeitlebens vertreten: Bismarck habe das Wahlrecht nach dem Vorbild Napoleons III. eingeführt, um seine „despotische Diktatur“ zu verdecken; das sei ein Element seiner „zäsaristischen" [caesaristischen] Staats- und Gesellschaftsrettung" gewesen; Wilhelm Liebknecht, Kein Kompromiß – Kein Wahlbündniß, Berlin 1899, S. 12.↩︎
Der Cäsarismus [Artikel von 1866], in: Ludwig Bamberger, Gesammelte Schriften, Bd. 3: Politische Schriften von 1848 bis 1868. Berlin o. J. [1895], S. 328–336.↩︎
Frankreichs Staatsleben und der Bonapartismus. 1. Artikel [1865], wieder in: Heinrich von Treitschke, Historische und politische Aufsätze, Bd. 3, 5. Aufl. Leipzig, 1886, S. 43–113, hier 48: ‚Cäsarismus‘ sei „die hohlste aller Phrasen“, mit denen man den Deutschen die „Freude an der gesetzlichen und nationalen Monarchie“, wie sie Preußen verwirklichen werde, vergällen wolle. Weiter 113 zum Vergleich Cäsar-Napoleon: „Den Schatten Cäsar’s zu beschwören ist ein gewagtes Spiel, gefährlich für den Ruhm des ersten Bonaparte, gefährlicher für seine Epigonen“, offensichtlich in Anlehnung an Mommsen; siehe oben im Text.↩︎
13. November 1865; MEGA III/13, 587. – Bernhard Becker, Lassalles Nachfolger, hat in der Rückschau von Lassalles „mit Sozialismus überzuckerten und verdeckten Cäsarismus“ gesprochen; Geschichte der Arbeiter-Agitation Ferdinand Lassalle's. Nach authentischen Aktenstücken [1874, geschrieben 1868], ND Berlin 1978, S. 204. Auch in diesen Debatten, die auch der Rolle des späteren ADAV-Vorsitzenden Schweitzer galten, wurde Caesarismus synonym mit Bonapartismus und Diktatur verwendet; dabei ging es sowohl um die internen Führungsstrukturen wie um die Präferenz für eine politische Ordnung in Preußen in Analogie zum System Napoleons III.; siehe Wilfried Nippel, Diktatur des Proletariats – Versuch einer Historisierung, Zyklos. Jahrbuch für Theorie und Geschichte der Soziologie 5, 2019, S. 71–130, hier 104ff.↩︎
Wenn es um jenen alttestamentliche Samuel gehen sollte, der den ersten König Israels (Saul) ernannt hat, wäre „Richter“, nicht „Hoherpriester“ die richtige Titulatur. Ist die Parallele „geistliches Oberhaupt“ (das den König inauguriert) gemeint?↩︎
MEGA II/5, S. 99 = MEW 23, S. 149f.↩︎
Siehe MEGA II/1, S. 383, 404 und 702 = MEW 42, S. 388–390, 408f. (Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 1857/58 entstandenes Textkonvolut, das diesen Titel von den Herausgebern der Erstedition 1939/41 bekommen hat).↩︎
Jean-Charles-Léonard Simonde de Sismondi, Études sur l'économie politique, Bd. 1, Paris 1837, S. 35.↩︎
MEGA II/5, S. 479 =MEW 23, S. 621, Anm. 37.↩︎
Lorenz Stein, Der Socialismus und Communismus des heutigen Frankreichs, Leipzig 1842, S. 13. Oder siehe Proudhon 1852 (oben, Anm. 46).↩︎
Moses Heß, Rechte der Arbeit, Frankfurt am Main 1863, S. 16ff.↩︎
Nikolaj A. Maschkin, Zwischen Republik und Kaiserreich. Ursprung und sozialer Charakter des augusteischen Prinzipats, Leipzig 1954 (russisch 1949), S. 77–79.↩︎
Dieser Status ist Stalin von Walter Ulbricht, Über den XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Neues Deutschland Jg. 12, Nr. 55, 4. März 1956, S. 4, quasi en passant entzogen worden: die Frage von Genossen, ob Stalin zu den Klassikern des Marxismus zähle, sei zu verneinen, da Stalin mit dem Personenkult der Sowjetmacht geschadet habe. Die Geheimrede Chruschtschows auf dem Parteitag war damals noch nicht bekannt. Ulbrichts Äußerung löste einige Irritationen aus; siehe Gerd Dietrich, Kulturgeschichte der DDR, Göttingen 2018, Bd. 1, S. 633ff.↩︎
Elisabeth Charlotte Welskopf, Die Produktionsverhältnisse im Alten Orient und in der griechisch- römischen Antike, Berlin 1957, S. 397ff.↩︎
MEW 4, S. 462f.: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz Unterdrücker und Unterdrückte standen in einem ständigen Gegensatz zueinander, führten einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen“. Gleich darauf heißt es aber, dass es in früheren Epochen eine „Gliederung der Gesellschaft in verschiedene Stände, eine mannigfache Abstufung der gesellschaftlichen Stellungen“ gegeben, und erst in der Gegenwart eine Entwicklung eingesetzt habe, die in Zukunft „die ganze Gesellschaft […] in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat“ spalten werde. Für das „alte Rom“ das hier pars pro toto für die Antike angeführt wird, werden als Stände „Patrizier, Ritter, Plebejer, Sklaven“ genannt. Es geht also um Illustrationen der grundsätzlichen Behauptung, dass die gesamte Geschichte von Konflikten zwischen sozialen Gruppen geprägt sei, weniger um eine substantielle Aussage zur Antike.↩︎
