◀︎ Twitter

#Landesverrat

Tweetmetrics zum Hashtag #Landesverrat am Vormittag des 31. Juli 2015

Am 30. Juli 2015 wurde bekannt, dass der Generalbundesanwalt Harald Range im Zusammenhang mit dem Tatvorwurf des Landesverrates (§ 94 StGB) ein Ermittlungsverfahren gegen den Journalisten Andre Meister, den Blogbetreiber Markus Beckedahl sowie gegen Unbekannt einleitete. Dieser Schritt führte erwartungsgemäß zu einem außerordentlichen Medienecho und intensiven Aktivitäten von Nutzer_innen des Microbloggingdienstes Twitter. Als verbindendes Hashtag etablierte sich schnell #landesverrat.

Da sich über Twitter vermittelte Kommunikationen für begleitende Diskurs- und Kulturanalysen sehr anbieten, haben wir beschlossen, dieses Kommunikationsgeschehen als exemplarisch für eine experimentelle Annäherung an die Möglichkeiten der Twitter-Analyse zu nutzen. Dafür sicherten wir einen Datenbestand von 20.000 Tweets, die am 31.07.2015 zwischen 9.30 und 15.30 mit dem Hashtag #landesverrat abgesetzt wurden.

Wir werden diese Daten im Laufe der Zeit als Basis für Visualisierungen heranziehen. Exemplarisch haben wir genannte Akteure (oft direkt als Account adressiert) einige Konzepte und, vielleicht am interessantesten, erwähnte und ebenfalls oft direkt adressierte Medien nach der Häufigkeit der Nennung im benannten Zeitraum relationiert.

Generell fällt am Datenbestand auf, dass ein Großteil des Tweet-Aufkommens (> 70%) aus direkten Retweets besteht. Um den Aussagewert der Messergebnisse sinnvoll einschätzen zu können, wäre es entsprechend angebracht, das kommunikative Geschehen selbst tiefer zu analysieren, also u.a. die Popularität einzelner Tweets auszumessen.

Tweets von 9:30 - 15:30

Landesverrat Heiko Maas Hans-Georg Maaßen Harald Range

Bei der Auswertung der Tweets in Bezug zu den drei neben Hauptprotagonisten neben dem Blog netzpolitik.org fällt besonders auf, dass der zu diesem Zeitpunkt amtierende Generalbundesanwalt Harald Range zu einem vergleichsweise späten Zeitraum sehr viele Nennungen erhält. Dies hängt mutmaßlich mit einem außerordentlich oft verbreiteten Tweet Sascha Lobos, in dem Range erwähnt wird, zusammen.

Eine weiterführende Analyse müsste solche Effekte identifizieren und diskutieren, wie dieses Aufkommen qualitativ zu interpretieren sei. Die Erwähnung Harald Ranges ist nur ein Teilaspekt des Tweets von Sascha Lobo und vermutlich nicht die Hauptmotivation für die zahlreichen Retweets. Vielmehr dürfte die prognostische - und im Sinne vieler am Twitter-Diskurs Teilnehmenden auch gewünschte - Einschätzung zum Verfahren in der Kombination der verschiedenen Aspekte von der Verfahrenseinstellung bis zu den Auswirkungen auf die Beliebtheit der Parteien ausschlaggebend sein. Hier zeigt sich eine Herausforderung von Twitter-Analysen sehr deutlich: die quantitativen Aussagen über den Gesamtdatenbestand benötigen häufig eine interpretatorische Detailanalyse auf Tweet-Ebene um sinnvoll deutbar zu werden.

Personen, Institutionen und Parteien

Betrachtet man die Personen, die neben den direkten Protagonisten eine Rolle spielen, so fällt auf, dass der CDU-Politik Jens Koeppen erstaunlicherweise noch öfter erwähnt wird, als der Netzpolitik.org-Begründer Markus Beckedahl. Dies ist fast ausschließlich auf zwei Tweets zurückzuführen, in denen der Bundestagsabgeordnete mutmaßlich die Gleichstellung des Blogs Netzpolitik.org mit etablierten Presseorganen und damit die Reichweite der Pressefreiheit in diesem Fall hinterfragt.

