50 Jahre Deutsche Mark Festakt der Deutschen Bundesbank
Rede des Bundesbankpräsidenten
Der Präsident der Deutschen Bundesbank, Prof. Dr. Hans Tietmeyer, hielt auf dem Festakt
,,50 Jahre Deutsche Mark" in der Paulskirche zu Frankfurt am Main am 20. Juni 1998
folgende Rede :
I.
-- Fünfzig Jahre -- fast scheint es, als ob diese Zeitspanne zu einer besonderen Schicksalszahl
für deutsche Währungen wird.
-- Fünfzig Jahre -- so alt wurde die erste gemeinsame Währung der Deutschen: die Mark,
die 1873 nach der Reichsgründung entstand und in den Wirren der Hyperinflation von
1923 unterging.
-- 25 Jahre -- also die Hälfte von fünfzig -- liegen zwischen dem Geldschnitt von 1923
und jenem von 1948, der die inflatorische Hinterlassenschaft der Hitlerschen Kriegsfinanzierung
beseitigte.
-- Fünfzig Jahre alt wird heute die Deutsche Mark. Und dies wird zugleich ihr letzter
Jahrestag als eigenständige Währung sein.
Doch: Könnte man sich das Ende dieser drei Epochen deutscher Währungsgeschichte eigentlich
unterschiedlicher vorstellen? Wohl kaum!
Im Jahre 1923 ging eine zerrüttete Währung. Nicht nur die Währung, auch die Reichsbank
war desavouiert. Die Realität hatte ihre Idee und ihr Verständnis von Geldpolitik
widerlegt. Zugleich hinterließ die Inflation von 1923 auch eine schlimme Hypothek
für das weitere Schicksal unseres Landes.
Im Jahre 1948 mußte der inflatorische Scherbenhaufen des Hitler-Regimes beseitigt
und die Grundlage für einen Neuanfang gelegt werden. Eine neue Währung mußte quasi
bei Null anfangen, also insbesondere ohne an eine erfolgreiche Tradition anknüpfen
zu können. Am Beginn standen keine Jubelfeiern, keine Feuerwerke, sondern nur einige dürre,
stereotyp sich wiederholende Worte des Kontrolloffiziers und Sprechers im Radio Frankfurt
Robert Lochner: "Das neue Geld heißt: Die Deutsche Mark. Jede Deutsche Mark hat hundert Deutsche Pfennig. Das alte Geld -- die Reichsmark, die Rentenmark und die alliierte
Militärmark -- ist vom 21. Juni ab ungültig."
Welch ein Gegensatz zu heute! Ende dieses Jahres wird die Deutsche Mark als eine hochgeschätzte
Währung eingehen in eine neue, größere Währung, den Euro. Sie wird dabei ihre Stärke
mitbringen. Wenn die Bundesbank dann ihre geldpolitische Zuständigkeit abgibt, so tut sie dies als eine national wie international geachtete Institution. Und
niemand wird durch die Umstellung auf das neue Geld irgend etwas verlieren. Im Gegenteil!
Auch die Deutschen werden bei einem stabilen Euro Gewinner sein.
Zum ersten Mal in der turbulenten deutschen W ährungsgeschichte dieses Jahrhunderts
startet eine neue Währung nicht mit dem Auftrag, bestehendes Unheil zu lindern, alte
Fehler zu vermeiden. Nein, die neue Währung Euro wird starten mit dem Auftrag, das
vorhandene Erbe der Stabilität zu bewahren, daran anzuknüpfen und es zu mehren.
II.
Natürlich fällt der Abschied von der D-Mark vielen Menschen nicht leicht. Die D-Mark
ist ein Teil, ja ein prägnantes Symbol der neuen Republik in Deutschland geworden.
Gewiß, jede nationale Währung repräsentiert den jeweiligen Staat. Und doch: Das Band
zwischen der D-Mark und der Bundesrepublik Deutschland ist wohl ein Stück enger als üblich.
Das hat auch zu tun mit dem Ereignis, dessen wir heute gedenken. Die Währungsreform
vom 20. Juni 1948 ist im Bewußtsein der Deutschen so etwas wie der Neuanfang nach
dem Kriege. Sie ist -- im wahrsten Sinne des Wortes -- ein Mark-Stein. Viele Menschen
im Westen, die den 20. Juni erlebten, haben ihre persönliche Zeitrechnung für jene Tage
unterteilt in die Zeit "vor und nach der Währung". Wie übrigens auch für viele Ostdeutsche
der 1. Juli 1990 mindestens ebenso bedeutsam ist wie der bald folgende 3. Oktober.
