Das Kaninchen bin ich
und
Die Ästhetik des Neuen Films
© Benoît
Blanchard 2002 e-mail :
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INHALTSVERZEICHNIS
1. Die technischen Entdeckungen |
1.1. Die neuen Tonbandgeräte |
1.2. Die Innovationen mit dem Bild (Film, Kameras) |
2. Ein Bewusstsein der Filmgeschichte |
2.1. Die Ellipse |
2.2. Der Flashback |
2.3. Der Blick in die Kamera |
1. Kein “ sozialistischer Idealismus ” |
2. Ein neues Verhältnis zwischen Zuschauer und Schauspieler |
2.1. Die neue Rolle des Schauspielers |
2.2. Ein zeitgenössischer Körper |
3. Eine Gesellschaftsordnung in Frage gestellt |
3.1. Spektakel und Macht |
3.2. Eine emanzipierte Frau |
Deutschland
ist immer eines der Länder gewesen, wo die Beziehungen zwischen Film und
Geschichte am stärksten waren. Von Beginn
der fünfziger Jahre an versucht die Partei in der DDR, die Kunst
ideologisch zu verwerten. Die Idee besteht darin, das Volk zu erziehen (u.a.
durch die Künste), damit es später seine Rolle übernehmen kann. Zwar kann die
Bitterfelder Konferenz (1959) als gescheitert betrachtet werden, weil die
Künstler erkennen mussten, dass sie nicht frei arbeiten konnten, sondern
plötzlich auch inhaltlichen und formalen Normen unterworfen wurden. Aber sie
war eine Chance, insofern dass den Künstlern die Perspektive eröffnet wurde,
durch ihr Schaffen Einfluss zu nehmen auf eine ganze Gesellschaft. Und
wahrscheinlich hat diese Perspektive die Regisseure der sechziger Jahre sehr
beeinflusst. Die damalige DDR war in einer außerordentlichen Situation, weil
der Staat nur halb aufgebaut war. Der generelle Optimismus in der
Filmproduktion beweist, dass die neue Generation sich bereit fühlte, seine
Rolle in der Gesellschaft zu übernehmen. Dennoch hat
die Möglichkeit nicht lange gedauert. 1965 werden zwölf DEFA-Filme - unter
denen das Kaninchen bin ich von Kurt Maetzig - zum Schluss des 11.
Plenums des ZK der SED verboten. Das entspricht fast die ganze Produktion.
Dieses Plenum stellt das Ende des gerade geborenen Neuen DDR-Films dar. Diese Periode
war so kurz, dass sie im Ausland oft vergessen wurde, obwohl der DDR-Film
dort immer großes Interesse ausgelöst hatte. Somit wurde er trotz dieses
Interesses nicht zur aus Frankreich kommenden “ Neuen Wellen ”
gezählt, die in den sechziger Jahren in der ganzen Welt entstanden sind. Dennoch war
der Neue Film eine internationale Realität, die von Japan bis zu Polen ging.
Deswegen hatten allein zwischen 1961 und 1965 mehrere Regisseure
wenigstens sechs Episodenfilme zusammen gedreht : Die sieben Hauptsünden
(Dhomme, Molinaro, de Broca, Demy, Godard, Vadim, Chabrol), Liebe mit
Zwanzig (Truffaut, Renzo Rosselilini, Ishihara, Marcel Ophuls, Wajda) RogopaG
(Rossellini, Godard, Pasolini, Gregoretti), Die schönste Betrüge der Welt
(Horikawa, Polanski, Gregoretti, Chabrol, Godard), Die Küsse (Michel,
Tavernier, Hauduroy, Berri, Bitsch), Paris, nach... (Douchet,
Rouch, Pollet, Rohmer, Godard, Chabrol). Erst nach
fast dreißig Jahren werden die damals DEFA-verbotenen Filme wiedergezeigt.
Jetzt könnte man sehen, dass es der DDR-Film eine Entwicklung gegeben hat,
obwohl er von der internationalen Filmproduktion ausgeschlossen war. Diese
Änderungen beruhen vor allem auf technischen Erfindungen, aber auch auf aus
dem Ausland aufgegriffene Erzählverfahren. Neben diesen beiden Aspekten gab
es auch Veränderungen, die der DDR eigen waren. Sie betrafen die
Darstellung der Gesellschaft, insbesondere der Frau. Kurt Maetzigs
Film das Kaninchen bin ich stellt eine gute Veranschaulichung dar,
insofern dass er allen diesen Elementen entspricht. Damit hat er auch ein
neues Genre geschaffen: alle verbotenen Filme wurden
“ Kaninchenfilm ” genannt. Maria, eine
selbstbewusste Ostberliner Abiturientin, darf nicht studieren, weil ihr
Bruder Dieter wegen "staatsfeindlicher Hetze" im Gefängnis sitzt,
also arbeitet sie als Kellnerin. Dann verliebt sie sich nichtsahnend und
heftig in den Richter Paul Deister, der Dieter verurteilt hat. Spät erst
erkennt sie den Opportunismus Deisters, der vor allem an seine Karriere denkt
und dafür sie und die Gesetze missbraucht. Sie wendet sich von dem Geliebten
ab, erduldet Dieters Schläge und beginnt entschieden den eigenen Weg. So verläuft
die Geschichte des Films von Kurt Maetzig. Es soll im
ersten Teil von den technischen und narrativen Änderungen die Rede sein, wo das
Kaninchen bin ich entstanden ist. 1. Die technischen Entdeckungen Ganz anders als man in
der DDR dachte, ist der Realismus im Film ganz künstlich. Um einen normalen
Raum zu bauen, das heißt um einen Realitätseindruck zu schaffen, braucht man
viele künstliche Effekte (viel mehr als in einem unrealistischen Film). Obwohl die
Partei einen gewissen Realismus forderte, hat sie gleichzeitig das Interesse
an der Technik verurteilt, weil es sich nicht auf das Individuum oder den
Inhalt konzentrierte, sondern auf die Technik selbst. 1.1. Die neuen Tonbandgeräte Die
Konzeption einer neuen Ästhetik ist der technischen Entwicklung des Films im
Laufe der sechziger Jahre vorausgegangen und hat sie auch zum Teil bestimmt.
