Fotos sind ein Vehikel zur Erinnerung. Ich merke, wäre ich ohne diese Kiste (mit Bildern) gekommen, wäre das (Interview) vermutlich anders verlaufen. Ich hab mir vorher auch gar nicht so sehr alles durchgeguckt. Schon einmal kurz geguckt, was hab ich da und dann dachte ich, okay, ich find das gut, ich bring das mit. Dann nehme ich mir jetzt diese Bilder raus und gucke sie mir selber nochmals an.
Denn da passiert eben etwas mit der Fotografie. Ich glaube an die Kraft der Fotografie, die liegt genau da drin. Diese Auslöser für Erinnerung. Sie bringt uns wieder dahin, wo das Foto entstanden ist. Weil die Zeit in dem Bild drin steckt.
Die mussten ja diese Gebärde Aids gebärden, während sie aber eine erotische, sexuelle Ausstrahlung hatten, das muss ja auch ein bisschen echt sein, also es war schon so eine Art Stimmung, ich erinnere mich noch, das war ganz schön, irgendwie aufgeheizt, komisch und dann mit dieser Gebärde, aber auch hier oben sehr schön dieser Ausdruck von den Beiden. Ich find es total schön, dass man noch die Gesichter sieht.
...ja und mit der Gebärde “Aids”, das bedeutete noch immer Vorsicht vor Stigmatisierung. Und wer sollte da - ich bin sicher wir wollten eben Gesichter und so, aber wer zeigt sein Gesicht? Und die [Models] waren sowas von weit weg, die hatten dann auch kein problem das Gesicht zu zeigen. Die waren sowieso zwei hetero Hörende - aber das ist jetzt eine Nachinterpretation. Man vergisst viel, dann doch.”
“Und da haben wir (zeigt alte AIDS-Broschüre) hier: ‘heutiger Wissensstand’. Wir mussten uns alle Broschüren angucken und dann dort rausnehmen, was wichtig ist. Und diese (Informationen) dann wieder adaptieren. Und so muss man sich das vorstellen (zeigt alte Aids-Broschüre), so sah das aus - ohne ein einziges Bild. Eine absolute Bleiwüste.”
– Barbara Stauss
“Ich glaub das war der Anfang der Aids Hilfe in Berlin, damals hieß es, glaube ich, noch Berliner AIDS-Hilfe, also ganz frisch in Berlin, aber auch Deutschlandweit - die Frage war, wie man in ganz Deutschland Aufklärung betreiben kann. Gunter und wir als Team überlegten dann wie man diese Infos auch im Verein präsentieren könnte. Ralf König, ein Hörender, hatte diese Comics gemalt. Es gab dann eine Version mit Bildern, Text und Gebärden. Das war toll und hat sich rasend schnell verbreitet. Nach einiger Zeit bekam die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) davon mit und ihr Interesse war geweckt.”
– Sebastian Büchner
“Da gab es bei der deutschen AIDS-Hilfe Broschüren, beziehungsweise kleinere, da kann man kaum Broschüre zu sagen, von Ralf König. Das waren Comics und da war schon was für Gehörlose dabei, für schwule Gehörlose. Also als Comic, allerdings natürlich wenig Information.”
– Rainer Schilling
„Ich war früher Vorstand des Vereins Verkehrte 85 , der 1985 gegründet wurde. Er war für schwule und lesbische Gehörlose.Damals war noch nicht jeder Gehörlose geoutet, sie lebten versteckt, waren vereinzelt. Wir wuchsen stetig an, bekamen mehr Mitglieder. Gunter war auch dabei und förderte die Entwicklung des Vereins.“
– Sebastian Büchner
“Frage: Wie kam es, dass es diese Aufteilung gab von Gunter als Protagonisten der Broschüre und dann noch mal fremde Models? Im Grunde genommen sind das ja so die Sex-Szenen der Broschüre.
