© Benoît
Blanchard 2002 |
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INHALTSVERZEICHNIS
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1.1. Ein
populäres Genre |
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1.1. Wie erwähnt er das Deutschland der
Vergangenheit |
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1.2.
Fassbinders Einflüsse |
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1.2. Wie Kritisiert er die Gesellschaft |
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1.3. Das Frauenbild |
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3.1. Der Vorspann |
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2.1. Künstler in der Gesellschaft |
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3.2. Die Küche als intimster Ort |
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2.2. Wie führt man eine Revolution fort? |
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3.3. Der Spiegel und der
Illusionsverlust |
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3.4. Die künstlichste Beleuchtung |
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3.5. Die melodramatischen Anti-Helden |
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Deutschland
ist immer eines der Länder gewesen, in dem die Beziehungen zwischen Film und
Geschichte am stärksten waren. 1962
kamen junge deutsche Filmemacher zusammen und verkündeten den Anspruch den
« neuen deutschen Spielfilm » zu schaffen. Die Hauptintention war
der Aufstand gegen « Papas Kino » und « Papas Staat ». So
sollte das Oberhausener Manifest die Mangelhaftigkeit des Kinos der
vorherigen zwanzig Jahre beenden. Erst
am Ende der sechziger Jahre wurde dieser Wandel Realität und dauerte bis zu
Beginn der achtziger Jahre an. Regisseure wie Alexander Kluge, Volker
Schlöndorff, Edgar Reitz, u.a. haben diese Wende ermöglicht, indem sie sich
endlich direkt mit ihrer Gesellschaft auseinandersetzten. Rainer
Werner Fassbinder stellt eine gute Veranschaulichung dar, insofern dass er
der produktivste Regisseur dieser Generation war, deren Filme zahllose
Polemiken gelöst hatten. Ausserdem begrenzen die Daten seines ersten (Liebe
ist kälter als der Tod, 1969) und seines letzten Film (Querelle,
1982) ganz genau die Periode des Neuen Deutschen Films. Aus diesem Grund hat
man häufig behauptet, dass mit seinem Tod der deutsche Film gestorben war. Fassbinders
sogennante BRD-Trilogie besteht aus diesen drei Filmen: die Ehre der Maria
Braun (1978), die Sehnsucht der Veronika Voss und Lola
(1981). Dennoch befindet sich diese Trilogie in einer Übergangsphase für
seine persönliche Filmproduktion (danach wird er nur einen letzten Film
drehen) wie für die deutsche Gesellschaft (Ende des Terrorismus, Kohl kommt
an die Macht). Auch
wenn Fassbinders Filme zu zahlreiche und verschieden sind, um als Einheit
kritisieren zu können, lässt sich eine bestimmte Kontinuität in den oben
genannten Filmen feststellen. Bei allen drei Filmen handelt es sich um ein
Melodrama. Im ersten Teil sollen die Charakteristika dieses populären Genres
und die Besonderheiten von Fassbinders Stil behandelt werden. Der zweite Teil
soll sich mit der Problematik seiner Filme, die typisch für die siebziger
Jahre waren, beschäftigen. 1.1. Ein populäres Genre Laut Marc Vernet [1] ,
definiert sich das Genre im Allgemeinen mit dem "Obligatorischen"
und dem "Verbotenen". Während einige Elemente unbedingt im Film
enthalten sein müssen, damit er als solches identifiziert wird, dürfen andere
nicht darin enthalten sein. Sonst brechen sie das "Gesetz des
Genres", welches inklusiv wie exklusiv ist. Zum Beispiel darf sich weder
eine gesungene Episode in einem Krimi finden, noch ein gewaltiger Tod in
einem Musical befinden. Um
eines Genre zu kennzeichnen bleiben noch die folgenden Elementen: die
Geschichte (die Themen und ihre Behandlung); die Inszenierung (das
Schauspielen und die Kameraführung); die Musik; die Beleuchtung (das Bild,
die Farben, usw.); das Dekor und die Kostüme. Das Melodrama benutzt alle
diese Elementen auf seine Weise. Schon
vor Beginn der zwanziger Jahre war das Melodrama einer der populärsten Genren
Hollywoods. Es beruhte auf einfachen dramatischen Effekten, niedrigster
Sentimentalität, usw. Im Laufe der Zeit hat sich das Melodrama in vielen
anderen Genren eingeführt (Kriegsfilme, Komödien, Western, usw.) und am Ende
ist es als selbständiges Genre verschwunden. Auch
wenn große Regisseuren wie David Griffith, John Stahl, Vincente Minelli,
William Wyler, Melodramen gedreht hatten, blieb das Genre dennoch verkannt. Das
Melodrama beruht auf einem Unterschied, der ein tragisches Missverständnis
auslöst. Seine Hauptkennzeichnungen sind die folgende: Zuerst
müssen unbedingt die Figuren in extreme Situationen geraten. Daraus folgt,
dass die Geschichte aus zahllose plötzliche und unerwartete Wendungen
bestehen. Ausserdem benutzt dieses Genre eine vollkommen künstliche
Beleuchtung, die die Differenzen verstärken soll. Die Musik spielt auch eine
wichtige Rolle, indem sie jede Situation mit einer Alternanz von romantischen
und tragischen Bewegungen betont. Letztendlich gibt es zwei Elemente im Film
selbst: Der Spiegel stellt ein zentrales Element dar, insofern, dass er sehr
oft zum Zeugen von den Klagen der Figuren wird. Ebenso ist die Küche ein
obligatorischer Gesprächsraum, weil sie den intimsten Ort darstellt. In der Regel beendet sich das Melodrama nach
zahllosen Schicksalswendungen mit einem Happy End. "Das Happy End
reflektiert die moralischen Werte der Gesellschaft, die es geschaffen
hat". [2] Dennoch
ist das Happy End, ganz anders als man denkt, häufig ein unruhiges Mittel den
Film zu beenden. Es handelt sich hierbei um ein aggressives und provokatives
Verfahren. Dafür gibt es zwei Gründe: zuerst ist dieses Verfahren auffallend,
weil es den Film auf künstliche und autoritäre Weise zum Ende zwingt.
