99 x Neukölln
Museum Neukölln
Molin Ingrid Sofie Brück und Stella Marleen Statkiewicz
Ein rotes Tanztuch mit Glasperlenbesatz, das beim traditionellen Halay auf türkischen Hochzeiten geschwungen wird, ist nicht nur ein textiles Objekt, sondern auch Träger einer persönlichen und kulturellen Geschichte. Mit diesem und 98 weiteren Alltagsgegenständen lädt das Museum Neukölln Besucher:innen dazu ein, in die Lebenswirklichkeiten des Berliner Bezirks einzutauchen.
Die Ausstellung 99 x Neukölln zeigt Objekte, die stellvertretend für die sozialen, kulturellen und historischen Entwicklungen des Bezirks stehen. Sie wurde am 1. Januar 2011 eröffnet und von Dr. Udo Göswald, dem ehemaligen Museumsleiter, konzipiert.
Ziel der Ausstellung ist es, einem breiten Publikum einen umfassenden Einblick in das Leben in Neukölln sowie in die historische Entwicklung des Bezirks zu ermöglichen. Eine spezifische Zielgruppe wird dabei nicht definiert, vielmehr besteht die Absicht darin, eine möglichst offene Zugänglichkeit für alle Interessierten darzustellen, was sich unter anderem in dem kostenfreien Eintritt spiegelt.
Im Fokus stehen keine berühmten Persönlichkeiten oder historischen Großereignisse, sondern Gegenstände des täglichen Lebens, die Einsicht in die vielfältigen Lebenswirklichkeiten der Bevölkerung geben sollen. Der dokumentarische Ansatz der Ausstellung informiert sachlich und berücksichtigt zugleich den sozialen Kontext der präsentierten Objekte.
Die Erzählstruktur ist nicht linear, sondern modular aufgebaut. Es gibt keine chronologische oder thematisch gegliederte Abfolge. Stattdessen werden alle 99 Objekte gleichwertig an interaktiven Medienstationen präsentiert. Dadurch können Besucher:innen ihren eigenen Weg durch die Ausstellung wählen und individuelle Schwerpunkte setzen.
Die Vermittlung erfolgt nahezu ausschließlich über digitale Bildschirme mit Touch-Funktion. Zu jedem Objekt werden kurze Erklärungstexte, Bild-, Video- oder Tonmaterial sowie gegebenenfalls ergänzende Informationen bereitgestellt. Besonders hervorzuheben ist die persönliche Dimension der Ausstellung. Die Objekte sind mit den Geschichten ihrer Besitzer:innen verknüpft, wodurch für die Besuchenden ein emotionaler Zugang zur Ausstellung entsteht.
Ein eindrucksvolles Beispiel ist das bereits erwähnte Tanztuch, das im Rahmen türkischer Hochzeitsrituale verwendet wird. Es kommt beim Halay, einem traditionellen Rundtanz, zum Einsatz, und gibt durch die Bewegungen des Vortänzers den gemeinsamen Rhythmus vor. Der Text zu dem Objekt verweist auf die Hochzeit von Ayfer und Beyzade Tasdelen im Jahr 2002 im Festsaal „Prestige“ in Neukölln. Ergänzend wird erzählt, wie sich das Paar kennengelernt hat. Anschließend wird exemplarisch der typische Ablauf einer türkischen Hochzeit erläutert. Diese Erzählungen werden durch Fotos ergänzt, welche einen persönlichen Zugang zu dem Objekt und dem dazugehörigen Ritual ermöglichen. Das Tanztuch wird so in einen realen sozialen Kontext gesetzt.
Die begleitenden Informationen zu dem Tanztuch gehen über die Hochzeitszeremonie hinaus. Sie thematisieren vor allem Aspekte der Migrationsgeschichte Neuköllns, in diesem Fall mit Blick auf türkische Einwanderungsfamilien. Das Objekt wird damit zum Ausgangspunkt für gesellschaftliche Fragen wie Integration, kulturelle Vielfalt und die Rolle migrantischer Gemeinschaften im städtischen Leben. Besucher:innen werden angeregt, über diese Themen eigenständig zu reflektieren. Gleichzeitig vermittelt die Ausstellung ein Gefühl von Sichtbarkeit und Anerkennung der Migrant:innenkultur in Neukölln.
Die Ausstellung 99 x Neukölln überzeugt durch ihren inspirierenden Ansatz, der Alltagserfahrungen sichtbar macht und die Geschichten hinter den Objekten in den Vordergrund rückt. Der Verzicht auf eine lineare Struktur schafft Freiraum für einen individuellen Zugang und fördert eine intensive Auseinandersetzung mit dem Gezeigten. Besonders gelungen ist die Verbindung zwischen persönlicher Erinnerung und kollektiver Geschichte, etwa am Beispiel des Tanztuchs. Ähnliche Ausstellungsformate in weiteren Bezirken könnten dazu beitragen Vielfalt, Migration und Alltagskultur als wesentliche Bestandteile des städtischen Lebens stärker in das öffentliche Bewusstsein zu rücken.
99 x Neukölln
Seit 1. Januar 2011 / ständige Ausstellung
Schloss und Gutshof Britz - Museum Neukölln
Alt-Britz 81,
12359 Berlin
Öffnungszeiten: Montag bis Sonntag 10-18 Uhr
Eintritt: Kostenfrei
https://schloss-gutshof-britz.de/museum-neukoelln/ausstellungen/99x-neukoelln