Die Währungsreform 1948 war ein Wendepunkt für die spätere Bundesrepublik, vielleicht
mehr noch als deren formelle Gründung selbst. Doch wie die Währungsreform an der
Wiege des neuen westdeutschen Staates steht, so steht sie auch an der Verfestigung
der deutschen Teilung nach dem Krieg. Hierin liegt ein Stück Tragik. Wie in der griechischen
Tragödie ist die Währungsreform unschuldig schuldig geworden. Und dieses Schicksal
war ab einem gewissen Punkt in den ersten Nachkriegsjahren vorherbestimmt.
Mit der Einführung der D-Mark am 1. Juli 1990 ging unsere Währung dem auch politisch
bald wiedervereinten Deutschland ein Stück voraus. So besiegelte die D-Mark nicht
nur die Teilung unseres Landes, sondern auch das Wiederzusammenfügen. Und Ihnen,
Herr Bundeskanzler, gebührt das historische Verdienst, die von der Geschichte gebotene Chance
mutig ergriffen zu haben.
III.
Die Deutsche Mark ist heute ein anerkannter Bestandteil dieser Republik. Sie ist damit
zugleich Bestandteil der demokratischen, freiheitlichen und sozialstaatlichen Orientierung
dieses Staates.
Joseph Schumpeter hat einst das berühmte Wort geprägt: "Im Geldwesen eines Volkes
spiegelt sich alles, was dieses Volk will, tut, erleidet, ist; und zugleich geht
vom Geldwesen eines Volkes ein wesentlicher Einfluß auf sein Wirken und auf seinSchicksal
überhaupt aus." Und so ist die D-Mark zugleich ein Spiegel der insgesamt glücklichen
bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte. Sie genießt dabei ein ungeheures Privileg.
Denn, anders als ihre Vorgängerinnen, ist sie von negativen historischen Brüchen
verschont geblieben.
Die D-Mark hat diesen Kredit der Geschichte gut angelegt. Sie ist nämlich nicht nur
Spiegel und Reflex dieser Republik. Sie hat ihrerseits zweifellos auch einen wichtigen
Beitrag zur politischen und sozialen Stabilität geleistet. Denn die stabile D-Mark
hat mitentscheidend dazu beigetragen, daß die freiheitliche Ordnung bei uns zu einem
breiten wirtschaftlichen Wohlstand geführt hat. Die stabile D-Mark ist damit auch
ein elementarer Pfeiler für die Stabilität unserer Gesellschaft und der freiheitlichen
Demokratie geworden. Denn die stabile D-Mark hat das Herausbilden wichtiger Elemente einer
Bürgergesellschaft gefördert. Ohne eine stabile Währung können sich Selbständigkeit
und Eigenverantwortung nur schwer entfalten.
Und vergessen wir nicht: Die stabile D-Mark ist immer auch ein Stück Sozialstaat gewesen.
Denn ein schwindender Geldwert wendet sich immer vornehmlich gegen die sozial Schwächeren.
Das ist das grausame Gesetz der Inflation, das uns im Nachkriegsdeutschland erspart geblieben ist.
Hier in der Paulskirche wurde vor 150 Jahren vor allem um Einigkeit und Freiheit,
teilweise aber auch schon um soziale Gerechtigkeit gerungen. Hier ist es deswegen
wohl besonders angebracht, daran zu erinnern: Einigkeit und Recht und Freiheit können
auf Dauer nicht gedeihen ohne eine Währung, die dauerhaft stabil ist, und ohne eine Währung,
die von den Bürgern auch anerkannt und akzeptiert wird. Deswegen machen
die Worte "Einigkeit und Recht und Freiheit" auf dem Außenrand der D-Mark-Münze sehr
viel Sinn. Auch hierin ist die D-Mark ein Vermächtnis für den Euro; und damit zugleich
ein Auftrag für Europa.
IV.
Verbunden ist die Deutsche Mark natürlich insbesondere mit Aufstieg und Erfolg der
deutschen Wirtschaft. Und damit ist sie zugleich das Ergebnis einer Reihe glücklicher
wirtschaftspolitischer Weichenstellungen.
Das begann schon mit der Währungsreform selbst. Gewiß, dieWährungsentscheidungen waren
enorm wichtig: der scharfe und endgültige Geldschnitt, die gelungene technische und
organisatorische Vorbereitung, nicht zuletzt durch die Arbeiten in Bad Homburg und
im Konklave von Rothwesten und nicht zuletzt auch das Übertragen der geldpolitischen
Verantwortung auf eine von politischen Instanzen in Deutschland unabhängige Zentralbank.