Weiterhin vernichtet dieses Verfahren jeden scheinbaren Realismus- und
Wahrheitseffekt. Wahrscheinlich
war es Fassbinder bewusst, deswegen hat er damit so viel gespielt. 1.2. Fassbinders Einflüsse Vor
seiner sogenannten BRD-Trilogie hatte Fassbinder schon mehrere Filme in dem
melodramatischen Stil gedreht. Natürlich hätte auch Lili Marleen
dieser Trilogie angehören können, weil dieser Film den Vorrausetzungen des
Melodramas am besten entspricht: die Geschichte, die Inszenierung, die Beleuchtung...
Aber auch die Filme Angst essen Seele auf, Martha oder Faustrecht
der Freiheit, sind echte Melodramen. Das
zugegebene Vorbild Fassbinders war Douglas Sirk. Dieser Däne, dessen echter
Name Detlef Sierk war, hatte in Deutschland in den dreißiger Jahren
gearbeitet, bevor er nach Hollywood geflohen war. Dort hat er gegen seinen
Willen nur (und viele) Melodramen gedreht, unter denen All that Heaven
allows, Written on the Wind oder sein Meisterwerk Imitation of
Life (1958) die besten Veranschaulichungen darstellen. Dennoch war das Genre verachtet (er wurde eher
als sehr vulgär betrachtet). So wurde Douglas Sirk nur in Europa berühmt.
Während einer Retrospektive von seinen Filmen in München hatte Fassbinder
seine Werke entdeckt. Von nun ab verehrte er Sirk als Gott. Seine Bewunderung
für ihn zwang Fassbinder dazu, ein Remake von einem seiner Filme (Angst
essen Seele auf) zu drehen und auch einen Kurzfilm mit ihm zusammen zu
drehen. [3] Ende
der siebziger Jahre konnte man aber nicht mehr Filme machen wie zuvor. Wie
Serge Daney schrieb: „Es gibt keine Utopien mehr. Alle wurden in Easy
Rider vernichtet.“ Was
das neue Publikum interessiert ist das Gelebte, das Kleine (das heißt, das
Leben). Fassbinder muss diesen Widerspruch akzeptieren: Er muss seine
Bewunderung für die amerikanischen klassischen Vorbilder (Bigger than life)
und die damaligen Erwartungen der Zuschauer miteinander vereinbaren. 2. Der Kontext, in dem seine
Melodramen entstanden Fassbinders
Melodramen sind in einem bestimmten kulturellen Kontext entstanden. Das Ende
der siebziger Jahre, die für Serge Daney "das schlechteste Jahrzehnt
des Kinos" war, kennzeichnete sich mit einem gewissen Geschmack für
die Gewalt und kritisierte vor allem das Ethische und Moralische. Das heisst,
diese Periode erlaubte auf den ersten Blick nicht, solche typischen
hollywoodschen Filme, wie das Melodrama, zu produzieren. Die
siebziger Jahre, die in 68 angefangen hatten, entsprechen dem Ende des Klassizismus
und der Explosion aller filmischen Formen. Mit der Entstehung von einem Neuen
Film und einer Krise in Hollywood, befindet sich Fassbinder in der selben
Lage wie andere europäische Regisseure (Sergio Leone, Mario Bava, Jean-Pierre
Melville), die sich die amerikanischen Mythen aneignen und mit ihrer Kultur
filtrieren. Obwohl
diese Periode kritisch für den Film ist (von 1961 bis 1970 ging die Zahl der
Säle von 6666 auf 3450 herunter), war die generelle Stimmung ziemlich
utopisch. Diese
Periode nimmt einen Radikalismus der Formen an, und gleichzeitig eine leere
und reaktionäre Kontinuität mit der vergangenen Produktion, oder am
schlimmsten eine Adaption dieser Produktion zu den neuen Ideologien. Die
Katastrophen der sechziger Jahre (Ende der Kolonienkriege, Kennedy's
Ermordung, kalter Krieg, dritte Welt) und die Generalisierung des Fernsehens,
die die Aura des Kinos verschlechtern will, ändern die Zuschauerbedingungen. Der
Film ist auf der Suche nach einem Anspruch von Wahrheit und misstraut allen
narrativen und dramatischen Konventionen. Er wählt neue Wahrheitskriterien
aus. Das bedeutet, dass das Misstrauen zu der Illusion des Klassizismus neue
Illusionen fordert, die als "echte Wahrheit" gelten können.
