"Wo ist denn die Krise?"
Journalist:
Herr Unseld, sind Sie aus allen Wolken gefallen als sie hörten, daß Ihr Mitgesellschafter
Andreas Reinhart seinen 50-Prozent-Anteil am Suhrkamp-Verlag verkaufen loswerden
will?
Unseld:
Ich war überrascht. Herr Reinhart hat es mir nicht selbst mitgeteilt, sondern in einem
Interview verbreitet. Einen Grund für Herrn Reinhart, jetzt zu verkaufen, vermag
ich nicht zu erkennen. Er hat seine Preisvorstellungen genannt, und ich wäre damit
Einverstanden. Wenn Reinhart jetzt verkaufen will, müßten mein Sohn Joachim und ich zustimmen.
Das Problem für den, der die 50 Prozent kaufen würde, wäre ohnehin, daß er keine
Geschäftsführungsbefugnisse hätte... Als sich Peter Suhrkamp 1950 vom Verlag S. Fisher trennte, hat ihm Herrmann Hesse, der ihn zur Verlagsgründung drängte, einiges Kapital
beschafft und auch die Verbindung zur Familie Reinhart nach Winterthur hergestellt.
Da ging es zunächst um ein Darlehen von 50 000 Mark. Nachdem das aufgebraucht war,
hat Peter Reinhart noch einmal 100 000 dazugelegt und gesagt: "Dann gründen wir eine
Firma." So besaß die Familie Reinhart 50 Prozent vom Suhrkamp-Verlag und Suhrkamp
selbst -- mit ebenfalls 150 000 Mark Einlage -- die anderen 50 Prozent. Und er war
alleiniger Komplementär. Nach seinem Tod habe ich diese Rolle übernommen. Von meinem 50prozentigen
Anteil habe ich später meinem Sohn Joachim 20 Prozent geschenkt. Mein ganzes Dichten
und Trachten geht dahin, diesen Verlag unabhängig zu halten. Ich wäre glücklich, wenn ich diese 50 Prozent kaufen könnte. Falls das nicht klappt könnten wir uns einigen,
oder er könnte kündigen. Das letzere ist möglich. Dann würde ein Abfindungspreis
festgelegt werden, und die anderen beiden Gesellschafter müßten den Anteil im Verhältnis ihrer bisherigen Anteile übernehmen.
Die Frage meiner Nachfolge ist noch nicht geregelt. Der Wert meiner Anteile und mein
Privatvermögen sollen in eine Stiftung eingehen. Und sollte ich morgen tot umfallen,
so ist ein Anwalt damit beauftragt, die Siegfried-Unseld-Stiftung zu gründen. Diese
Stiftung würde wie ein Aufsichtsrat handeln. Die Leiter der Verlage werden ihr gegenüber
werantwortlich sein. Als ich den Verlag von Suhrkamp 1959 übernahm, lag der jährliche
Umsatz bei 800 000 Mark, heute bewegt sich die Velagsgruppe -- mit den Verlagen Suhrkamp, Insel und Nomos -- auf 100 Millionen zu. Inzwischen ist das ein äußerst diffiziles
Geschäft geworden, mit sehr viel mehr Aufgaben. Von daher ist es weder sinnvoll noch
möglich, daß ein einzelner allein geschäftsführender Gesellschafter wird. Die Frage meiner Nachfolge ist mir natürlich jede Sekunde gegenwärtig. Im übrigen: Ich bin
ein Leben lang davon ausgegangen, daß mein Sohn mein Nachfolger wird. Das hat sich
leider nicht so ergeben.
Die Stützen des Verlags sind unteranderem Brecht und Hesse. Jetzt bereiten wir den
100. Geburtstag von Bertolt Brecht vor. Es wird praktisch an allen deutschen Theatern
Brecht gespielt. Es gibt Festivals und Fernsehabende. Von Hesse haben wir vergangenen Jahr Monat für Monat 55 000 Exemplare verkauft. Es sind natürlich nicht nur Hesse
und Brecht. Auch von Frisch und Bernhard, von Handke und Martin Walser verkaufen
wir Bücher. Und sie werden übersetzt -- wie auch viele unserer jüngeren Autoren. Es
stimmt ja nicht, daß die deutschsprachige Literatur im Ausland nicht gefragt ist. Im übrigen
haben wir ja auch Beststeller ausländischer Autoren. Ich will gar nicht von Isabel
Allende reden -- auch andere wie Cees Nooteboom und Maria Vargas Llosa haben sich
zu Erfolgsautoren entwickelt.
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