Rede der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie
Wieczorek-Zeul,
auf der Deutsch-Chinesischen Umweltkonferenz
am 13. Dezember 2000 in Peking:
"Umweltgerechte Stadtentwicklung - Zukunftschancen für Millionen":
Exzellenzen,
sehr geehrte Damen und Herren,
I. Stadtentwicklung in Deutschland und China
In wenigen Jahren wird die Bevölkerung der Welt eine historische Marke passieren:
mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung wird in Städten leben. Von den Kindern, die
heute in Entwicklungsländern geboren werden, wachsen zwei Drittel in der Stadt auf.
Das 21. Jahrhundert wird somit das erste städtische Jahrhundert der Weltgeschichte sein.
China und Deutschland haben reiche Erfahrung mit Städten und städtischen Lebensformen.
Von den 21 größten Städten der Welt liegen allein sechs in China. Sie alle - und
viele weitere - zeugen von einer reichen städtischen Tradition. Deutschland kann so große
Städte nicht aufweisen. Gleichwohl ist Deutschland seit vielen Jahren ein
städtische Gesellschaft und hat eine städtisch geprägte Kultur. In Deutschland ist
der Prozess der Verstädterung zum Stillstand gekommen - weil der allergrößte Teil
der Bevölkerung, circa 80 Prozent, bereits in Städten wohnt. China dagegen verfolgt
weiterhin eine Strategie der dynamischen Urbanisierung.
Historisch gesehen war das Wachstum der Städte immer mit Entwicklung verknüpft - mit
der Vermehrung von Wohlstand und mit der Verbesserung von Lebensumständen. Dass das
Städtewachstum gleichzeitig eine soziale Kehrseite hatte, Armut und Elend hervorbrachte, ist uns nicht nur aus der Geschichte bekannt. Auch heute leben mehrere hundert Millionen
Menschen in städtischen Slums unter schlimmen Bedingungen.
Aber die Menschen sahen in der Stadt für sich eine Chance, besser zu leben, oder zumindest
besser zu überleben. Deshalb strömten in Europa Im 18. und 19. Jahrhundert die Menschen
aus den Dörfern in die Städte, mit der Hoffnung auf Arbeit, ein besseres Leben und politische Freiheiten. Die Ökonomen haben untersucht, warum Städte mehr Wohlstand
erzeugen und in ihren Ländern die Pole für Wachstum und Innovation sind. Sie sind
zum Ergebnis gekommen, dass der enge Kontakt von Produktion und Handel, von Forschung, Wissen und Kultur Standortvorteile hervorbringt, die sich in Wettbewerbsvorteilen
niederschlagen, die anderswo nicht zu erreichen sind. Unter den
Bedingungen der Globalisierung kommt heute die Chance des Zugangs zum Welthandel und
zum digitalen Informationsnetzwerk hinzu.
Aber wie steht es mit der Umwelt? Ist es nicht so, dass die Urbanität uns zwar die
Annehmlichkeiten der modernen Zivilisation gebracht hat, wie Straßen, Autos, Kraftwerke,
Hochhäuser oder Kanalisation, dass der Preis hierfür aber eine Zerstörung der Umwelt ist? Auf den ersten Blick mag es scheinen, dass gerade die Städte für einige der
größten Umweltprobleme verantwortlich sind, mit denen wir heute zu tun haben:
Luftverschmutzung, Vergiftung der Flüsse, Vernichtung von Natur und Landschaft sind
dafür Beispiele. Klar ist, dass in den Städten, wo viele Menschen zusammenleben,
auch der Verbrauch an Ressourcen hoch ist und dementsprechend seine Folgen für die
Natur spürbar. Aber übersehen wir nicht die Chancen, die die städtischen Lebensformen auch
für die Umwelt bieten?