Deswegen beruht die Filmproduktion der siebziger Jahre auf die Entdeckung von
allem, was als endgültig echt erscheint : Sex, Gewalt und auch Politik
erscheinen endlich dem Blick zugänglich, als wären sie der Beweis der
unbestreitbaren Authentizität der Bilder. Der
Verlust des Glaubens forderte eine neue Glaubwürdigkeit. Die
traditionellen Genren werden wieder verwendet, und die Regisseure fügen einen
entweder mehr entmythifizierenden oder parodistischen Realismus ein. Aber es
handelt sich mehr um Trivialität als Realismus. Das Bild wird schmutzig, der Ton
hart. Gore,
Hardcore und Neonaturalismus verändern tief die Bilder. Die ersten Pornofilme
(Konsequenz der sogenannten sexuellen Befreiung) stellen eine echte
Revolution dar. Unter dieser Berücksichtigung kann Porno als das natürlichste
Genre betrachtet werden Nach
dem toten Klassizismus stehen sich zwei politische Utopien gegenüber. Einige
wollen das System verändern, in dem sie seine eigene Mitteln benutzen. Andere
wollen mit dem System zum Ende kommen, in dem sie seinen Inhalt und seine
Form ablehnen. Aber
die direkte Konsequenz von 68 auf den Film, ist "die Erscheinung
eines neuen Stocks von filmbaren Objekten". Somit wurden auch andere
sozialen und beruflichen Schichten, die bis zu diesem Zeitpunkt abwesend
waren, zu den neuen Protagonisten im Film: Arbeiter, Bauern, kleine
Gesellschaften, Kleinbürgern, usw. Die
politischen Fiktionen von links (Yves Boisset, Costa-Gavras, Sydney Pollack,
Elio Petri, Francesco Rosi) sind eine gute Veranschaulichung dieser naiven
Bewegung. Sie beruhen auf den Konzept der Aufdeckung und legitimieren sich
mit ihrem Bruch im Verhältnis zu den traditionellen Geschichten. Andere
Regisseuren stellen sich dieser Tendenz gegenüber und versuchen das Kino
selbst zu befragen. (Diese Dialektik besteht darin: entweder auf eine politische
Weise Film zu machen oder politische Filme zu machen.) Sie versuchen die
klassischen Strukturen zu zerstören, die Ideologie zu vernichten, die durch
die falsche Neutralität der technischen Mittel übertragen wird. Dennoch, ganz anders als eine Befreiung des Sinns und des Sagens, stellt diese Periode eine Verwirrung und einen Pessimismus dar. Anstatt die Utopien zu bedienen, spiegelte die damalige Filmkunst die Verwirrung der Welt wieder. Der Film ist in dieser Zeit schon der Zeuge vom Scheitern der früheren Träume. Aus diesem Grunde wird das Genre von Science-Fiction das größte : es stellt das neue Feld des Experimentierens dar. 3. Wie spielt er mit Melodramen? Die Umleitung ist das Gegenteil des Zitates, der
immer gefälschten theoretischen Autorität der Tatsache, nur dass sie Zitat
geworden ist: Das heißt ein Fragment, das an seinem Zusammenhang, an seiner
Bewegung und schließlich an seinem Zeitalter als globale Referenz und an der
bestimmten Option (die innerhalb dieser Referenz genau oder falsch wiedererkannt
wurde) herausgerissen wurde. Die Umleitung ist die flüssige Sprache der
Anti-Ideologie. Sie erscheint in der Kommunikation, die weiß, dass sie
behaupten kann, keine Garantie in sich selbst und definitiv zu besitzen. Sie
ist, am höchsten, die Sprache die keine alte Referenz, und Suprakritik
bestätigen kann. Es ist im Gegenteil ihre eigene Kohärenz (in sich selbst mit
den praktikablen Tatsachen), die den alten Wahrheitskern bestätigen kann, den
sie zurückbringt. Die Umleitung hat ihre Ursache auf nichts außer an ihrer
eigenen Wahrheit als gegenwärtige Kritik gegründet. [4] Fassbinder
ist sich der Filmgeschichte bewusst. Er prägt zugleich diese Geschichte,
indem er ihre Techniken so gut wie möglich ausnutzt. So hat er sich mit
seiner BRD-Trilogie in das Genre des Melodramas eingeführt und hat es
"umgeleitet", bzw. verändert. 3.1. Der Vorspann Laut Nicole de Mourgue [5] kann
man das Genre eines Films am besten an Hand des Vospanns erkennen. Die
Schriftart, Schriftgröße der Buchstaben, der visuelle Hintergrund, die Musik,
das Dekor, die Größe der Kameraeinstellungen, die einführende
Erzählungsweise: Alle diese Elemente, die sich auf kurze Zeit konzentrieren,
reizen stark die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf das filmische Verfahren. 3.2. Die Küche als intimster Ort Im
klassischen Melodrama symbolisiert die Küche den intimsten Ort. Im Vergleich
mit dem Wohnzimmer, der den Ort der Konventionen und des Erscheinens
darstellt, ist die Küche der Ort des Geheimnisses. Man gibt darin seine
Kochmethoden und seine Rezepte zu; ebenso gibt man seine inneren und
versteckten Gefühlen zu. Dieser Raum ist immer kleiner und ehrlicher. In
Fassbinders Filmen (und besonders Melodramen) benutzt er nicht die Küche,
sondern das Schlafzimmer, und das Bett, um ganz genau zu sein. Wegen dem Kode
Hays, der von 1930 bis 1968 existierte, war das Ehebett (das heißt, fast das
ganze Schlafzimmer) im Film verboten. Dieser Kode, der schon einige Jahren
vorher obsolet war, hatte nach den siebziger Jahren kein Grund mehr zu
existieren. Das Bett ist der Mittelpunkt von Fassbinders
Filme. Sehr verschiedene Leute vereinen sich dort. Es stellt die Gelegenheit
dar, immer wichtige Sequenzen zu drehen : die Figuren äußern ihre Gedanken,
ihre Gefühle und so entdecken sie sich, aber es kann auch die Intrige ändern.
Bei Lola oder Maria Braun, die die Hure spielen, ist natürlich
das Bett an ihrem Leben, an ihrer Existenz streng gebunden. Ebenso für Veronika
Voss, die in einer Klinik eingeschlossen ist : das Bett ist die Stelle,
wo sie immer bleiben sollte; sie darf sich nicht vom Bett entfernen.
[6] . In Fassbinders Filmen werden die Bett-Sequenzen
nie künstlich eingeführt. [7] Sie gehören wirklich zum Film
als dramatische Elemente. 3.3. Der Spiegel und der Illusionsverlust Man
nennt die italienischen Komödien der dreißiger Jahre das Genre der „Weißen
Telefone“, weil sich in jeder damaligen Komödie ein weißes Telefon befand.
