Rede der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate
Künast, zu den Maßnahmen für eine umfassende und eigenständige
Verbraucherpolitik in der 171. Sitzung des Deutschen Bundestags am 18. Mai 2001 in
Berlin.
Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren!
Ich will Ihnen sechs Punkte zum vorbeugenden Verbraucherschutz nennen.
Erstens:Verbraucherschutz heißt, Gerechtigkeit herzustellen; denn Verbraucherschutz
ist insofern eine Frage der Gerechtigkeit, als die Verbraucher gegenüber den Produzenten
auf gleicher Augenhöhe sein müssen. Es ist das gute Recht der Verbraucher, dass wir uns vorbeugend Gedanken um ihre Sicherheit und Gesundheit machen und uns für die
wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher einsetzen. Dies gilt ebenso für kommende
Generationen. Auch das ist eine Definition der Gerechtigkeit. Gerechtigkeit regelt
sich nicht allein über den Markt. Der Markt ist nicht der Interessenvertreter der
Verbraucher. Das regelt sich nur, wenn es Markttransparenz und Informationen gibt, sodass
die Verbraucher wirklich rational über Kauf- und Konsuminteressen entscheiden können
und wissen, was sie in der Hand haben.
Dem Staat obliegt dabei die Pflicht, eine aktive Rolle einzunehmen. Das Bundesministerium
für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft - diese Bundesregierung - und
auch die Koalitionsfraktionen tun dies. Künftig sitzen die Verbraucherinnen und Verbraucher mit am Tisch. Andere haben jahrelang darüber geredet. Seit Anfang dieses Jahres
ist es so: Wir reden nicht nur mit Landwirten,
der Lebensmittelindustrie und weiteren Lobbyisten und Interessenvertretern, sondern
die Verbraucherschutzverbände, die Stiftung Warentest werden immer mit angehört und
sind das Sprachrohr der Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie sagen unabhängig, was
deren Interesse ist.
Zweitens:Verbraucherschutz geht nicht ohne eigenverantwortliche Verbraucher. Sie wirken
mit. Moderne Verbraucherschutzpolitik heißt, dass der Staat nicht nur reguliert,
sondern dass die Verbraucher mit ihrem Handeln - ich sage immer: mit dem Einkaufskorb
- Politik machen. Insofern ist dies tatsächlich das Passstück zu Information und Transparenz
in der Wirtschaft.
Drittens:Wir wollen durch vorbeugenden Verbraucherschutz die Marktwirtschaft sozial
und ökologisch prägen. Verbraucherschutzpolitik, wie ich sie verstehe, ist genau
dafür eine entscheidende Voraussetzung. Um nicht einseitig zu sein, dient sie aber
auch den Interessen der Unternehmen; denn sie hilft ihnen, ihre Stellung am Markt zu behaupten
oder sogar auszubauen. Sie sollen sagen können: Wir wirtschaften erfolgreicher, indem
wir an die Verbraucher denken und ökologisch und sozial handeln. Verbraucherschutzpolitik hilft auch der Wirtschaft und den Unternehmen, weil sie dazu beiträgt, den
schwarzen Schafen das Handwerk zu legen. Sie hilft im Übrigen auch - das merke ich
bei vielen Diskussionen -, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie auf dem
Weltmarkt zu verbessern. Was ist unsere Stärke? Wo andere niedrigere Arbeitslöhne haben,
müssen wir in sozialer Verantwortung für die Sicherung von Arbeitsplätzen sorgen.
Aber Qualität, nachhaltige Erwirtschaftung, "consumer interests" zu wahren, mit Transparenz
und Informationen vorzugehen, ist etwas, was
auf internationaler Ebene für uns tatsächlich ein Wettbewerbsvorteil ist. Ich habe
gerade gestern bei Gesprächen mit der Lebensmittelwirtschaft gemerkt, dass diese
genau weiß: Da liegen ihre Expansionsmöglichkeiten.
Viertens: Verbraucherschutzpolitik heißt für uns, sichere und hochwertige Lebensmittel
zu schaffen. Auch dies ist eine Frage der Gerechtigkeit: Sichere Lebensmittel und
hohe Qualität dürfen nichts Elitäres sein, etwas, was sich nur die mit viel Geld
leisten können.
Nahrungsmittelsicherheit ist nach unserer Vorstellung unteilbar. Wir passen die rechtlichen
Standards an. Wir heben den Sicherheitsstandard. Wir sind für die rasche Einrichtung
einer europäischen Lebensmittelbehörde. Wir schaffen ein Bundesamt für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Wir dehnen das Überwachungskonzept für
Lebensmittel zusammen mit den Ländern durch bundeseinheitliche Regelungen aus. Was
haben wir an der Stelle schon getan? Wir haben beispielsweise nach vielen Jahren
endlich Krebs erregende Aromastoffe verboten. Wir haben dem Bundesrat den
Verordnungsentwurf für ein Stallbuch vorgelegt, um antibiotische Zusatzstoffe im Fleisch
zu verhindern, und manches andere mehr. Qualität gibt es nicht zum Nulltarif. Das
ist uns bewusst. Aber wir wissen eines: In Wahrheit hat Qualität am Ende nicht nur
mit dem
Geldbeutel zu tun, sondern auch etwas mit dem Bewusstsein der Menschen.
