Rede von Bundespräsident Johannes Rau auf dem Kongress der International Water Association
am 15. Oktober 2001 in Berlin.
I.
Ich freue mich darüber, dass Sie nach Berlin gekommen sind, um über den kostbarsten
Rohstoff zu sprechen, den es auf der Welt gibt, das Wasser.
* Wasser ist die Quelle allen Lebens.
* Wasser ist Nahrungsmittel und Rohstoff.
* Ohne Wasser würde das Getreide auf den Feldern verdorren,
* ohne Wasser würde das Vieh in den Ställen verenden,
* ohne trinkbares Wasser könnte kein Mensch überleben.
Trinkwasser ist knapp. Nur 2,5 Prozent des Wassers auf der Erde ist Süßwasser. Die
Reserven sind sehr ungleichmäßig über die Erde verteilt. Darum ist es so wichtig,
dass Experten aus allen Ländern zusammenkommen, um miteinander zu beraten über den
sorgsamen und den schonenden Umgang mit diesem kostbaren Gut und um ihre Erfahrungen auszutauschen.
II.
Wer in Regionen dieser Welt lebt, die klimatisch begünstigter sind, der macht sich
über Wasser- und Wassermangel kaum Gedanken. Er hält sauberes Trinkwasser und gute
sanitäre Bedingungen für selbstverständlich. Wer hier lebt, kann kaum ermessen, was
es bedeutet, einen halben Tag unterwegs zu sein, um Trinkwasser für die Familie zu beschaffen.
Heute leiden aber fast 1,4 Milliarden Menschen in über achtzig Ländern an absolutem
oder an chronischem Wassermangel. Der Bedarf an Frischwasser steigt weiter. In Afrika wird sich der Trinkwasserbedarf bis zum Jahr 2025 verdoppeln, in Südostasien wird
er sich vervierfachen und in China sogar verfünffachen!
Gleichzeitig nimmt die Qualität des Frischwassers ab und die Vorräte werden geringer.
Dazu tragen das Abholzen von Wäldern bei, der Bergbau, falsche Formen der Landwirtschaft,
aber auch der Missbrauch von Flüssen als wären sie offene Abwasserkanäle. Die Belastung und Vergiftung des Grundwassers mit Pestiziden und Düngemitteln sind Folgen
falscher Landwirtschaft. Das geschieht - zumindest in den
Entwicklungsländern - häufig nicht wider besseres Wissen oder aus Nachlässigkeit.
Das geschieht vielfach aus Not, Geldmangel oder weil es an den technischen Möglichkeiten
fehlt.
* Weltweit werden nur fünf Prozent aller Abwässer gereinigt.
* 2,4 Milliarden Menschen leben unter völlig unzureichenden
hygienischen Bedingungen.
* Jeder zweite Mensch in den sogenannten Entwicklungsländern
leidet an Krankheiten, die durch unsauberes Trinkwasser
hervorgerufen werden.
* Jahr für Jahr sterben fünf Millionen Menschen an Krankheiten,
die mit schmutzigem Trinkwasser zusammen hängen.
Wir dürfen uns also nicht nur mit dem Verbrauch von Trinkwasser beschäftigen. Wir
müssen uns mehr Gedanken machen über den ganzen Wasserkreislauf. Wenn sich unser
Umgang mit Wasser nicht ändert, dann kann in wenigen Jahrzehnten nur noch die Hälfte
des Bedarfs an sauberem Trinkwasser gedeckt werden. Das wäre eine Katastrophe für große Teile
der Menschheit.
III.
Süßwasser wird knapper und teurer. Viele Experten sprechen jetzt schon vom "Blauen
Gold" des 21. Jahrhunderts. Die Verfügungsgewalt über Wasser ist zunehmend strategisch
und machtpolitisch bedeutsam. Der Zugang zu Wasser entscheidet über Produktionsbedingungen, über Wohlstand und Einfluss.
Wir müssen uns vergewissern: Weltweit fließen rund 300 Flüsse durch zwei oder mehr
Länder. Häufig ist es den Ländern am Oberlauf der Flüsse gleichgültig, wie die Menschen
am Unterlauf leben. Weder eine starke internationale Behörde noch völkerrechtlich
verbindliche Vereinbarungen regeln bisher die Verteilung und Nutzung des Wassers. Darum
ist es wichtig, dass wir die regionale Zusammenarbeit stärken,
damit Wassermangel nicht zur steten Quelle von Leid und Gewalt, von Vertreibung und
Krieg wird. Es gibt in ganz unterschiedlichen Teilen der Welt gute Beispiele dafür,
dass Zusammenarbeit gelingen und erfolgreich sein kann.
* Ich nenne das Abkommen zwischen den USA und Kanada über die
Nutzung der großen Seen.
* Ich nenne die verschiedenen internationalen Abkommen zum Schutz
des Rheins
* und den Vertrag zwischen Indien und Bangladesh über die Nutzung
des Ganges.
* Auch die beginnende Zusammenarbeit von zehn Anrainerstaaten des
Nils kann uns zuversichtlich stimmen.
Ich wünschte mir, dass ich mehr gute Beispiele aus dem Nahen Osten nennen könnte.
Auch da gibt es Abmachungen, aber sie müssen dringend mit Leben gefüllt werden -
fair und zum gegenseitigen Nutzen. Das wäre ein wichtiger Beitrag dazu, diesen schrecklichen
regionalen Konflikt zu zivilisieren.
Der Mangel an Trinkwasser bedroht nicht nur Wüstenregionen. Wassermangel bedroht auch
den Westen der USA und die Länder nördlich des Mittelmeeres. In diesen Regionen ist
schon jetzt die Hälfte der Seen überdüngt und als Trinkwasserreservoir kaum noch
zu gebrauchen. Die Gründe dafür mögen von Land zu Land verschieden sein. Aber eine Einsicht
gilt allgemein: Alle Staaten müssen noch viel für den guten Umgang mit der Überlebensressource
Wasser tun, denn Wasser ist viel wichtiger als Öl.
