Übersicht
religiös | magisch | ideologisch | Wahrheit | Vertrauen | Modalität | |
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Deutsch | ||||||
Polnisch | ||||||
Slowakisch | ||||||
Tschechisch |
de:123456
pl:12345
sk:12345
cz:12345
Sprachvergleich
glauben – wierzyć – veriť – věřit
In allen vier verglichenen Sprachen sind die Verben glauben (deutsch), wierzyć (polnisch), veriť (slowakisch) und věřit (tschechisch) polysem. In allen vier Sprachen können das religiöse, das magische, das ideologische, das Wahrheits- und das Vertrauensprofil unterschieden werden. Nur im Deutschen wird bei glauben zusätzlich das Modalitätsprofil ausgegliedert.
In allen vier Sprachen werden glauben/ wierzyć/ veriť/ věřit in Bezug auf den religiösen Glauben verwendet. Die Wortbildungen und Kollokationen sind in diesem Profil zum großen Teil deckungsgleich. So gibt es zum Beispiel Derivate zur Bezeichnung Gläubiger und Ungläubiger (dt. Gläubiger bzw. Gläubige/ poln. wierzący/ slow. veriaci/ tschech. věřící; dt. Ungläubiger bzw. Ungläubige/ poln. niewierzący/ slow. neveriaci/ tschech. nevěřící) oder die Kollokation dt. an Gott glauben/ poln. wierzyć w Boga/ slow. veriť v Boha/ tschech. věřit v Boha.
Das magische Profil ist ebenfalls in allen vier Sprachen vorhanden. Es unterscheidet sind von dem religiösen Profil darin, dass die Objekte des Glaubens durch keine institutionalisierte kirchliche Lehre, kein Schrifttum und Ähnliches gestützt werden und von vielen Menschen als zweifelhaft und falsch angesehen werden. Im Tschechischen und Slowakischen wird in diesem Profil neben der Präposition v/ ve auch na verwendet. Die Verwendung von na hebt den zweifelhaften oder heterodoxen Charakter des Geglaubten hervor (z. B. tschech. věřit na duchy ‘an die Geister glauben’, slow. veriť na náhody ‘an Zufälle glauben’). Im Deutschen und Polnischen regiert glauben/ wierzyć wie im religiösen Profil nur eine Präposition (dt. glauben an etw., poln. wierzyć w coś).
Das ideologische Profil kann als eine Übertragung der religiösen Lesart des Wortes auf nicht-religiöse Sachverhalte gedeutet werden. Die Verben glauben/ wierzyć/ veriť/ věřit bezeichnen hier den mentalen Zustand der Überzeugung von der Richtigkeit eines ideologischen Grundsatzes, einer Lehrmeinung u. Ä. Die Verben glauben/ wierzyć/ veriť/ věřit bedeuten dabei nicht nur so viel wie ‘überzeugt sein’, sondern es schwingt häufig auch die kritische Bewertung solcher Überzeugung durch den Sprecher mit – die Meinung wird in Frage gestellt, sie ist möglicherweise falsch, einseitig, überholt. Es wird also darauf angespielt, dass jemand an etwas glaubt, als wäre es eine Religion – ohne plausible Erklärungen oder Beweise zu verlangen bzw. aller Evidenz zum Trotz. In allen vier Sprachen finden sich Belege, die sich auf eine politische oder politisch-ökonomische Überzeugung oder Haltung beziehen, z. B. slow. veriť v socializmus/ tschech. věřit ve volný trh/ dt. an den Kommunismus glauben/ poln. wierzyć w marksizm.
