Polysemie
- religiös: ‘hinduistischer Führer’
- Lifestyle-Profil: ‘Vertreter östlichen Ideenguts’
- Expertenprofil: ‘Fachmann’
Definition
guru
Ursprünglich im Hinduismus ein religiöser Lehrer und geistlicher Führer. Später (im 16.-17. Jh.) ein Titel, der einem Führer der religiösen Gemeinschaft der Sikhs zukommt.
Lexikalische Relationen
Synonyme
- Meister1
- Lehrer1
- geistiger Führer1
Wortbildungen
Substantive
- Gurubewegung
- Gurujünger
- Gurumeister
Phraseme, Kollokationen
Kollokationen
- indischer Guru
- Anhänger eines Gurus
Belege
Jouret interessierte sich während des Studiums für fernöstliche Mystik, später auch für philippinische Geisterheiler. Er ging nach Indien, wo er den Lehren des Gurus Krishna Macharia folgte.
Salzburger Nachrichten, 07.10.1994
In Indien war es jahrtausendelang üblich, kleine Jungen unter die Aufsicht eines Gurus zu stellen, damit sie zusammen mit anderen Jungen in einer klosterähnlichen Gemeinschaft traditionelle religionsbezogene Unterweisungen erhielten.
WPD/GGG.09573
Eine indische Sekte will in Rheinsberg unmittelbar neben dem Schloss ein Meditationszentrum für 200 Millionen Mark errichten. Zu dem Komplex der TM-Bewegung (Transzendentale Meditation) des indischen Gurus Maharishi Mahesh Yogi gehören ein Klinik- und Akademiekomplex, ein Hotel sowie über 300 Wohnungen.
Berliner Morgenpost, 10.10.1999
Für seinen 100. Rekord hat er mit 100 Mitgliedern des "Sri Chinmoy Centre" den Text eines indischen Gurus in 111 Sprachen vorgetragen.
Hamburger Morgenpost, 19.04.2009
Die Bewegung wächst zu dieser Zeit sprunghaft an: Bhagwans Aufruf zu freier Liebe und zur Entsagung von materiellen Werten findet im Klima des gesellschaftlichen Aufbruchs grossen Anklang. Die Anhänger des Gurus, die so genannten Neo-Sannyasins, leben, lieben und arbeiten gemeinsam in der indischen Stadt Poona.
Die Südostschweiz, 28.04.2010
Als die Polizei im Laufe des Vormittags die 2-Zimmer-Wohnung der seit fünf Jahren geschiedenen Frau aufsuchte, stießen die Beamten auf Anzeichen von „religiösem Wahn“, die 44jährige habe in einer „besonderen religiösen Welt“ gelebt: Neben zahlreichen Bildern von Gurus und Heiligen waren in der kleinen Wohnung auch zwei Altäre aufgebaut.
Rhein-Zeitung, 14.01.1997
Definition
guruneu
Über einen Vermittler von östlichen Glaubenslehren oder Lebenspraktiken wie Meditation, Yoga u. Ä. Einen Guru stellt man sich langhaarig, bärtig und von asketischer Schlankheit vor, mit langen Gewändern oder in weiter bunter Baumwollkleidung; er folgt einem alternativen Lebensstil, duzt alle Mitmenschen, hat eine sanfte, einschmeichelnde Stimme, sammelt Gleichgesinnte um sich. Er legt wenig Wert auf materielle Güter, dafür betont er seelische Werte, die er in Begriffe wie Karma, Aura u. Ä. kleidet.
Die Bezeichnung ist oft eine Fremdzuschreibung, mit der der Sprecher seine distanzierte und ironisierende Haltung zum Ausdruck bringt und signalisiert, dass er den Guru oder seine Anhänger als für nicht vertrauenswürdig, anmaßend, zweifelhaft oder exzentrisch ansieht.
