Übersicht
religiös-geographisch | religiös-eschatologisch | psychologisch | architektonisch | |
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Deutsch | ||||
Polnisch | ||||
Slowakisch | ||||
Tschechisch |
de:1234
pl:123
sk:123
cz:123
Sprachvergleich
Paradies – raj – raj – ráj
Drei der im vorliegenden Wörterbuch verzeichnete Profile sind allen hier betrachteten Sprachen gemeinsam: das religiös-geographische, das religiös-eschatologische sowie das psychologische Profil. Nur im Deutschen liegt noch ein viertes, fachsprachliches Profil vor: das architektonische Profil.
Das religiös-geographischeProfil bezeichnet einen konkreten Ort, wie er in der Schöpfungsgeschichte im 1. Buch Mose 2,8 – 3,24 als Ort idyllischer Zustände, des ungetrübten Wohlbefindens, ewigen Lebens beschrieben wird. Im davon abgeleiteten religiös-eschatologischen Profil wird der metaphorisch damit verglichene Seelenzustand der Menschen nach dem Tod bezeichnet, der allerhöchste Glückseligkeit bedeutet, meist aber ohne dass Ortsangaben oder konkrete Angaben zu den Eigenschaften dieses Zustandes angegeben werden. Ebenfalls vom religiös-geographischen Profil abgeleitet sind die beiden säkularen Profile: Das psychologische Profil wird häufig für Werbezwecke für Orte verwendet, an denen ideale Bedingungen für Freizeit- und Urlaubsvergnügungen bestehen.
Im architektonischen Profil bezeichnet Paradies den Vorhof oder das Atrium eines Klosters bzw. einer Kirche. (vgl. „Das Paradies(von griechisch paradeisos = Halle, Garten) ist dem Westwerk unmittelbar vorgelagert und bildet auf annähernd quadratischem Grundriß von 18,6 x 20,0 m einen offenen Wandel„gang““.)Es ist nur im Deutschen vorhanden und sowohl fachsprachlich als auch veraltet und bezieht sich auf eine typologische Übertragung der Geographie des Jerusalemer Tempels (hier: seines Vorhofs) auf Kirchen, womit die Idee ausgedrückt werden sollte, dass das Opfer Christi die Erfüllung und das eigentliche Ziel der Tier- und Speiseopfer im Judentum darstelle, die in christlicher Interpretation als Präfigurationen desselben verstanden werden.
Säkularisierungsvorgänge zeigen sich im psychologischen Profil, in denen im Deutschen prinzipiell unbegrenzt neue Substantivkomposita gebildet werden können und auch gebildet werden. Ein seltsames Mischprodukt aus Säkularisierung und Sakralisierung zeigt sich in den letzten Jahren in Randaspekten des religiös-eschatologischen Profils: In letzter Zeit wird die Erlösungs- und Auferstehungsvorstellung, die traditionell auf die Seelen verstorbener Menschen begrenzt gewesen ist, mehr und mehr auch auf (Haus-) Tiere erweitert, wie sich in den Belegen der einzelnen Sprachen zeigt. (vgl. poln. Zginęła moja kotka, to pocieszam się, że jest teraz w kocim raju‘Meine Katze ist gestorben und ich tröste mich damit, dass sie jetzt im Katzenhimmel ist’.) Dies deutet auf eine Mischung verschiedener Vorgänge: zum einen ist es ein Hinweis auf die zunehmende Vermenschlichung von Haustieren, wodurch der Wunsch nach Unsterblichkeit dieser dem Menschen nahestehenden Wesen entsteht, daneben zeigt sich aber auch der Einfluss des modernen ökologischen Diskurses, der sich sowohl in säkularen wie im religiösen Umfeld zeigt. Letzterer zeigt sich in der klassischen Theologie der christlichen Kirchen im Diskurs um die Bewahrung der Schöpfung und hat dort längst eine erstrangige Bedeutung bekommen. Der Diskurs zeigt sich aber auch in konkret eschatologischer Ausrichtung, wenn auch bisher noch eher am Rande, im neuen theologischen Nischenfach Theozoologie. Daher lässt sich das Phänomen nicht auf gläubige Menschen beschränken, sondern lässt sich bei Christen wie Nichtchristen gleichermaßen finden. In den slawischen Sprachen ist es mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung ebenfalls im Wachstum begriffen. Weder im Deutschen noch in den slawischen Sprachen müssen die Bezugnahmen auf ein Paradies für Tiere ernst gemeint sein, wie folgende Überschrift eines slowakischen Artikels über Tierfriedhöfe verdeutlicht: Do psieho raja pohrebný voz nechodí. ‘In das Hundeparadies fährt der Leichenwagen nicht.’ In vielen Fällen ist der Gebrauch des Wortes aber auch nur eine Metapher für den Tod eines Haustieres, ohne dass der Benutzer damit tatsächlich das Weiterleben des Tieres nach dem Tod meint: vgl. tschech. Onen Baryk je už mnoho let v psím ráji‘Jener Baryk ist nun schon viele Jahre im Hundehimmel =schon lange tot’; Všechno marno, kocour zmizel někde v propadlišti města. Už je to sedmnáct let, s drtivou pravděpodobností dnes tedy bezbolestně chytá myši v kočičím ráji.‘Alles vergebens, der Kater verschwand im Dschungel der Stadt. Das ist jetzt schon siebzehn Jahre her und mit allergrößter Wahrscheinlichkeit fängt er jetzt schmerzfrei Mäuse im Katzenhimmel.’