IV.
Im weltweiten Durchschnitt verbrauchen die privaten Haushalte zehn Prozent des Süßwassers;
zwanzig Prozent verbraucht die Industrie und siebzig Prozent die Landwirtschaft.
Das gibt uns schon Hinweise darauf, in welchen Bereichen wir ansetzen müssen, damit
sich etwas zum Besseren verändert. Gerade in der Landwirtschaft gibt es noch große
Möglichkeiten. Es ist dringend nötig, sparsamer zu bewässern und sorgfältiger mit
Düngemitteln umzugehen. Das wird ohne technische und finanzielle Unterstützung aus
den wirtschaftlich hoch entwickelten Ländern nicht gelingen.
Dabei geht es nicht darum, westliche Hochtechnologie eins zu eins nach Asien oder
Afrika zu verpflanzen. Dafür sind die Voraussetzungen zu unterschiedlich. Es geht
vielmehr darum, angepasste Techniken zu entwickeln und Netzwerke zu bilden zwischen
Ländern mit ähnlichen Voraussetzungen. Was sich unter vergleichbaren Bedingungen praktisch
bewährt hat, muss weitergegeben werden. Dabei müssen die
Industrieländer helfen.
Darum ist es richtig, dass die Unterstützung von Programmen und Projekten der Wasserwirtschaft
in der ganzen Welt ein Schwerpunkt der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist.
Sie entspringt der Erfahrung, dass sich keine andere Art von Hilfe so positiv auf die Gesundheit der Menschen auswirkt wie die Versorgung mit sauberem Trinkwasser
und die geordnete Entsorgung der Abwässer.
V.
Auch die Industrieländer selber können und müssen in ihrem Umgang mit Wasser noch
viel lernen. Auch wir müssen mit diesem Grundlebensmittel sparsamer und schonender
umgehen. Ich finde es schon erstaunlich zu lesen, dass der private Trinkwasserverbrauch
in den USA 295 Liter pro Tag und pro Person beträgt, in Deutschland 129 Liter und in
Belgien nur 122 Liter pro Tag (Quelle: OECD 1999). Es gibt also auch in den Industrieländern
Einsparpotenziale, die genutzt werden müssen.
Wir müssen auch verantwortungsvoller mit den Weltmeeren umgehen. Noch immer werden
die Ozeane als Müllkippen benutzt. Noch immer zerstören Tankerunglücke das Ökosystem
ganzer Regionen und damit auch die Nahrungsgrundlage für viele Menschen. Wir sind
längst technisch dazu fähig, noch viel umweltschonender zu wirtschaften als in der Vergangenheit.
Es wir höchste Zeit, dass wir unser Wissen und unsere technischen Möglichkeiten in
die Tat umsetzen.
VI.
In den letzten Jahren wird immer häufiger über die Privatisierung der Wasserwirtschaft
gesprochen. Viele sehen darin ein effizientes Mittel gegen die Versorgungsknappheit.
Andere sind der Auffassung, der Zugang zu frischem, sauberem Wasser sei ein Grundrecht, und Grundrechte seien nun einmal keine Handelsware. Ich meine: Der Markt ist gewiss
ein bewährtes Instrument, um Waren effizient bereit zu stellen.
Aber privatwirtschaftliche Unternehmen sind keine Wohlfahrtseinrichtungen, sie wollen
und müssen Gewinne erzielen. Dafür müssen die Käufer aber in der Lage sein, Marktpreise
zu bezahlen. Das können sie längst nicht in allen Regionen. Man muss also sehr genau hinsehen, wo Privatunternehmen oder Public-Private-Partnerships die Lage für die
Menschen wirklich verbessern können. Ich sehe in einer ausreichenden Wasserversorgung
für alle, zu bezahlbaren Preisen, eine herausragende öffentliche Aufgabe. Ein Allheilmittel ist der Markt gewiss nicht. Wir in Deutschland haben mit der Wasserversorgung
in öffentlicher, kommunaler Verantwortung auch gute Erfahrungen gemacht.
Zur Wirklichkeit gehört leider auch, dass es in manchen Ländern einen erschreckenden
Widerspruch gibt: Die einen verbrauchen für ihre Ziergärten und Swimmingpools Tag
und Nacht Frischwasser, und die anderen haben nicht genug Wasser zum Trinken und
zum Kochen.
Da sind in erster Linie die jeweiligen Regierungen gefordert. Sie müssen für mehr
Gerechtigkeit sorgen. Nur sie können erreichen, dass die Gebote von Fairness und
Nachhaltigkeit im Umgang mit Wasser eingehalten werden.
VI.
Ich hoffe, dass dieser Kongress, und die Frischwasserkonferenz im Dezember in Bonn
wichtige Anregungen zum weltweit "guten Umgang mit Wasser" geben werden. Wir müssen
es schaffen, diese lebensnotwendige Ressource wirklich nachhaltig zu nutzen. Dafür
brauchen wir neue Ideen. Das gilt für das Grund- und Oberflächenwasser und für die Abwasserentsorgung.
Ich bin fest davon überzeugt: Alle Menschen können Zugang zu gesundem Wasser haben,
wenn Politik und Wirtschaft und Wissenschaft gemeinsame Anstrengungen unternehmen.
Das Ziel "Sauberes Trinkwasser für alle bis zum Jahr 2015" ist erreichbar. Dieser
Kongress kann mithelfen, dass wir es erreichen. Zu Gunsten aller Menschen, auch der Kinder
in unseren Ländern.
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