Trotzdem ist eines klar - das ist der fünfte Punkt beim Verbraucherschutz -: Wir werden
auch die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher schützen. Was heißt das? Wir
werden als ersten Schritt - als Ergänzung zu ihrem Handeln und zu Klarheit und Transparenz - in der nächsten Woche nach einem weiteren Gespräch mit den Betroffenen das
Ökosiegel vorstellen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir dann
sagen können: "Alle machen mit" - etwas, das viele Jahre lang in Deutschland nicht
geschafft wurde. Wir werden den Verbrauchern nicht nur diese Handreichung geben,
sondern auch dafür sorgen, dass die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher insofern
geschützt werden, als auch aktuelle wirtschaftliche und technologische Entwicklungen
aufgenommen werden. Es kann nicht sein, dass alles, was neu ist, dazu
führt, dass den Verbrauchern Schaden zugefügt wird. Zur Gerechtigkeit gehört auch,
dass mit den neuen Technologien kein Schindluder mit personenbezogenen Daten getrieben
wird, zum Beispiel im "Onlinehandel". Die Privatsphäre muss Tabu bleiben. Beim "Onlinebanking" muss sichergestellt werden, dass sich der Verbraucher auf die technologischen
Systeme, auf seinen persönlichen Datenschutz verlassen kann.
Sechstens:Wir wollen dafür sorgen, dass auch angesichts von Marktöffnung und Deregulierung
die Verbraucher nicht selbst zusehen müssen, wo sie bleiben, sondern ihnen auch Vorteile
lassen, zum Beispiel bei den Versorgungsdienstleistungen im Zusammenhang mit der privaten Rente. Gemeinsam mit der Stiftung Warentest werden der Kollege Riester
und ich die Verträge, die angeboten werden, genau betrachten und bewerten. Das kann
man bis in den Bildungsbereich hinein weiterführen: Mit der Stiftung Warentest geht
es auch darum - die Gewerkschaften planen dies auch -, eine Weiterbildungsinitiative
mit der Kontrolle der angebotenen Weiterbildung zu begleiten. Die Verbraucher können
oftmals nicht selbst entscheiden, welches gute Angebote sind, die ihnen auf dem Markt
weiterhelfen werden. Sie sind den Anbietern ausgesetzt. Wir werden dafür sorgen, dass
eine systematische Kontrolle dieser Angebote stattfindet. Wir werden dafür sorgen,
dass im Gesundheitssystem Patienten und Kunden auf gleicher
Höhe mit Krankenkassen, Ärzten und Dienstleistern stehen. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit,
dafür zu sorgen, dass zwar der Wechsel zwischen den Krankenkassen möglich ist, sich
junge und wohlhabendere Menschen aber nicht ständig, quasi per Krankenkassen-Hopping, die billigsten Krankenkassen aussuchen können. Ulla Schmidt hat kürzlich
auf diesem Gebiet für einen Ausgleich gesorgt und, wie ich meine, das Notwendige
getan.
Wir wollen beides sicherstellen: Einerseits die gleiche Versorgung für alle gewährleisten
und andererseits Vertragsfreiheit geben.
Wir haben im Verbraucherschutz - das haben Sie heute Morgen diskutiert - durch die
Vorlage "Modernisierung des Schuldrechts" die Rechte der Verbraucher erweitert. Nun
muss man nicht mehr alle Gesetze durchblättern, sondern findet an einer Stelle, was
Recht ist, mit einer Gewährleistungsfrist, die viel länger ist als alle Fristen vorher.
Wir werden dafür Sorge tragen, dass die Verbraucherschutzverbände, die Stiftung Warentest
und unabhängige Verlage ihre Arbeit fortführen können und dazu auch finanziell in
die Lage versetzt werden. Auch deshalb haben wir sie alle mit an unserem
Tisch.
Für uns gilt, dass der Staat beim Verbraucherschutz Pflichten hat, wir aber auch Respekt
gegenüber den Verbrauchern üben müssen. Sie haben Recht auf Sicherheit, Information,
Wahlfreiheit und auch darauf, gehört zu werden. Ich sehe deshalb mit Freuden, dass sich die Verbraucher weiter organisieren. Vielleicht schaffen wir es, dass
tatsächlich wie in den USA die Verbraucher zu einer Art Bürgerbewegung werden. Wir
als Bundesregierung werden versuchen, ihre Anwältin zu sein. Ich finde, wir haben
dazu in den letzten vier Monaten mehr Schritte unternommen und mehr erreicht als
andere in vielen Jahrzehnten.
© 2001, Francopolis. Tous droits réservés.