Antwort: Das weiß ich nicht mehr so genau. Ich nehme an, dass Gunter da nicht den richtigen durchtrainierten Body dafür hatte, den wir uns vorgestellt hatten. Wir wollten ja ein sexy Cover haben. Ich weiß auch gar nicht mehr genau, wie es genau dazu kam, daran erinnere ich mich nicht. Aber ich kann es immer noch gut nachvollziehen, dass man einerseits sowas wollte und dass dann Gunter durch die Broschüre führt. Also wir wollten ja vielleicht auch, wenn ich mir das jetzt so überlege, dass Gunter nicht in so einer Situation dargestellt wird, weil er musste ja (in der Broschüre) seriös wirken. ”
– Barbara Stauss
“...der Grund, warum wir überhaupt das Geld in die Hand genommen haben, extra eine Broschüre zu machen für einen relativ kleinen Kreis von Leuten; es gab einfach prozentual eine sehr hohe Infektionsrate bei den gehörlosen Schwulen. Und das lag daran, dass sie die gängigen Materialien viel zu kompliziert, zu wissenschaftlich waren. Die wurden gar nicht erst in die Hand genommen. Gunter hat unglaublich viel Aufklärungsarbeit gemacht, indem er wirklich irgendwo hingegangen ist und vor den Leuten gebärdet und denen die Dringlichkeit erklärt hat, wie man sich schützt – aber es kam eben nicht an und deswegen wollten wir etwas machen, was die Leute Lust hatten, in die Hand zu nehmen. Das war ganz wichtig”
– Barbara Stauss
“Es gab da ein Frühstück, immer montags mit HIV Infizierten, die sich zum Essen und Austauschen trafen. Das war aber nicht öffentlich, sondern im kleinen Kreis. Dort kam die Idee der Broschüre mit Fotos auf. Von denen wollte sich aber keine Fotografieren lassen, das war damals immer noch tabu. Gunter hatte dafür vollstes Verständnis, ich auch, das war damals noch eine sehr beklommene Atmosphäre. Die Sicht auf Aids war sehr abschätzig. Gunter akzeptierte also, dass er auf den Bildern zu sehen war”
– Sebastian Büchner
„Alle Bilder sind extra für die Broschüre hergestellt, auch diese einzelnen Finger an der Seite, da kann man immer die Titel (der Kapitel) lesen, die haben wir auch so einzeln abfotografiert, das ist natürlich alles noch auf Film, alles analog gewesen.”Die Filme habe ich selber entwickelt, in der Potsdamer 70 unten unter der Treppe am Eingang hatte ich mein Labor, das war abgedunkelt mit einem Vergrößerer, mit meinen Chemieschalen (-das habe ich dort alles gemacht.)“
– Barbara Stauss
„Ich hab sonst keine Broschüre gemacht, wo ein Protagonist so im Vordergrund stand und das ganze auch durch sich getragen hat. Das war nicht einfach nur ein Mann, der sich für seine schwule Gruppe engagiert hat und was bewirken wollte, der war natürlich auch Künstler“
– Rainer Schilling
„Die Fotografie transportiert hier noch was anderes als das Einzelbild. Es ist wie ein Zeichen oder ein Schriftzeichen oder ein Wort. Und in der Inszenierung liegt noch eine Betonung, würde ich fast sagen. So, wie wenn man spricht. Da betont man eben das eine oder nicht. Man spricht leise oder laut. Das ist wie die Inszenierung, die unterstreicht das vielleicht oder gibt dem einen bestimmten Ton. Oder ist das jetzt deutsch oder englisch, cool, Jugendsprache oder so. Ich glaube das steckt da alles irgendwie drin, obwohl wir das gar nicht so gedacht haben. Es geht also auch um Fotografie und Wahrnehmung“
– Barbara Stauss
„...und eben auch Sebastian damals, der hat auch immer die Texte gelesen, daraufhin, ob sie immer verständlich (für die Gehörlosen) waren. Neben der Gebärdensprache gab es ja die Schriftsprache (in der Broschüre), die wurde aber auch ganz vereinfacht, wir haben darauf geachtet, dass es kurze Sätze sind und wir hatten ein Team um Sebastian herum, das alles immer Korrektur las und zwar auf Verständlichkeit. Wir wollten eben auch, dass es wirklich lesbar war“
– Barbara Stauss
„Der Prozess dieser Entstehung der Broschüre, als sie dann irgendwelche Fotos gemacht haben mit Texten, da habe ich Barbara und Gunter eigentlich kaum gesehen. Sie kamen dann immer mit den neuesten Seiten an und die Rückmeldung aus der Gruppe heraus, das war ja eine Entstehung und gleichzeitig ein Pre-Test der einzelnen Seiten“
– Rainer Schilling
„...die (Models) waren irgendwie nur so halb davon angetan, dass sie da jetzt nackt fotografiert werden sollen, die mussten wirklich nackt auf das Bett – wiederum auf dem Bett unserer WG, eines der WG Zimmer – das war witzig, das war eine Mitbewohnerin, die hatte ein rundes Bett, so ein riesiges, rundes Bett und auf diesem runden Bett hat das stattgefunden.“
– Barbara Stauss
„(…) in der Potsdamer Str. 70, eben da schräg gegenüber (von der Bar Kumpelnest 3000), dort hatten wir einen großen Raum. Ich war ja am Lette Verein, dort wurde ich zur Fotografin ausgebildet und dann hatten wir so Vorrichtungen mit Hintergrundrollen und da haben wir gearbeitet. Wir haben auch andere Sachen fotografiert, aber ich hab da viel gemacht mit Gunter. Und das eine da, die Dinger mit der Toilette, das ist auf meiner WG Toilette.“
– Barbara Stauss
“Wenn man jetzt zweimal (das Wort) “wenig" hatte, dann haben wir zwei Fotos gemacht, wir wollten wirklich immer, wie bei der Sprache, dass man vielleicht einmal undundund sagt, ein andermal sag ich UND. Dann haben ich eben jedes Mal doch ein “anderes" Wort (fotografiert). Wir haben dann vielleicht auch mal ein close up gemacht, damit es dann noch mal betont wird. Wir haben also wirklich versucht solche Betonungen auch zu visualisieren, aber jetzt gar nicht mit so einem großen theoretischen Hintergrund, das ist wirklich im Moment und spontan gewesen…"
– Barbara Stauss
“...er (Gunter) hat es auch geliebt, sich zu verkleiden, da haben wir immer mit gearbeitet, er trat oft als Frau auf, dann irgendwie als Spießer, also er hat vielleicht auch immer etwas plakative Charaktere gespielt, das war aber unserer Sache dienlich. Da gab´s auch Perücken..."