In der Stadt sind Angebote des öffentlichen Nahverkehrs möglich, die uns zu einer
umweltverträglichen Mobilität führen können; der Flächenverbrauch ist geringer; eine
Umweltinfrastruktur ist wirtschaftlich möglich, zu der Abwassersammlung und -klärung
ebenso gehören wie eine Abfallentsorgung. Auch solche umweltfreundlichen technischen Konzepte
wie die Kraft-Wärme-Kopplung sind nur in einer städtischen Siedlungsstruktur sinnvoll
einsetzbar. Die internationale Gemeinschaft hat sich diese Sicht der Urbanisierung, die die Chancen einer umweltverträglichen Stadtentwicklung in den Mittelpunkt
stellt, 1996 mit der "Habitat Agenda" zu eigen gemacht. Die UNO-Konferenz über menschliche
Siedlungen von Istanbul legte ihrem Globalen Aktionsplan eine Vision von einer nachhaltigen Stadtentwicklung zugrunde, die den Bürgerinnen
und Bürgern in den Städten ein Leben in einer gesunden Umwelt anbietet und gleichzeitig
die Belastbarkeit der Natur und ihrer Ökosysteme beachtet.
In vielen Städten und Gemeinden wird dieser Gedanke praktisch umgesetzt. Weltweit
arbeiten Bürgerinnen und Bürger, Politiker, Verwaltungen, Unternehmen und Wissenschaftler
bei der "Lokalen Agenda 21" mit, die nicht nur ein Umweltprogramm ist, sondern den
wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ebenso im Blick hat. In China sind die Menschen
auf örtlicher Ebene ebenso engagiert wie in Deutschland und in vielen anderen Ländern.
Im Juli dieses Jahres kamen 3.000 Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, Experten, Vertreter von Regierungen, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen in Berlin
zusammen, um bei der Weltkonferenz "Urban 21" über die Prioritäten zu beraten. Seit
Istanbul 1996 war dies die größte Konferenz über Fragen der Stadtentwicklung, und
sie wurde zu einem deutlichen Signal des
Willens zu abgestimmtem Handeln.
Ich konnte zu dieser Konferenz auch die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen der 21
größten Städte der Welt zu einem Gipfel begrüßen. Aus China waren die Städte Peking,
Chongqing, Schanghai und Shenyang auf höchster Ebene vertreten. Der Gipfel der Bürgermeister und Bürgermeisterinnen war sich einig, dass Armutsbekämpfung und
nachhaltige Stadtentwicklung die wichtigsten Aufgaben der Zukunft sind, und dass sie
nicht nur lokale Anstrengungen erfordern, sondern ebenso eine kohärente Politik im
nationalen und internationalen Rahmen. Dabei ist die demokratische Willensbildung
auf lokaler Ebene und die breite Partizipation aller Bürgerinnen und Bürger unabdingbar,
nicht nur, weil es hier um Bürgerrechte geht, sondern auch, weil eine Stadtentwicklungspolitik
ohne Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger keinen Erfolg haben kann.
II. Aufgaben für eine nachhaltige Stadtentwicklung
Wo liegen konkret die Aufgaben für eine nachhaltige Stadtentwicklung? Sind diese Aufgaben
in China und in Deutschland vergleichbar? Können wir gegenseitig von unseren Erfahrungen
lernen? Die großen Unterschiede in den Ausgangsbedingungen sind unverkennbar. China und Deutschland befinden sich in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. So
haben wir es in der Erklärung formuliert, mit der wir diese Konferenz abschließen.
Dasselbe trifft auch für die Städte in beiden Ländern zu.
Bei allen Unterschieden gibt es aber große Ähnlichkeiten in den Erwartungen der Bürgerinnen
und Bürger an die Städte: Sie wollen sichere Arbeit und ausreichendes Einkommen,
Wohnraum und Zugang zu den städtischen Dienstleistungen, persönliche Sicherheit vor Gewalt und Katastrophen. Ähnlichkeit gibt es auch bei den Wünschen, in einer gesunden
und angenehmen Umwelt zu leben, zu wohnen und zu arbeiten.