Konnotationen
- New Age, Meditation, Yoga, Spiritualität, Esoterik
- Ritual, Initiationsakt, geistige Führung
- gelassen, weltfremd, über den Dingen stehend
Lexikalische Relationen
Synonyme
- Meister2
- Lehrer2
- geistiger Führer2
Wortbildungen
Substantive
- Gurusekte
Adjektive
- guruhaft ‘in Relation zu Guru (Lifestyleprofil) stehend’, vgl. ein guruhaftes Auftreten
Adverbien
- gurumäßig ‘in der Manier eines Guru’, vgl. er benahm sich gurumäßig
Phraseme, Kollokationen
Kollokationen
- sich einem Guru anschließen
- einem Guru auf den Leim gehen
Belege
«Mehr als 600 religiöse Organisationen bieten in der Schweiz ihre Wahrheit an», stellte Schmid fest. Viele Angebote bemühten sich um «Erlebnisintensität als Kennzeichen der Wahrheit». Man wolle heftige Gefühle spüren oder gar ein Kribbeln im Bauch. In gewissen Gruppierungen heisse es: «Bei uns ist alles zusammengefasst». Beispielhaftes neues Menschsein werde vermeintlich in leitenden Gestalten der eigenen Bewegung gefunden. «Diese Gurus schlagen ihre Zelte meist an schönen Orten auf und leben gut auf Kosten ihrer Anhänger», sagte der Referent.
St. Galler Tagblatt, 04.11.1997
Der Sturz vieler Menschen in finanzielle und seelische Abhängigkeit sollte Grund genug sein, dem Einfluß obskurer Sekten Einhalt zu gebieten. Wie Scientology zeigt, sind es ja nicht nur labile Personen, die den Gurus auf den Leim gehen; zu den Objekten der Begierde gehören auch gut verdienende Managertypen, die Einfluß auf die Wirtschaft versprechen und sich kräftig ins Portemonnaie greifen lassen.
Mannheimer Morgen, 11.01.1996
Wie so viele Deutsche kam die Münchnerin vor Jahren als Anhängerin der ehemaligen Bhagwan-Sekte nach Pune. Die Bäckerei steht neben der Ex-Zentrale des Gurus, wo in den 70er Jahren Sex- und Drogen-Orgien im Zeichen der Erleuchtung gefeiert wurden. Auch heute noch streifen Jünger in roten Gewändern durch die Straßen der Metropole.
Hamburger Morgenpost, 15.02.2010
Victoria Williams hatte die naive, undurchsichtige Freundlichkeit eines Menschen, der seit 1967 in Landkommunen alles durchgemacht, sieben Gurus überstanden, täglich viele Joints geraucht und nun plötzlich die Country-Musik entdeckt hat.
Die Zeit, 07.11.1986
Wie der Tiroler Sektenspezialist Wolfgang Mischitz neulich versicherte, ist der Satanskult alles andere als eine Sekte. Dies haben auch die Sektenforscher Schweidlenke und Guggenberger bestätigt. Die Autoren kritischer Sektenbücher sehen im Satanismus kein von Gurus organisiertes Netzwerk, sondern einen Aufschrei der Jugend, ein Ventil für Protest. Zentral dabei ist das „Umkehrdenken“: Statt dem christlichen Gott, der diese brutale Welt zuläßt, gilt das Interesse dem Teufel.
Tiroler Tageszeitung, 18.06.1997
Definition
guruneu
Ein Mensch, der von seinen Anhängern als Experte oder Fachmann auf einem bestimmten Gebiet angesehen wird. Die Bezeichnung kann implizieren, dass sich die Person in einem eher neuen, für viele Menschen unverständlichen und unzugänglichen Bereich (etwa Wissenschaften oder neue Medien) auskennt.
Als Guru kann aber auch eine Person bezeichnet werden, die dank ihrer Fähigkeiten, Lebensphilosophie oder ihres Durchsetzungsvermögens für jemanden als persönliches Vorbild oder als Vorkämpfer neuer Ideen gilt. Besonders in der Publizistik häufig hyperbolisch oder scherzhaft verwendet (vgl. beispielsweise die Bezeichnung der DUDEN-Redaktion als die Gurus der Rechtschreibung).
Konnotationen
- umfangreiches Fachwissen, Lebensweisheit
- Anerkennung, Bewunderung
Lexikalische Relationen
Synonyme
- Autorität
- Experte
- Idol
Wortbildungen
Substantive
- Börsenguru
- Modeguru
- Oberguru
Phraseme, Kollokationen
Kollokationen
- Guru der italienischen Avantgarde
- Guru des modernen Theaters
Belege
Was ist der Grund, dass gerade Apple mit seinen Geräten, vorab mit dem iPhone und jetzt mit dem iPad, so grossen Erfolg hat? Es liegt an der Genialität seines cholerischen Gurus Steve Jobs, die darin besteht, dass er uns nicht etwas zu verkaufen weiss, was wir schon immer wollten. Vielmehr verkauft er uns Dinge, von denen wir gar nicht wissen, dass wir sie wollen – bis er sie uns zeigt und uns ihren Nutzen einsichtig macht.
