Autor/enOtto, Berthold
TitelEtwas über Religion und Toleranz
OrtBerlin
Datum1919.01.12
Anmerkungen[I.6.2.; III.7.; politische Parteien] "Es gibt kaum eine größere Gefahr für die Schulreform als die, daß sie zum Gegenstand politischer Parteiprogramme wird. Meine große Abneigung gegen das ganze politische Parteiwesen gründet sich zum Teil mit darauf, daß die Programme ja die Neigung haben, sich auf alle Dinge zu erstrecken, die irgendwie Gegenstand der Agitation werden können. (S. 1) ....................................................... [I.6.2.; III.7.; politische Parteien] "... ein unmögliches Verlangen, daß die Politik der Parteien sich gar nicht um die Schule kümmern soll." (S. 1) ............................................ [I.4.3.; Autonomie des Lehrers; nicht-affirmative Erziehung] "... daß mit politischen Parteiprogrammen in der Schule nichts anzufangen ist. Der Schulmann muß sich als vollkommen selbständiges Wesen den Politikern gegenüberstellen, muß sich deren Forderungen in allen einzelnen Fällen anhören, die Macht abschätzen, die hinter diesen Forderungen steht, und dann alle seine Geisteskräfte anstrengen, um herauszubekommen, wie er das Leben der Schule entweder diesen Forderungen anpassen oder gegen sie verteidigen kann." (S. 2) ................................ [III.3.; Autonomie des Lehrers; pädagogische Freiheit] "Der Schulmann hat ... zwei Forderungen zu stellen, die eine a n sich selbst und die zweite f ü r sich selbst... Wenn man ihn einmal zum Unterricht zugelassen hat, dann muß er diesen Unterricht aus seiner ganzen Persönlichkeit heraus erteilen; also man darf ihn niemals zwingen, irgendwelche Gesinnungen zu heucheln, die er nicht hat. Er darf niemals gezwungen werden, aus seinen Überzeugungen ein Hehl zu machen, er muß sich jederzeit frei zu ihnen bekennen dürfen." (S. 2) .......................................... [III.3.; Toleranz; Religion; Gesamtunterricht] "Nun kommt aber die Forderung, die der Lehrer a n sich selbst zu stellen hat. ... der Lehrer muß sich vor sich selbst zur unbedingten Toleranz gegen alle anderen religiösen Überzeugungen verpflichten. Er muß auf das Strengste bemüht sein, diese Toleranz niemals zu verletzen, und wo er es doch getan hat, die Verletzung so rasch wie möglich gutzumachen. Durch dieses Zweite wird die Sache überhaupt erst möglich, das Erste allein könnte niemand auf sich nehmen. So stark hat sich niemand in der Gewalt, daß er nicht irgendwann einmal unversehens die religiösen Gefühle anderer Leute verletzte. Aber darauf kann man sich einüben und einstellen, daß man die Verletzung, die man anderen zugefügt hat, sofort selber fühlt, selbst dann, wenn der andere sie noch durch keine Äußerung kundgegeben hat. Dazu erzieht gerade der Gesamtunterricht, in dem man sich gefühlsmäßig aufeinander einstellt." (S. 2f.) .......................................................... [III.3.; nicht-affirmative Erziehung] "Wenn man nun aber dazu imstande ist, dann ist es im einzelnen Falle noch besser, den anwesenden Vertreter der entgegengesetzten Überzeugung zu Worte kommen zu lassen und ihm dann unter Umständen, wenn er seine Überzeugung nicht geschickt genug zu verteidigen weiß, mit dem eigenen Gedankenaufbau zu Hilfe zu kommen. Grade daraus ergibt sich für die Träger der anderen Überzeugung das entscheidende Gefühl, daß sie nicht dem Spott oder der vielleicht überlegenen Dialektik der Mitschüler widerstandslos preisgegeben sind, sondern bei dem Lehrer trotz dessen gegenteiliger Überzeugung den nötigen Beistand finden." (S. 3) ......................................................... [III.3.; Toleranz; Religion] "Das, meine ich, ist die beste Erziehung zur Toleranz, die man sich denken kann, und Toleranz in erster Linie in religiösen Dingen halte ich für das erste Erfordernis einer Kulturgemeinschaft..."..................................[Auto- nomie des Lehrers; pädagogische Freiheit; Toleranz; Religionsunterricht] "... möchte ich noch einmal die Grundforderung aufstellen, die ich für und an jeden Schulmann zu stellen habe: das Recht, seine Persönlichkeit ganz zu geben, wie sie ist, mit der Pflicht, Persönlichkeit und Überzeugung jedes anderen, ganz besonders auch jedes Schülers, zu achten und zu ehren. Das geht denn allerdings über den Religionsunterricht nach allen Seiten hinaus." (S. 4) ........................................................... [III.3.; Geschichtsunterricht; Politik in der Schule; Bildung und Politik] "Nun, ich muß auch für den Geschichtsunterricht und für die gesamte Behandlung der Politik in der Schule genau dieselbe Forderung aufstellen wie für den Religionsunterricht. Der Lehrer hat da seine Persönlichkeit einzusetzen, er darf niemals gezwungen werden, eine Überzeugung zu heucheln, die er nicht hat; aber man muß von ihm Toleranz für alle gegenteiligen Überzeugungen verlangen. Er darf niemals einen Schüler um deswillen schlecht behandeln, weil der eine politische Überzeugung hat und kundgibt, die der seinen grade entgegengesetzt ist. Wird das von allen Seiten innegehalten, so können wir in der Schule alle prächtig miteinander auskommen." (S. 4f.) .......................................................... [II.1.; Konfessionsschule; formale Bildung] "Kurz, die Schule als Einrichtung ist nicht dazu da, einen bestimmten Glauben oder eine bestimmte religiöse Überzeugung hervorzubringen oder zu sichern. Das ist Sache des Elternhauses, des Einzelnen und des ganzen Lebens sonst. Und an diesem Leben sonst sind die einzelnen Lehrer als einzelne Persönlichkeiten beteiligt... Was aber die Schule zu geben oder vielmehr wachsen zu lassen hat, das ist die Fähigkeit, den eigenen Glauben, die eigene Überzeugung geschickt gegen alle Angriffe zu verteidigen, aber niemals die Achtung vor gegenteiligen Überzeugungen zu verletzen." (S. 5)
ArchivB.-O.-S./II/B/H/III/
SignaturB.-O.-S./II/B/H/III/9 [39]
SchlagworteBildung
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