Ebenso könnte man das Melodrama das „Spiegel-Genre“ nennen, weil es immer
mindestens ein Spiegel darin gibt. Das
Melodrama beruht vor allem auf einem Missverständnis. Die Figuren glauben
(und haben Unrecht), dass sie ihre Lage verstehen. So kann der Spiegel eine
Distanz in der Erzählung schaffen: er betont den Abstand zwischen der Figuren
und der Wahrheit. Der Spiegel steht immer in den Sequenzen, in denen die
Figuren ihre Gedanken und Gefühle äußern. So spiegelt er sie ihre eigene
Weltanschauung wieder und schließt sie in ihre eigenen Welt ein. Schlimmer,
wenn die Figuren endlich verstehen, ist der Spiegel zwar anwesend, aber leer.
Er spendet kein Trost mehr. Fassbinder
hat sich gut daran erinnert und hat etwas mehr dazu gefügt. Der Spiegel gilt nicht
mehr als Ausdruck der Distanz und des Illusionsverlusts, sondern zeigt er den
Figuren ihre echte Wahrheit, ihre Identität. Außerdem doppelt er die
Realität: Fassbinder erinnert uns daran, das sie nur Schauspieler sind, und
dass der Film seine eigene Realität enthaltet. 3.4. Die künstlichste Beleuchtung Das
Melodrama muss ein vollkommen künstliches Universum schaffen, das heißt ein
angenehmes und gemütliches Universum, damit das Publikum sich sofort gut darin
fühlt und sofort Mitleid für die Sorgen der Figuren empfindet. Darum spielt dieses Genre mit spezifischen
Beleuchtungseffekten und mit dem Einsatz von Farben, aber immer mit
Diskretion. Während der klassische hollywoodsche Film die Effekte (Kamerabewegungen,
Beleuchtung, usw.) versteckte, zeigt Fassbinder alles. In seinem Film
übertreibt er alle diese Elemente. Während die Ehe der Maria Braun
noch ziemlich klassisch ist, bricht Lola diese Konventionen. In Lola
beschränkt sich der Film auf zwei Farben : blau und rosa (zwei ziemlich
unschuldige Farben). Diese Farben isolieren jede Figur. Der Mann ist
natürlich immer in blau und Lola ist in rosa, während der Bordell ganz rot
(als die Farbe der Leidenschaft) ist. Aber diese Beleuchtungseffekte wirken
nicht nur in der Nacht, sondern auch am sonnigen Tag. Um diesen Eindruck zu
ermöglichen, spielt Fassbinder auch mit den Kleidungen und den Elementen des
Dekors (Vorhänge, Ball, usw.). Alles muss uns an diese Dualität zwischen blau
und rosa erinnern, bis es fast lächerlich wird. [8] Auf einer anderen Ebene stellt auch die
Sehnsucht der Veronika Voss eine gute Veranschaulichung dar. Obwohl der
Film schwarzweiß ist, ändert das Spiel mit den Farben und der Beleuchtung
nicht. Entweder ist alles blendend weiß, oder ganz schwarz. Der Film neigt
absichtlich zum Manichäismus. Veronika braucht es, sich selbst in Kino in
ihren eigenen Filmen zu sehen. [9] Sie will ihr Leben stark
inszenieren (ihr Benehmen, ihr Lächeln, ihre immer schwarze Kleidung), dass
sie sogar selbst ihr Licht auswählt (z.B. mit dem Kerzenständer), als wäre
ihr Leben ein Märchen. [10] 3.5. Die melodramatischen Anti-Helden Oft
hat man Fassbinder mit Balzac verglichen. Nicht nur wegen seiner furchtbaren
Werke, sondern auch wegen der vielen Figuren, die er inszeniert hat. Die
Neureichen (Lola), die Aristokraten (Effie Briest), die
Bourgeois (Martha, Petra von Kant), die Kleinbürger (Händler der 4
Jahreszeiten)...: er hat sich mit so viele verschiedenen
gesellschaftlichen und beruflichen Gruppen beschäftigt, dass man seine
Figuren eine „Comédie Humaine“ nannte. Trotzt
der Vielfalt dieser Figuren, enthalten sie eigene ähnliche Eigenschaften.
Diese Eigenschaften finden wir auch in der BRD-Trilogie; wenn Fassbinder von
der Vergangenheit erzählt, erzählt er noch mehr von der Gegenwart. Auffällig ist die größte Gemeinsamkeit von
Fassbinders Figuren, ihre Schwierigkeiten zu leben. Sie kennzeichnen sich oft
mit einer Neigung zum Suizid. Veronika Voss endet mit dem Suizid der Heldin,
und Maria Braun mit der (absichtlich) Explosion des Hauses [11] .
Das sind zwar extreme Beispiele, aber diese Selbstzerstörung äußert sich
durch Alkohol: in all seinen Filmen halten (oder eher klammen) die Figuren
ihre Flasche fest. Das ist nicht trivial, sondern eine echte Notwendigkeit um
ihr Leben zu ertragen. Für
einen Regisseur der siebziger Jahre ist es markant, dass er nicht die Drogen,
sondern den Alkohol erwähnt. Für Fassbinder scheint die Droge ein falsches
Problem zu sein. Deswegen lehnt er ihren Kult ab. Diese
Leiden, diese Schwierigkeit zu leben, können die Aggressivität von den
meisten der Figuren Fassbinders erklären. Alle seine Figuren enthalten eine
kalte Gewalt in sich selbst, die eher als Ausdruck ihrer Schwäche gilt.