Die Möglichkeiten, diese Wünsche zu realisieren, sind in einem reichen Land oder in
einer reichen Stadt natürlich größer als dort, wo Armut herrscht. Dennoch muss die
Umweltverträglichkeit überall einen hohen Rang erhalten. Denn eines hat sich als
Irrtum herausgestellt: man kann nicht erst Wachstum fördern auf Kosten der Umwelt und danach
die eingetretenen Umweltschäden reparieren. Denn dort, wo die Umwelt über
ihre Grenzen belastet wird, kann sich auch kein Wohlstand entwickeln.
Erstens: Bodennutzung, Wohnungsbau, Stadterneuerung.
Kernaufgabe der Stadtplanung ist die Festlegung der anzustrebenden Flächennutzung.
Gerade in rasch wachsenden Städten befindet sich die Planung hier immer in einem
Wettlauf mit der wirtschaftlichen Wachstumsdynamik, zumal eine demokratische abgesicherte
Planung, die die Bevölkerung in die Entscheidungen einbezieht, immer mehr Zeit braucht,
als eine Planung "am grünen Tisch".
Im Rückblick stellen wir fest, dass die wichtigsten und prägendsten
Planungsentscheidungen solche waren, die Natur- und Grünflächen von der Bebauung freihielten.
In Deutschland sind wir heute den weitsichtigen Stadtvätern und -müttern dankbar,
die in der Zeit der dynamischen Entwicklung an Grünflächen und Parks gedacht haben, die heute das Leben in den Städten so bereichern. Im Ruhrgebiet, dem
größten zusammenhängenden Stadtgebiet Deutschlands, hat sich ein Zusammenschluss der
Städte, der Ruhrsiedlungsverband, dieser Aufgabe gestellt und für die ganze Region
ein zusammenhängendes System von Grünflächen entwickelt. In den letzten Jahrzehnten
hat sich in Deutschland die Dynamik von den Außenbezirken wieder in die Stadtzentren verlagert.
Die Städte haben mit Unterstützung der Bundesländer und des Bundes viele Milliarden
Mark in die Erneuerung alter Stadtquartiere investiert; die Hauseigentümer haben ein Vielfaches davon an privatem Kapital mobilisiert, um die Gebäude zu verbessern
und die Wohnungen zu modernisieren. Ausgangspunkt war der politische Wille, die alten,
gewachsenen Stadtquartiere nicht verfallen zu lassen und die Wohn- und Lebensbedingungen dort attraktiv und wettbewerbsfähig zu machen.
Zweitens: Stadtverkehr
Eine der schwierigsten Herausforderungen für die schnell wachsenden Städte ist die
Bewältigung der Mobilität. Mobil zu sein, gehört gerade zu den großen Vorteilen des
Lebens in der Stadt. Weil die Nachfrage nach Mobilität so rasch wächst, braucht der
Transport in der Stadt immer mehr Flächen und immer mehr Energie. Beides führt zu großen
Umweltproblemen, die wir auch in Deutschland im Grunde noch nicht gelöst haben, weil
hier öffentliche Güter und private Interessen nur schwer in Harmonie zu bringen sind.
Im Hinblick auf den Energiebedarf für die städtische Transportnachfrage sind die Städte
Asiens Vorbilder für die Industrieländer. Untersuchungen haben gezeigt, dass der
Energieaufwand (pro Kopf) für Transport in den Städten Asiens sehr niedrig ist, was
ursächlich mit der hohen Siedlungsdichte zusammenhängt. Der Aufwand ist sehr viel
niedriger als in den Städten Nordamerikas und noch erheblich unter denen Europas.
