Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter
in der 172. Sitzung des Deutschen Bundestages am 30. Mai 2001 in Berlin.
Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Ich möchte mit einem Wort beginnen, das die Erleichterung und die Genugtuung, die
wir heute alle empfinden, trifft, und dieses Wort heißt: endlich.
Dieses Wort war der häufigste Kommentar in der vergangenen Woche, nachdem in den Vereinigten
Staaten die letzte große juristische Hürde für die Auszahlung an die überlebenden
Zwangsarbeiter genommen war. Damit und mit der anschließenden Erklärung der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft ist der Weg geebnet für die heutige Entscheidung
des Deutschen Bundestags, nämlich ausreichende Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen
festzustellen und damit die Mittel für die ehemaligen NS-Zwangsarbeiter freizugeben. Es war ein langer und mühsamer Prozess, zeitweise - das ist zuzugeben - mit
Enttäuschungen für manche Beteiligte, insbesondere für die überlebenden Zwangsarbeiter.
Dieser Prozess ist damit zum Abschluss gebracht
worden.
Ich möchte kurz erinnern: Das Vorhaben nahm Ende 1998 seinen konkreten Anfang in ersten
Kontakten zwischen der Bundesregierung und führenden deutschen Unternehmen. Nach
einem Gespräch zwischen den Vorständen und mir erklärten sich die Unternehmen am
16. Februar 1999 bereit, eine Stiftung für ehemalige NS-Zwangsarbeiter und andere unter
Mitwirkung deutscher Unternehmen geschädigte NS-Opfer mitzutragen. Mittlerweile sind
mehr als 6 300 Unternehmen engagiert. Das ist zugegebenermaßen keine unbeträchtliche
Zahl; aber genauso klar ist: Es könnten noch
mehr sein und müssen noch mehr werden.
Im März 2000 hat dann das Bundeskabinett in der Kontinuität deutscher Wiedergutmachungspolitik
den Entwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft" beschlossen. Vorausgegangen waren viele hochkomplizierte internationale Verhandlungsrunden. Weitere folgten und mündeten in die so genannte "Gemeinsame
Erklärung" aller Verhandlungspartner vom Juli 2000 und in das deutsch-amerikanische
Regierungsabkommen vom Oktober 2000. Zielsetzung all dieser Bemühungen war von Anfang an, den noch heute lebenden NS-Opfern mit der materiellen Zuwendung vor allem auch
ein Zeichen der Genugtuung zu geben; denn wirkliche Wiedergutmachung in des Wortes
Bedeutung ist kaum möglich.
Daneben stand - auch das gilt es festzuhalten - das berechtigte Interesse der deutschen
Wirtschaft an dauerhaftem Rechtsfrieden. Schließlich waren in den Vereinigten Staaten
ursprünglich insgesamt 68 Klagen gegen die deutsche Wirtschaft anhängig. Die verklagten Unternehmen wollten verständlicherweise davor geschützt werden, zweimal für
die gleiche historische Schuld zahlen zu müssen. Die Bundesregierung hatte zudem
das Interesse, Beschädigungen der transatlantischen wirtschaftlichen und auch politischen
Beziehungen zu vermeiden.
An dieser Stelle möchte ich im Namen der gesamten Bundesregierung meinem Beauftragten
Graf Lambsdorff für seine kluge und beharrliche Verhandlungsführung ausdrücklich
danken. Wir sind Ihnen, Graf Lambsdorff, sehr verpflichtet. Sehr geehrter Herr Graf
Lambsdorff, ich muss einräumen - ich tue das gerne -: Dass wir jetzt am Ziel sind, ist
in ganz besonderem Maße Ihrer Fähigkeit zu verdanken, um Lösungen zu ringen, die
manchmal schon gar nicht mehr für möglich gehalten worden sind. Sie haben sich mit
dieser Leistung über das, was Sie für das Land geleistet hatten hinaus, wirklich bleibende und
unvergessliche Verdienste erworben.
Respekt und Anerkennung gebührt auch den übrigen an den Verhandlungen beteiligten
Partnern. Zu nennen sind die US-Regierung; übrigens hat sich auch die neue Regierung
unter Präsident Bush von Anfang an für das Vorhaben engagiert. Zu nennen ist Stuart
Eizenstat sowie die Regierungen der hauptbetroffenen Staaten Mittel- und Osteuropas und
Israels. Zu nennen sind ferner die Jewish Claims Conference, einige Klägeranwälte
und nicht zuletzt alle - ich betone: alle - im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien.
Lassen Sie mich auch den an der Stiftungsinitiative beteiligten Unternehmen meine
Anerkennung aussprechen. Es ist richtig, dass wir manche harte Diskussion um den
richtigen Weg zu führen hatten. Entscheidend für den Erfolg war aber, dass Bundesregierung
und Stiftungsinitiative der Wirtschaft die oft schwierigen Verhandlungssituationen,
die auch mit unterschiedlichen Interessenlagen zu tun hatten, gemeinsam gemeistert
haben. Die Bundesstiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", die mit unserer
heutigen Entscheidung mit den Auszahlungen beginnen wird,
setzt das weltweit beachtete Zeichen dafür, dass sich Deutschland der schrecklichen
Verbrechen seiner Vergangenheit bewusst ist und dass dies auch so bleibt.
Ich danke Ihnen, dem deutschen Parlament, für Ihre Unterstützung und dafür, dass wir
dieses letzte große offene Kapitel unserer historischen Verantwortung schließlich
doch zu einem guten Ende haben bringen können.
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