Auffällig ist die Tatsache, dass Fassbinder nie von der Schwierigkeit zu
leben gesprochen hat, sondern von der Schwierigkeit ein Deutscher zu sein. Aber seit den
siebziger Jahren sind die Superhelden gestorben. Die Sex-Symbole und die
Männlichkeit im Allgemeinen sind lächerlich geworden. Die Zukunft ist
unsicher. So wird die Anti-Sprache zur Sprache und so ist der neue Anti-Held
erschienen. Was diesen Anti-Helden charakterisiert ist nämlich die
Angst und die Selbstzerstörung. Für Christian Enzensberger [12] fängt
es mit einer grundlosen und unerklärbaren Angst an, dann fügt sich ein
undeutliches Schuldgefühl hinu. Zuerst kann man seine Angst nicht verstehen,
und später beginnt er an seinem "Ich" zu zweifeln. So führt diese
Angst zur Selbstzerstörung. Fassbinders Helden entsprechen der Epoche der
Trilogie nicht, sondern sind für ihre Gegenwart typisch. Dennoch genügt es die Figuren in einem Melodrama
zu spielen, damit der Zuschauer sie nie vollkommen unsympathisch finden kann. [13] Vermutlich hat Fassbinder das selbe Verhältnis zu
seinen Figuren. Keiner ist ganz gut oder ganz böse. Der Regisseur mag die
Nuancen und die Widersprüche. Obwohl er in seinen Filmen zur Moralisierung
neigt, verurteilt er keinen. Zur
Zeit der produktivsten Phase Fassbinders definierte sich das neue Deutschland
nur mit „Wirtschaftswundern“. Die BRD schien eine sehr fragile Demokratie. 1.1. Wie erwähnt er das Deutschland der Vergangenheit? Um
das Deutschland der Vergangenheit zu evozieren, benutzt Fassbinder mehrere
Elemente. Seine Rekonstruktion beruht nicht nur auf der Kleidung und dem
Dekor. Nicht
nur um uns die damaligen Lebensbedingungen, sondern die damalige Mentalität
verstehen zu lassen, macht er den Zuschauer auf die damaligen Medien und
ihren Einfluss aufmerksam. Natürlich handelt es sich nicht um das Fernsehen,
sondern um das Radio, die Zeitung, die Plakate, usw. Das
Radio ist in alle seinen Filmen anwesend. Es gehört nicht zum Dekor nicht. Es
ist nicht in Osmose mit ihm, sondern unterstützt ihn und so schafft eine
bestimmte Stimmung. In Maria Braun, Lola und Veronika Voss,
macht das Radio deutlich zur welchen Zeit die Geschichte sich spielt. Was
den Ton betrifft, benutzt Fassbinder natürlich die Musik auf eine sehr
ironische Weise. Sie bleibt für sich und zerfließt nicht in das ganze hinein
Vor seinem romantischen Termin mit Lola hört Herr von Bohm eine Platte des
Lieds „der rote Fisch“, und dieses bestimmte Lied singt Lola in ihrem
Bordell. In Maria Braun hört man eine Musik, die schon auf kindliche
Weise an Motive der Nazizeit erinnert, "Oh du schöner Westerwald"
mit Xylophon gespielt. Oder als Maria Braun zum Schwarzmarkt geht, um
Kleidung zu kaufen, hören wir auf diesem zerstörten Platz das Lied „Deutschland
über alles“ (auf eine traurige Art und Weise und mit einem Akkordeon
gespielt). Peer Raben war für die Musik fast sämtlicher Fassbinder-Filme
verantwortlich und weiß, dass der Zuschauer "die Musik nicht
ignorieren kann". (z.B. die fröhliche Country-Musik als Veronika
Voss sich umbringt). 1.2. Wie kritisiert er die Gesellschaft? Fassbinder
kritisiert offen das Fortleben des Faschismus. Dies wird sichtbar durch seine
starke Kritik der Amerikanisierung und der Korruption der jungen BRD. In
der ganzen BRD-Trilogie befinden sich amerikanische Soldaten. Wegen des historischen
Kontextes – der Nachkriegszeit – ist es zwar normal, aber diese Soldaten oder
Beamten, Geschäftsmänner, usw. sind keine Statisten. Sie spielen echte
Rollen. Fassbinder zeigt wie sie durch ihre Einflusse die Gesellschaft
sozusagen kolonisiert haben. In
seinem Buch Fassbinder vergleicht Elsaener die Bedingung des Manns bei
Fassbinder mit einem Vogelhütte. Das entspricht der folgenden Äußerung des
Regisseurs: « Meine Gangster sind Opfer der Bürgerlichkeit und keine
Rebellen. Die verhalten sich im Prinzip genauso, wie sich der Kapitalismus
und die Bürgerliche Gesellschaft verhalten. » (RWF, 1971). Das ist
was Fassbinders Filme typisch für ihre Zeit macht : anstatt den Kapitalismus
direkt zu verurteilen, kritisiert er seine Wirkungen, indem er zeigt, wie er
sich in jeden Benehmen, jede Reaktion des Alltags eingeführt hat. Besonders
die Liebe gehorcht den Kapitalismusregeln. Fassbinder glaubt nicht mehr an der Liebe, sondern nur an der Liebe als einen Kampf. Es ist zweifellos seine Stilfigur. Auch
in diesem Fall ist ein Vergleich mit Balzac möglich. Geld war eines der
zentralsten Themen seiner Werke : das moderne Leben wurde vom Geld dominiert
und das zeigte er in seinen Romanen. Die marxistische Kritik betrachtete das
als ein Anzeichen des Aufstiegs von Kapitalismus : Geld ist lebenswichtig.