Das Auto hat den Verkehr in den deutschen Städten in den vergangenen Jahrzehnten
grundlegend verändert. Heute meint allerdings niemand mehr, dass wir die Städte
autogerecht machen sollen. Eher verfolgen die Städte heute das Ziel, den Autoverkehr
so zu lenken, dass er das Leben in der Stadt nicht unerträglich macht. Die öffentlichen
Verkehrsmittel wurden stark ausgebaut. Auf der anderen Seite wird der nicht-motorisierte Verkehr, also der Fahrrad- und Fußgängerverkehr, gefördert. Die Fußgängerzonen
in den Städten erfreuen sich großer Beliebtheit, gerade weil hier keine Autos fahren
dürfen. Nachdem der Autoverkehr lange Zeit im Vormarsch war und noch ist, sind wir
stolz, dass in einigen Städten - Münster, Freiburg, Bonn - bis zu 30 Prozent des Verkehrs
per Fahrrad oder zu Fuß geschehen. Dies mag aus chinesischer Sicht merkwürdig erscheinen,
zumal Deutschland den Ruf hat, ein Land der schnellen und
teuren Autos zu sein. Aber wir haben in Deutschland und Europa die Erfahrung gewonnen,
dass der ungebremste Autoverkehr städtische Lebensqualität zerstören kann.
Drittens: Energie
Die Städte sind auch Zentren des Energieverbrauchs. Häufig jedoch wird die Energie
weit weg von den Verbrauchern erzeugt und muss über lange Wege dorthin transportiert
werden. Gerade in China stellt der Energietransport angesichts der großen Entfernungen
ein großes Problem dar. Städtische Strukturen bieten vielfache Möglichkeiten, neue,
angepasste und effizientere Energieversorgungssysteme einzusetzen. Ich erinnere in
diesem Zusammenhang an die Kraft-Wärme-Kopplung. Kernstück einer nachhaltigen Stadtentwicklung muss daher die Vorsorge für eine
umweltgerechte und nachhaltige Energiezukunft sein. Hier sind wir auf einem der wichtigsten
Felder gemeinsamer globaler Verantwortung.
China und Deutschland kommen von einer ähnlichen Ausgangsposition her. In China ist
Kohle die traditionelle Rohstoffbasis der Primärenergie. In Deutschland gilt dies
ebenso, heute allerdings einschließlich der importierten Kohle. In Deutschland sind
wir daher mit all den Problemen gut vertraut, die die Nutzung der Kohle mit sich bringt.
Zum Beispiel die Luftverschmutzung: Das Ruhrgebiet war in den 60er und 70er Jahren
bekannt für seine schlechte Luft, weil die Kohleverbrennung in den Kraftwerken und
Stahlschmelzen Staub und Schadstoffe freigesetzte. Es war Willy Brandt, der frühere
Außenminister und Bundeskanzler, der bereits 1961 die Luftreinhaltung im Ruhrgebiet
zu einem politischen Thema machte. Nicht von allen wurde er damals verstanden; er
war seiner Zeit voraus.
Heute sind wir zu der Auffassung gekommen, dass eine nachhaltige Energiezukunft nur
dann verwirklicht werden kann, wenn langfristig die Energienutzung nicht mehr auf
Kohlenstoff basiert, sondern auf den erneuerbaren Energiequellen, also vor allem
auf der Solarenergie, der Wind- und Wasserkraft, der Geothermie und der Biomasse. Ich betone
das Wort "langfristig", weil wir alle wissen, dass dies nicht heute und auch nicht
morgen zu erreichen ist, sondern dass dieser notwendige Wandel einen langen Zeitraum
benötigt. Dies ist für Deutschland richtig, es trifft aber noch mehr für China zu. Um
so wichtiger ist es, dass wir schon heute die Weichen für die Energiezukunft richtig
stellen, und mit den heute schon machbaren Maßnahmen beginnen. Es gibt zwei wichtige
Gründe für den notwendigen und anzustrebenden Umstieg auf erneuerbare Energie.
Zum einen: Das Erdklima ist in Gefahr. Die Wissenschaftler sagen uns, dass der Verbrauch
fossiler Energie das Klima verändert und die Grundlagen des menschlichen Lebens gefährdet.