Die Entwicklung des Tons war im allgemeinen in Verzug im Verhältnis mit jener
des Bildes. Und dies ist paradox, so weit dieser Film ein Film der
Genauigkeit des Wortes und des sonoren Universums sein wollte, und er daher
von Anfang an der Echtheit des synchronen Tons bedurfte. (Und es wäre ihm
noch einige Jahre notwendig, um über diesen synchronen Ton praktikabel
zu verfügen.) Von 1959-1960
an hatte sich das 16mm-Format mit technischen Innovationen ausgestattet,
insbesondere mit dem synchronen Ton und mit einer leichten und
tragbaren Ausstattung (wegen des Bedarfs an Leichtigkeit und Geschwindigkeit,
der aus seinem intensiven Gebrauch als Werkzeug für das Fernsehen entstanden
war). Dennoch blieb das Problem des Kabels, das die Kamera und das
Tonbandgerät verband, und erst 1963 wirklich gelöst wurde. Die ersten
Tonbandgeräte “ Nagra ”, die eine synchrone Ergreifung des Tons
außerhalb der Studios und mit einer leichten und beweglichen Apparatur
ermöglichten, erschienen ab 1958, und die KTM-Kamera mit den ersten
integrierten Kamera-Tonbandgerät-Steuern ab 1960. Aber das 35mm-Format
blieb dann das einzige legitimierte Format im professionellen Spielfilm. Der leicht
synchrone Ton (dank dem Nagra und dem Quarzsteuern) erschien gegen 1963-1964,
aber man muss auf die siebziger Jahre warten, um die Ankunft wirklich ausgereifter
Apparate zu sehen : die Arri BL, die erste wirklich leichte und
geräuschlose 35mm-Kamera im Jahre 1972, ein hochentwickeltes Objektiv mit
großer Öffnung, und empfindlicheren Farbfilmen. Der Verzug
des Tons hängt hauptsächlich von der Langsamkeit der Entwicklung der
35mm-Kameras ab (und von ihrer Synchronisierung am Tonbandgerät), da
das Nagra von 1958 existiert, und die Technik des Steuerns Anfang der
sechziger Jahre. Der Verzug des synchronen Tons ist in der Tat auf eine
Trägheit in der technischen Entwicklung der 35mm Kameras zurückzuführen, die
sich zweifellos durch die Herausforderung des Hauptkinos der vierziger und
fünfziger Jahre erklärt: das Studiokino. Die
“ Änderung ” der Herausforderung, die in diesem Beginn der
sechziger Jahre erscheint, wird mit zehn Jahren Verzug die Entstehung der
Arri BL 35 im Jahre 1972 verursachen, der ersten vollkommen handlichen und
auto-geräuschlosen 35mm-Kamera. Es nicht mehr nötig, ein Gerät von
wenigstens achtzig kg zu haben. Obwohl diese
technischen Entdeckungen noch nicht vollkommen sind, wirken sie
selbstverständlich auf die Inszenierung. Diese Erleichterung erlaubt eine
neue Erzählweise. Die Dialoge werden natürlicher und die Regisseure wagen
damit zu spielen. In dem Film das Kaninchen... sieht man es zum
Beispiel in dieser Sequenz, wo Maria und Paul sich verlieben: der
Zuschauer hört nur ein Gespräch (immer dasselbe, das sich entwickelt), aber
er weiß, dass sie sich mehrmals treffen (wegen der verschiedenen Orte, der
Kleidungen, dem Wetter, usw.) Man findet
auch Techniken literarischen Charakters: mehrmals bestreitet Maria
einen “ Dialog allein ”, sie stellt die Fragen und beantwortet sie
allein. Man findet diese Technik auch in der damaligen Poesie und im
Roman (Christa Wolf, Margueritte Duras...). Einige
Kritiker [1] betrachten diese Technik als Erbe
nicht der Literatur, sondern der Musik. Was auf den ersten Blick im Neuen
Film auffällt - ungeachtet der Antworten, der Mittel -, ist ein physisches
und musikalisches Verhältnis mit dem Film, das man wörtlich nehmen muss.
Anders gesagt, die Verbindung von Musik und Film hat sich verstärkt, und zwar
mit einer bestimmten Musik, mit dem Jazz. Die
Bemerkungen Comollis über den Neuen Film zeigen dies: Sein Zögern, seine Standpunktwechsel entsprechen seiner Zeitlichkeit, sie öffnen sich einem Kino, das vor allem musikalisch sein wird, wie im Freejazz. Film scheint sich progressiv zu erfinden und lässt den Eindruck, mehrere andere Entwicklungen zur Verfügung zu haben, wo er in gleicher Weise seine wählt. [2] Kurt Maetzigs
Generation hat den Krieg erlebt und dann den Jazz: Jazz als Konzept. Aber der
Einfluss dieser Musik im Film ist nicht so provokativ wie Volker Brauns
Gedicht „Jazz“. Hier wird die Musik weder gehört noch evoziert. Nur sein
Konzept, wie von Comolli beschrieben, ist gegenwärtig. Der Jazz Konzept
durchdringt den ganzen Film, ganz besonders den Schnitt. Man springt von
einer Szene zu einer anderen, sie wiederholen sich immer in neuen
Variationen. Als das
Kanninchen... verboten wurde, meinte vielleicht die Partei nicht, dass er
“ zu widersprüchlich ” war, sondern “ zu musikalisch ”. 1.2. Die Innovationen mit dem Bild Das
Cinemascope (1953) und die anderen “ großen Formate ” der fünfziger
Jahre sind aus einer Gegenbewegung der Filmindustrie gegen die Invasion des
Fernsehens entstanden. Die großen Gesellschaften haben versucht, das
Publikum zurückzuerobern, die das Fernsehen dem Film weggenommen hatte, indem
es ihm einen breiten Bildschirm, einen stereophonischen Ton und auch das
Relief vorgeschlagen hatte. Das
Cinemascope-Format löste eine echte Begeisterung bei den Regisseuren der
neuen Welle aus. Die sechziger
Jahre waren sicherlich die Periode, wo die Filmindustrie am meisten in die
Technik investiert hat: Erst das Kleid (Konrad Petzold, 1961)
benutzt beide Innovationen. Und 1965 schien ihre Benützung üblich zu werden: Karla
(Hermann Zschoche), Spur der Steine (Jurek Becker), Lots Weib
(Egon Günther), wurden in Cinemascope gedreht und auch Wenn du groß bist,
lieber Adam [3] in Technikolor. Aber wie
diese Äußerung des Produzenten Pierre Braunberger (Direktor von Studios
Billancourt vor dem Krieg) beweist, besteht die echte Neuheit - das heißt der
Bruch - in den neuen hochempfindlichen Filmen: Der Neue Film ist zuerst aus einem technischen Anliegen entstanden. Er hätte nie ohne diese hochempfindlichen Filme existiert, die die Dreharbeit in natürlichen Dekors mit wenig Licht ermöglicht haben. [...] Aber diese Entdeckungen sollten auch ökonomische Konsequenzen haben: den Rückgang der Produktionskosten der Filme von sechzig bis siebzig Prozent. [4] Braunberger
sagt “ sollten ”, weil die Erfahrung leider gezeigt hat, dass die
Dreharbeit in freier Luft genau so teuer war wie im Studio. Es wurde
sowieso am Anfang der sechziger Jahre ungefähr achtzig Prozent eines Films im
Studio gedreht. Aber dann konnten die Regisseur mit leichter Kameras
arbeiten, die auf der Schulter getragen wurden (Arriflex, Cameflex) und mit
