Rede vor der Deutsch-Norwegischen Handelskammer
Bundespräsident Roman Herzog hielt vor der Deutsch-Norwegischen Handelskammer, der
Deutsch-Norwegischen Gesellschaft und Vertretern des norwegischen öffentlichen Lebens
am 18. Juni 1998 in Oslo folgende Rede:
Herr Lodrup, Herr Bull-Hansen,
Exzellenzen, meine Damen und Herren,
ich bin der Deutsch-Norwegischen Handelskammer und der Deutsch-Norwegischen Gesellschaft
ausgesprochen dankbar für die Gelegenheit, mit Ihnen einige Gedanken über unser zukünftiges
Zusammenleben in Europa auszutauschen. Der rasante Wandel, den wir seit acht Jahren auf unserem Kontinent beobachten, zwingt uns - Deutsche wie Norweger gleichermaßen
- dazu, uns über unseren künftigen Standort und unsere Zielrichtung klar zu werden.
Deutschland ist sich bewußt, daß der Norden Europas für die Europäische Union wie
für die NATO von zentraler Bedeutung ist. Norwegen, obwohl nicht Mitglied der Europäischen
Union, muß dennoch an den Auswirkungen grundlegender Entscheidungen der Europäischen Union interessiert sein, und an der NATO ist es als Mitglied ohnehin maßgeblich
beteiligt. Gemeinsam müssen wir die Chancen der europäischen und transatlantischen
Zukunft ergreifen und ihre Herausforderungen bestehen.
Dazu brauchen wir zunächst einmal Kommunikation, Kooperation, den Austausch von Erfahrungen,
das Lernen voneinander, das Testen zukunftsweisender, oft aber noch unerprobter Ideen.
Nur mit diesen drei Strategien können wir uns gegenseitig stärken. Nur so erschließen wir die Kraftquellen Europas, die von kulturellem Austausch, wirtschaftlicher
Verflechtung und gemeinsamen Sicherheitsbemühungen gespeist
werden. Nur so mobilisieren wir unser gemeinsames europäisches Erbe zum Aufbau der
Zukunft. Nur das gemeinsame Handeln auf der Basis von Freiheit, demokratischer Tradition,
Rechts- und Sozialstaatlichkeit bringt Gewinn für alle.
Wir wissen: Jedes Zusammenleben in Europa bedeutet Offenheit für die Andersartigkeit
des Partners - politisch, wirtschaftlich und kulturell. Die Bereitschaft zum politischen,
wirtschaftlichen und kulturellen Austausch ist daher zugleich die Basis für jegliche Zusammenarbeit und zugleich die Voraussetzung für ihren Erfolg. Die politische
Kultur Europas ist ja nicht nur das Ergebnis nationaler Eigenarten. Sie ist auch
und vor allem -- bei aller Differenziertheit -- ein Teil unserer gemeinsamen europäischen
Kultur.
Norweger und Deutsche haben die richtigen Lehren aus der Vergangenheit gezogen : An
die Stelle des Nebeneinanders oder gar des Gegeneinanders sind, wie gesagt, kultureller
Austausch, wirtschaftliche Verflechtung und Sicherheitspartnerschaft getreten. In
das Verhältnis zwischen Norwegern und Deutschen ist neues Vertrauen zurückgekehrt. Heute
knüpfen wir an die Freundschaft an, die die Beziehungen unserer Länder viele Jahrhunderte
getragen hat. Wir können uns auf die Zukunft als Partner und Freunde konzentrieren, ohne die Vergangenheit je zu vergessen.
Beide Länder sind aufgrund ihres kulturellen Erbes, ihrer geographischen Lage, ihrer
wirtschaftlichen Verflechtung und ihrer demokratischen Strukturen fest in Europa
verankert - ob sie nun institutionell in die Europäische Union eingebunden sind oder
nicht. Norwegens Geschichte ist Teil der europäischen Geschichte. Norwegen endet auch nicht
am Skagerrak, auch wenn politische Affinitäten, geographische Realitäten und historische
Erfahrungen dazu geführt haben, daß es sich zuerst als atlantisches Land und dann erst als europäische Nation definierte.
