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Jahresempfang für das Diplomatische Corps
Ansprache des Bundeskanzlers
Bundeskanzler Gerhard Schröder hielt anläßlich des Jahresempfangs für das Diplomatische
Corps am 23. November 1998 im Palais Schaumburg in Bonn folgende Ansprache :
Sehr verehrter Herr Nuntius,
Exzellenzen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
ich freue mich, das Diplomatische Corps zum traditionellen Jahresempfang begrüßen
zu können. Es ist für Sie und erst recht für mich eine sehr gute Gelegenheit,
einen ersten Kontakt zu pflegen und einander kennenzulernen, soweit das noch nicht
geschehen ist.
Ich möchte an dieser Stelle noch einmal sehr deutlich betonen: Unter der von mir geführten
Bundesregierung wird es keinen Wechsel in den grundsätzlichen Orientierungen der
deutschen Außen- und Sicherheitspolitik geben. Integration und Kooperation in Europa, transatlantische Partnerschaft, Mitgestaltung der Rahmenbedingungen in einer sich
immer mehr globalisierenden Wirtschaft, Förderung von Menschenrechten und nachhaltiger
Entwicklung, aber auch Stärkung der internationalen Organisationen das waren und
bleiben die Leitlinien und die zentralen Ziele deutscher Außenpolitik.
Sie wissen wie ich, daß keine Nation auf sich allein gestellt die weltweiten Herausforderungen
wird bewältigen können. Nur gemeinsam und in fairer Partnerschaft können wir auf
Dauer erfolgreich sein.
Der durch die Globalisierung angestoßene Wandel beschleunigt sich und wird immer dramatischer.
Der Einfluß eines einzelnen Staates auf die Gestaltung der damit verbundenen Rahmenbedingungen,
in denen sich wirtschaftliches und politisches Handeln vollzieht, ist geringer geworden. Diese Tendenz wird zunehmen. Die großen regionalen Finanzkrisen
haben nicht nur Auswirkungen auf die direkt betroffenen Länder, sondern zumindest
mittelbar auch auf die gesamte Weltwirtschaft und damit natürlich auch auf uns.
Nur durch verstärkte internationale Zusammenarbeit können wir die Chancen der Globalisierung,
die Chancen für mehr Wachstum und damit für mehr Beschäftigung für die Menschen in
unseren Ländern wirklich nutzen.
Deutschland wird im kommenden Jahr den Vorsitz der G7 / G8-Staaten übernehmen. Einige
unserer Partner die gegenwärtige britische Präsidentschaft, aber auch die USA und
Frankreich - haben Vorschläge für eine Reform des internationalen Finanzsystems vorgelegt. Wir wollen diese Vorschläge aufgreifen und daran anknüpfen. Auf dem Weltwirtschaftsgipfel
in Köln 1999 werden wir das internationale Finanzsystem und die Möglichkeiten, es
besser zu gestalten, zu einem zentralen Thema machen.
Deutschland wird am 1. Januar 1999 auch die Präsidentschaft in der Europäischen Union
und der WEU übernehmen. Wir wollen die deutsche Ratspräsidentschaft nutzen, um die
europäische Integration voranzutreiben. Das ist nicht zuletzt auch deshalb notwendig,
weil die gemeinsame Währung, die am 1. Januar 1999 eingeführt wird, aufDauer nur durch
verstärkte Integration zu einem Erfolg werden kann. Die Weiterentwicklung und Stärkung
der Europäischen Union ist und bleibt Aufgabe auch und gerade meiner Generation
sowie derer, die danach kommen in Deutschland und in Europa. Eine funktionierende
deutsch-französische Zusammenarbeit bleibt dabei Motor für Europa und ist deshalb
unverzichtbar. Die Betonung dieser Zusammenarbeit richtet sich nicht gegen die Zusammenarbeit mit anderen europäischen und außereuropäischen Ländern. Wir lassen uns während
unserer Präsidentschaft von folgenden Zielen leiten :
Erstens : Nur durch die Weiterentwicklung zu einer Politischen Union sowie zu einer
Sozial- und Umweltunion wird es gelingen, unser gemeinsames Europa so zu gestalten,
daß es von seinen Bürgern auf Dauer akzeptiert wird. Nur wenn wir dem Gemeinsamen
Markt eine Gemeinsamkeit im Politischen und im Kulturellen hinzufügen, wird uns die notwendige
Legitimation zur Verfügung stehen, um Europa weiter zu integrieren. Zu all dem gehören
Harmonisierungen der Steuern und des Rechts in Europa. Unser Ziel ist darüber hinaus ein europäischer Beschäftigungspakt nicht gedacht als Ersatz für nationale
Maßnahmen, um die wir uns zu kümmern haben, sondern als deren sinnvolle Ergänzung.
Wir wissen uns in diesen Zielen mit all unseren Partnern in Europa einig. Wir wollen
verbindliche Ziele zum Abbau der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit sowie zur Überwindung
der Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, die es immer noch gibt, definieren,
verfolgen und verwirklichen.
Zweitens : Wir müssen die Verhandlungen über die Agenda 2000 zügig fortsetzen und
rechtzeitig abschließen. Das liegt zum einen im Interesse der weiteren Integration
in Europa; es ist aber auch die objektive Voraussetzung dafür, den Beitrittsländern
den Beitritt zur Europäischen Union so zügig wie möglich zu ermöglichen.