Das waren günstige Faktoren, die vor allem auch dem Einfluß der damaligen amerikanischen
Militärinstanzen zu verdanken sind. Insbesondere der damals noch junge, leider viel
zu früh verstorbene Offizier und Wissenschaftler Edward A. Tenenbaum erwarb sich
dabei unvergessene Verdienste.
Und doch: Der Start der Deutschen Mark wäre wohl nie zu jenem denkwürdigen Erlebnis
geworden ohne die gleichzeitige weitgehende Freigabe der Preise. Sie war von den
wirtschaftspolitisch bedeutsamen Entscheidungen, die Deutsche nach 1945 getroffen
haben, wohl am stärksten von einer einzigen Persönlichkeit geprägt: von Ludwig Erhard.
Währungs- und Wirtschaftsreform waren ökonomische Zwillinge. Neues Geld ohne freie
Preise hätte wenig bewegen können. Denn was soll neues Geld Neues bewirken, wenn
die marktwirtschaftlichen Kanäle verstopft sind? Umgekehrt hätten freie Preise ohne
vorherige Währungsreform die zurückgestaute Inflation über Nacht angezündet. Wie hätten Marktwirtschaft
und Geldwesen das Vertrauen der Menschen so schnell gewinnen sollen?
Mit dem Signal der freien Preise begann das, was man später oft Wirtschaftswunder
nannte. Ludwig Erhard hat das Signal gesetzt, und zwar gegen heftigen Widerstand
- zunächst sogar auch von amerikanischer Seite. Dieses Signal hat das Geld auch sogleich
vor die Nagelprobe gestellt. Es war Herausforderung und Chance zugleich. Denn Vertrauen
kann ein Geld nur gewinnen, wenn es sich bei freien Preisen bewährt.
Die D-Mark hat das Signal von der unverzichtbaren Len kungsfunktion der Preise damals
aufgenommen; und sie hat dieses Signal mit ihrem hohen Maß an interner Stabilität
über die Jahrzehnte hinweg weitergetragen. Soziale Marktwirtschaft, hohe Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und die Stabilität der D-Mark, so lautete über die meiste
Zeit hinweg der fruchtbare ökonomische Dreiklang in Deutschland.
Die D-Mark hat zu diesem Dreiklang entscheidend beigetragen. Ihre Stabilität hat geholfen,
die Marktwirtschaft auch in kritischen Zeiten funktionsfähig zu halten. Und ihre
zunehmende internationale Reputation hat Vorteile gebracht: einen breiteren Kapitalmarkt, relativ niedrige Zinsen und das Privileg für die deutsche Wirtschaft, ihren
Außenhandel großenteils in eigener Währung zu fakturieren.
Doch in fünfzig Jahren hat natürlich nicht immer die Sonne geschienen. Es gab auch
Phasen, da die Stabilitätsergebnisse der D-Mark nicht befriedigen konnten; beispielsweise
Anfang der siebziger Jahre. Teilweise haben interne Fehlentwicklungen den Geldwert
bedroht. Teilweise herrschten äußere Zwänge über den Wechselkurs. Das Sichern und
Rückgewinnen der internen Stabilität forderte dann auch unangenehme Maßnahmen. Bisweilen
geriet die Bundesbank dabei auch in Konflikt mit der Politik.
Darüber hinaus hat es aber auch Zeiten mit falscher Außenbewertung der D-Mark gegeben.
Sie war phasenweise zu niedrig bewertet. Das führte gelegentlich zu einer übermäßigen
monetären Expansion, so vor allem in den Krisentagen des alten Bretton-Woods-Systems. Und es sendete bisweilen falsche Botschaften und erweckte Illusionen über die internationale
Leistungsfähigkeit -- zum Beispiel zu Beginn der neunziger Jahren. Umgekehrt gab es
auch Perioden, da die D-Mark eher überbewertet war. Entsprechend belastete dies dann die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Freilich, diese Schattenseiten -- was interne Stabilität und was Außenwert angehen
--, sie waren alles in allem doch begrenzte Episoden. Über fünfzig Jahre hinweg war
die D-Mark insgesamt ein guter und verläßlicher Partner für Wirtschaft und Politik
in unserem Land und auch auf internationaler Ebene. Und mehr kann eine Währung auf Dauer wohl
auch nicht sein. Sie kann nicht -- und sie darf wohl auch nicht -- die Politik selbst
ersetzen. Die Währung kann mit ihrer Stabilität immer nur ein tragfähiges Fundament
bereitstellen. Auf Wirtschaft und Politik kommt es an, was sie am Ende auf diesem Fundament
errichten.
V.