Die Wortbildung ist im Deutschen vor allem durch Substantivkomposita vertreten. Taucht Paradies- als erstes Wortglied auf, so nimmt das Determinans Bezug auf den himmlischen Garten und die mit ihm verbundenen Konnotationen, wie z.B. seine Üppigkeit und seine exotischen Kreaturen. Es werden jeweils verschiedene Facetten der dort zu vermutenden Pflanzen und Tiere auf die Referenten übertragen: u.a. die exotisch anmutende Ungewöhnlichkeit und extravagante Auffälligkeit (Paradiesvogel2), die exotische Schönheit (Paradiesvogel1, Paradiesfisch) oder die üppige, kräftige Farbe (Paradiesapfel, Paradeiser). Im psychologischen Profil tritt -paradies dagegen als zweiter Wortbestandteil, d.h. als Determinatum auf. In diesem Fall handelt es sich um eine potentiell offene Klasse von spontan bildbaren Komposita, die die besondere Eignung oder die idealen Bedingungen des Ortes für die im Determinans näher bezeichnete Art des Paradieses bezeichnen, meist in Bezug auf eine bestimmte Tätigkeit (vgl. Badeparadies,Anglerparadies, Wanderparadies). In den slawischen Sprachen erfolgt die nähere Bestimmung der Art des Paradieses entweder durch relationale Adjektive oder durch substantivische Ergänzungen im Genetiv, vgl. slow.turistický raj ‘touristisches Paradies’, pieskové pláže, ktoré sú rajom pre deti aj dospelých ‘Sandstrände, die für Kinder und Erwachsene ein Paradies sind’, raj horolezcov ‘ein Paradies für Bergsteiger’, tschech. rajská hudba ‘paradiesische Musik’, daňový ráj‘Steuerparadies’ (inzwischen ein Internationalismus, vgl. poln. raj podatkowy),pozemský ráj ‘irdisches Paradies’ bzw. ráj turistů‘Paradies für Touristen’, ráj zlodějů ‘Paradies für Verbrecher’ usw. Für das religiös-geographische Profil sind Kollokationen wie slow. und tschech. rajská zahrada ‘paradiesischer Garten’ und slow. rajská blaženosť/ tschech. rajská blaženost‘paradiesische Wonne’ sowie slow. biblický raj/ tschech. biblický ráj ‘biblisches Paradies’ typisch, an Wortbildungen tauchen slow. rajčiak, rajčina ‘Tomate, Paradeiser’, tschech. rajče ‘Tomate, Paradiesapfel, Paradeiser’, auch rajské jablko/ jablíčko, zum Herkunftszusammenhangsiehe die Wortbildungen des deutschen Lemmas →Paradies (religiös-geographisches Profil) in diesem Wörterbuch, slow. und tschech. rajka1, zoologisch ‘Paradiesvogel’, rajka2 ‘Federbusch an Damenhüten’, rajka3, astrologisch ‘Sternenkonstellation am Südhimmel’ auf. Durch häufigen Gebrauch haben Kollokationen wie slow. prísť/ dostať sa/ vstupiť do rajabzw. tschech. přijít/ dostat se/ vstoupit do ráje ‘ins Paradies kommen’ phrasematischen Charakter erreicht.
Im psychologischen Profil kommen Phraseme vor, die zwar in nichtreligiösen Zusammenhängen angewendet werden, aber den biblischen Bildern vom Paradies entnommen sind: slow. byť rajom/das Paradies auf Erden sein, slow. cítiť sa/mať sa/žiť si ako v raji/ tschech. cítit se/ mít se/ žít si jako v rájisich wie im Paradies fühlen, vorkommen, leben, slow. mať raj na zemi/ tschech. mít ráj na zemi/ Himmel auf Erden haben ‘sagt man, wenn man sich schon auf Erden alle Wünsche, hauptsächlich Wohlstand, erfüllt hat’, slow. Slovenský rajgeographisch, Český rajgeographisch/ tschech. Slovenský rájgeographisch, Český rájgeographisch [wörtl. Slowakisches Paradies, Böhmisches Paradies] ‘geographische Bezeichnungen für bestimmte Regionen oder Orte, die mit großer natürlicher Schönheit verbunden sind, meist phantastisch anmutende Felsformationen’, slow. sľubovať niekomu raj na zemihyp., expr. [wörtl. jmdm. den Himmel auf Erden versprechen] ‘alles Mögliche, auch das Unerreichbare versprechen, sagt man oft in einem Zustand starker Exaltiertheit, z.B. bei Verliebtsein’, slow. stratený raj/ poln. raj utracony/ tschech. ztracený ráj/ das verlorene Paradies ‘zurückliegende Erlebnisse oder Tatsachen, an die sich als ideal erinnert wird und intertextuell auch auf Miltons Paradise Lost verweist’, slow. vyhnať z raja/ tscheh. vyhnat z ráje [wörtlich aus dem Paradies vertreiben] ‘die Idylle, in der jmd. lebt, zerstören’ (vgl. Gen 3,23), slow. zemský/pozemský raj/ tschech. zemský/ pozemský ráj ‘Paradies auf Erden, eine paradiesische Gegend’, dt. das Paradies auf Erden haben‘sagt man, wenn es jmdm. unbeschreiblich gut geht’. Indirekt greift auch das Phrasem slow. daňový raj/ tschech. daňový ráj ‘Steueroase, Steuerparadies’ auf die biblische Vorstellung zurück, in dem es um einen geschützten Ort geht, der vor dem Zugriff der Steuerbehörden eines anderen Landes geschützt ist, was darauf Bezug nimmt, dass das Paradies nach der Vertreibung der ersten Menschen für diese unzugänglich gemacht wurde, in dem Gott Cherubim mit feurigen Schwertern aufstellte, die den Zugang für immer versperrten. (vgl. 1. Mos 3,24)