"An den Pranger gestellt"
Der Münchner Sänger Patrick Lindner über seinen Kollegen Rex Gildo, sein Outing als
Homosexueller und sein Leben als Familienvater.
Journalist
: Herr Lindner, Ihr Kollege Rex Gildo behauptete zeit seines Lebens, kein Toupet zu
tragen und weder Alkoholiker noch homosexuell zu sein. Muss man im Musikgeschäft
sein Publikum belügen, um Erfolg zu haben?
Lindner
: Das muss jeder für sich entscheiden. Viele haben vom Rex einiges gewusst, aber man
hat halt auch unter Kollegen nie drüber gesprochen. Ich glaube, es war bei ihm
ein Generationenproblem. Merkwürdig ist doch, dass jetzt nach seinem Tod diese Fragen
gestellt werden, man hätte ihn selber fragen sollen. Der Rex war ein lieber, netter
unheimlich lustiger Kollege. Über sein Privatleben hat er nie gesprochen. Es gab
Situationen, in denen man auf private Themen gekommen ist, aber wenn man merkte,
dass der andere sich verschließt, lässt man das Thema eben fallen. Wir alle, die mit ihm gearbeitet
haben, merkten manchmal, dass es ihm nicht gut geht. Aber er hat niemanden an sich
herangelassen, auch wenn ihm andere helfen wollten.
Mein distanziertes Verhältnis zu ihm hat sich nicht geändert als ich mit meinem Freund
den russischen Jungen Daniel adoptiert habe. Rex fand die Adoption ganz phantastisch.
Der Rex war verheiratet und er hätte sich in dieser Situation und in seinem Alter sicher schwerer getan als ich, mit seinem Leben an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich
persönlich habe niemals daran gedacht, für die Fans zu heiraten. Früher konnte man
regelmäßig lesen ich hätte behauptet "die Richtige noch nicht gefunden" zu haben.
Das sind Geschichten der Presse. Wenn man sich als Star bei den Zeitungen beschwert, solche
Sachen nicht gesagt zu haben, kommt von den Journalisten immer der Satz: "Die Leute
lesen's halt gerne." Man kann nichts dagegen machen.
Ich bin ein konservativer Mensch, habe ein Haus gebaut, lebe in einer geregelten,
harmonischen Beziehung, und manchmal denke ich, dass es bei uns geordneter zugeht
als in manchen bürgerlichen Ehen. Ich bin stolz, wenn der Daniel durchs Haus läuft
und "Papi" schreit. Ich bin trotzdem nicht zur Ikone der Gay Community geworden. Ich gelte
als der Nette, der Brave und der Korrekte, bei dem man es nie vermutet hätte. Und
offenbar habe ich auch anderen Männern Mut gemacht, sich zu ihrem wahren Leben zu
bekennen. Es kann sein, dass eines Tages Daniel mir vorwirft, zwei Väter zu haben und keine
Mutter gehabt zu haben. Kann sein, dass er sagt: Was hast du mir angetan; aber es
ist doch wichtiger, dass er in einer Umgebung voller Liebe aufwächst. Seine Mutter
hat ihn in St. Petersburg gleich nach der Geburt zur Adoption freigegeben. Und was man über
diese Frau in den Akten lesen kann, ist ziemlich schrecklich, da herrschte materielles
und menschliches Elend.
© 1999, Francopolis. Tous droits réservés.