Bei der Agrarpolitik werden wir uns auf europäischer Ebene für grundlegende Veränderungen
einsetzen. Bei der Strukturpolitik in Europa gilt es, die Förderung auf die wirklich
bedürftigen Regionen unseres Kontinents zu konzentrieren. Im Rahmen der Neuregelung der EU-Finanzen, die mit der Agenda 2000 verbunden sind, wollen wir auch und nicht
zuletzt aus deutscher Sicht zu einer höheren Beitragsgerechtigkeit in Europa kommen.
Wir hoffen dabei auf Verständnis bei unseren Partnern.
Drittens : Wir wollen den Prozeß zur Erweiterung der Europäischen Union zielstrebig
fortsetzen und die Beitrittsländer partnerschaftlich in die EU integrieren. Wir werden
die Heranführung derjenigen Kandidaten an die EU weiter unterstützen, mit denen bislang noch keine Verhandlungen aufgenommen worden sind. In diesem Zusammenhang liegt
mir sehr viel daran festzustellen, daß der Türkei der Weg in die EU offensteht. Nach
unserem Verständnis ist die EU keine Religions-, sondern eine Wertegemeinschaft.
Der Türkei wird der Weg offenstehen. Sie wird die Bedingungen und die Voraussetzungen dafür
selbst herstellen müssen.
Viertens : Der Euro wird ein Erfolg werden, jedenfalls nach unserer Auffassung. Die
Stabilitätsorientierung der künftigen europäischen Geldpolitik wird dabei nicht in
Frage gestellt. Die Unabhängigkeit der Bundesbank und der Europäischen Zentralbank
wird von uns respektiert und nicht nur das : Wir wollen sie ausdrücklich, weil sie eine
der Voraussetzungen für eine vernünftige, den Zielen der Stabilität, aber auch den
Zielen des Wachstums und der Beschäftigung dienenden Geldpolitik ist.
Gleichzeitig müssen wir die Bemühungen um eine europäische Koordination der Wirtschafts-,
Finanz-, aber auch der Sozialpolitik vorantreiben. Europa das steht jedenfalls
für mich fest darf nicht nur ein Markt, nicht nur eine Ort ökonomischer Interaktion bleiben, sondern muß mehr und mehr auch zu einem Ort der sozialen und kulturellen
Interaktion werden.
Fünftens : So wichtig die gemeinsame Währung für die europäische Integration ist:
Wir brauchen auch eine zügige und glaubwürdige Demokratisierung der europäischen
Institutionen. Das ist ganz unerläßlich, wenn wir Legitimation für das große Werk
der europäischen Integration in unseren Völkern erhalten und, wo immer es geht, verstärken wollen.
Wir brauchen darüber hinaus eine Harmonisierung der europäischen Asyl-, Flüchtlings-
und Migrationspolitik. Wir brauchen ein gemeinsames europäisches Vorgehen gegen jede
Form des organisierten Verbrechens und Verbrechens überhaupt. Die Krisen im ehemaligen Jugoslawien, zuletzt im Kosovo, führen uns eindringlich die begrenzten Handlungsfähigkeiten
der EU im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik vor Augen. Wir müssen
die im Vertrag von Amsterdam geschaffenen Instrumente und Mechanismen nutzen. Unser Ziel müssen mehr außenpolitische Zuständigkeiten, nicht zuletzt durch die
Herbeiführung von Mehrheitsentscheidungen der EU sein.
Sechstens : Die EU muß auch künftig ein weltoffener globaler Partner sein. Für Deutschl
and und Europa ist die enge transatlantische Partnerschaft mit den USA und auch mit
Kanada völlig unverzichtbar. Parallel zur Erweiterung wollen wir die partnerschaft
der Europäischen Union mit Rußland und der Ukraine ausbauen. Mein kürzlicher Besuch
in Moskau hat mich erneut von der Notwendigkeit eines sehr, sehr intensiven Dialogs
mit Rußland auf möglichst breiter Grundlage unter Einschluß der Regionen dieses so
großen und wichtigen Landes überzeugt. Wir werden das ist vereinbart Rußland bei der
Ausarbeitung eines in sich schlüssigen und für den IWF akzeptablen Wirtschaftskonzeptes
unterstützen, w o immer diese Unterstützung gewollt wird.
Unverzichtbares Fundament für Sicherheit und Stabilität auf unserem Kontinent sind
die NATO und ist die Präsenz der USA in Europa. Die Bundesregierung wird den Gipfel
zum fünfzigjährigen Bestehen der NATO im April 1999 in Washington nutzen, um das
Verhältnis zu den nordamerikanischen Demokratien weiter zu stärken und die Reform der Allianz
fortzusetzen. Wir werden aktiv am neuen strategischen Konzept mit arbeiten. Für die
Bundesregierung bleiben kollektive Verteidigung und transatlantische Bindung unverzichtbarer Kern des Bündnisses. Wir werden auch darauf achten, daß die Aufgaben der NATO
jenseits der Bündnisverteidigung an die Vereinten Nationen und die OSZE gebunden
bleiben.
Der Beitritt von Polen, der Tschechischen Republik und Ungarn zur Atlantischen Allianz
im nächsten Jahr ist ein historischer Schritt, der Europa sicherer und stabiler machen
wird. Die Bundesregierung tritt dafür ein, die Tür des Bündnisses für weitere Demokratien in Europa offenzuhalten.
Wir wollen die Partnerschaft der NATO mit Rußland gerade in einer für die Russische
Föderation so schwierigen Zeit weiterentwickeln. Dies gilt auch für unsere Zusammenarbeit
mit der Ukraine und den anderen Teilnehmern an der Partnerschaft für den Frieden.
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