Übersicht
religiös-institutionell | religiös-subjektiv | magisch | ideologisch | Vertrauen | Wahrheit | Kredit | kollektiv | |
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Deutsch | ||||||||
Polnisch | ||||||||
Slowakisch | ||||||||
Tschechisch |
de:123456
pl:123458
sk:123457
cz:12345
Sprachvergleich
Glaube – wiara – viera – víra
Fünf der sechs in SuP verzeichneten Profile sind allen hier miteinander verglichenen Sprachen gemeinsam: ein religiös-institutionelles, ein religiös-subjektives, ein magisches, das ideologische Profil sowie ein Vertrauensprofil.
Für das Deutsche gibt es zusätzlich ein Wahrheitsprofil. Das Slowakische weist mit dem Kreditprofil ebenfalls eine weitere Lesart auf und das Polnische ist mit einem zusätzlichen kollektiven Profil vertreten. (mehr dazu s.u.)
Im SuP wurden das religiös-institutionelle Profil und das religiös-subjektive Profil klar voneinander abgegrenzt. Grund dafür ist, dass es im ersten Fall um eine objektiv existierende Lehre und Vorschriften geht, während im anderen Fall der innere subjektive Vertrauen des Menschen an Dinge im Vordergrund steht, die sich nicht beweisen lassen.
Das magische Profil unterscheidet sich von dem Religiösen darin, dass die Objekte des Glaubens durch keine institutionalisierte kirchliche Lehre, kein Schrifttum oder Ähnliches gestützt werden und von vielen Menschen als zweifelhaft und falsch angesehen werden.
Das ideologische Profil kann als eine Übertragung der religiösen Lesart des Wortes auf nicht-religiöse Sachverhalte gedeutet werden. Glaube/ wiara/ viera/ víra bezeichnen hier den mentalen Zustand der Überzeugung von der Richtigkeit eines ideologischen Grundsatzes, einer Lehrmeinung u. Ä. Das Wort wird oft als kritischer Kommentar in Bezug auf eine Überzeugung anderer verwendet, von der sich der Sprecher distanziert.
Die Bedeutung des Vertrauensprofils kann als das Vertrauen in eine Person, Institution oder ein Mittel umschrieben werden. Man ist von den guten Absichten einer Person oder auch dem guten Ausgang bzw. der Folge einer Handlung überzeugt.
Das nur im Deutschen vorhandene Wahrheitsprofil drückt eine Überzeugung von der Wahrhaftigkeit, Richtigkeit oder Wahrscheinlichkeit einer Aussage aus und liegt nurals kontextgebundene Bedeutung in Phrasemen vor.
Das nur im Slowakischen ausgesonderte Kreditprofil tritt ebenfalls ausschließlich in einigen wenigen phrasemartigen Wendungen auf und ist bereits veraltet. Eine Spur des Kreditprofils, das in einer früheren Sprachstufe existierte, hat sich im Deutschen in der Redewendung <jmdm. etw. auf Treu und Glauben borgen> erhalten.
Eine auffällige Besonderheit des Polnischen ist die Existenz eines kollektiven Profils, das eine Gruppe von zusammengehörigen Menschen umfasst und als Homonym anzusehen ist.
Die Kernbedeutung von Glaube kann als persönliche Sicherheit, feste Überzeugung oder tiefsitzendes Vertrauen in die Wahrheit, Wirklichkeit oder Verlässlichkeit einer Macht, eines Prinzips, einer Vorstellung, Sache oder auch einer Person beschrieben werden. Das Vertrauensprofil kann als das Scharnier, das alle Profile miteinander verbindet und zum anderen als Ausgangspunkt für die Entwicklung der säkularen Profile angesehen werden. Kern ist dabei das Vertrauen auf den Wahrheitsgehalt einer Sache bzw. auf die Verlässlichkeit einer Person.
Auffällig ist bei den meisten deutschen Belegen im ideologischen Profil, aber auch im Vertrauensprofil die Einkleidung in Sätze mit negativer Aussage und die allgemeine Skepsis gegenüber dem Gebrauch des Wortes (den Glauben verlieren, blinder Glaube, falscher Glaube, den Glauben erschüttern, der Glaube fehlt, der Glaube ist <jmdm.> abhandengekommen, auch im Tschechischen:směšná víra ‘lächerlicher Glaube’, ztráta víry ‘Verlust des Glaubens’, falešná víra ’falscher Glaube’, naívní víra ‘naiver Glaube’, pozbyt víry ‘den Glauben verlieren’). Zumindest im Deutschen klingt Glaube in diesen Kontexten pathetisch und hat einen autoritären Beigeschmack, Im Vertrauensprofil kann Glaube in den dort angesprochenen Verwendungskontexten leicht durch das Synonym Vertrauen ersetzt werden, dass weniger absolut klingt und gegenüber dem keine solche tiefgehende „Vertrauenskrise“ festzustellen ist.