Wie die Klimaveränderung sich real auswirkt, erleben gerade die Entwicklungsländer als erste, wie die Häufung von Überschwemmungen und Dürren in den letzten Jahren
zeigt. Diese Gefahr hat einen wirklich globalen Charakter.
Abgestimmtes Handeln ist dringend erforderlich. Wenn die Anstrengungen der internationalen
Gemeinschaft zur Entwicklung und zur Armutsbekämpfung erfolgreich sind - was wir
alle hoffen und erwarten -, dann wird der weltweite Energieverbrauch in diesem Jahrhundert erheblich zunehmen.
Insbesondere China ist ein beeindruckendes Beispiel dafür, welche Folgen wirtschaftliches
Wachstum und damit einhergehende Wohlstandsmehrung haben kann: betrug doch 1980 die
gesamte installierte Kraftwerksleistung in China gerade mal 66.000 Megawatt, so sind es heute, also nur 20 Jahre später, schon rund 320.000
Megawatt. Zum Vergleich: Deutschland verfügt insgesamt über knapp 120.000 Megawatt
installierter Stromerzeugungskapazität. In China ist somit in den letzten 20 Jahren
mehr als das doppelte der insgesamt in Deutschland installierten Leistung hinzugebaut
worden, eine für Deutsche kaum vorstellbare Größenordnung. Der Anteil der Kohle an der
Stromerzeugung beträgt in China derzeit etwa 75 Prozent. Auch heute
noch gibt es Regionen in China, in denen die Menschen keinen Zugang zu kommerzieller
elektrischer Energie haben.
Die chinesische Politik will auch diesen Menschen und Regionen Entwicklungs-chancen
einräumen. Mit dem heutigen Wissen und der heute verfügbaren Tech-nologie besteht
die Möglichkeit, dieses Ziel möglichst umweltverträglich zu erreichen. Würde - bei
unveränderter Struktur der Primärenergiebasis - traditionell gewonnene Energie
eingesetzt, würde dies ein Wachstum beim Ausstoß von Treibhausgasen bedeuten. Für
China würde das zusätzliche CO2-Emissionen von etwa 180 Millionen Tonnen pro Jahr
mit negativen globalen Auswirkungen bedeuten. Dies entspricht etwa 20 Prozent der
energiebedingten CO2-Emissionen Deutschlands. Tatsächlich ist selbst eine
Stabilisierung des Ausstoßes nicht ausreichend, um eine weitere Erwärmung zu verhindern.
Eine wirksame Reduzierung ist erforderlich. Deshalb ist es zu bedauern, dass sich
die Regierungen vor wenigen Wochen in Den Haag nicht auf gemeinsame Regeln verständigen konnten. Umso wichtiger wird daher sein, was wir jetzt in unseren jeweiligen Ländern
tun. Nicht nur die Verbrennung fossiler Energieträger in Kraftwerken belastet das
Weltklima: gerade China steht vor dem großen Problem, dass weit über 100 Millionen
Tonnen Kohle pro Jahr durch großflächige Kohlebrände verloren gehen. Dies setzt, ohne
dass die dabei freiwerdende Energie genutzt werden kann, erhebliche CO2-Mengen frei,
mit negativer Wirkung für das globale Klima. Ziel eines laufenden Projekts ist es
daher, die chinesische Seite bei der Löschung vorhandener Brände zu beraten und mit ihr
einen Maßnahmenkatalog zu erarbeiten, damit sie dem Entstehen neuer
Kohlebrände entgegenwirken kann.