Diese Idee fällt besonders auf in der BRD-Trilogie: Maria Braun muss ihre
Unabhängigkeit kaufen, Herr von Böhm muss Lola wörtlich kaufen ("Ich
will ihre Hure kaufen!") und Veronika Voss – wegen ihrer Drogensucht
– gehört ihren Ärtzen. Aber
diese Logik beherrscht auch viele andere seiner Filmen. In „die bitteren
Tränen der Petra von Kant“ versucht Petra Anna Schygulla bei sich zu
behalten, indem sie ihr alles kauft. In „Faustrecht der Freiheit“, „Angst
essen Seele auf“ oder Fassbinders Episode von „Deutschland im Herbst“
gehorchen die Gefühlen nur der Marktwirtschaft. Fassbinder scheint uns zu sagen: „Ich weiß
nicht, was ein Mensch ist / Ich kenne nur seinen Preis.“ [14] . Aber diese Äußerung macht seine Meinung noch
deutlicher : Bei mir geht es um die Ausbeutbarkeit von
Gefühlen, von wem auch immer sie ausgebeutet werden. Das endet nie. Das
kannst du in immer neuen Variationen erzählen. (RWF. 1980) 1.3. Das FrauenbildWer
von Fassbinders Filmen am meisten profitiert hat, ist die Frau. In der
Mehrheit seiner Filme wurde das Frauenbild ganz verändert. Die Frau ist die
Heldin, das heißt die Hauptrolle vieler Filme : in der ganzen
BRD-Trilogie, aber auch in seinen früheren Filmen wie „die bitteren Tränen
der Petra von Kant“, „Martha“, „Lili Marleen“, „Angst
essen Seele auf“, u.s.w. Und wenn sie nicht die Heldin ist, ist sie die
sinngebende Figur des Films. Jedes Mal, geht sie auf ihr Schicksal zu. Die
Frau ist nicht nur die junge Generation, sie ist das Symbol des Schicksals
der BRD. Eine echte Modernisierung des Geschlechtsverhältnisses hat
stattgefunden. Unter
diesem Aspekt haben Fassbinders Filme einen Vorsprung vor den meisten
westlichen Filmen. Ein großer Kritik in den sechziger Jahren im Westen war
die vollkommene Abwesenheit eines weiblichen Standpunkts im Kino. Das
entsprach Jacques Lacans Äußerung: “ Die Frau kann in der Sprache
nicht repräsentiert sein ”. Ein bisschen früher hatten auch
Regisseure wie Resnais, Truffaut, Antonioni versucht einen weiblichen
Standpunkt zu äußern. Aber es wurde nie so bemerkenswert. In
Frankreich und in Italien kam die Emanzipation der Frau später. Die Frau war
immer ein Bild, das auf ihre physische Erscheinung wurde. Somit hatte sie als
Objekt keinen entscheidenden Einfluss auf den Handlungsverlauf. Es
handelte sich nicht nur um Körper, sondern um Kontrolle. Die
Idee einer engen Beziehung zwischen dem Körper und der Macht entwickelt sich
in den sechziger Jahren. Ohne eine Körperbefreiung kann es keine tiefe
gesellschaftliche Wandlung geben. Diese Gefängnisse des Innern / sind schlimmer als
die tiefsten steinerner Verliese / und solange sie nicht geöffnet werden /
bleibt all euer Aufruhr / nur eine Gefängnisrevolte / die niedergeschlagen
wird / von bestochenen Mitgefangenen. [15] Was die damalige Filmproduktion gestört hat, ist
diese unsichtbare und unbegrenzte Art von Kontrolle, die auf den
Manifestationen des Körpers durchgeführt wird, ähnlich den feinsinnigen
Disziplinarverfahren, die Foucault analysiert hat. Es handelt sich darum, die
massiven und verwirrten Versammlungen zu verhindern, indem man die Individuen
isoliert, indem man die nicht hierarchischen Vertrautheiten und
Kommunikationen bricht, Schranken und Abschirmungen einführt und regelmäßige
Funktionen zähmt. So produziert man “ gemessene und mit
vorhersehbaren Reaktionen zahme Körper ” [16] . 2.1. Künstler in der Gesellschaft Nach
68 entstand die Idee, dass die Kunst gestorben sei. Und wenn sie noch
lebendig ist, handelt es sich um eine bürgerliche Kunst. Niemand glaubt mehr
an den respektierten und engagierten Künstler; man nennt ihn
"Narr". Ist der Künstler zu distanziert, wird ihm sofort
vorgeworfen, unnötig (weil unpolitisch) zu sein. Außerdem
wirft man die Kunst vor, die Masse zu entpolitisieren, anstatt eine
Oppositionsrolle einzunehmen. Man zweifelt auch an der Kultur: Sie wird als
eine korrumpierte und konzeptslose Institution betrachtet. Schlussendlich
misstraut man natürlich den Unterhaltungskünsten, die mit Lügen verglichen
werden. In
diesem kulturellen Kontext (Ablehnung der Gesellschaftsordnung und des
Künstlerischen) fällt es schwer zu sehen, was von einem Künstler erwartet werden,
oder was für eine Rolle er spielen könnte. Andererseits war auch damals die
Repression durch die Polizei stark und in einer politisierten Kunst war es
unmöglich, eine nuancierte Darstellung des Lebens anzubieten. Das Spektakel ist die ununterbrochene Rede, die
die gegenwärtige Ordnung über sich selbst hält, ihr selbstlobender Monolog.
Es ist das Selbstporträt der Macht zur Zeit ihrer totalitären Verwaltung der
Lebensbedingungen. Das fetischistische Aussehen reiner Objektivität in den
spektakulären Beziehungen verheimlicht ihr Beziehungszeichen zwischen Männern
und zwischen Klassen: eine zweite Natur scheint mit ihren
verhängnisvollen Gesetzen unsere Welt zu beherrschen. [17] Was
passiert, wenn sich die Macht dieses Spektakels bemächtigt? Dann muss Kunst
(d.h. auch Film) die gegenwärtige Ordnung darstellen, als wäre sie natürlich.