Das Wahrheitsprofil von glauben/ wierzyć/ veriť/ věřit kommt in verschiedensten thematischen Zusammenhängen und Kommunikationsbereichen vor. Typischerweise handelt es sich um einen mentalen Zustand, in dem jemand überzeugt ist, dass etwas, was andere behaupten, stimmt. Anders als in den vorherigen Profilen können die Verben glauben/ wierzyć/ veriť/ věřit in diesem Profil neben dem Akkusativobjekt (der geglaubte Sachverhalt) auch ein Objekt im Dativ regieren, das die Aussagequelle (eine Person, eine Institution usw.) bezeichnet. Vgl. poln. Możesz mi wierzyć. ‘Du kannst mir glauben.’, tschech. Vykládala jsem to Peroutkovi a on mi to nechtěl věřit. ‘Ich habe es Peroutka erzählt und er wollte es mir nicht glauben.’, dt. Ich glaubte ihm, dass er sich geändert hatte. In diesem Profil schwingt als Assoziation die Ungewissheit, die Möglichkeit einer Täuschung mit. So folgt auch dem letzten Beispiel aus dem Deutschen im Originaltext der Nachtrag: Ich lag falsch.
Im Vertrauensprofil sind die Verben glauben/ wierzyć/ veriť/ věřit synonym zu dt. hoffen, vertrauen/ poln. ufać/ slow. úfať, dúfať/ tschech. doufat. Ihre Bedeutung kann umschrieben werden als ‘darauf vertrauen, dass etwas, was man sich wünscht, wahr ist, der Wirklichkeit entspricht bzw. sich verwirklicht’. Für dieses Profil ist ein Bezug des Subjekts (desjenigen, der glaubt) auf ein Zukunftsgeschehen charakteristisch. Vgl. slow. Treba veriť, že ide o prechodné štádium prístupu k vydávaniu krásnej literatúry. ‘Man muss glauben, dass es sich nur um einen vorübergehenden Zugang zum Herausgeben der Belletristik handelt.’, d. h. man erwartet, dass sich künftig ein besserer Zugang durchsetzt. Ähnlich auch im Deutschen: Niemand glaubte daran, daß jemals etwas zurückgegeben würde. ‘Niemand erwartete, dass jemals etwas zurückgegeben wird, obwohl man es sich gewünscht hätte.’
Nur für das deutsche glauben wird das Modalitätsprofil ausgegliedert. Glauben ist hier ein Synonym zu meinen, überzeugt sein, denken und ein Oppositum zu wissen. Es bringt also zum Ausdruck, dass das Subjekt (der, der glaubt) seine Erkenntnisse, Wahrnehmungen, Haltungen u. Ä. für richtig oder äußerst wahrscheinlich hält. Durch die übergeordnete Proposition mit dem Verb glauben wird jedoch die prinzipielle Ungewissheit des Sachverhalts eingeräumt. Das syntaktische Objekt von glauben ist in diesem Profil entweder ein Nebensatz, seltener ein Infinitiv. Im Polnischen, Slowakischen und Tschechischen werden zum Ausdruck der epistemischen Modalität andere Verben verwendet, z. B. tschech. myslet si, slow. myslieť si, poln. myśleć, sądzić.
In allen Profilen stehen die Verben glauben/ wierzyć/ veriť/ věřit in einer semantischen Opposition zum Konzept WISSEN. Glauben bedeutet, dass man von der Existenz, der Richtigkeit, dem So-Sein eines Sachverhalts überzeugt ist, oder dass man sich auf seine gewünschte Erweisung in der Zukunft verlässt. Der Sachverhalt erscheint jedoch nicht als eindeutig bewiesen bzw. kann gar nicht bewiesen werden.
Die Vorgänge der sprachlichen Säkularisierung sind für die Ausbildung der Polysemie von glauben/ wierzyć/ veriť/ věřit nur wenig wichtig. Die Polysemie ist eher darauf zurückzuführen, dass eine epistemische Unsicherheit bezüglich verschiedener Sachverhalte bestehen kann (bezüglich übernatürlicher Dinge, bezüglich ideologischer Haltungen, bezüglich dessen, was andere behaupten, bezüglich künftiger Geschehnisse und bezüglich eigener Erkenntnis). Die Polysemie von glauben/ wierzyć/ veriť/ věřit ermöglicht es diese unterschiedlichen Aspekte abzudecken.