Allen Sprachen ist gemeinsam, dass das Substantiv im Gegensatz zum Verb glauben als primär religiös wahrgenommen wird. Das liegt u.a. daran, das selbst in den säkularen Profilen die feierliche, gehobene Komponente in den Verwendungen des Worts stark spürbar ist, die sich auch am semantisch-syntaktischen Muster Glaube an _/wiara w_/viera v_/ víra v_, das in den meisten Profilen vorliegt, festmachen lässt. Dagegen ist das Verb glauben (s. dort) in vielen Verwendungen ein Synonym zu ‘meinen, denken’.
Trotz oder wegen seiner Aufspaltung auf relativ viele Profile können keine wesentlichen neuen Tendenzen bei der Wortverwendung oder Bedeutungsveränderungen in den hier untersuchten Sprachen verzeichnet werden. Das ideologische, das magische und das Vertrauensprofil lassen sich allerdings auf immer neue Bereiche anwenden, was jedoch nichts an ihrer Grundbedeutung ändert. Der Fokus aktueller Säkularisierungsvorgänge ist das ideologische Profil. Es stellt eine klare Übertragung des religiös-subjektiven und des religiös-institutionellen Profils auf säkulare Domänen und Diskurse dar. Durch die damit verbundene ironische Markierung können neuen Verwendungskontexte erschlossen werden. Die anderen semantischen Aspekte bleiben dabei latent vorhanden und können bei Bedarf aktualisiert werden. Dies zeigt sich u.a. bei der Übertragung von Wortbildungen, die ursprünglich aus anderen Profilen stammen, und ihrer Ausdehnung auf neue Zusammenhänge (z.B. tschech. malověrný/kleingläubig). Im Deutschen können aber auch neue Derivate gebildet werden, die zwischen Lexikalisierung und Okkasionalismus oszillieren. Inzwischen als etabliert dürften buchstabengläubig, marktgläubig, paragraphengläubig, staatsgläubig gelten, am anderen Ende der Skala sind ephemere ad hoc-Bildungen zu finden wie politikgläubig, vorschriftsgläubig, börsengläubig, brüsselgläübig, putingläubig, merkelgläubig.
In Bezug auf die Wortbildung tauchen die meisten Derivate tauchen im Vertrauensprofil sowie in allen Sprachen (in den slawischen Sprachen) sowie im religiös-institutionellen Profil auf.
Im religiös-subjektiven Profil tauchen alte, z.T. alte Komposita ADJ+ADJ und ADJ+SUB auf, die auf Lehnübersetzungen des Griechisch der Bibel bzw. der Patristik zurückgehen: dt. kleingläubig poln. małowierny, slow. maloverný, tschech. malověrný,dt. Kleingläubiger (<oligopistos), slow. inoverecký ‘andersgläubig’, poln. innowierca/ Andersgläubiger (<heterodoxos, allothrēskos). Zu den Neubildungen im ideologischen Profil (s.o.)
Die Phraseme sind in den untersuchten Sprachen miteinander vergleichbar und nicht sehr reich entwickelt. Sie beschränken sich entweder auf bestimmte syntaktische Muster (Glauben schenken, wechseln, verlieren, erschüttern, sich in dem Glauben wiegen) oder sind (im Deutschen) konventionalisierte Kollokationen mit hoher Frequenz: Glaube an da ewige Leben, Glaube an eine bessere Zukunft).
In Bezug auf die syntaktischen Muster ist folgendes zu bemerken: Zwar können die säkularen Profile nicht unmittelbar vom religiösen Profil hergeleitet werden. Da jedoch von den durch die Phrase Glauben an _/ wiara w _/ viera v _, víra v _ konstituierten Profilen das religiös-subjektive Profil in der Sprachpraxis lange Zeit im Vordergrund stand, kann diese syntaktische Fügung als paradigmatisch für dieses satzmusterbezogene Lexem betrachtet werden. Dieses Muster ist für alle Profile außer für das religiös-institutionelle Profil offen, das zu ergänzende Akkusativobjekt entscheidet, in welches Profil sich die sprachliche Aussage einfügt. Im religiös-institutionellen Profil dominiert im Unterschied zu den anderen Profilen das Muster relationales Adjektiv + Glaube (slow. pohanská viera ‘heidnischer Glaube’, stará viera ‘der alte Glaube’, pravá viera ‘der wahre Glaube’) Häufig liegt auch eine Alleinstellung des Wortes vor (wobei Glaube als Ellipse für die jeweils dominierende Form der Konfession angesehen werden kann, also für christlicher Glaube, katholischer Glaube steht).