– Barbara Stauss
“Ich glaube es ist ein bisschen so gewesen, dass es viel Neid gab gegenüber Gunter. Das wäre für mich eine Erklärung. Es gab immer die Faszination, aber auch Neid. Gunter war vorne weg, hatte hörende Freunde, wurde dann eben auch noch fotografiert, Karl Lagerfeld hat ihn fotografiert, er war Barman..."
– Barbara Stauss
“Als die Broschüre gedruckt war, war Gunter zufrieden, ja. Er hatte die Vorstellung noch ein zweites Projekt zu machen für ALLE. Trotzdem... (überlegt)…schwierige Frage. Die Gehörlosen haben ihn nicht voll akzeptiert, warum das so war, was ihnen nicht gefiel weiß ich nicht, aber sie waren nicht auf einer Wellenlänge mit ihm. Er hatte schon 5 Vorträge gehalten, er hat immer ellenlang Fragen entgegen genommen und beantwortet aber trotzdem gab es Leute, die nicht zufrieden waren, ich kann es mir nicht erklären. Aber Gunter selbst war zufrieden, er hatte sein Wissen weitergegeben..."
– Sebastian Büchner
„...daran erinnere ich mich auch, dass (es lange dauerte), bis die Texte eben so waren, dass Sebastian und diese Gruppe um Sebastian herum, auch zufrieden war. Auch die Größe der Texte, die Typo ist ja relativ groß. Es war eben nicht nur die Länge der Sätze und die Wortwahl, also wir haben hinten ja auch noch ein Glossar, wo nochmal Fachbegriffe übersetzt werden, die vielleicht uns allen klar sind, die wir jetzt gar nicht unbedingt als Fachbegriffe wahrnehmen. Aber auch die Größe der Typo, darauf haben wir auch Wert gelegt. Es wirkt fast ein bisschen plump dadurch, also das hätte man vielleicht sonst anders gemacht, aber das liegt daran, ja, das war Absicht.“
– Barbara Stauss
„...Nicht so eine Behindertenbroschüre zu machen, sondern sowas absolut Selbstbewusstes. Dafür stand Gunter mit seiner ganzen Art.…”
– Barbara Stauss
“Ich kam nicht aus dem Freundeskreis der schwulen Gehörlosen, sondern ich kam aus diesem Kumpelnest (Bar) Freundeskreis, wo wir einfach alle Lust hatten zusammenzuarbeiten. Wo es uns egal war, war das jetzt ein Mann, eine Frau, schwul oder nicht..."
– Barbara Stauss
Herzlichen Dank: Sebastian Büchner für seine freundliche Art und sein wertvolles Hintergrundwissen; Rainer Schilling für das Teilen seiner langjährigen Erfahrung; Christian Peters, für die Zeit für Übersetzung, Austausch und Feedback; Thomas Schützenberger (DAH) für freundliche Unterstützung der Archiv-Recherche; die Betreuer:innen (Prof. Dr. Villwock und Prof. Dr. Rathmann für wertvolle Tips); Dr. Sylvia Wolff für den Ansporn zur BA; Thomas Geißler, für Austausch und Kontextwissen, Andreas Bittner für präzises Feedback; Wille Felix Zante für Feedback und Austausch; Jonas Karpa für zusätzliche Anstöße, Barbara Stauss für alles.
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