Autor/enVogt, Walther
TitelEine andere Art Philosophieunterricht
Orto.O.
Datum1931.08
ZusatzAus: Sonderdruck aus "Philosophie und Schule"
Anmerkungen"Man kann und soll aber so von unten auf anfangen, weil nämlich jede jugendliche Seele ohnehin von unten auf anfängt und mit sehr starker Energie diesen Bau in die Hand nehmen will, und weil es ihr - wie ich meine - viel heilsamer ist, man läßt sie nach Möglichkeit gewähren und gibt die Hilfen nur sparsam und nie eher, als sie danach verlangt, statt ihr mit vorzeitigen Ergebnissen die Lust zum Weiterbau zu nehmen." (S.3) ..................................................... "Ich helfe mir aus dieser Verlegenheit des Anfanges seit langem so, daß ich den Schülern etwas kurzes vorlese, was reizt. Ich greife dabei für mein Teil gerne zu kleinen Aufsätzen, die ich selber einst in der Absicht geschrieben habe, das übliche Denken etwas in Wallung zu bringen." (S.4) ..................................................... "Damit habe ich sie so, wie ich sie brauche: Sie gehen aus sich heraus, sie widersprechen. Ganz zage zuerst und allzu geneigt, sich belehren und beruhigen zu lassen, aber allmählich doch freier, wenn man sich hütet, solche Beruhigungstränkchen gleich zu verabfolgen. Um Gottes willen keine Ergebnisse!" (S.4/5) ..................................................... "Dazu muß natürlich auch der Lehrer durch sein ganzes Verhalten beitragen: Niemals darf er etwas belächeln, niemals einem Schüler seine Verlegenheit zu verstehen geben, niemals in den Worten des Schülers eine Anmaßung oder sonst eine der Schülersünden suchen, die man verabscheut, weil sie dem Ansehen des Lehrers schaden könnten. Überhaupt soll alles fortfallen, was nach Schule erinnert." (S.5) ..................................................... "Wenn wir lesen, was bedeutende und besinnliche Menschen von ihrer Entwicklung erzählen, so erfahren wir soundso oft, daß ihre geistigen Entscheidungen im Grunde schon in der Jugend, mitunter sogar schon in frühester Jugend gefallen waren, daß in dem geistigen Weltbild jener Jahre schon die Grundzüge alles dessen enthalten waren, was ihr reifes Alter erfüllte und womit sie die Welt mitunter nicht wenig bereichert haben. Nach den Erfahrungen, die ich in vielen Jahren solchen philosophischen Unterrichts gemacht habe, habe ich die Überzeugung gewonnen, daß eigentlich in jedem jungen Menschen, zumal in jedem einigermaßen hellen Kopf sich solche Grundzüge bilden wollen, daß hier ein Entwicklungstrieb von größter Stärke vorliegt, die sich seinen Weg viel selbständiger sucht, als wir Lehrer gemeinhin ahnen." (S.5/6) ..................................................... "Ganz gewiß ist mit einem Unterrichtsverfahren, wie ich es hier vorschlage, eine ganz neue Wertung gegeben. Es ist nicht mehr so, daß das, was aus dem Munde des Schülers kommt, grundsätzlich daraufhin zu prüfen ist, was daran zu verbessern wäre. Sondern es besteht die feste Überzeugung, daß das, was sich da in dem jungen Menschen entwickeln will, etwas im Grunde Gutes, Heiliges ist." (S.6) ..................................................... "Damit ist nicht gesagt, daß das, was da wächst, von vornherein vollkommen zum Vorschein kommt. Wohl aber, daß die Maßstäbe, die man daran legt, nicht von irgendeiner anerkannten Wissenschaft oder Lehre kommen sollen, sondern von dem selbst, das da werden soll." (S.6) ..................................................... "Ich bin mir auch nicht minder bewußt, daß der Lehrer, wenn er auch mit größter Vorsich herauszuhören bemüht ist, was sich da entwickeln will, ein ganz klein wenig immer sein Eigenes mit heraushört und demnach in den Schüler mit hineinlegt und dort mitentwickelt. Aber wo wäre es anders, wenn zwei Menschenseelen miteinander in Berührung kommen? Die beiden wachsen in irgendeiner Weise immer miteinander zusammen und werden eins." (S.6/7) ..................................................... "Nach wenigen Wochen zeigt sich bei solchem freien Unterricht dem aufmerksamen Beobachter, daß die Teilnehmer - auch der Lehrer - nicht mehr bloß Einzelne sind, sondern daß sie zu einer geistigen Einheit zusammenwachsen, die ihr eigenes Leben hat und durch dieses Eigenleben die Einzelnen formt." (S.7) ..................................................... "Wir erleben auf diese Weise etwas, was im heutigen wissenschaftlichen Leben fast ganz verlorengegangen zu sein scheint: Die Freude am eigenen Denken und Erkennen, eine Freude, die sich nicht durch die Nebenbedenken beeinträchtigen läßt, daß etwa diese Gedanken nicht mit den derzeit anerkannten wissenschaftlichen Ergebnissen übereinstimmen könnten. Wenn auch - was schadet's dann? Es ist ja heute dem einzelnen doch unmöglich, das Ganze der Welt wissenschaftlich zu umfassen. Soll er deswegen sein Streben nach dem Ganzen aufgeben und aus Angst vor dem Fachmann vor jeder verschlossenen Türe halt machen oder gar umkehren?" (S.7) ..................................................... "Es ist doch wohl nicht unwichtig, daß junge Leute vom Begriff des Gesetzes, des Zufalls, des freien Willens, des Staates, der Kunst u.a. monatelang beschäftigt sind." (S.8) ..................................................... "Immerhin, wer abfragbares, positives Wissen für die wichtigste Aufgabe unserer Schularbeit hält, der lasse sich auf diesen Unterricht doch lieber nicht ein. Mit Prüfungen, Zensuren usw. soll er überhaupt nichts zu tun haben." (S.8) ..................................................... "Hier sollen Kräfte gestärkt werden, die in einem jeden schlummern, und mit denen der junge Mensch in einem edlen und schönen Spiel von selber ein Weltbild formen will." (S.8)
ArchivB.-O.-S./II/B/H/VI/1
SignaturB.-O.-S./II/B/H/VI/12 [2]
SchlagworteGesamtunterricht
Philosophie
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