99 x Neukölln
Museum Neukölln
Emely Bartusch und Isabel Ceglarsk
„Das Thema Migration hat in den letzten Jahren in zunehmendem Maß Eingang in Museen und Ausstellungen gefunden.“ Dies schreibt Regina Wonisch bereits 2013 in dem Buch Museum und Migration. Konzepte – Kontexte – Kontroversen. Demnach werden in Deutschland vermehrt Ausstellungen konzipiert, die das Ein- oder Auswandern thematisieren. Die Migrationsbewegung nahm ab den 1980er-Jahren zu und Migrant:innen forderten vermehrt, ihre Geschichte im Rahmen einer Ausstellung sichtbar zu machen.
Im Kiezmuseum Neukölln wird Erinnerung zu Migration nicht nur erzählt, sondern auch gezeigt – in 99 Alltagsobjekten, die persönliche und kollektive Geschichten offenbaren. Obwohl die Ausstellung seit 14 Jahren besteht, hat sie nicht an Aktualität verloren. Der offene Raum des Museums Neukölln lässt die Besucher:innen direkt in die hauseigene Dauerausstellung 99x Neukölln eintauchen. Diese wurde im Januar 2011 von der ehemaligen Museumsleitung, Dr. Udo Gößwald, konzipiert und befindet sich seither im einstigen Gutshof Britz. Zuvor befand sich das Museum in der Stadtbücherei Neukölln. Somit ist es das zweitälteste der Berliner Kiezmuseen. Der Bezirk vereint auf einer Fläche von ca. 45 km2 160 verschiedene Nationen und ist dementsprechend für seinen hohen Anteil an dort lebenden Migrant:innen und Nachkommen früherer Einwanderungsgenerationen bekannt. Das Kiezmuseum wird vom Land Berlin finanziert. Der Eintritt ist kostenfrei, jedoch wird durch den Verkauf des Katalogs und Spenden zur Finanzierung des Museums beigetragen. Die Dauerausstellung ist für alle Altersklassen geeignet. Möchten Gruppen von Schüler:innen oder Studierenden zur Erinnerungsgeschichte Neuköllns forschen, gibt es nach Absprache einen geführten Rundgang. Hierbei wird die Ausstellung genauer erklärt und ein Einblick in die Institution gegeben. Ziel ist es, die Erinnerungskultur für den Bezirk Neukölln zu fördern.
© Schüler:innen der Neuköllner Rütli-Schule, Rütli-Mütze (o. J.), Foto: Friedhelm Hoffmann.
Die Artefakte sind in vier freistehenden, kreisrunden Vitrinen ausgestellt. Diese sind gleichmäßig im Raum um die stützenden Haussäulen angeordnet. Zusätzlich gibt es noch zwei deckenhohe Glasvitrinen rechts und links an den Wänden. Die Anordnung schafft klare Wege und Sichtachsen. Dies ermöglicht den Besuchenden eine intuitive Bewegung durch den Raum. Die Vitrinen sind passend zum Raumkonzept modern und minimalistisch gestaltet, was den Fokus auf die ausgestellten Objekte verschärft. Zu jeder einzelnen Vitrine gehört eine Medienstation mit drehbaren Touchscreens und Kopfhörern. Dort können Bilder und weitere Informationen zu den Objekten und deren Geschichte abgerufen werden. So kommunizieren diese repräsentativ über ihre Verwendung, ihre Kultur und über die Menschen, denen sie einst gehörten. Zusätzlich gibt es die Option eines interaktiven Quiz zu jedem Objekt. Die Höhe der Vitrinen und Medienstationen ist so eingestellt, dass sie bequem im Stehen oder Sitzen von jeder Person bedient werden können.
Die Ausstellung setzt sich aus 99 alltäglichen Gegenständen zusammen. Zum Beispiel werden Kleidungsstücke, Musikinstrumente und Skulpturen ausgestellt. Ihre Auswahl wirkt zunächst zufällig, jedoch ist der Webseite des Museums zu entnehmen, dass alle Exponate als Zeitzeugen betrachtet werden können. Dadurch haben Besucher:innen die Möglichkeit, sich grundlegende Aspekte der Geschichte und Gegenwart des Bezirks Neukölln zu erschließen. Ein Objekt, das durch seine bunte Färbung auffällt, ist der Fez, eine Kopfbedeckung, die ursprünglich aus Marokko stammt. Er besteht aus rotem Filz und ist mit einer rot-weiß-grünen Quaste verziert, welche an dem flachen Deckel des zylinderförmigen Hutes befestigt ist. An der Vorderseite ist ein ebenfalls rot-weiß-grünes Wappen eingestickt, das die Aufschrift: „R. cl. Brennende Liebe 1899“ trägt. Er gehörte Eberhard Hübler, dem damaligen Vorsitzenden des Berliner Rauchclubs „Brennende Liebe“. Der Fez wurde bei den Rauchsitzungen und dem zweimal jährlich stattfindenden, sogenannten Preisrauchen von allen Mitgliedern getragen. Das Preisrauchen war eine Veranstaltung, bei der alle Mitglieder fünf Gramm Tabak bekamen, um damit ihre Pfeife zu stopfen. Anschließend wurden sie angezündet. Erlosch die Pfeife, musste der Fez abgenommen werden. Derjenige, der seine Pfeife am längsten brennen lassen konnte, hatte gewonnen. Für die Ausstellung wurden der Fez und alle anderen Exponate nach verschiedenen Kriterien ausgewählt. Hierbei spielten die Materialität, die Alltäglichkeit sowie Haltbarkeit der Objekte und die Präsentation im Museum eine wichtige Rolle. Die Objektanzahl wurde bewusst ausgewählt, da nichts so einprägend ist wie eine ungerade Zahl: Deshalb 99x Neukölln.
Uns ist beim Besuch aufgefallen, dass durch die Unterschiedlichkeit der Objekte die Gefahr besteht, dass Besucher:innen den Bezug zur Ausstellung nicht mehr herstellen können. Deshalb könnten die Exponate für ein besseren Überblick chronologisch angeordnet werden. Trotzdem lässt sich abschließend sagen, dass die Gegenstände alle eine individuelle Geschichte haben und repräsentativ für die Diversität des Bezirks Neukölln stehen. Demnach ist das Kiezmuseum der ideale Ort für Vielfalt und Erinnerungsgeschichte – und definitiv einen Besuch wert.
Anmerkungen:
1. Wonisch, Regina: „Museum und Migration. Einleitung“, in: Regina Wonisch/Thomas Hübel (Hg.): Museum und Migration. Konzepte – Kontexte – Kontroversen, Bielefeld: transcript, 2013, S. 9-32.
2. Gößwald, Udo (Hg.): 99 x Neukölln. 2. Auflage. Berlin: Bezirksamt Neukölln, 2018.
99 x Neukölln
Dauerausstellung
Museum Neukölln
Alt-Britz 81
12359 Berlin
Öffnungszeiten: Montag bis Sonntag 10-18 Uhr
Eintritt: frei
www.schloss-gutshof-britz.de/museum-neukoelln
https://schloss-gutshof-britz.de/museum-neukoelln