"Wenn Eisenvögel durch die Luft fliegen"

Journalist : Herr Schumann, kaum eine Religion spricht in den westlichen Ländern derzeit so viele Menschen an wie der Buddhismus. Was macht die Lehre des Buddha so attraktiv, warum fasziniert sie gerade heute besonders?

Schumann : "Wenn Eisenvögel durch die Luft fliegen, wird der Buddhismus Richtung Westen wandern und in die fernsten Länder kommen", hat der große Mönch Padmasambhava vor über 1200 Jahren in Tibet gesagt.

Natürlich erklären weder eine erfüllte Vorhersage noch der internationale Flugverkehr oder die Exotik des Ostens dieses Phänomen. Die Gründe dafür sind tiefergehend. Es gibt offensichtlich ein spirituelles Verlangen bei den materiell gesättigten Menschen im Westen. Daß diese Suchenden besonders vom Buddhismus angesprochen werden, liegt unter anderem an der Sanftmut und der Toleranz dieser Religion. Es wurden in ihrem Namen keine Kriegegeführt, keine Menschen auf den Scheiterhaufen geworfen, keine Bücher verbrannt.

Alle Religionen haben hohe ethische Wertmaßstäbe, darin liegen ihre Gemeinsamkeiten. Das darf aber ihre Gegensätze nicht verwischen, nach dem Motto, das gegenwärtig viele als tolerantes Denken ausgeben: im Kern seien alle Religionen identisch.

Das halte ich für Unsinn! Vom Dogma her ist es eben nicht das gleiche: Buddhismus und Christentum etwa sind grundsätzlich unvereinbar. Erzählen Sie mal einem Christen, er solle ohne Gott auskommen. Der Buddha betrachtete metaphysische Spekulationen darüber, wer die Welt geschaffen haben könnte und warum, als reine Zeitverschwendung, sogar als Hindernis bei dem Bemühen um Erlösung. Auch Götter unterliegen den Naturgesetzen und können dem Menschen nicht helfen, er muß sich selbst von Unwissenheit und Leid zu befreien suchen. Und der Buddha leugnet noch etwas anderes, was für jeden Christen fundamental ist: die Existenz einer unsterblichen Seele.

Ziel des Buddhismus ist ja die Erlösung von Wiedergeburt und Leiden. Wir unterscheiden in der Wissenschaft zwischen prophetischen Religionen, die nach außen gekehrt sind und die Welt ändern, den Menschen erziehen wollen - Judaismus, Christentum, Islam -, und auf der anderen Seite mystischen Religionen. Die Mystiker, dazu zählen die Buddhisten, gehen davon aus, daß die Welt einer unbeeinflußbaren Mechanik unterliegt, natürlichen Gesetzen. Der Mystiker weiß, wenn er mit der Welt fertig werden will, muß er sich anpassen, an sich selbst arbeiten, den Verführungen der Welt gegenüber standhaft bleiben. Er blickt nach innen und kehrt manchmal den Ungerechtigkeiten der Welt den Rücken zu - das gebe ich zu.

Die Einsicht, daß die Welt sich im ganzen nicht ändern läßt, veranlaßt viele, sich nach innen zu kehren. Aber eine völlig weltabgewandte Religion wollte der Buddha nie, auch wenn es für viele der heutigen Mode-Buddhisten darauf hinausläuft. Ausgangspunkt des buddhistischen Denkens ist die Erkenntnis, daß nichts beständig ist. Auf der Welt sein heißt, Leiden erfahren zu müssen: durch Altern, Krankheiten, Trennungsschmerz. Dies endet nicht mit dem Tod - im Kreislauf der Wiedergeburten begegnen wir dem Leiden in immer neuen Erscheinungsformen. Tröstlich dabei ist, daß die Wiedergeburten einer durchschaubaren Mechanik folgen: Wer überwiegend Gutes getan hat, darf nach dem Tode auf eine angenehmere Daseinsform hoffen, als Mensch in besserer sozialer stellung oder als ein Gott - was allerdings noch keine Erlösung vom Leiden bedeutet. Schon die gute Absicht beeinflußt die Wiedergeburt qualitativ.




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