Selbstverständlich bin ich nicht als Missionar der europäischen Idee zu Ihnen gekommen.
Bei diesem Staatsbesuch liegt mir primär das Verhältnis zwischen unseren Staaten
und Völkern am Herzen. Aber im zusammenwachsenden Europa des 21. Jahrhunderts sind
wir eben nicht mehr nur nationale Partner. Deutschland ist in die Europäische Union eingebunden.
Unser Verhältnis läßt sich daher nicht vom europäischen Einigungsprozeß abkoppeln.
Norwegen als EFTA-Mitglied ist über die Beteiligung am europäischen Wirtschaftsraum
dem Binnenmarkt der europäischen Union angeschlossen. Damit nimmt es schon an einem
Kernstück der europäischen Integration teil, und zwar, wie wir alle hoffen, einem
der dynamischsten. Das ist inzwischen so selbstverständlich und geht so weit, daß man den
Eindruck gewinnt, es mache gar keinen Unterschied mehr, ob Norwegen nun förmlich
der Europäischen Union angehöre oder nicht.
Ich sagte schon, daß wir unsere Partnerschaft zukunftsfest machen wollen. Ein wichtiger
Schlüssel hierfür liegt im kulturellen Austausch zwischen unseren Ländern und Völkern.
Unsere kulturellen Verbindungen gehen Jahrhunderte zurück. Die Christianisierung des
Nordens ging von Norddeutschland aus. Trondheim, mit dem Erzbistum Nidaros, ist eine
der Wiegen der christlichen Kultur im nördlichen Europa. Und auch die Reformation
Martin Luthers hat sich schnell in die nordischen Staaten ausgebreitet.
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts führte die kulturelle Elite Norwegens in deutsche
Großstädte, vor allem nach Berlin, und nicht wenige verdanken der dortigen Resonanz
ihren heimischen Aufstieg. Sowohl Norwegen als auch Deutschland haben davon profitiert. So haben - zum Beispiel - Edvard Munch und Henrik Ibsen nicht nur über Deutschland
internationale Anerkennung gewonnen. Sie sind ihrerseits auch zu Wegbereitern des
Expressionismus und Naturalismus in Deutschland geworden.
Wir brauchen aber nicht in das letzte Jahrhundert zurückzugehen. Wir sehen, daß die
Funktion des kulturellen Resonanzbodens Deutschlands in der norwegischen Malerei,
Musik und Schriftstellerei wieder erkennbar ist. Jostein Gaardners "Sophies Welt"
und Erik Fosnes-Hansens "Choral am Ende der Reise" sind über den Erfolg in Deutschland zu
Weltruhm gelangt. Die Buchauflagen - und nicht nur die Handelsbilanz - zeigen für
Norwegen hohe Überschüsse. Gerade der kräftige Kulturimport aus Norwegen nach Deutschland,
vom kleineren zum größeren Partner also, legt Zeugnis für die Dynamik und Lebendigkeit
des kulturellen Austausches ab.
Heute ist es an der Zeit, den Kulturdialog zwischen Norwegen und Deutschland noch
weiter auszubauen und die kulturelle Brücke noch tragfähiger zu machen. Denn Nehmen
und Geben im geistigkulturellen Austausch ist ein ganz wesentlicher Baustein einer
dauerhaften Partnerschaft zwischen Völkern. Ich wünsche mir daher eine Offensive dieses
Kulturdialogs, wie sie heute morgen beim Gespräch zwischen Vertretern des geistigen
und kulturellen Lebens beider Länder auch angesprochen worden ist. Wir brauchen mehr
Kontakte zwischen den Kulturträgern aller Bereiche und aller Ebenen: zwischen Theaterleuten,
Filmemachern, Schriftstellern, Tänzern, Musikern, Journalisten und Publizisten, aber
auch zwischen Wissenschaftlern, Studenten und Schülern. Denn: Kultur vermittelt Wissen übereinander, und ohne Wissen übereinander gibt es keine Verständigung untereinander
und kein Verständnis für einander, keinen gegenseitigen Respekt und kein Vertrauen.
