Fallen wir durchs Netz?


Herausforderungen und Chancen für die Wirtschaftspolitik in der Wissensgesellschaft

Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner Müller, anlässlich des Dritten Freiburger Wirtschaftssymposiums am 22. Oktober 1999 in Freiburg

Sehr geehrte Frau Boos,
sehr geehrter Herr Dr. Ganssmüller,
meine sehr geehrten Damen und Herren !

Als ich vor Kurzem im Internet zum Stichwort "Wissensgesellschaft" gesucht habe, bin ich auf rund 7000 Verweise gestoßen. Wer sich schon einmal im Internet umgesehen hat, wird vermutlich eine ähnliche Erfahrung gemacht haben: Die wirklich interessanten links sind schwierig zu finden. Das Internet erscheint, wie es der amerikanische Computerwissenschaftler Joseph Weizenbaum formuliert hat, als ein "Schrotthaufen, in dem Gold und Perlen versteckt sind". Der Titel meines Vortrages ist deshalb mit Bedacht mehrdeutig. Denn die Aufgaben der Wirtschaftspolitik in der Wissensgesellschaft gehen über die Förderung des Strukturwandels hinaus. Das bleibt natürlich eine wichtige Aufgabe. Aber mit einem PC mit Internetzugang injedem Haushalt ist es eben nicht getan. Der Zugang zu und der effiziente Umgang mit einem neuen Medium sind nicht dasselbe. Gold und Perlen wollen gefunden sein. Ich bin deshalb überzeugt: In der Informations- und Wissensgesellschaft wird sich die Wirtschafts- und Arbeitswelt gravierend verändern. Und dies stellt die Wirtschaftspolitik vor neue, keinesfalls leichte Aufgaben. Die Wissensverarbeitung erfordert immer mehr qualifizierte Mitarbeiter. Daraus ergeben sich für gut ausgebildete, flexible und motivierte Menschen gute Chancen auf eine zukunftssichere Beschäftigung. Aber die Kehrseite sind zusätzliche Risiken. Risiken namentlich für all jene, die bisher schon nicht auf der Sonnenseite der Gesellschaft standen. Weil sie unzureichend ausgebildet sind. Weil ihnen lange Arbeitslosigkeit den Mut genommen hat. Oder weil sie nicht jenes Maß an Flexibilität mitbringen, das der Arbeitsmarkt heute fordert. Gerade auch bei diesem Thema ist die Frage : Wie schaffen wir Innovationen und Gerechtigkeit?

Wie nutzen wir die Chancen der Wissens- und Informationsgesellschaft, ohne die Gesellschaft zu spalten? Und schließlich : Was bedeuten Wettbewerb und Marktmacht,
wenn Produkte und Dienstleistungen mehr und mehr differenzieren ? Vor welchen Aufgaben steht dann die Wettbewerbspolitik? Lassen Sie mich im Folgenden auf die angesprochenen Bereiche näher eingehen.

Wissen als Produktionsfaktor und Produkt

Um was geht es, wenn wir von der Wissens- und Informationsgesellschaft sprechen? Wissen spielt seit den ersten Werkzeugen aus Feuerstein eine wichtige Rolle; das ist also nichts Neues. Mit der Industrialisierung und dem Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft hat die Bedeutung von Wissen indes beträchtlich zugenommen. Nicht mehr Rohstoffe sind heute für den Wohlstand einer Nation entscheidend. Was zählt sind Wissen über Produkte und Produktionsvorgänge, über Konsumentenwünsche und Trends. So sehr, dass wie uns die Erfahrungen in Osteuropa gelehrt haben letztlich die Frage, wie ein Wirtschaftssystem mit Wissen
und Informationen umgeht, vor allem anderen über dessen Prosperität entscheidet. Stellen Sie sich nur einmal vor, man würde von einem Tag auf den anderen die Bevölkerung Freiburgs durch die Karlsruhes ersetzen. Ich kenne natürlich den Arbeitsfleiß hier in Baden-Württemberg, aber das Ergebnis wäre dennoch ein allgemeines wirtschaftliches Chaos. Niemand würde seine Kunden und Lieferanten
kennen, niemand die Strukturen des Unternehmens, in dem er arbeiten soll, niemand schließlich seine Konkurrenten und Mitbewerber.

Das gilt erst recht für ein ganzes Land: Ohne das komplexe Geflecht der Beziehungen zwischen den Akteuren und ohne deren Wissen von und übereinander könnte keine Volkswirtschaft funktionieren. Planwirtschaften mussten deshalb nicht allein scheitern, weil sie unzureichende Anreize setzten, mit Ressourcen sparsam umzugehen. Planwirtschaften mussten auch scheitern, weil sich die Realität in all ihrer Komplexität nicht zentral erfassen und kontrollieren lässt. Nicht umsonst spottete man über das Gebäude der Zentralen Plankommission der DDR in Berlin, zu Zeiten des vorangegangenen Hausherrn es war Herrmann Göring seien dort 1500 Uniformierte ein- und ausgegangen.


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