hochempfindlichen Filmen (TRI X oder Ilford HPS). Zum selben
Zeitpunkt haben die Regisseure des Neuen Films viel mehr Wagemut für das Bild
als für den Ton gezeigt. Sie haben sich der handlichsten Kamera
bemächtigt, von der sie damals in 35mm verfügen können, der bekannten
Cameflex, die ihre Stelle im winzigsten natürlichen Dekor finden konnte, die
auf der Schulter getragen werden konnte, die in Kamerafährte auf einem
kleinen Wagen oder auf einem Sitz von Behinderten benutzt werden konnte. Die
Regisseure des Neuen Films lernten schnell die damaligen schwarzweiß Filme an
den Grenzen ihrer Möglichkeiten zu gebrauchen. Sie haben eine optimale
Benutzung der Möglichkeiten der neuen schwarzweiß Filme gehabt, deren
Empfindlichkeit erlaubt, unter sehr unsicheren Beleuchtungsbedingungen zu
drehen. Die neuen
Filme empfangen das Licht, die Körper, die Natur. Dank der
Benutzung neuer Floods, die in Richtung der Decke gelenkt wurden, um ein
einheitliches Licht im Raum zu verbreiten, hörten die Schauspieler auf,
Gefangene ihrer "Zeichen" hinsichtlich der Projektoren zu sein. Über die
Schauspieltechnik werde ich später sprechen. In diesem
Zusammenhang könnte man, wie André Labarthe [5] ,
einen Vergleich zwischen dem Neuen Film und den Impressionisten ziehen, die
das Licht entdeckten. Mit den Impressionisten ersetzt das Licht die
Beleuchtung, mit dem Neuen Film ersetzt das natürliche Licht jenes künstliche
Licht der Studios. In der Geschichte der Malerei entspricht das Aufkommen der
Impressionisten dem Verschwinden der Genres, das Porträt, das Stilleben;
ebenso bringt der Neue Film in der Geschichte des Kinos eine neue Freiheit,
und das alte Kino mit seinen traditionellen Genres erschöpft sich. 2. Das Kaninchen... benutzt bestimmte Sprachmittel Erst Ende der
fünfziger Jahre entstand eine provokative Idee: die “ Lehre ” des
Films ist nur in der Inszenierung. Man wird sich
bewusst, dass die Pausen und der Zusammenstoß zwischen den Plänen eine
Aufregung verursachen. Es gab mehr Verkettungen: jede Verbindung
entspricht einem Komma oder einem Strichpunkt, wie ein Interpunktionszeichen
oder eine Atempause. Das
Kaninchen bin ich ist ein
zukunftsfroher Film, der der Filmgeschichte bewusst ist. Er prägt zugleich
diese Geschichte, indem er ihre Techniken so gut wie möglich ausnutzt. 2.1. die Ellipse Eine Technik,
die das Kaninchen... häufig benutzt, ist die Ellipse. Die Ellipse
ist das absichtliche Vergessen von einem Stück der Geschichte, der Zeit oder
irgendwelcher anderen Elemente, die der Autor zum Ziel aus der Erzählung
stellt. Die Ellipse
ist eine der ältesten Mitteln (wenn nicht die älteste) der Erzählung, auch
des Films. Anfang des Jahrhunderts wurde sie von David Griffith fast immer
benutzt. Sie ist seinen Markenzeichen. Sie hat sich sehr oft aus ökonomischen
Gründen heraus ergeben. Aber sie ist besonders interessant und künstlerisch,
wenn sie dem Zuschauer absichtlich etwas wichtiges versteckt. Deswegen ist
die Ellipse immer ein Gegenmittel gegen die Zensur gewesen. Sie erlaubt etwas
zu evozieren, ohne dass man es feststellen könnte. Dieses Mittel
kann eine Frustration auslösen. Sie kann eine Situation verstärken, sie kann
die große Aufregung des Zuschauers verursachen. Ohne Zuschauer gibt es keine
Ellipse: die Ellipse schafft sich einen aufmerksamen Zuschauer: sein Blick
und seine Gedanken müssen die Erzählung organisieren. Andererseits entseht
die Ellipse somit in seiner Aufmerksamkeit. Und dieser
Aspekt ist auch typisch vom "Neuen Film". Das Verhältnis zwischen
dem Zuschauer und dem Film verstärkt sich. “ Erzählzeit
ist kürzer als erzählte Zeit. ”
(Genette). In seinem Film spielt Kurt Maetzig am meisten mit einer bestimmten
Form von Ellipse: der zeitlichen Ellipse. Es gibt dabei verschiedene
Möglichkeiten: die Erzählzeit vergeht sehr schnell (von Marias Jugend bis zur
Gegenwart) wenn Maria sich an ihrer Vergangenheit erinnert, die Erzählzeit
wiederholt sich (während der ununterbrochenen Spaziergänge der Verlobten),
manchmal unterbricht sich die Erzählzeit (als Pauls Frau Anna im Garten
erschießen will). Dieses Spiel mit der Zeit entspricht auch dem
Jazz-Einfluss. Man versteht
die Funktion der Ellipse besser, wenn man sie ihrem genauen Gegenteil
gegenüberstellt. Wie deutlich geworden ist, besteht das Jazz-Konzept in
Variationen und Widersprüche. Dies zeigt
ein Plan-Sequenz ganz am Ende des Films. Eine lange Kameraführung folgt der
Heldin und ermöglicht es dem Zuschauer einen neuen Raum zu entdecken. Im
folgenden Sinn ist der Plan-Sequenz das Gegenteil der Ellipse: Er fügt
eine große Quantität von leerer Zeit und leerem Raum in die Geschichte. Dies
ist auch eine Weise mehr Realität anzubieten. 2.2. Der Flashback Ein weiteres
Mittel, das in das Kaninchen... oft benutzt wird, ist der Flashback.
Es steht mit der zeitlichen Ellipse in Beziehung, insofern diese Technik auch
mit der Zeit zu tun hat. Der Flashback
besteht darin, in der erzählten Zeit zurückzugehen, anderswo hinzugehen, das
Umkippen der Erzählung in eine andere zu bewirken. Wie man sieht, sind die
Filmkunst und die scheinbar beendete Vergangenheit durch organische,
tiefgründige und konfliktuelle Beziehungen verbunden. Man könnte
vermuten, dass der Flashback ein Erbe der Literatur ist, weil er eine so alte
Vorrichtung wie die Literatur selbst ist (schon ein Teil der Odyssee
(Kanten IX bis XII) besteht aus einer langen Rückkehr in der Vergangenheit,
als Odysseus erzählt seinen Freunden seine früheren Abenteuer). Aber während
die Literatur immer ein Vergangenheitseffekt zwischen der Fiktion und der
Erzählung herstellt, ist das Bild in der Tat immer an der Gegenwart. Deswegen
ist der Flashback eines der Mittel, die am öftesten im Film benutzt werden,
um die Illusion einer Reise in der Vergangenheit zu schaffen. In das
Kaninchen... erinnert sich Anna auf dieser Weise an ihrer Jugend. Die
Kamera kommt ihr Gesicht näher, bis ihre Augen, und dann fängt sie an, ihre
Erinnerung zu erzählen (ihr kurzes Verhältnis mit ihrem Professor). Der Flashback
stellt den inneren Monolog genau so soviel wie den Traum, die Erinnerung oder
das Trauma dar. Es sind innere Vorgänge, die sich die Gegenwart umleiten, und
umgestalten. Sie zeigen ihre Unzugänglichkeit, die so undurchsichtig geworden
ist, wie jene der Vergangenheit. Der Flashback
wird immer mit einem sicheren Wahrheitswert ausgestattet (laut Marc Vernet) [6] .