Und ohne Vertrauen gibt es nicht die partnerschaft, die wir wollen und die wir in
dieser Welt brauchen.
Kultur ist natürlich nur das eine Standbein internationaler Beziehungen. Das andere
sind die Wirtschaftsbeziehungen. Die engen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Norwegen
und Deutschland stehen in einer bemerkenswerten historischen Kontinuität, die sich
angesichts übereinstimmender Interessen und verwandter Strukturen nach dem Zweiten Weltkrieg
noch verstärkt hat. Dabei ist es nicht nur wirtschaftlich wichtig, daß sich unsere
Volkswirtschaften immer enger verflechten. Wirtschaftliche Zusammenarbeit ist zugleich die Basis für Sicherheit und Stabilität. Insofern ist eine Politik der wirtschaftlichen
Zusammenarbeit und Partnerschaft also stets auch vorausschauende Friedenspolitik.
Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen: Für Deutschland bedeutet der wachsende norwegische
Anteil an der Energieversorgung nicht nur mehr Diversifizierung und damit größere
wirtschaftliche Sicherheit. Er hat auch geostrategische Bedeutung für uns. Energiewirtschaftliche Zusammenarbeit schafft Abhängigkeiten. Das mag zunächst befremdlich
klingen. Heute ist Interdependenz aber zugleich der Weg zu einem
friedlichen internationalen System. Ich will es so sagen: Deutschland ist in dieser
Frage ganz gerne von Norwegen abhängig.
Kein Mitgliedstaat der Europäischen Union hat so gute wirtschaftliche Ausgangsdaten
wie Norwegen. Dem ökonomischen Betrachter stellt sich Norwegen daher als glückliches
Land dar. Bei der Diskussion über die Erfüllung der Maastricht-Kriterien mag sich
so mancher Finanzminister gewünscht haben, finanzpolitisch in Ihrer Haut zu stecken. Hier
diskutiert man nicht, wie die Haushaltsdefizite zu beheben sind, sondern wie die
Überschüsse zu verwenden sind. Dies ist auch keine leichte Frage. Aber trotzdem sage
ich: Glückliches Norwegen, es hat die Wahl zwischen Konsum und Sparstrumpf!
Aber ich bin davon überzeugt: Der Euro wird die Modernisierung und die Wettbewerbsfähigkeit
der europäischen Wirtschaften beschleunigen. Er wird Europa mehr Stabilität nach
innen und mehr Gewicht nach außen geben. Alles, was Europa wirtschaftlich und politisch stabilisiert, ist auch im Interesse Norwegens. Das gilt übrigens nicht nur
für den Euro, sondern auch für die Osterweiterung der Europäischen Union.
Unsere wirtschaftliche Verflechtung entwickelt sich qualitativ weiter zu einer technologischen
und unternehmerischen Partnerschaft. In der Forschung und Entwicklung hat sich Norwegen
insbesondere im Ö1- und Gasbereich einen großen Namen gemacht. Hier haben Sie in den letzten Jahren hervorragende Forschungs- und Entwicklungsergebnisse erzielt,
die unmittelbar in die Praxis umgesetzt werden konnten. Norwegen hat dazu beigetragen,
daß technische Fortschritte im Off-shore-Bereich nicht vom Golf von Mexiko ausgingen, sondern von der Nordsee. Man denke nur an die bahnbrechenden Neuerungen in der
Bohrtechnik - vor allem auch im Tiefseebereich -, die es erlauben, die Öl- und Gasvorkommen
besser, umweltfreundlicher und nicht zuletzt kostengünstiger auszunutzen. Morgen werde ich mir auf der Trollplattform einen persönlichen Eindruck davon verschaffen,
wie Ihr Land in kurzer Zeit in der Off-shore-Technik in die Weltspitze vorgedrungen
ist. Wie erfolgreich Norwegen auf Forschung und Entwicklung gesetzt hat, zeigt sich
zum Beispiel aber auch an der Satellitentelefon- und Raumfahrttechnologie. All dies
zeigt: Norwegen ist für die Chancen der Globalisierung gut gerüstet.
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