Abraham Cruzvillegas – Splitogetherness: another groove
Galerie Thomas Schulte
Marlene Hartmann
Schon beim Blick auf die Galerie Thomas Schulte in Berlin wird deutlich: Diese Ausstellung beginnt nicht erst im Inneren. Im sogenannten Corner Space der Galerie, gut sichtbar durch die großen Eckfenster zur Straße hin, hängt eine raumgreifende, farbintensive Skulptur von der Decke und zieht die Blicke der Vorbeigehenden auf sich. Die Arbeit gehört zur Serie Blind Self- Portraits, die Abraham Cruzvillegas seit mehreren Jahren weiterentwickelt. Für diese Skulptur verwendete er gesammelte Papiere aus seinem Alltag – hier die Korrespondenz zwischen ihm und der Galerie im Vorfeld der Ausstellung. Die Dokumente wurden übermalt und mit Draht zu geometrischen, dreidimensionalen Objekten arrangiert. Es entstand ein Werk, das Informationen und persönliche Spuren enthält, aber bewusst unzugänglich macht – sichtbar, aber nicht lesbar.

Abraham Cruvillegas: Splitogetherness: Another Groove, Installation view at Galerie Thomas Schulte, 2025, Photo by GRAYSC.DE, Courtesy of the artist and Galerie Thomas Schulte, Berlin
Im hinteren Bereich des Corner Space entdecke ich weitere Objekte: ein Arrangement aus scheinbar wahllos zusammengetragenen Alltagsgegenständen. Auf Nachfrage erfahre ich, dass sie Teil einer Performance des Künstlers während der Eröffnung waren. Ihre Präsenz wirkt wie ein Nachhall dieses performativen Momentes. In der Hauptgalerie setzt sich diese Lebendigkeit fort. Ein Aspekt der Ausstellung – Ortsspezifität – wird vor allem an zwei Skulpturen, die präsent in der Raummitte platziert sind, deutlich: zwei große, fast identische Skulpturen aus Alltagsgegenständen. Die Objekte wurden von Mitarbeitenden der Galerie gesammelt. Sie stammen also vom Ort und Geschehen der Ausstellung. Auf den ersten Blick chaotisch, entpuppen sie sich bei genauerem Hinsehen als Spiegelungen – Cruzvillegas hat sie verdoppelt.

Abraham Cruvillegas: Splitogetherness: Another Groove, Installation view at Galerie Thomas Schulte, 2025, Photo by GRAYSC.DE, Courtesy of the artist and Galerie Thomas Schulte, Berlin
Erst nachdem ich die Arbeiten eine Weile auf mich habe wirken lassen – ganz in Ruhe, als einzige Besucherin in der Galerie –, beginne ich, sie auch im Kontext ihrer Entstehung zu verstehen. Durch die zurückhaltende Kunstvermittlung merke ich deutlich, dass es sich nicht um eine Ausstellung in einem Museum, sondern in einer Galerie handelt. Keine Wandtexte, keine Werkbeschriftungen lenken vom direkten Erleben ab. Nur auf Nachfrage erhalte ich eine Werkliste. Der sehr ausführliche Pressetext, der am Empfang ausgelegt ist, wird zur essenziellen Orientierungshilfe: Er liefert nicht nur Kontext zu den Arbeiten, sondern erläutert auch konzeptuelle Zusammenhänge und den Entstehungsprozess. Diese Art der Kunstvermittlung ließ mir Zeit, eigene Eindrücke zu sammeln, bevor sich mir die Bedeutungen erschlossen.
Splitogetherness: another groove versammelt neue, eigens für den Ort entwickelte Arbeiten. Cruzvillegas hat jedes Kunstwerk der Ausstellung in den Galerieräumen selbst geschaffen. Dadurch steht nicht nur das fertige Werk im Fokus, sondern auch der Entstehungsprozess als Bestandteil des künstlerischen Ausdrucks. Die Ausstellung knüpft an sein langjähriges Projekt der autoconstrucción an – ein künstlerisches Konzept, das auf die Praxis zurückgeht, in prekären Stadtvierteln wie an seinem Herkunftsort in Mexiko-Stadt mit improvisierten Mitteln Häuser zu bauen. Mich erinnert das Konzept an eine tiefere gesellschaftliche Dimension: das Thema Migration. Autoconstrucción verweist nicht nur auf urbane Improvisation, sondern auch auf die Notwendigkeit, sich in fremden, oft prekären Kontexten ein neues Leben zu schaffen. In der Verwendung gefundener Materialien und alltäglicher Objekte spiegelt sich eine ästhetische Praxis, die an Erfahrungen von Mobilität, Anpassung und Identitätsverhandlung erinnert – zentrale Aspekte migrantischer Lebensrealitäten.
Auch in den anderen Arbeiten – etwa den großformatigen Zeichnungen geschwungener Linien oder den Darstellungen von Primaten – zeigt sich eine Lebendigkeit durch den Entstehungsprozess. Cruzvillegas fertigte sie in nur wenigen Minuten mit einem Mopp auf dem Boden an – ein körperlicher, impulsiver Akt, der im Ausstellungstext als dynamisch und beinahe tänzerisch beschrieben wird. Eine weitere Werkgruppe bildet eine Serie von grafischen Karten auf Amate-Papier: reduzierte Zeichnungen aus Linien und Punkten. Sie sind wie persönliche Wegmarken, kartografieren Orte und damit verbundene Erfahrungen, die für den Künstler von Bedeutung sind, in diesem Falle Berlin.

Abraham Cruvillegas: Splitogetherness: Another Groove, Installation view at Galerie Thomas Schulte, 2025, Photo by GRAYSC.DE, Courtesy of the artist and Galerie Thomas Schulte, Berlin

Abraham Cruvillegas: Splitogetherness: Another Groove, Installation view at Galerie Thomas Schulte, 2025, Photo by GRAYSC.DE, Courtesy of the artist and Galerie Thomas Schulte, Berlin
Die Ausstellung schafft einen vielschichtigen Dialog zwischen verschiedenen Medien – von Performance über Installation und Skulptur bis hin zu Zeichnung und Malerei. Trotz der stillen Präsentation ist für mich eine große Lebendigkeit spürbar – als Echo der performativen Prozesse, aus denen die Werke hervorgegangen sind. Die Dynamik ihrer Entstehung hallt in den Objekten nach. Die Ausstellung öffnet sich für eine Lesart, in der nicht nur das Werk, sondern auch seine Entstehung und der Ort als Teil des Kunstwerks und performativer Handlung verstanden werden können.
Abraham Cruzvillegas: Splitogetherness: another groove 28. Juni 2025 bis 30. August 2025
Galerie Thomas Schulte Charlottenstraße 24 10117 Berlin
Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 12-18 Uhr,
Freier Eintritt