Autor/enOtto, Berthold/ (Hrsg.)
TitelAnleitungen für Eltern und Lehrer. Beilage zum Hauslehrer. Neue Folge. Nr. 1. (Inhalt: Über den Aufsatzunterricht. Aus einem Briefe des Herausgebers. S. 1-13. - Weitere Protokolle des Gesamtunterrichts. S. 14-16)
OrtGroßlichterfelde
Datum1907.04
Anmerkungen"Der Aufsatz eines Schülers soll dem Lehrer und jedem andern, der den Aufsatz mit Interesse liest, Aufschluß geben über den jeweiligen Stand der geistigen Entwicklung grade dieses Schülers. Wenn nun dem eigenen Gedankengange des Schülers irgend welche eingelernten Phrasen eingefügt werden, so sind das eben durchaus fremde Bestandteile; und für jeden, der sie nicht sofort als fremde Bestandteile erkennt, fälschen sie unbedingt das Bild, das er sich von dem Geisteszustand dieses Knaben macht." (S.1/2) ..................................................... "Das Kind, das Begabungen hat zur sprachlichen Darstellung, liest sehr viel und natürlich vorwiegend Schriftdeutsch schlimmster Art, denn die meisten Bücher sind in solchem Deutsch geschrieben." (S.3) ..................................................... "Die wenigsten Lehrer werden aber imstande sein, die im Schulaufsatz vorliegende Darstellung mit all ihren Redewendungen abzuschätzen auf ihren Zusammenhang mit dem wirklich eigenen Geistesleben des Schülers. Sie werden angeeignete Gedanken von denen wirklich eigenen Gewächses grade in solchen Fällen sehr schwer zu unterscheiden vermögen." (S.4)................................................ "Der Aufsatzlehrer, wie er sein soll, müßte es verstehen, alles, was der Schüler schreibt, daraufhin zu beurteilen, ob es auf des Schülers eigenem Acker gewachsen ist oder ob er es irgendwo von außen her importiert hat." (S.4) ..................................................... "Wenn man nun ganz verfahren könnte wie man wollte - ... - dann ließe man die Schüler von vornherein genau so schreiben, wie sie sprechen." (S.6) ..................................................... "Also ruhig schreiben lassen, wie das Kind will und womöglich auch, was das Kind will. Und dann, was von allergrößter Wichtigkeit ist: nicht in die Niederschrift hineinkorrigieren." (S.6) ..................................................... "... die Freude an dem vollkommnen Werk soll man dem Kinde nicht zerstören, wenn man eben nicht die furchtbare Unlust gegen das Schreiben erzeugen will, die jetzt in unseren Schulen allgemein üblich ist. Wenn die Schüler sich vollkommen frei auswählen können, worüber sie schreiben wollen, dann ist die Gefahr der Phrasenhaftigkeit zwar nicht vollkommen beseitigt, denn die Vielleser unter den Kindern werden auch dann mit ihrem erworbenen Phrasengut gelegentlich zum Vorschein kommen, aber die Gefahr ist doch ganz wesentlich verringert. Und man soll nicht etwa glauben, daß schwierige Themata dann gänzlich ausscheiden würden. Sie werden nicht von allen Kindern behandelt werden, aber es werden sich überall Kinder finden, die die allersubtilsten philosophischen Themata in durchaus origineller Weise behandeln." (S.7) ..................................................... "Also die gedruckten Philosophien sind an und für sich vollkommen wertlos, sie können nur wieder lebendig werden durch philosophierende Leser. Und die philosophierenden Leser bringen wir in dem üblichen Geistesmord der Schule schon in den unteren Schulklassen um in der besten Meinung, so den Ruhm der Plato, Kant, Schopenhauer aufs beste zu gründen! - Nein, wir zustören diesen Ruhm auf diese Weise. Jedes Kind philosophiert in seiner Weise; einige sogar sehr merkbar und sehr energisch." (S.8) ..................................................... "In jeder Geschichte, die das Kind erfindet und nach Meinung der Erwachsenen als Lügengeschichte vorträgt, steckt die Philosophie eben dieses Kindes. Und wenn man diese Philosophie nur in dieser unliebsamsten Form kennen lernt, so liegt das daran, daß weitaus in den meisten Fällen die Brücke zwischen dem Geistesleben des Kindes und dem des Erwachsenen fehlt, ..." (S.8) ..................................................... "... wenn man denn einmal die Kinder Aufsätze schreiben läßt, so soll man dem, was das Kind dabei zu sagen weiß oder zu sagen bemüht ist, gläubig wie einer Offenbarung lauschen." (S.8) ..................................................... "Denn alle Niederschriften, die die Kinder machen - nun wollen wir es einmal etwas mehr prosaisch und wissenschaftliche bezeichnen - sind Studienobjekte." (S.9) ..................................................... "Ich wollte aber dabei auf das Entschiedenste betonen, daß es eine solche bestimmte methodische Folge nicht gibt, wenigstens niemals eine, die auch nur für ein Dutzend Schüler, geschweige denn für eine ganze Klasse stimmte. Eine solche methodische Folge kann für sechs Kinder vollkommen richtig und naturgemäß, für sechs Kinder vollkommen unsinnig sein: deshalb scheint mir das praktische Verfahren das zu sein, die Kinder nach Möglichkeit vollkommen frei schreiben zu lassen, alles was sie wollen und wie sie wollen, ..." (S.10) ..................................................... "Das heißt also, man wird erstreben, noch außerdem möglichst viele freiwillige Arbeiten zu erhalten. Dabei wird sich natürlich eine gewisse Schwierigkeit insofern ergeben, als man zu irgend welchen Anstachelungen wird greifen müssen. Die natürlichste und beste ist immer die, daß man Arbeiten der Schüler vorliest und auf das aufmerksam macht, was daran gut ist. Wenn man diese Übung mit der andern verbindet, über die ich vorhin sprach, daß nämlich die Schüler selbst zu Kritik aufgerufen werden, so wird man damit vielleicht in den meisten Fällen auskommen." (S.10) ..................................................... "Ich bin im Gegenteil überzeugt, daß jedes Denken, das wirklich der Mühe wert ist gedacht zu werden, seine Disposition in sich selber trägt." (S.11) ..................................................... "Unsere Vorstellungen sind in beständiger Eigenbewegung, und nur in dieser Eigenbewegung wachsen sie, nur in dieser Eigenbewegung macht das Denken Fortschritte." (S.12) ..................................................... "Wichtiger ist es, daß der Schüler selbst auf sein Schreiben aufmerksamer wird, als er es von Natur schon ist, und zwar in dem Sinne, daß er - ... - hinfüro nicht mehr ein schellenlauter Tor ist, sondern den redlichen Gewinn sucht, dieweil Verstand und rechter Sinn mit wenig Kunst sich selber vorträgt." (S.13)
ArchivDIPF/II/B/H/III [10]
SignaturDIPF/II/B/H/III [10]
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