St. Galler Tagblatt, 28.05.2010
Die heutige Zeit sei schnelllebig, heisst es so tiefsinnig wie sprachlich verunglückt. Tatsache ist, dass es vielen Menschen Mühe macht, den wissenschaftlich-technischen und gesellschaftlichen Umwälzungen zu folgen, während einige dem Fortschrittsrausch verfallen sind. Dazu zählen auch die Gurus und Jünger der Multimedia- und Internetgemeinde. Millionen neuer Jobs, weltweite Kommunikation, ja ein ganz neues Bewusstsein werde es geben, verkünden sie.
St. Galler Tagblatt, 23.09.1998
Auch das New Yorker Marktforschungsinstitut BDA Associates prognostiziert rückläufige Umsätze im Bereich Informationstechnik. Für die nächsten zehn Jahre haben die Gurus ein jährliches Wachstum der Umsätze mit Computern und Büromaschinen von 9,3 Prozent errechnet.
COMPUTER ZEITUNG, 01.04.1993
Das Schöne und Ärgerliche daran: Etwas, das einleuchtend ist, muss nicht zwingend logisch sein - und umgekehrt. Es gibt auf dieser Erde viele Wahrheiten, die alleinseligmachende gibt es nicht, auch wenn das uns gewisse Gurus und Politiker immer wieder weismachen wollen.
Zürcher Tagesanzeiger, 01.02.1996
Im betrieblichen Alltag sind kaum Zeit und Raum vorgesehen, Fragestellungen zu überlegen oder Ideen konsequent zu Ende zu denken. Das Denken wird delegiert - an sogenannte Experten, Berater oder Gurus. Die entpflichten von eigenständigen Urteilen.
Zürcher Tagesanzeiger, 21.03.1996
Noch ist es der Netzgemeinde (P. Glaser: „Eine transnationale Region jenseits der Nationalstaaten“) gelungen, diese Versuche erfolgreich abzuwehren, noch kann man den vermeintlichen Versuch der Firma Microsoft und ihres Gurus Bill Gates, das Netz unter Kontrolle zu bringen, als Paranoia einiger User abtun.
Kleine Zeitung, 01.01.1997
Das Werk von Castagnoli, Jahrgang 1958 und Akademieprofessor in Turin seit zehn Jahren, entspringt aus der Verschmelzung der unruhigen und geschmeidigen "Neuen Komplexität" Brian Ferneyhoughs, bei dem er in Freiburg studiert hat, mit der vielschichtigen meditativen Klangforschung Giacinto Scelsis (1905-88), des Gurus der italienischen Avantgarde.
Berliner Morgenpost, 17.06.1999
Jetzt versagen auch die Gurus der Rechtschreibung Bonn seinen Titel als Bundesstadt nicht länger. In dem neuen Duden nimmt das „Standardwerk zu allen Fragen der deutschen Rechtschreibung“ den Begriff auf.
Rhein-Zeitung, 11.09.1996
Wortindex
- Autorität
- Börsenguru
- Experte
- geistiger Führer1
- geistiger Führer2
- Gurubewegung
- guruhaft
- Gurujünger
- gurumäßig
Etymologie
In der 2. Hälfte des 20. Jhs. aufgekommener Internationalismus, der auf das Sanskrit zurückgeht, wo das Adjektiv gurú- गुरू ‘schwer’, ,, ‘gewichtig’, ‘hart’, ‘drückend’, ‘groß’ bedeutet und als Anrede ehrwürdiger Personen, besonders des Lehrers verwendet wird. Dem Adjektiv liegt die grundsprachliche Wurzel *g u̯ r̥h 2 -ú- zugrunde, die auch in griechisch βαρύς und lateinisch gravis vorliegt (MAYRHOFER I, 490f.).
Semantischer Wandel
Das Wort Guru ist im Deutschen ein Neologismus und wird in den einsprachigen Bedeutungswörterbüchern seit den 70er Jahren des 19. Jh. erfasst. Das Eindringen des Wortes ins Deutsche hängt offensichtlich mit der Verbreitung des fernöstlichen religiösen Gedankenguts in der westlichen Kultur seit den 1960er Jahren zusammen.