Rigobert Günther, Die Klasse der Sklaven und ihr Klassenkampf, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 8, 1960, S. 104–112, hier 110. Günther hat dann in der DDR-Althistorie am längsten daran festgehalten, zumindest die römische Antike als ‚Sklavenhaltergesellschaft` zu klassifizieren.↩︎
Friedrich Vittinghoff, Die Theorie des historische“ Materialismus über den antiken „Sklavenhalterstaat“. Probleme der Alten Geschichte bei den „Klassikern" des Marxismus und in der modernen sowjetischen Forschung, Saeculum 11, 1960, S. 89–131, hier 101; Siegfried Lauffer, Bemerkungen zum Sklavenproblem, Acta Antiqua Academiae Scientiarum Hungaricae 12, 1964, S. 359–363, hier 363. Siehe weiter Heinz Heinen, „Sklaverei“, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft, Bd. 5, Freiburg 1971, Sp. 877–887, hier 880. Oder für diese Deutung im Kontext des Marxschen Klassenbegriffes als solchen Jon Elster, Drei Kritiken am Klassenbegriff, Prokla 58, 1983, S. 63–82, hier 72.↩︎
Heinz Kreißig, Das Frühchristentum in der Sozialgeschichte des Altertums, in: Johannes Irmscher / Kurt Treu (Hrsg.), Das Korpus der griechischen christlichen Schriftsteller. Historie, Gegenwart, Zukunft, Berlin 1977, S. 15–19, hier 16: „Leider wird in der heutigen marxistischen Literatur zu einem großen Teil noch immer der wichtige, von den Quellen immer wieder bewiesene Hinweis von Marx [1869] übersehen“; siehe auch ders., Zu einer Diskussion am Gramsci-Institut über sozialökonomische Probleme des Altertums, Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 1982/ II, S. 169–176, hier 175; ferner Kreißig u.a, Griechische Geschichte bis 146 v.u.Z., Berlin ³1985, S. 13 (Bezug des Zitats auf die griechische Antike). Der Hellenismus-Spezialist Kreißig war in der DDR-Diskussion der Antipode von Rigobert Günther.↩︎
Vgl. Marx an Engels, 8. März 1855: „Ich habe vor einiger Zeit wieder die römische (alt) Geschichte durchgegangen bis zur Zeit des August[us]. Die innere Geschichte löst sich plainly auf in den Kampf des kleinen mit dem großen Grundeigentum, natürlich spezifiziert durch Sklavereiverhältnisse“; MEGA III/7, S. 184.↩︎
Heinz Kühne, Zur Teilnahme von Sklaven und Freigelassenen an den Bürgerkriegen der Freien im 1. Jahrhundert v.u.Z. in Rom, Studii Classice 4, 1962, S. 189–209 hier 202 und 207; István Hahn, Klassengebundenheit, Tendenz und Anspruch auf Objektivität in der antiken Geschichtsschreibung [1979], in: José Miguel Alonso-Núnez (Hrsg.), Geschichtsbild und Geschichtsdenken im Altertum, Darmstadt 1991, S. 363–405, hier 371.↩︎
Karl Christ, Neue Forschungen zur Geschichte der späten Römischen Republik und zu den Anfängen des Principats [1979], in: ders., Von Caesar bis Konstantin. Beiträge zur Römischen Geschichte und ihrer Rezeption, München 1996, S. 9–48, hier 11. Die Polemik gilt dem DDR-Hochschullehrbuch von Horst Dieter / Rigobert Günther, Römische Geschichte bis 476, Berlin 1979.↩︎
Bezeichnend dafür sind Verweise auf das Zitat nach dem Motto: ‚Marx hat im Achtzehnten Brumaire geschrieben‘; so Franz Kiechle in einer Rezension, Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 51, 1964, S. 117, oder Karl-Ernst Petzold, Römische Revolution oder Krise der römischen Republik?, Rivista storica dell’antichità 2, 1972, S. 229–243, her 230.↩︎