In den Filmen über Psychoanalyse, wo Flashback das ununterdrückbare
Auftauchen der Wahrheit darstellt, ist es besonders auffällig. Handelt es
sich um eine Zeugenaussage oder um eine einfache Erinnerung, wird der Teil im
Flashback immer als “ wahrer ” gegeben, wesentlicher an der
Erzählung als der Teil “ an der Gegenwart ”. Erzählen und
sagen sind die zwei wesentlichen Dimensionen des Flashbacks. Durch ein
subjektives Konzept kündigt es der Gegenwart an, dass die Vergangenheit
beendet ist, aber in ihr enthalten wird. Und er kündigt zugleich an, dass es
möglich ist, sich sie vorzustellen, als wäre sie eine Schlange, die sich den
Schwanz beißt. Der Flashback würde darin bestehen, eine Schleife als
Kunstgriff der Inszenierung des Gedächtnisses zu schaffen. Schleife wäre
ein angepassteres Wort, weniger unbegründet als Rückkehr. Der Flashback
erlaubt, die chronologischen Gelenke zu verschieben, den Absatz der Zeit zu
verdichten, ihre Krümmungen durchzupausen, indem es am schwarzen entnimmt,
was für den Zuschauer optisch unsichtbar ist: eine der erklärende oder
poetische Entwicklung der Fiktion. Dennoch stört der Flashback, um besser zu
beruhigen. Es ist ebenfalls ein sicheres Mittel, zur Gegenwart
zurückzukommen müssen, eine Garantie der Fortsetzung der Erzählung. Aber unter
dieser Berücksichtigung kann man sich fragen, in welcher Zeit das
Kaninchen... stattfindet. Das Bild scheint immer Verzug zu haben, im
Verhältnis mit der Off-Stimme der Hauptfigur. Marias Stimme stellt die
Kontinuität zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart dar, aber sie
beherrscht immer die Erzählungszeit. Sie ist immer “ außer dem
Film ”, als wüsste sie schon alles. Deswegen stellt ihre Stimme eine
Undeutlichkeit zwischen aller Zeit her. Der Zuschauer erwartet immer eine
Veränderung von Periode (zurück oder vorwärts). Mit das Kaninchen
bringt das Flashback keine Beruhigung, sondern eine diskrete Unversicherung. Diese
zeitliche Unruhe, die auch sicherlich des Jazz-Konzepts eigen ist, betont,
dass die Zeit die Hauptfigur des Neuen Films. 2.3. der Blick in Kamera Der Blick in
die Kamera war die Stildarstellung des Neuen Films. Den Zuschauer
anschauen ist viel stärker als die Ellipse benutzen. Das bedeutet ihn interpellieren. Der erste
Blick in die Kamera geht an Bergmanns Monika hinauf (1952) wo seine
Schauspielerin Harriet Andersson während etwa dreißig Sekunden die Kamera
fest anschaut. Dieser ganz direkte, schamlose und provokative Blick ist die
erste Handlung einer Interpellierung des Zuschauers, eines direkten Dialogs
mit ihm. Er ist zweifellos die Stilfigur, die die wichtigste Abstammung
in der Kunstgeschichte erlebt hat. Dieser
Plan-Blick hat zwei Tabus gebrochen und die kreative Natur des Kinos
enthüllt: das Tabu der Inszenierung, die wollte, dass die
Schauspielerleitung jeden freiwilligen Blick in Richtung der Kamera streng
verbot. Dieses heilige Objektiv blieb immer in der Distanz von Geschichte wie
von Körper. Zugleich hat er das Tabus der Stelle des immer vor dem Film
gelassenen Zuschauers gebrochen, der in Identifikations- aber nicht
Teilnahmelage war und kein Verhältnis mit den Körpern oder mögliche Dialogen
mit den Zuschauern hatte. In das
Kaninchen... fängt der Film fast plötzlich an, mit einem Kamera-Blick
Marias. Sie wendet sich sofort an den Zuschauer. Sie erzählt ihm ihre
Geschichte; nur der Zuschauer kann sie verurteilen. Diese neuen
Weisen (die Off-Stimme und der Kamera-Blick) sich einen aufmerksamen
Zuschauer zu schaffen, ist der neuen Erzähltechnik Nachdenken über Christa
T (1968) sehr ähnlich. Indem Kurt Maetzig wie Christa Wolf den
Zuschauer/Leser interpellieren, zwingen sie ihn zu überlegen, sich auf sich
selbst zu konzentrieren. Diese Werken wirken wie einen Spiegel, wie eine
Autokritik des Erzählers und seiner Gesellschaft. Es handelt sich um eine
Rückkehr nach einer neuen Subjektivität, um die Schwierigkeit
“ ich ” zu sagen. Mit das
Kaninchen bin ich scheint es, dass Film für einmal der Vorgänger der
Literatur war. Die Nächste
DEFA-ästhetische Revolution kam nur in den siebziger Jahren durch eine
außergewöhnliche Körperlichkeit (Paul und Paula, 1973 ; Solo
Sunny, Konrad Wolf, 1979). Es soll im
zweiten Teil von der neuen objektiveren Darstellung der Gesellschaft die Rede
sein, die das Kaninchen anbietet. Die
Bitterfelder Konferenz stellt die erste offizielle Manifestation des Versuchs
der Partei dar, einen direkten Einfluss auf die Kunst zu gewinnen,
insofern dass Walter Ulbricht die Schriftsteller und die Künstler
aufforderte, “dass sie durch ihre künstlerischen Leistungen die Menschen
begeistern, und dadurch mithelfen, das Tempo der Entwicklungen zu
beschleunigen und vorwärtszubringen.” [7] 1. kein “ sozialistischer Idealismus ” Nach dem
„Bitterfelder Weg“ wussten die Künstler (das heißt die Regisseure auch), dass
sie in Themenwahl wie in Experimenten eingeschränkt waren. Ihre Arbeit musste
den Kriterien des sozialistischen Realismus entsprechen, der “ vom
Künstler eine wahrheitsgetreue, historisch-konkrete Darstellung der
Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung ” [8] forderte. Da einige
dieser Forderungen die Darstellung des sozialen Kampfes um Fortschritt und
die Übereinstimmung mit Weltanschauung des Kommunismus waren, ist es ziemlich
überraschend, dass das Kaninchen... produziert wurde. Dennoch hat
der Film optimistische Seiten, insbesondere wegen dieser langen und
musikalischen Kamerafahrt am Ende. Trotz aller ihrer Unglücke geht Maria los,
illusionslos und zukunftsfroh. « Denn die Besiegten von heute sind die
Sieger von morgen » [9] , scheint sie uns zu sagen. Nichtsdestotrotz
wurde der Film als “ skeptisch, nihilistisch, fast
anarchistisch ” [10] vorgeworfen. Das Kaninchen...