Zum anderen: Nachhaltige Entwicklung erfordert nachhaltig gewonnene Energie. Gerade
die Entwicklungsländer können langfristig Vorteile daraus ziehen, wenn sie sich von
der Kohlenstoffbasis weg und zu erneuerbarer Energie hin bewegen. Die Abhängigkeit
von Ölimporten trifft die armen Länder härter als die Industrieländer, weil sie keine Anpassungsmöglichkeiten
haben. Die "terms of trade" haben sich hierdurch für viele Entwicklungsländer dramatisch
verschlechtert. Für China sind sie für das Jahr 1999 um mehr als 6 Prozent gefallen. Erdöl war auf dem Weltmarkt in den letzten Jahren leicht und
billig zu kaufen. Der Preisanstieg der vergangenen Monate ist Erinnerung daran, dass
die Erdölvorräte in nicht zu ferner Zukunft zu Ende gehen. Wenn der Preis weiter
steigt, wird man einsehen, dass das verbleibende Erdöl zu wertvoll ist, um es zu verbrennen.
Unsere Aufgabe in der Entwicklungspolitik ist es, Alternativen auch für die
Entwicklungsländer zu öffnen. In Deutschland haben wir uns entschieden, die erneuerbare
Energie massiv zu stärken, auch wenn sie heute noch teurer als konventionelle Energie
ist. China unternimmt ebenfalls erhebliche Anstrengungen zur Verbreitung erneuerbarer Energie, unterstützt nicht nur von Deutschland, sondern auch von der Weltbank
und anderen Entwicklungsagenturen.
Im Rahmen seiner entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit China unterstützt das
BMZ derzeit mit rund einer Milliarde DM mehr als 30 konkrete Programme und Projekte,
die darauf abzielen, die Energieeffizienz zu erhöhen, die rationelle Energieverwendung
zu fördern, den Transfer fortschrittlicher Technologie zum Beispiel im Kraftwerks- und
Kohlebereich zu unterstützen sowie Erneuerbare Energie zu fördern. Die Experten sagen
uns, dass ein Anteil der erneuerbaren Energie von 50 Prozent weltweit bis 2050 zu
schaffen ist - vorausgesetzt, dass wir bereits heute alle technischen und politischen
Möglichkeiten mobilisieren. Dass es für einen Erfolg entscheidend ist, wie ein großes
und bevölkerungsreiches Land wie China diese Möglichkeiten nutzt, liegt auf der Hand.
Bei der Verbreitung Erneuerbarer Energien, deren Einsatz dem Nachhaltigkeitsgedanken Rechnung trägt, gehen Deutschland und China schon seit 1994 gemeinsame Wege. Seit
dieser Zeit sind allein für die Windkraftnutzung in China
Zusagen in Höhe von 200 Millionen DM erfolgt, zuletzt anlässlich der diesjährigen
deutsch-chinesischen Regierungsverhandlungen.
An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit nutzen und Ihnen mitteilen, dass mein
Ministerium 20 Millionen DM für Investitionsmaßnahmen im Bereich der Erneuerbaren
Energien, insbesondere der Solartechnologie, zur Verfügung stellen wird. Diese
Zusage erfolgt zusätzlich zu den auf der Sitzung der "Gemischten Kommission" über
Entwicklungszusammenarbeit im Juni dieses Jahres bereitgestellten 165 Millionen DM
für die Entwicklungszusammenarbeit unserer beiden Länder. Die effiziente Energieverwendung
in der Industrie, aber auch in den Haushalten, kann die Energiebilanz erheblich verbessern.
In den Gebäuden und ihrer energetischen
Optimierung liegen große Chancen, nicht nur Energie, sondern auch Geld zu sparen.
Hier gibt es echte Win-Win-Chancen für die Eigentümer, für die Umwelt und auch für
die Handwerker; denn die Wärmedämmung der Gebäude erfordert nicht nur innovative
Hersteller von Fenstern, Ziegeln, Dämmstoffen, sondern auch geschickte Handwerker, die diese
Produkte einbauen.