Ein berühmter Fall ist das Vorwort von Zur Kritik der politischen Ökonomie 1859, in dem Marx, eingebettet in einen autobiographischen Abriss, der erklären, sollte, warum das große Werk zur Ökonomie immer noch auf sich warten ließ, sich zu Basis und Überbau und zur Periodisierung der Weltgeschichte geäußert und damit die Zusammenfassung einer Geschichtstheorie gegeben hatte, die er nie systematisch vorgestellt hat. Die (so nur) dort vorkommende Kategorie ‚asiatische Produktionsweise‘ ist dann im späteren 20. Jahrhundert, nachdem sie zuvor von Stalin tabuisiert worden war, als Allzweckwaffe gegen die ubiquitäre Sklavenhaltergesellschaft eingesetzt worden; siehe Wilfried Nippel, Marx 1859: Ein Vorwort macht Geschichte, in: Staatserzählungen. Die Deutschen und ihre politische Ordnung, hrsg. v. Grit Straßenberger / Felix Wassermann, Berlin 2018, S. 52–71; 261–272; ders., Von Marx zum Marxismus. Das Formationenschema und die „Asiatische Produktionsweise“, in: Claudia Deglau / Patrick Reinard (Hrsg.), Aus dem Tempel und dem ewigen Genuß des Geistes verstoßen? Karl Marx und sein Einfluss auf die Altertums- und Geschichtswissenschaften, Wiesbaden 2020, S. 87–106.↩︎
„Die Revolution von 1789–1814 drapierte sich abwechselnd als römische Republik und als römisches Kaisertum“; in ihrer „weltgeschichtlichen Totenbeschwörung“ haben die Jakobiner im „römischen Kostüme und mit römischen Phrasen“ die Entfesselung der bürgerlichen Gesellschaft erwirkt; nachdem dies erreicht war, „verschwanden das wieder auferstandene Römertum – die Brutusse, Gracchusse, Publicolas, die Tribunen, die Senatoren und Cäsar selbst“; MEW 8, S. 115f. = MEGA I/11, S. 97. – Schon Proudhon hatte Ende Juli 1848 kritisiert, dass sich die Revolutionäre von 1848 mit denen von 1793, die sich wie Römer und Griechen vorgekommen seien, identifizierten, und dass dies zur Gegenrevolution führen müsse: Ein Artikel Proudhons aus dem Jahre 1848, in: Documente des Socialismus (hrsg. v. Eduard Bernstein) 1, 1901/1902. S. 26–33.↩︎
In der von Marx verfassten Ersten Adresse des Generalrats [der Internationalen Arbeiter-Association] zum Deutsch-Französischen Krieg, 23. Juli 1870, heißt es, Bismarck habe die Machttechniken Napoleons III. (Scheindemokratie, Finanzschwindel, Taschenspielertricks) übernommen: „Das bonapartistische Regime, das bisher nur auf einer Seite des Rheins blühte, hatte damit auf der andern sein Gegenstück erhalten“, MEW 17, S. 5f.; englische Originalfassung MEGA² I/21, S. 247. – In der Sache besteht hier eine verblüffende Übereinstimmung mit der Kritik am „Bonapartistischen Regiment im Innerem“, die Bismarck 1857 mit Bezug auf Napoleon III. formuliert hatte: „rohe Centralisation, Vernichtung der Selbständigkeiten, Nichtachtung von Recht und Freiheit, offizielle Lüge, Corruption in Staat und Börse, gefügige und überzeugungslose Schreiber“, Brief an Leopold von Gerlach, 30. Mai 1857, in: Otto von Bismarck, Werke in Auswahl, hrsg. v. Gustav Adolf Rein u.a., ND Darmstadt 2003, Bd. 2, S. 166.↩︎
Der Bürgerkrieg in Frankreich, 1871; MEW 17, 337f.; englische Originalfassung MEGA I/22, S. 139↩︎
Art. „Imperium“, in: Staats- und Gesellschaftslexikon, Bd. 10, 1862, S. 7f. (nach ausführlicher Darlegung zur Kommandogewalt im republikanischen und kaiserzeitlichen Rom): „Der moderne Imperialismus Frankreichs […] besteht […] in einer absoluten monarchischen Gewalt mit Scheinbeschränkungen durch ein Corps législatif und andere republikanische Einrichtungen“. Der potentiellen Einschränkung durch den „allgemeinen Volkswillen“ stehe entgegen, dass dieser durch „Cäsarismus oder Säbelregiment“ kontrolliert werde,↩︎
Der Bürgerkrieg in Frankreich, 1871; MEW 17, 337f.; englische Originalfassung MEGA I/22, S. 139. – Ralph Miliband, „Bonapartism“, in: Tom B. Bottomore u.a. (Hrsg.), A Dictionary of Marxist Thought , Oxford ²1991, 55f., und Werner Mackenbach, „Bonapartismus“, in: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 2, 1995, Sp. 283–290, hier 284, ignorieren den Wortlaut und zitieren die Stelle als Marx’ Definition von Bonapartismus.↩︎
Siehe Benedetto Fontana, The Concept of Caesarism in Gramsci, in: Peter Baehr / Melvin Richter (Hrsg.), Dictatorship in History and Theory. Bonapartism, Caesarism, and Totalitarism, Cambridge 2004, S. 175–195.↩︎
Autor
Wilfried Nippel ist Senior Professor für Alte Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er forscht vorwiegend zur historischen Anthropologie, Fach- und Wissenschaftsgeschichte, Antikenrezeption und vergleichenden Verfassungsgeschichte. Er ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. An der Humboldt-Universität beteiligte er sich an der Gründung von Clio-online e.V., dessen erster Vorsitzender er war.