kritisiert offen den Opportunismus und den Zynismus einiger DDR-Bürger und
bricht verschiedene Tabus: vier Jahre später erwähnt er noch das Problem der
Mauer (durch Dieter), er inszeniert ein DDR-Kleinbürgertum (Paul und seine
Wochenende am Meer) und zweifelt an der Chance von sozialem Aufstieg (Was
wird Maria machen, wenn sie nicht weiter studieren kann?). Wahrscheinlich
hatte Kurt Maetzig, wie die « jungen Lyriker », den Begriff des
Sozialistischen Realismus ernst genommen, indem sie ihn neu formulieren und
sich der konkreten Realität in der sozialistischen Gesellschaft zuwenden. Man
versteht diesen Vergleich besser, mit der Liebe von Maria für Paul, die einen
Double-bind illustriert, das in der „Lyrik-Welle“ erschien: der typische
Generationskonflikt Sohn / Vater wurde von einem schwächeren Konflikt
zwischen Jugend und Funktionären ersetzt. Maria symbolisiert die junge
Generation, die trotz ihrer Liebe für die Macht (den Beamten Paul) sie nicht
verstehen kann. In der Tat
stellten die meisten der damaligen Filmproduktionen diesen Double-bind dar. Karla
idealisiert ihren Auftrag als Lehrerin und stößt sich an der Administration.
In Denk bloß nicht, ich heule wird der Double-bind noch deutlicher in
Szene gesetzt: der Held Peter kämpft gegen die ganze Gesellschaftsordnung,
aber als sein Direktor geschlagen wird, verweigert sich Peter daran
teilzunehmen (und hilft dem Direktor, obwohl er ihn hasst) ; er sucht seine
Identität bei den alten Genossen. Im selben Film ist der Konflikt zwischen
Anna und ihrem Vater ist dasselbe Problem. In Lots Weib ist die Heldin
Opfer einer Ungerechtigkeit, aber sie bleibt trotzdem hoffnungsvoll in ihrer
Zukunft und verwirklicht ihre Treue durch ihre Arbeit (den Sport). Der Konflikt
zwischen der jungen und der alten Generation wird immer im Film dargestellt.
Unverständnis, Misstreue und unmögliche Liebe sind die zentralen Themen
dieser Filme. Sie sind die Wiederspiegelung einer Generation, die ihre
Identität und ihre Lust zu harmonisieren versucht. Das
Kaninchen bin ich ist aber
stärker, insofern dass er nicht nur einen Double-bind inszeniert. Maria kann
nicht einfach entweder (Paul) oder (Dieter) auswählen. Sie wird immer etwas
verlieren. Und wegen diesem Dilemma lehnt sie schließlich alles ab, und geht
ihren eigenen Weg. Laut Peter
Schneider “ lassen sich zwei Funktionen für eine revolutionäre Kunst
angeben: die agitatorische und die propagandistische Funktion der
Kunst. ” [11] Das
Kaninchen... entspricht beiden
Funktionen. Kurt Maetzig Film ist propagandistisch, weil er in der
Schlussszene trotzdem sehr optimistisch für die Zukunft der DDR ist. Aber er
ist auch agitatorisch, weil er indirekt, mittels verschiedener narrativer Verfahren (Ellipse und Kameraführung) den “ sozialistischen
Idealismus ” [12] in Zweifel zieht. Guy Debord
schlug eine tiefere und kritischere Analyse eines wichtigen Grundes vor,
weshalb Unterhaltungskunst – und der Film auch, sofern er dieser dient –
immer zur systematischen Verschönerung der Realität neigt (und weniger zur
„Idealisierung“): Das Spektakel ist die Ideologie par excellence, weil es in seiner Ganzheit das Sein jedes ideologischen Systems darstellt und manifestiert: die Verarmung, die Unterdrückung und die Verneinung des wirklichen Lebens. Das Spektakel ist der materielle « Ausdruck der Trennung und der Entfernung zwischen dem Menschen und dem Menschen. » [13] 2. Ein neues Verhältnis zwischen Zuschauer und Schauspieler 2.1. die neue Rolle des Schauspielers Eine der
wichtigsten Änderungen des Neuen Films betraf die Schauspieler. Nicht nur
ihre Schauspieltechnik, sondern auch ihre Rolle. Im Vergleich
mit den anderen so genannten « Neuen Wellen », haben die
DDR-Regisseure nicht immer Anfänger schauspielern lassen, sondern auch schon
berühmte. Also kann man nicht wirklich von einem Bruch in der
Filmproduktion der sechziger Jahre sprechen. Hier handelt es sich eher um
eine Kontinuität. Der
Kamera-Blick war zwar eine Ursache des neuen Verhältnisses zwischen Zuschauer
und Film, aber der Schauspieler spielte auch eine große Rolle darin. Um diese
Änderung einzuführen mussten die Regisseure die « Stars »
loswerden. Laut Edgar Morin hat der Star einen besonderen Status. Er ist « das
Produkt einer Dialektik der Persönlichkeit: ein Schauspieler erlegt seinem
Helden seine Persönlichkeit auf, seine Helden erlegen ihre Persönlichkeit
einem Schauspieler auf; aus dieser Doppelbelichtung entsteht ein gemischtes
Wesen: der Star. » [14] Der berühmte
Schauspieler, der von der Gesellschaft als besonders harmonisch betrachtet
wird, ist ein zusammengesetztes Wesen, das gleichzeitig aus mehreren
Elementen besteht: aus der Wirklichkeit eines Individuums, aus dem von den
Medien gegebenen Bild, aus der Persönlichkeitsgalerie, die er früher
interpretiert hat, und aus der mythischen Dimension, zu der die Sitzung
dieser verschiedenen Elemente führt. So profitiert der Star, was Morin
eine « Überpersonalität » (supersonnalité) nennt. Alle diesen Faktore
behalten eine Distanz zwischen Zuschauern und Schauspielern. Sie verhindern
seine totale Identifikation und überhaupt seine Teilnahme. Dennoch war
ein Kennzeichnen aller Neuen Welle, nur das Leben zu filmen, die
Alltagserfahrung, das Ereignis. Das bedeutet die guten so wie die schlechten
Aspekte zu filmen: die Durchschnittsklassen, den Diebstahl, das sexuale
Elend. In seiner Poetik
behandelt Aristoteles das Problem hinsichtlich der Koexistenz zwischen der
Persönlichkeit und der Intrige (mythos). Für ihn existiert der Mensch
außerhalb seinen Handlungen und Gebärden nicht. Die Intrige ist also für die
Persönlichkeit ausschlaggebend, da es keine Persönlichkeit ohne Geschichte
geben kann. Das heißt, die Persönlichkeit ist die Aktion. Der Neue Film
hat dieses aristotelische Prinzip auf den Kopf gestellt. Unter dieser
Berücksichtigung bleibt das Kaninchen... sehr klassisch (weil er sehr
narrativ bleibt) im Vergleich mit dem Rest der Filmproduktion dieses Jahres. Jahrgang
45 (Jürgen Böttcher, 1962) ist vielleicht das extremste Beispiel. Der
Film dieses Fotographen erzählt sozusagen keine Geschichte. Die freien,
unbeständigen und müßigen Schauspieler sehen wirklich natürlich aus. Sie
teilen keine Lehre, keine Moral mit. Sie begnügen sich damit zu existieren.