Neben der Verknüpfung mit Politik und Wirtschaft verbindet die Deutsche Mark auch
ein wichtiges Stück gesellschaftlicher Kultur mit unserem Land. Die Stabilität der
D-Mark
war niemals nur Sache von Technokraten. Das Ziel eines stabilen Geldes war und ist
tief verankert in unserer Gesellschaft. Es beruht auf einem weitgehenden Konsens
in breiten Bevölkerungsschichten. Es beruht auf einer Stabilitätskultur. Und so ist
die deutsche Öffentlichkeit -- gerade in kritischen Zeiten -- immer wieder zum treuen Verbündeten
einer stabilitätsorientierten Geldpolitik geworden. Wie umgekehrt die Bundesbank
die deutsche Stabilitätskultur inhaltlich mitgeformt und institutionell gesichert
hat.
Zum Herausbilden dieser Stabilitätskultur haben sicher die Erfahrungen von 1948 viel
beigetragen. Die Menschen haben gesehen, daß mit einer gesundem W ährung auch die
wirtschaftlichen Verhältnisse sich schnell wieder ordneten. Hinzu kommt wohl auch
die in Deutschland ausgeprägte Tradition, dezentrale und aufgegliederte Strukturen gegenüber
einer maximalen Ballung von Kompetenzen vorzuziehen. Auch deshalb mag sich unser
Land relativ leicht damit tun, die Unabhängigkeit der Geldpolitik zu akzeptieren.
Das Thema "Verankerung einer unabhängigen, stabilitätsorientierten Geldpolitik in
der öffentlichen Meinung und in der gesellschaftlichen Kultur" wird künftig europaweit
auch für die Europäische Zentralbank und für das Europäische System der Zentralbanken
bedeutsam sein. Gewiß, über längere Sicht gesehen war und ist auch die Bundesbank nicht
frei von gelegentlichen Fehleinschätzungen. Aber übers Ganze gesehen hat sie -- gerade
auch im Urteil ihrer internationalen Kritiker -- mit ihrem oft langen Atem doch entscheidend zur Stabilitätsorientierung in unserem Land beigetragen. Und diese Stabilitätsorientierung
ist den Deutschen nun über fünfzig Jahre hinweg zweifellos gut bekommen.
VI.
Fünfzig Jahre D-Mark, das ist etwas Besonderes, nicht nur weil eine runde Zahl dasteht.
Der heutige Rückblick ist zugleich fast auch schon ein Abschlußbericht. Der große
französische Paläontologe und Philosoph Pierre Teilhard de Chardin hat einmal gesagt:
"Die Größe eines Flusses wird erst an seiner Mündung begriffen, nicht an seiner Quelle."
Die Mündung in den großen Fluß Euro ist nun bald erreicht. Um so deutlicher tritt
aber auch das respektable Erbe hervor, daß die D-Mark einbringt.
Neben dem größten Anteil am Eigenkapital der Europäischen Zentralbank bringt die D-Mark
noch mehr ein: ihre internationale Reputation an den Märkten, die unabhängige Zentralbank
als Referenzmodell, wichtige geldpolitische Traditionen wie die Geldmengensteuerung und vor allem das Stabilitätsbewußtsein der Menschen. Das Erbe besteht darüber
hinaus aus wichtigen Lektionen:
-- Interne Geldwertstabilität ist im Falle eines Konflikts wichtiger als eine externe
Wechselkursrelation.
-- Der beste Beitrag des Geldes für Wachstum und Beschäftigung ist dauerhafte Stabilität.
-- Und nicht zuletzt auch dieses: Ein den tagespolitischen Einflüssen entzogenes Geld
liegt im längerfristigen Interesse der Wirtschaft, aber auch der Politik selbst.
Und so lautet die vielleicht wichtigste Lektion: Laßt die Geldpolitik tun, was der
Geldpolitik ist: nämlich im Rahmen ihrer Möglichkeiten für einen stabilen Geldwert
zu sorgen und so die Basis für wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität zu
legen. Die große Politik kann und muß dann ihrer Verantwortung gemäß innerhalb dieses monetären
Rahmens entscheiden und handeln. Aber sie darf die Basis des stabilen
Geldwerts nicht gefährden. Demokratische, freiheitlich und sozial orientierte Politik
würde sich nämlich sonst den Ast absägen, auf dem sie sitzt.
Die Balance zwischen Freiheit und sozialem Ausgleich muß immer neu gefunden werden.
Das gilt gerade auch für die Zukunft angesichts der Hypothek der noch immer zu hohen
Arbeitslosigkeit und den Herausforderungen in einer immer globaler werdenden Wirtschaft. Das Austarieren von Freiheit und sozialem Ausgleich kann auch unter den wirtschaftlichen
Bedingungen von morgen nur mit einer stabilen Währung
gelingen.
© 1999, Francopolis. Tous droits réservés.