Das wird ihr Auftrag. Sie sollte die Mechanismen der Ordnung (und ihrer
Ungerechtigkeit) nicht zeigen, und noch weniger daran zweifeln. Dennoch
finden sich die deutschen Regisseure zwischen 1974 und 1984 in einer
besonderen Lage: Sie gehören zur Elite. In ihr nimmt Fassbinder eine
widerspruchsvolle Sonderposition ein. Einerseits hält er an seiner regionalen
Identität fest und hat gleichzeitig eine Leidenschaft für Hollywood. Aber
seine Situation ist außerordentlich: er ist einer der neuen Regisseure der
BRD und trotz der schweren Themen seiner Filme erhält er von seinem Publikum
und von der Kritik Anerkennung. Ist
Fassbinder ein Künstler oder ein Autor? Ein Autor ist er zweifellos, weil er sowohl
inhaltlich als formal sehr persönliche Filme [18] gedreht
hat. Aber im Vergleich mit seinen vorherigen Filmen ist die BRD- Trilogie
sein unpersönlichstes Werk. Trotzdem wirft Fassbinders Fall mehrere Problemen
auf. Zunächst kann man bei diesem Regisseur nicht von einer echten
Entwicklung sprechen, da sein Werk auf Wiederholungen und Rückgriffen beruht.
Dann hat er absichtlich oder unabsichtlich viel Genre (Western, Film noir,
Nouvelle Vague,...) und andere Regisseure (Straub, Chabrol, Visconti,
Franju...) imitiert. Zum Schluss drehte er entweder für Kino oder Fernsehen,
was seine Einstellungen natürlich beeinflussen. Nichtsdestotrotz kann man
seinen letzten Film Querelle als den Anfang einer experimentellen
Phase. Für Herbert Marcuse setzt “ die
Verwirklichung von Kunst als einem Prinzip gesellschaftlicher Rekonstruktion
einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandel voraus. Nicht die
Verschönerung dessen, was ist, steht auf dem Spiel, sondern die totale
Umorientierung des Lebens in einer neuen Gesellschaft. ” [19] Das
ist wahrscheinlich, was von einem Künstler erwartet wurde: Er sollte seinen
potentiellen Einfluss nicht einschränken, sondern die Grenzen zwischen Kunst,
Kultur, Leben und Politik überschreiten. Sein Engagement sollte vollkommen
sein. Dennoch
gehorchen die Medien dem Staat, deswegen stellt man sich die Frage, wie man
die Revolution fortführen könne. Fassbinder hatte einen Weg gefunden, um
dieses Paradox zu schlichten. 2.2. Wie führt man eine Revolution fort? Ende
der siebziger Jahre muss Fassbinders Generation erkennen, dass die Revolution
von 68 gescheitert ist. In Deutschland, sowie in anderen Ländern, versuchen
die Künstler die Revolution wiederzubeleben. Für
Claudine Bouché, die für den Schnitt von Godards und Truffauts Filme
verantwortlich war, hatten beide Regisseure nicht dasselbe Verhältnis zu
ihrem Publikum. Truffaut fühlte sich verantwortlich, wenn einer seiner Filme
nicht erfolgreich war. Er dachte, es war ihm misslungen, das Publikum mit
seiner Geschichte zu fesseln; während es Godard ganz egal war. Wahrscheinlich
ähnelt Fassbinders Verhältnis zum Publikum dem von Truffaut. Zuschauer hat er
immer sehr ernst genommen. Ausserdem
hat der Regisseur immer Godards Filme als unpolitisch betrachtet, insofern
als sie ein zu kleines Publikum ansprachen. Für ihn musste ein Film, der
politisch sein wollte, an ein großes Publikum adressiert sein. Da
seine Filme ein internationales Bild Deutschlands propagieren und er die
Darstellungen der Medien benutzt, können sie als politisch betrachtet werden. Obwohl
Fassbinder immer behauptet hat, dass er Deutschland nur dann als Künstler
kritisieren dürfe, wenn er sich als deutscher Bürger fühle. Er hat auch
selbst gesagt: "Ich werfe keine Bombe, ich mache Filme"
(1979). Das bedeutet, dass er auch auf einer anderen Ebene versucht, die
Revolution zu machen. Film ist seine Waffe. Dennoch
lehnt er die stilistische Rauheit der "Neuen Filme" ab, der von der
Nouvelle Vague beinflusst war, um das Publikum durch die Schönheit eines
berühmten Genres zu verführen. Guy
Debord schlug eine tiefe und kritische Analyse eines wichtigen Grundes vor,
weshalb Unterhaltungskunst – und der Film auch, sofern er dieser dient –
immer zur systematischen Verschönerung der Realität neigt (und weniger zur
„Idealisierung“): Das Spektakel ist die Ideologie par excellence,
weil es in seiner Ganzheit das Sein jedes ideologischen Systems darstellt und
manifestiert: die Verarmung, die Unterdrückung und die Verneinung des
wirklichen Lebens. Das Spektakel ist der materielle « Ausdruck der
Trennung und der Entfernung zwischen dem Menschen und dem Menschen. » [20] Indem Fassbinder alle die Charakteristiken des
Genres [21] übertreibt, macht er sie und
ihre Mechanismen durchschaubar, und zeigt er die Ideologie, auf der seine
Filme (d.h. seine Gesellschaft) beruhen. Und so wird der Kampf der Figuren
innerhalb des Films, zum Kampf in der Gesellschaft. Seine Filmen rufen nach
eine Ausbreitung des Kampffeldes. Laut Peter Schneider “lassen sich zwei
Funktionen für eine revolutionäre Kunst angeben: die agitatorische und die
propagandistische Funktion der Kunst.” [22] Fassbinders
Trilogie entspricht beiden Funktionen. Seine Filme scheinen propagandistisch,
weil sie vor allem versuchen das Publikum zu verführen. Aber er arbeitet auch
agitatorisch, weil er (fast) indirekt, die junge Vergangenheit und die
Gegenwart der BRD stark kritisiert. Ungefähr
zwischen 1974 und 1984 gehören zum ersten Mal die Regisseure der BRD zur
intellektuellen Elite. Aber das Phänomen des "Neuen Films" war sehr
kurz. 1968 war es gestorben. Serge Daney hatte die folgende Konzeption der
Entwicklung dieser Filme folgendermaßen beurteilt: Aber die Anfechtungsbewegungen und alle “ Neuen
Filme ” der Welt müssen in einem dialektischen Verhältnis zu dem stehen,
was sie bestreiten. Andernfalls werden sie zu schnell entwaffnet.
