Spielberg Ehrung des Filmregisseurs Steven Spielberg

Ansprache des Bundespräsidenten in Berlin

Bundespräsident Roman Herzog hielt anläßlich der Verleihung des Großen Verdienstkreuzes mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an den amerikanischen Filmregisseur Steven Spielberg am 10. September 1998 im Schloß Bellevue in Berlin folgende Ansprache:

Sehr geehrter Herr Spielberg,

Sie tragen einen der ganz großen Namen am Firmament des Films. Mit Ihrer Kunst haben Sie Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen unterhalten, sie in Spannung versetzt und ihnen Freude bereitet. Sie sind ein Künstler, der Bilder zaubert, die in den Köpfen der Menschen hängenbleiben und Teil ihres Denkens und ihrer Weltsicht werden. Ich begrüße Sie heute in Berlin und weiß, daß diese Stadt für Sie ein beson-derer Ort ist. Ein Ort, der unwillkürlich die Erinnerung an die Vergangenheit wachruft und doch zugleich für die Zukunft wichtig ist.

Deutschland verdankt Ihnen ein Werk, das uns mehr gegeben hat, als Sie vielleicht selber ahnen. Ihr Film "Schindlers Liste" zeigt gewiß nur einen winzigen Ausschnitt aus dem Pandämonium des Holocaust, und Sie haben auch gar nicht erst versucht, das Unerklärbare zu erklären. Dafür gelang Ihnen etwas ganz anderes: Sie haben Menschen in ihren Bildern zum Leben erweckt Menschen, die Opfer wurden, aber auch Menschen, die zu Tätern wurden. Und Sie zeigten uns auch einen Menschen, der wie zufällig und bei aller persönlichen Schwäche ein Gerechter wurde.

Über fünfzig Jahre sind seit den Geschehnissen vergangen, und doch steht diese Zeit uns jeden Tag neu vor Augen. Deutschland hat in den Jahren nach dem Krieg versucht, sich der Vergangenheit zu stellen. Das "Nie wieder" wurde zum ungeschriebenen Artikel 1 unserer Verfassung. Und wir haben über fünfzig Jahre hinweg alles in unserer Kraft Stehende getan, um das zu lindern, was mit materiellen Gütern allein nicht wiedergutzumachen ist. Daß es folgenden Generationen möglich wurde, ein gutes, enges Verhältnis zu Israel aufzubauen, ja, daß Präsident Weizman bei seinem Besuch vor einem Jahr Deutschland einen Freund Israels nennen konnte, bleibt für uns von zentraler Wichtigkeit.

Über fünfzig Jahre sind seither vergangen. Wer damals jung war, sieht heute das Ende seiner Lebensspanne vor sich. Bald wird niemand mehr aus eigener Erfahrung vom Ausmaß des menschlichen Leids und des Terrors berichten können. Deswegen brauchen wir die Bilder der Kunst mehr denn je, damit zum Erinnern auch das Verstehen kommt. Denn Verstehen wächst nicht durch Zahlenkolonnen und historische Seminare. Es sind die Bilder, die sich uns einprägen und die uns wachhalten. Es ist das verzerrte Gesicht des Verzweifelten, es sind die Tränen des Kindes, es ist das milde Lächeln des Hoffenden, das versteinerte Antlitz des Menschen im Angesicht des Todes. Wer einmal beobachtet hat, wie ganze Schulklassen beim Anblick von angehäuften Menschenhaaren und Kofferbergen getöteter KZ-Häftlinge in Tränen und Erschütterung ausbrechen, der weiß, was ich damit meine.

Sie, Herr Spielberg, haben überall auf der Welt Aussagen von fast fünfzigtausend Holocaust-Überlebenden gesammelt und auf Videos festgehalten. Dieses Material wird nicht in die Archive wandern. Die Gesichter der letzten Überlebenden und ihre Geschichten werden uns im nächsten Jahrhundert begleiten.

Und je mehr uns die Gegenwart lebendiger Zeitzeugen abhanden kommt, desto wichtiger wird es, andere Formen zu finden, die uns unsere Geschichte sinnlich erfahren lassen. Mit ihrem Film "Schindlers Liste"haben Sie dem Grauen und der Hoffnung Gesichter gegeben. Und Ihr Film hat gezeigt, daß die persönliche Verantwortung des einzelnen niemals erlischt auch nicht in einer Diktatur. Wir müssen keine perfekten Helden sein, aber wir haben die Pflicht zu handeln, selbst wenn es scheint, daß wir mit einem Löffel den Ozean ausschöpfen. "Wer nur einem Menschen das Leben rettet, rettet die ganze Welt." Das ist die Botschaft des zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts an die kommenden Generationen.


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