Das ältere WDG (1964-1977) führt das Lemma noch nicht an. Die späteren Wörterbuchartikel zu Guru spiegeln wider, dass als etymologisch primär die religiöse Bedeutung (Bezeichnung eines religiösen Lehrers in indischen Religionen) gilt. Von ihr werden die übertragenen Bedeutungen abgeleitet. So führt WAHRIG (1978) erstens die religiöse Bedeutung, zweitens die Bedeutung ‘Vorbild, Anführer’ an, ähnlich auch DUDEN GWDS (1993) an zweiter Stelle ‘Führer, Vorbild, geistiger Führer’. Weitgehend ähnliche Einträge finden sich ebenfalls in den neuesten Wörterbüchern, vgl. in WAHRIG (2006) unter Punkt 2 ‘jemand, der in einem Bereich den Ton angibt’, mit dem Qualifikator „scherzhaft“ versehen, in DUW (2011) als übertragen markiert ‘geistiger Führer’ mit den Beispielen: der Guru der Hippies und die Gurus der freien Marktwirtschaft. Meistens wird also die Eigenschaft ‘(geistiger) Führer’ oder auch ‘Vorbild’ als richtungsweisend für die Metapher erfasst.
In der Profileinteilung im vorliegenden Wörterbuch ist das semantische Merkmal ‘Führer, Vorbild’ im Grunde für beide übertragenen Profile relevant (das Lifestyle-Profil und das Experten-Profil). Sie unterscheiden sich eher durch ihren diskursiven Kontext. Das Lifestyle-Profil von Guru realisiert sich in Texten, die sich mit Themen wie Meditation, von Hinduismus beeinflusste Lebensstile, Yoga u.Ä. befassen. Da der Popularität der östlichen Religionen in der westlichen Kultur häufig mit Skepsis begegnet wird und sie als eine oberflächliche Mode kritisiert wird, beinhaltet auch das Wort Guru ein teilweise negativ beladenes Stereotyp (vgl. die Definition und Konnotation bei dem Lifestyle-Profil) und wird von den Sprechern häufig mit einer kritischen Distanz verwendet.
Das Experten-Profil kommt in Texten vor, die von einer außerordentlichen Person, typischerweise einem erfolgreichen Unternehmer, Wissenschaftler oder Künstler handeln. Hinduistische Traditionen oder Ähnliches spielen hier dagegen keine Rolle. Die Metapher ist durch die besonderen Eigenschaften eines Gurus motiviert wie Einsicht in komplizierte Sachen, umfangreiches Wissen und Weisheit, richtungsweisendes Verhalten etc. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um eine Lehnprägung aus dem Englischen.
Belege aus dem Korpus (überwiegend der Publizistik entstammend) zeugen davon, dass beide übertragenen Profile an Häufigkeit gewinnen und sich allmählich zur festen Polysemie entwickeln.
Sprichwörter
Der wahrhaft religiöse Geist ist frei von allen Gurus.
Kulturelle Kontexte
Literatur
- Aida Karnowski: Goodbye Guru, 2011.
Filme
- Der Love Guru (The Love Guru), USA 2008.
- Der Super-Guru (The Guru), GB/F/USA 2002.
- Die unglaublichen Abenteuer des Guru Jakob (Regie: Franz Marischka), Deutschland 1982.
-
Der Guru (Holy Man), USA 1998.(Quelle: http://www.moviegod.de/images/movies/00020/1967/1967_xxl.jpg)
Musik
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Guru Guru - deutsche Krautrockband(Quelle: http://www.progarchives.com/progressive_rock_discography_covers/943/cover_1539214102010.jpg)
Sonstiges
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Frontseite eines "Guru-Shops"
(Quelle: http://www.flairberlin.de/d/bergmannstrasse/bilder/guru-3.jpg) -
Marketing-Guru
(Quelle: http://www.heimarbeit-job.net/heimarbeit-erfolg/internet-marketing-guru.jpg) -
Marketing-Guru(2)
(Quelle: http://profile.ak.fbcdn.net/hprofile-ak-snc4/41593_142843732426418_7016_n.jpg)
Bibliographie
Morrow, Duncan 1992: „America's Usage Gurus“, in: English Today 8.4, S. 37-42.