Die Stadt Berlin ist auch nie so anwesend gewesen. Berlin könnte die
Hauptfigur des Films sein. Was das Verhältnis zwischen Persönlichkeit und
Aktion betrifft, ist meiner Meinung nach ist Jahrgang 45 sicherlich
einer der revolutionärsten (wenn nicht der revolutionärste) DEFA-Film der
sechziger Jahre. In das
Kaninchen... ist es nur die innere Entwicklung Marias, die die Handlung
führt. Die äußeren Ereignisse hängen am meistens von ihren Beschlüssen ab.
Die Persönlichkeit wird nicht mehr auf den Verlauf des Geschehens, auf ein
reines Produkt der Mechanisierung der Erzählung begrenzt. Sie hat eine
unabhängige Existenz; Maria ist stärker als die Notwendigkeit der Fiktion. 2.2. Ein zeitgenössischer Körper Was einen
Film wie das Kaninchen... von der vorherigen Filmproduktion
unterscheidet, ist auch eine neue Körperlichkeit. Die neuen
Beleuchtungstechniken haben eine wichtige Rolle in die Behandlung des Körpers
gespielt. Im Gegensatz zum Handelskino der fünfziger Jahre versuchte (und
schaffte) der Neue Film dem Publikum junge Schauspieler aufzudrängen, die die
traditionelle Schauspieler leicht ersetzten. Aber diese Schauspieler
sind noch « zu schön », ihr Äußeres entspricht den Kriterien des
dekorativen Klassizismus. Am
innovativsten ist das Spiel der Schauspielern, oder eher ihr Mangel an Spiel,
ihre Spontaneität, ihre Art und Weise zu sprechen, zu gehen, zu lächeln... Die Beziehung
zwischen Zuschauer und Schauspieler bleibt nicht entfernt, nicht äußerlich.
Sie sind anwesend. Das ist eine
der Neuheiten des Kaninchen... : der Film kann ohne den Zuschauer
nicht mehr existieren. Der Blick der
Regisseure hat sich geändert. Die neuen Regisseure lernten wortwörtlich zu
sehen. Sie lernten einen Körper zu sehen, einen Blick zu sehen, das
heißt das Sein des Films (ein auf Körper eingestellter Blick, der die Körper
im Raum organisiert). Man musste
zwei Typen von Film unterscheiden : Einerseits war ein Film damit
beschäftigt, Körper zu zeigen (aber indem man sie in einem zwingenden Milieu
von Übereinkommen, von Dekors, von Kleidungen, von Lichtern, von Traditionen
umschloss). Andererseits gab es ein Film mit einem von den schweren
Traditionen endlich befreiten Körper, mit einem endlich zeitgenössischem
Körper. Und an diesem Körper fügt sich ein Blick bei, der es übernimmt
und seine Modernität klagt. Der neue Film war “ ein Film der Körper,
der alle Gedanken mobilisierte ” [15] . Comolli
schlägt in seinem Bemerkungen über den neuen Zuschauer (April 1966)
vor, die Schwierigkeit, die stilistische Rauheit der Neuen Filme zu
akzeptieren, um dem Zweifel eines Blicks anzugehören, und damit zu seiner
Modernität zu gehen. Die Frage des Zuschauers (seiner Verluste) ist nicht, wie man es vermuten könnte, nebenseitige, utopische oder opportunistische: sie ist das Zentrum selbst der Ästhetik des Neuen Kinos. Wenn das Kino der Modernität die Identifikation des Zuschauers am Helden gebrochen hat, war das, um sie durch einen Beitritt zum Film, zum filmischen Vorgang zu ersetzen. Sei es in der revolutionären Trance des Cinema Nuovo, oder jenes Bellocchios, oder im Gegenteil in den verdünnten Bezugspunkten Skolimowskis (Walkover, 1966) Bertoluccis, Straubs. Diese Filme gehören gleichzeitig den Cineasten, den Kritikern und den Zuschauern, und wurden genau von Regisseuren - Zuschauern - Kritikern des Wirklichen gedreht. Dies ist, was
das moderne Kino charakterisiert : der Held des Films ist der Zuschauer, der
Film stellt für den Zuschauer die Lehre dieser undankbaren und zentralen
Rolle dar. Indem sie
sein Zeitalter wiederspiegelt, erlaubt der Neue Film dem Zuschauer sich
auszudrücken, sich zu kennen, sich zu entdecken, zu identifizieren. Wie die
Off-Stimme Marias den Film führt, ebenso hat der Film gelehrt, dass man mit
der ersten Person sprechen konnte. 3. Eine Gesellschaftsordnung in Frage gestellt 3.1. Spektakel und Macht Was diese
Wechselwirkung zwischen Film und Zuschauer vereinfacht, hängt nicht nur von
dem Schauspiel ab, sondern von einer objektiveren Darstellung der
Gesellschaft. Laut Guy
Debord ist "das Spektakel keine Gesamtheit von Bildern, sondern eine
durch Bilder mediatisierte soziale Beziehung zwischen Personen." [16] Mit das
Kaninchen... war das Spektakel nicht zur Dienst der Macht. Zum 11. Plenum
hat die Partei den Regisseur vorgeworfen, dass der Film (wie die ganze
Produktion und die Fernsehindustrie) verantwortlich für Jugendprobleme
(Entpolitisierung, Liebe des Westens...) war, dass er nur die Mängel und die
Fehler zeigte, anstatt zu helfen, und dass er eine falsche Darstellung der
Gesellschaft anbot. Vermutlich
hatte Maetzig vergessen, dass es unmöglich war, in einer politisierten Kunst
eine nuancierte Darstellung des Lebens anzubieten. Das Spektakel ist die ununterbrochene Rede, die die gegenwärtige Ordnung über sich selbst hält, ihr selbstlobender Monolog. Es ist das Selbstporträt der Macht zur Zeit ihrer totalitären Verwaltung der Lebensbedingungen. Das fetischistische Aussehen reiner Objektivität in den spektakulären Beziehungen verheimlicht ihr Beziehungszeichen zwischen Männern und zwischen Klassen: eine zweite Natur scheint mit ihren verhängnisvollen Gesetzen unsere Welt zu beherrschen. [17] Was passiert,
wenn sich die Macht des Spektakels bemächtigt? Dann muss Film die gegenwärtige