Weiterhin fällt auf, dass im Twitter-Diskurs zu Debatte die Bundeskanzlerin Angela Merkel relativ häufig als „Mutti“ adressiert wird. (vgl. zu diesem Phänomen auch Hugo Müller-Vogg: Thema Mutti ist die Beste. Cicero.de, 20.09.2013)

Politische Begriffe, Netzvokabular, Länder

Die Auswertung zu Konzepten, also politischen Begriffen und zum Netzvokabular, zeigt die Grenzen der Twitter-Kommunikation. Neben dem Schlagwort Landesverrat, Tweet-Adressierungen und Short-URLs zu externen Webseiten ermöglicht es die Zeichenbegrenzung des Kurznachrichtendienstes kaum, komplexere Aussagen zu formulieren. Insofern findet sich hier ein wenig vielfältiges Vokabular.

Die Dominanz des Schlagworts "Pressefreiheit" überrascht daher keinesfalls. Das Schlagwort "Demonstration" findet sich so gut wie ausschließlich im Zusammenhang mit Veranstaltungen, auf denen gegen den Vorgang und eben für Pressefreiheit demonstriert werden sollte.

Medien

Bei den im Twitter-Diskurs adressierten Medien überraschte uns, in welchem Umfang unmittelbar Bezüge zu eher in der Satire beheimateten Publikationen und Akteuren (extra3, Titanic, heute Show, Jan Böhmermann, Martin Sonneborn) hergestellt wurden. Ebenfalls erwarteten wir nicht unbedingt, dass aus dem Bereich der Tagespresse die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) derart häufiger erwähnt wird als ihre Konkurrenten. Dass dagegen die ZEIT nur eine nachgeordnete Rolle spielt, könnte daran liegen, dass Patrick Beuth als für den Themenbereich offenbar als zuständig eingeschätzter Redakteur dieser Zeitung relativ häufig direkt adressiert wurde. Zugleich erhielt ein Tweet des FAZ-Bloggers Don Alphonso (mit dem Kürzel @faz_donalphonso) sehr viele Retweets.

Es zeigt sich, dass bereits ein vergleichsweise kleiner Datenausschnitt sehr viele Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungen enthält. Um wissenschaftlich belastbare Aussagen treffen zu können, sind jedoch bei Twitter-Diskursen wie diesem eine Reihe von Bereinigungsschritten notwendig. Zudem wären Initial-Tweets, Retweets und Follow-Up-Tweets zu differenzieren und nach ihrer jeweiligen Bedeutung im Diskurs zu gewichten.

In einem weiteren Schritt wäre auch eine detaillierte Analyse der in diesem Diskurs aktiven NutzerInnen von Twitter interessant. So ließe sich beispielsweise über die kombinierte Auswertung der Popularität von Einzeltweets mit der über das Verhältnis von folgenden und gefolgten anderen Accounts abschätzbaren Popularität von Einzelakteuren ermitteln, wer eine besonders einflussreiche Position im vorliegenden Diskursgeschehen übernahm. Dass der Faktor Zeit dabei auch noch in Beziehung gesetzt werden könnte, liegt auf der Hand.

Bei einem Korpus von zwanzigtausend Tweets nehmen allerdings derartige Tiefenanalysen eine Zeit in Anspruch, die uns an dieser Stelle nicht zur Verfügung steht. Wir werden unsere Daten bei Gelegenheit weiter auswerten bzw. in jedem Fall zur Verfügung stellen.

Ben Kaden, Martin Walk, 11.08.2015


Bildrechte:
Demo-Schild #Landesverrat: Markus Winkler, CC BY 2.0
Portrait Heiko Maas: © Raimond Spekking, CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)
Portrait Hans-Georg Maaßen: Bundesministerium des Innern/Sandy Thieme, CC BY-SA 3.0 DE (via Wikimedia Commons)
Portrait Harald Range: www.generalbundesanwalt.de