Auf allen drei Feldern - effiziente Energieproduktion, effiziente Energieverwendung,
erneuerbare Energie - gibt es in Deutschland breite Erfahrung, gute Technik und kompetente
Unternehmen. Ich sehe hier ein wichtiges Feld der zukünftigen Zusammenarbeit zwischen China und Deutschland nicht nur auf Regierungsebene, sondern gerade auch zwischen
den Unternehmen.
In der Entwicklungszusammenarbeit haben wir bereits einen Schwerpunkt gesetzt und
unterstützen unsere chinesischen Partner bei der Verbesserung der Energieeffizienz,
vor allem in Kraftwerken, als auch bei der Verbreitung erneuerbarer Energie. Nachhaltige
Stadtentwicklung ist ohne die Unternehmen der Wirtschaft nicht denkbar. Was in den
letzten Jahren an Innovationen und Effizienzverbesserungen erfolgreich
war, kam zum größten Teil von Unternehmen, die dort ihre Geschäftschancen gesehen
haben. Lassen Sie mich nur ein Beispiel nennen: Es gibt inzwischen eine Reihe von
Unternehmen, die die Energieeinsparung zu einem Produkt gemacht haben, das sie verkaufen
("energy contracting"). Sie verdienen ihr Geld damit, dass sie bei ihren Kunden die Energiekosten
reduzieren. Nicht nur Unternehmen, sondern auch Stadtverwaltungen nutzen diese Dienste,
um ihre Budgets zu entlasten. Hier zeigt sich, wie viel Kreativität die Unternehmen für eine nachhaltige Entwicklung mobilisieren können.
Eine weitere Stärke der Unternehmen ist der Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten,
die für die städtische Infrastruktur genutzt werden können. In fast allen Ländern
suchen die Städte heute Möglichkeiten, Unternehmen bei den infrastrukturellen Leistungen
zu
beteiligen, sowohl bei der Investition und Finanzierung wie auch bei dem Betrieb.
In Deutschland haben wir die Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft zu einem
strategischen Baustein der Entwicklungspolitik gemacht. Dies wird sicher auch die
chinesisch-deutsche Zusammenarbeit prägen, weit über den Bereich der Entwicklungszusammenarbeit
hinaus. Deswegen ist es gut, dass so viele Vertreter von Unternehmen an dieser Konferenz
beteiligt sind. Es ist zu hoffen, dass dabei fruchtbare Unternehmenskooperationen entstehen. Unsere bisherige Erfahrung zeigt, dass umweltgerechte und nachhaltige
Stadtentwicklung sehr komplex ist. Gemeinsam mit unseren chinesischen Partnern möchten
wir daher geeignete Konzepte und Strategien
entwickeln.
Dies möchte ich aber nicht nur auf theoretische Überlegungen anlässlich dieser Konferenz
beschränkt wissen. Ich war deshalb sehr angetan, dass die Planungsgruppe "Albert
Speer und Partner" im Rahmen der bereits seit gestern Nachmittag tagenden Arbeitsgruppe "Stadtentwicklung und Umweltschutz" die Möglichkeit hat, ein Modell zur nachhaltigen
Stadtplanung im Stadtteil Pudong in Shanghai vorzustellen. Neben der Lieferung eines
quasi fertigen Produkts liegt mir jedoch sehr daran, dass durch eine praktische Zusammenarbeit zwischen deutschen Fachleuten und den für Stadtentwicklungsplanung und
kommunales Umweltmanagement zuständigen Institutionen am konkreten Beispiel einer
städtischen Kommune Erfahrungen gesammelt werden können, wie durch einen ökologisch
und ökonomisch ausgewogenen
Urbanisierungsprozess die wachsende städtische Bevölkerung begünstigt werden kann.
Zur Finanzierung eines solchen Pilotprogramms werden wir noch vor Ende des Jahres
zehn Millionen DM im Rahmen der Technischen Zusammenarbeit bereitstellen. Diese Mittel
ergänzen ebenfalls die im Juni diesen Jahres anlässlich der "Gemischten Kommission" zugesagten
Mittel der Entwicklungszusammenarbeit in Höhe von 165 Millionen DM.