Nach der Euphorie der sechziger Jahre haben sich die bedeutenden Filmemacher
dieser verschiedenen “ Neuen Wellen ”, die alle die französische Nouvelle
Vague gekannt hatten, zehn Jahre später in genormten, verwüsteten oder
unausführbaren Landschaften befunden. [23] Es
ist Fassbinder gelungen, diese Fatalität zu vermeiden und weiter zu kämpfen.
Auffällig ist die Tatsache, dass er einen sehr persönlichen und andersartigen
Weg als den seiner Zeitgenossen gefolgt ist. Einerseits legen Regisseure wie
Godard oder Chris Marker, um die Revolution weiter zu führen, ihre Namen ab
und bringen ihre Filme nur mit Gruppennamen (Dziga Vertov, Medvedkine). Sie
lehnen die klassische Erzählung ab und zerstören sie. Andererseits macht
Fassbinder das genaue Gegenteil. Er lehnt, wie schon zuvor erwähnt, die
Rauheit (Katzelmacher, Liebe ist kälter als der Tod, usw.) und
die Exzessen (Satansbraten, der Müll, die Stadt und der Tod,
usw.) seiner ersten Filme völlig ab und kehrt zu dem reinsten Klassizismus
zurück. Es
sind zwei vollkommen gegensätzliche Verhältnisse. Dennoch illustrieren die
beiden diese utopischen Zeiten, in denen man dachte, man konnte durch die
Kunst die Gesellschaft und die Menschheit retten. Deswegen
bleibt das Werk Fassbinders trotzt seinem Zynismus und seiner Blasiertheit
sehr moralisch.
[1] Marc Vernet: Figures de l'absence de
l'invisible au cinéma, Ed. Cahiers du Cinéma, 1988. [2] Philippe Paraire: le cinéma de Hollywood,
Ed. Bordas, 1995 [3] 1977 dreht er mit Sirk und Filmstudenten der
Münchner Filmhochschule den 30minütigen Film Bourbon Street Blues, in
dem er einen Schriftsteller spielt. [4] Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels,
n°208. [5] Nicole de Mourgue, Le Générique de Film,
Ed. Klincksierk, 1975. [6] Ich möchte darauf hinweisen, dass sich in meinem
Studium Die Sehnsucht der Veronika Voss immer von den zwei anderen
BRD-Film unterscheidet. [7] Außerdem werden Liebe und Sexualität nie differenziert.
[8] Xavier Schwarzenberger (Kameramann): "Was
betrifft die Farben hatte Fassbinder gesagt, wir sollten uns drei Filme
anschauen: The Barefoot Comtessa, Johnny Guitar und Written on the
Wind. So ist Lola entstanden." [9] In dieser Sequenz steht eine Doppelironie:
Veronika ist Drogensüchtig und schaut einen Film an, in dem sie die Rolle
eine Süchtig spielt; andererseits imitiert der Film Veronika Voss den
Heimatfilm und sicher in diesem Genre hat es sich nie um Droge gehandelt.
[10] Mehr als ein kritisches Hommage an dem Heimatfilm
(d.h. dem deutschen Melodrama) ist Veronika Voss eine direkte
Anspielung zu Sunset Boulevard Billy Wilders. [11] In Fassbinders erster Fassung des Drehbuchs
sollten Maria und ihr Mann in einem absichtlichen Autounfall sterben. [12] Christian Enzensberger: Die Verminderung des
Menschens, in Kursbuch 3 / 1965, S. 187-207 [13] Philippe Paraire, Le Cinéma de Hollywood,
Ed. Bordas, 1995. [14] Bertholt Brecht, Lied des Händlers, in
Hundert Gedichte. [15] Peter Weiss. Die Verfolgung und Ermordung Jean
Paul Marats dargestellt durch die Schauspieltruppe des Hospizes zu Charenton
unter Anleitung de Herrn de Sade. In: Peter Weiss : Stücke 1, S. 157. [16] Michel Foucault: Überwachen und Strafen, [17] Debord. Spektakels. N°24. [18] "Er fand ein Sujet für einen Film oft auf
der Straße oder in Zeitungen. Er hat manchmal einen Film gemacht wie eine
Zeitung. Seine Filme waren sehr nah dran an dem, was gerade passierte."
Michael Ballhaus (sein Chef-Kameramann bis Maria Braun). [19] Herbert Marcuse: Zur Lage der Kunst in einer
eindimensionalen Gesellschaft. Aktionen. Happenings und Demonstrationnen
seit 1965. Eine Dokumentation. Visualisiert und herausgegeben von Wolf
Vostell. Reinbeck bei Hamburg 1970. [20] Debord. Spektakels. N°215. [21] Außerdem ergibt sich der Genre im Film aus einer
Industrialisierung der Produktion, d.h. aus einem Aspekt des Kapitalismus. So
kämpft auch Fassbinder gegen das ideologische System, auf dem er beruht.
[22] Peter
Schneider. Die Phantasie im Spätkapitalismus und die Kulturrevolution. In:
Kursbuch 16 / 1969, S.37 [23] Serge Daney: Die Neue Welle überleben, in
Cahiers du Cinéma (N° H-S), 1998. |