Ordnung darstellen, als wäre sie natürlich. Das wird sein Auftrag. Er sollte
die Mechanismen der Ordnung (und ihrer Ungerechtigkeit) nicht zeigen, und
noch weniger daran zweifeln. Außerdem, auch wenn die technischen Innovationen
einmalig waren, konnten sie sich keine Konkurrenz mit dem Westen leisten (Der
Westen hatte keine High-Tech-Produkte an den Osten verkauft). Deswegen - und
auch aus Tradition - war das Interesse an “ Geschichten ” immer
groß. Von 1957 bis 1967 ging die Zahl der Zuschauern von 316 Millionen auf 57
herunter. Deshalb waren 1965 die Erwartungen des Staats an die Filmemacher
sehr hoch. Viel stand auf dem Spiel. Für Herbert
Marcuse setzt “ die Verwirklichung von Kunst als einem Prinzip
gesellschaftlicher Rekonstruktion einen grundsätzlichen gesellschaftlichen
Wandel voraus. Nicht die Verschönerung dessen, was ist, steht auf dem Spiel,
sondern die totale Umorientierung des Lebens in einer neuen Gesellschaft. ” [18] Wahrscheinlich hatte Kurt Maetzig diese Idee wörtlich
genommen, insofern dass er keine Hierarchie respektiert hat. Mit Spur der
Steine, oder früher mit Beschreibung eines Sommers (Ralf Kirsten,
1962) haben die Filmemacher dasselbe gemacht. Sie wurden auf gleiche Weise
verurteilt. 3.2. Eine emanzipierte Frau Wer von
diesem Konflikt am besten profitiert hat, ist die Frau. In einigen Filmen
wurde das Frauenbild ganz verändert. Die Frau ist die Heldin, das heißt die
Führerin vieler Filme : Karla, Spur der Steine, Lots
Weib, u.a. Und wenn sie nicht die Heldin ist, bringt sie den Sinn des
Films (Anna in Denk bloß nicht, ich heule). Jedes Mal, geht sie
vorwärts, auf ihr Schicksal zu. Die Frau ist nicht nur die junge Generation
(wie Maria), sie ist das Symbol der Zukunft der DDR. Eine echte
Modernisierung des Geschlechtsverhältnisses hat stattgefunden. Unter dieser
Berücksichtigung haben die Ostfilme einen Vorsprung im Vergleich mit den
westlichen. Eine große Kritik in den sechziger Jahren im Westen war die
vollkommene Abwesenheit eines weiblichen Standpunkts im Kino. Das entsprach
Jacques Lacans Äußerung: “ Die Frau kann in der Sprache nicht
repräsentiert sein ”. Zur selben Zeit hatten Regisseure wie Resnais,
Truffaut, Antonioni versucht einen weiblichen Standpunkt zu äußern. Aber es
wurde nie so erfolgreich wie in der DDR. In Frankreich
und in Italien kam die Emanzipation der Frau später. Die Frau war immer
ein Piktogramm, das auf ihren physischen Anschein, auf der Oberfläche ihrer
Haut, auf einer kosmetischen Art Existenz begrenzt war. Sie wurde von den
Zwängen des Wirklichen ausgeschlossen, aber infolgedessen (bösartige Folge)
auch von den produktiven Vorgängen dieses selben Wirklichen. Das Tuch muss
zwar wie in den Hollywood-Filmen die Busen verstecken, die man nicht sehen
könnte, aber andererseits sind die Blicke, die Haltung, das Korn der nackten
Haut, von den jungen Zuschauern unbedingt zeitgenössisch. Indem der Staat es
als “ amerikanische Sex-Propaganda ” verurteilt hatte,
bewies diese Reaktion, dass viel mehr im Spiel war. Es handelte sich nicht
nur um Körper, sondern um Kontrolle. Die Idee
einer engen Beziehung zwischen dem Körper und der Macht entwickelt sich in
den sechziger Jahren. Ohne eine Körperbefreiung kann es keine tiefe
gesellschaftliche Wandlung geben. Diese Gefängnisse des Innern / sind schlimmer als die tiefsten steinerner Verliese / und solange sie nicht geöffnet werden / bleibt all euer Aufruhr / nur eine Gefängnisrevolte / die niedergeschlagen wird / von bestochenen Mitgefangenen. [19] Was die
damalige DDR-Filmproduktion gestört hat, ist diese unsichtbare und
infinitesimale Art von Kontrolle, die auf den Manifestationen des Körpers
durchgeführt wird, ähnlich den feinsinnigen Disziplinarverfahren, die
Foucault analysiert hat. Es handelt sich darum, die massive und verwirrte
Versammlungen zu verhindern, indem man die Individuen isoliert, indem man die
nicht hierarchischen Vertrautheiten und Kommunikationen bricht, Schranken und
Abschirmungen einführt und regelmäßig Funktionen zähmt. So produziert man “ gemessene
und mit vorhersehbaren Reaktionen zahme Körper ”. [20] . 1990 hat die
Ankunft der DEFA verbotenen Filme sehr enttäuscht. Viele haben zuerst nicht
verstanden, warum diese Filme zensiert wurden. Es gab zwar keine
Meisterwerke, aber man darf nicht vergessen, dass die Provokationen oder die
Abwege sich immer in Bezu zu Normen definieren, die von innen pervertiert
werden. Diese Normen der jungen DDR muss man sich vor Augen führen, um das
Verbot bestimmter DEFA-Filme zu verstehen. Außerdem
gehörten die Filmemacher der Intelligenzija nicht, sie hatten nicht so viel
Prestige wie die Schriftsteller. Nach dem Tod der Vorgänger hatte die neue
Generation keine Orientierung oder keine Vorbilder. Also genügten die
direkten Konsequenzen des 11. Plenums (die viel stärker für die Kultur als
die Wirtschaft waren: Änderungen im Kulturministerium und in der ganzen Film-
und Fernsehindustrie), um den Regisseuren ihre Hoffnungen verlieren zu
lassen, sie zu verwirren. Nach der
Wende war die Erwartung so groß, dass man wahrscheinlich seine Objektivität
verloren hat, und vergaß, dass die Kennzeichen des Neuen jungen Films vor
allem in technischen und ästhetischen Innovationen bestand, nicht in
Qualität: die Straße gegen das Studio, die Erzählung in der ersten Person