III. Chancen der Kooperation China - Deutschland
Für eine umweltverträgliche und nachhaltige Entwicklung ist es von zentraler Bedeutung,
wie es uns in unseren Ländern gelingt, den Gedanken der Nachhaltigkeit in der konkreten
Stadtentwicklung umzusetzen. China befindet sich mitten in einem kraftvollen Prozess der Urbanisierung; deswegen ist die Tragweite der jetzt zu treffenden
Entscheidungen besonders groß. Deutschland ist in hohem Maße urban; hier geht es vorwiegend
um den Umstieg hin zu ressourcensparenden städtischen Strukturen, unter Bewahrung
der prägenden Kraft der gewachsenen Städte und Gemeinden.
Die Chancen der Kooperation sind groß, nicht nur zwischen Regierungen oder Unternehmen,
sondern auch zwischen den Städten und Gemeinden selbst. Städtepartnerschaften haben
sich gebildet, die mit Leben erfüllt werden. Ich konnte mich davon beim Gipfel der
Bürgermeister und Bürgermeisterinnen im Juli in Berlin selbst überzeugen. Wir erleben
in dieser Zeit nicht nur die Globalisierung, sondern ebenso
die Stärkung der lokalen Verantwortung. Zu dieser Verantwortung gehören auch demokratisch
legitimierte Gestaltungsmöglichkeiten und insbesondere eine eigene finanzielle Basis
der Gemeinden. Der Austausch von Erfahrungen über gute Beispiele - über die Grenzen von Kulturen und Ländern hinweg - hat sich als sehr fruchtbar erwiesen.
Das Internet bietet heute Möglichkeiten der Kommunikation von Schreibtisch zu Schreibtisch,
so zum Beispiel über die Bürgermeister-Seite des "Global Development Gateway" der
Weltbank. Wie die Städte diese Möglichkeiten nutzen, entscheidet mit über ihre zukünftige Entwicklung. Wir müssen deshalb Sorge tragen, dass keine Stadt und keine Region
von diesen Informationen abgeschnitten wird, dass die "digitale Kluft" überwunden
wird. Die internationale Gemeinschaft blickt nach vorn auf die wichtigen Konferenzen,
die den Weg der nachhaltigen Entwicklung überprüfen und konkretisieren sollen. In
2002 werden die Regierungen überprüfen, wie der Stand der Umsetzung der "Agenda 21"
ist und welche Entscheidungen für die weitere Umsetzung zu treffen sind ("Rio+10").
Im kommenden Jahr wird eine ähnliche Prüfung für den in Istanbul beschlossenen Aktionsplan
vorgenommen ("Istanbul+5"). Die deutsche Regierung lädt zu einer Internationalen
Wasserkonferenz im Dezember 2001 nach Bonn ein, um den
Mitgliedern und Organisationen der Vereinten Nationen Gelegenheit zu geben, die Beratungen
von "Rio+10" im Wasserbereich vorzubereiten. Eine sorgfältige Bilanz der bisherigen
Anstrengungen soll dazu führen, die Defizite zu kennzeichnen und den zukünftigen
Bedarf an Aktionen auf allen Ebenen festzustellen.
Ich lade schon jetzt die chinesische Regierung ein, an dieser Konferenz teilzunehmen
und einen substantiellen Beitrag zu leisten. Wenn die Regierungen in 2002 berichten,
was in ihren jeweiligen Ländern erreicht wurde, wird die Öffentlichkeit kritisch
zuhören, weil sie tatsächliche Erfolge erwartet, nicht nur weitere Konferenzen. Wenn unsere
Länder ihre Möglichkeiten nutzen, eine nachhaltige Entwicklung bei sich zuhause zu
fördern, und in der Zusammenarbeit neue Möglichkeiten eröffnen, dann werden sie auch
bei dieser kritischen Öffentlichkeit Anerkennung finden.
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