gegen das unpersönliche und vorhersagbare Drehbuch, das Tageslicht gegen die
Schatten und die Lichter der Projektoren, die unverantwortliche Sorglosigkeit
gegen den traurigen Ernstgeist, die jungen und unbekannten Schauspieler gegen
den gekrönten alten. Aber das
Phänomen des Neuen Films war sehr kurz. 1968 war er gestorben. Damit hatte
die DDR ihre Bitterfelder Gelegenheit endgültig verpasst. Sowieso lässt Serge
Daney erscheinen, was die Zukunft des Neuen DDR-Films hätte sein können: Italien, Brasilien, Quebec, Polen, Japan, die Tschechoslowakei waren die “ Foyers ”, wo die erste Generation der Geschichte von Filmfreunden-Regisseuren geboren wurde. Diese Generation war (absichtlich oder nicht) des Zeitpunkts bewusst, an dem sie sich in die Filmgeschichte einträgt. Diese Strukturen waren von der politischen Macht zu abhängig. Aber die Anfechtungsbewegungen und alle “ Neuen Filme ” der Welt müssen in einem dialektischen Verhältnis zu dem stehen, was sie bestreiten. Andernfalls werden sie zu schnell entwaffnet. Nach der Euphorie der sechziger Jahre haben sich die bedeutenden Filmemacher dieser verschiedenen “ Neuen Wellen ”, die alle die französische Nouvelle Vague gekannt hatten, zehn Jahre später in genormten, verwüsteten oder unausführbaren Landschaften befunden. Mal verhärteten sich die politischen Regimes wieder, die eine Unterbrechung oder eine “ Verschönerung ” erlebt hatten, (z.B. Glauber Rocha in Brasilien oder Skolimowski zu einem Exil aus Polen gezwungen). Mal waren die Filmstrukturen traditionell oder veraltet geblieben (es hatte zur Folge, dass Oshima in Japan, nur internationale Koproduktion suchen konnte). [21] Die DDR
entspricht genau dem ersten Fall: als die Künstler hoffnungsvoll waren, hat
sich die politische Macht plötzlich verhärtet und diese Begeisterungswelle
kastriert. Hoffentlich
wird die neue Projektion dieser verbotenen Filme und das Interesse, die sie
auslösen, diesen Filmen eine neue Chance geben. · Elsaesser, Thomas : Der Neue Deutsche Film.
Von den Anfängen bis zu den neunziger Jahren. München 1994 · Corrigan, Thimothy : New German Film. The Displaced Image. Boomington 1994 · Pflaum, Hans Günther ; Prinzler, Hans Helmut : Film in der Bundesrepublik Deutschland. Der neue deutsche Film von den Anfängen bis zur Gegenwart. Mit einem Exkurs über das Kino der DDR. Ein Handbuch. München, 1992. · Adge Günther (Hg) : Kahlschalg - das 11 Plenum der SED. Studien und Dokumente, 2. erw. Auflg. Berlin, 2000. · Mückenberger, Christiane (Hg) : Prädikat : besonders schädlich, Filmtexte ; Henschel Verlag. Berlin, 1990. · Richter, Erika : Zwischen Mauerbau und Kahlschlag 1961-1965 In : Ralf Schenk (Red) Das zweite Leben der Filmstadt Babelsberg, DEFA Spielfilme 1946-92. Berlin, 1994. · Foucault, Michel : Überwachen und Strafen - die Geburt des Gefängnisses (1975). Suhrkamp Taschenbücher, 1994. · Foucault, Michel : Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit. 2000, Merve. · Debord, Guy : Die Gesellschaft des Spektakels - und andere Texte (1967). Bitterman Edition Tiamat, 1996. · Daney, Serge : Von der Welt im Bild- Augenzeugenberichte eines Cinephilen. 2000, Vorwerk 8, Hsrg. v. Christa Blümlinger · Deleuze, Gilles : Das Bewegungs-Bild, Kino 1 (1983) und Das Zeit-Bild, Kino 2 (1985). 1999, Suhrkamp Taschenbücher · Mouellic Gilles : Jazz et Cinéma. Hrsg Cahiers du Cinéma. Paris, 2000. · Morin, Edgar : Die Stars. Paris, 1972.
[1]
Siehe Jazz & Cinéma von Gilles
Mouellic. [2]
Comolli, Bemerkungen über den neuen Film,
in 1965. [3]
Sein Verbot und seine Beschädigung machen seine
neue Aufführung noch interessanter : die Einleitung (ähnlich dem Film
Godards die Verachtung, 1964) und die verlorenen Sequenzen, die mit
Drehbuchauszügen ersetzt wurden, machen seine Selbst-Distanzierung noch
stärker. [4] Charles Tesson : La Nouvelle Vague en question, In. Cahiers
du Cinéma hors-série, 1998. [5] Tesson : Vague. Ebd. [6] Marc Vernet. Figures de l’absence de l’invisible au cinéma. Hsrg.
Cahiers du Cinéma, 1998. [7] Walter
Ulbricht. Schlussreferat zur Bitterfelder Konferenz, 1959 [8] Definition
des 1. Sowjetischen Schriftsteller Kongresses 1934 (in DDR wird diese
Definition im Wesentlichen übernommen) [9] Bertold
Brecht. Lob der Dialektik (1940) in Hundert Gedichte. [10]
Erich Honecker. Bericht des Politbüros an die 11.
Tagung des Zentralkomitees der SED, 15-18.12.1965. S.243 [11] Peter
Schneider. Die Phantasie im Spätkapitalismus und die Kulturrevolution.In:
Kursbuch 16 / 1969, S.37 [12] Peter
Hacks. Die Sorgen und die Macht. 1962. [13] Guy Debord. Die
Gesellschaft des Spektakels. N°215. 1996, Bitterman Edition Tiamat [14]
Edgar Morin. Die Stars. 1972, Paris. [15]
Gilles Deleuze. Das Zeit-Bild, Kino 2.
1999, Suhrkamp. [16] Debord. Spektakels.
N°4. [17]
Debord. Spektakels. N°24. [18] Herbert
Marcuse. Zur Lage der Kunst in einer eindimensionalen Gesellschaft. Aktionen.
Happenings und Demonstrationnen seit 1965. Eine Dokumentation. Visualisiert
und herausgegeben von Wolf Vostell. Reinbeck bei Hamburg 1970. [19] Peter
Weiss. Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die
Schauspieltruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung de Herrn de Sade.
In: Peter Weiss : Stücke 1, S. 157. [20] Michel
Foucault: Überwachen und Strafen, [21]
Serge Daney, Die Neue Welle überleben, in
Von der Welt im Bild. 2000. |