Alltag in der DDR
Kulturbrauerei Berlin
Kimberly Berger
Vom Pferdestall zum Museum – wo früher Bier gebraut wurde, trifft man heute die Dauerausstellung Alltag in der DDR in der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg am. Seit 2005 befindet sich das Museum auf dem früheren Brauereigelände des Unternehmens Schultheiss, denn 1967 wurde der Brauereibetrieb endgültig eingestellt. Wo früher kranke Brauerei-Pferde behandelt wurden, werden heute kostenfrei auf 600 Quadratmetern viele verschiedene Alltagsobjekte der ehemaligen DDR, Original-Dokumente sowie Ton- und Filmaufnahmen gezeigt. Wie der Name Alltag in der DDR bereits erahnen lässt, stehen verschiedene Lebenswirklichkeiten der 1970er und 1980er Jahre in der DDR im Mittelpunkt. Begleitet wird die Dauerausstellung zudem durch verschiedene Wechselausstellungen. Bis zum 31. August 2025 kann man hier mehr über Heavy Metal in der DDR erfahren. Das Museum in der Kulturbrauerei gehört zur Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, welche sich die Vermittlung deutscher Geschichte nach 1945 zur Hauptaufgabe gemacht hat.
Die Dauerausstellung ist thematisch in verschiedene Bereiche unterteilt, wobei aus meiner Sicht ein besonderer Fokus auf Produktion und Betrieb, private Lebensrealitäten sowie Öffentlichkeit und Politik gelegt wurde. Die Themenbereiche sind teils räumlich voneinander getrennt, vor allem durch schräg in den Raum ragende Wandstücke, auf denen zumeist Exponate wie Poster oder Flaggen zu finden sind. Dargestellt werden die einzelnen Inhalte auf verschiedene Weise, jedoch ist besonders auffällig, dass mit vielen Original-Objekten gearbeitet wird – vom Trabbi über Uniformen bis hin zu Fotografien und Kunst. Zudem sind immer wieder Originalton- oder Videoaufnahmen zu finden, in welchen Zeitzeug:innen von spezifischen Erfahrungen und Erlebnissen berichten oder politische Reden dargestellt werden. Besonders beeindruckt hat mich hier die partielle, sehr kreative Umsetzung, z.B. eine Tonaufnahme, die das Abnehmen eines alten DDR-Telefonhörers nachvollziehbar macht. Zu vielen Exponaten lassen sich kleine Infotafeln finden, welche die Ausstellungsstücke kurz auf Deutsch sowie auf Englisch in den historischen Kontext einordnen. Textbasierte Exponate wie z.B. Briefe, Anträge, Pässe oder Propaganda-Plakate werden jedoch nicht übersetzt. Brailleschrift lässt sich im Museum nicht finden, es gibt jedoch verschiedene Angebote des Museums, die einen barrierefreien Zugang ermöglichen sollen, so etwa spezielle Führungen.
Vor dem Besuch der Ausstellung hatte ich erwartet, dass sich diese auch mit dem Thema Migration befassen würde. An der einen oder anderen Stelle werden zwar Ausreise-Bestrebungen unzufriedener DDR Bürger:innen erwähnt – beispielsweise, dass zwischen Mitte der 1970er Jahre und Juni 1989 über 300.000 Ausreiseanträge gestellt wurden. Das Thema Flucht spielt in der Ausstellung jedoch keine Rolle. Noch auffälliger ist, dass auch die Migration in die DDR keine Erwähnung findet, obgleich es doch etliche ausländische Student:innen gab, nach dem Zweiten Weltkrieg als Kommunist:innen (re-)migrierten und es (im Jahr 1989) über 95.000 ausländische Vertragsarbeiter:innen in der DDR gab. Über ihren Alltag in der Deutschen Demokratischen Republik wird in der Dauerausstellung nicht gesprochen, was vor allem vor dem Hintergrund des großen Anteils des Themenbereiches Betrieb und Produktion verwundert. Denn heute wird davon ausgegangen, dass der Grund für die Beschäftigung der Vertragsarbeiter:innen vor allem der Arbeitskräftemangel in der Planwirtschaft war. In diesem Raum werden viel mehr die Arbeitsbedingungen, die „Arbeit nach Plan“ und der Rohstoffmangel in der DDR thematisiert sowie die Bedeutung der Betriebe für die Gestaltung von Sport, Kultur und Freizeit ihrer Beschäftigten. Ein Hinweis darauf, warum die Vertragsarbeiter:innen, die zumeist aus pro-kommunistischen und ehemals kolonisierten Staaten wie Vietnam oder Mosambik kamen, keine Erwähnung finden, findet sich leider nicht, weder in der Ausstellung selbst noch im Audioguide noch in der Ausstellungsbroschüre. Hier zeigt sich die weiterhin anhaltende Tendenz des Ausschlusses von Immigrant:innen und ihren Geschichten vom Beginn der DDR an bis heute, wie hier im Museum.
Obwohl ein großer Bereich der DDR-Geschichte und ihrer Alltagsstrukturen unerwähnt bleibt, ist die Ausstellung definitiv interessant und sehenswert. Sie bietet einen Einblick in eine Welt, die heute weit entfernt scheint, und macht diese, vor allem durch die vielen materiellen Exponate, vorstellbar und anfassbar. Besonders berührt haben mich ausgestellte Briefe, welche 1985 in der DDR von scheinbar willkürlich gewählten Menschen verfasst wurden – zumindest gibt es hier keinen Hinweis darauf, wie die Auswahl getroffen worden ist oder aus welcher Situation heraus diese erstellt wurde. In den Briefen beschreiben die Verfasser*innen, wie sie sich das Leben im Jahr 2010 vorstellen. Besonders ergriffen hat mich der Brief einer Schülerin, die damals in der neunten Klasse war: „Die Natur soll wieder schön werden [...]. Die Menschen sollen sich verstehen. Atombomben sollen abgeschafft sein. Der Kapitalismus ist ausgerottet, Es ist wieder Frieden”. Ich würde mir wünschen, dass diese Dinge heute Realität wären.
Während das Museum also einige Themenbereiche abdeckt und mit sehr interessanten Ausstellungsstücken arbeitet, sollte auch reflektiert werden, warum so ein wichtiger Teil der Geschichte in diesem Museum keinen Platz findet und dies auch nicht von den Kurator:innen begründet oder eingeordnet wird. An dieser Stelle möchte ich jedoch noch anführen, dass die Dauerausstellung laut Webseite seit April 2024 neu konzipiert und überarbeitet wird. Es bleibt also zu hoffen, dass das Thema Migration zukünftig einen Platz darin finden wird.
Alltag in der DDR
Dauerausstellung seit 2005
Museum in der Kulturbrauerei
Knaackstraße 97
10435 Berlin
Öffnungszeiten: Dienstag-Freitag 09.00–18.00 Uhr,
Samstag-Sonntag und feiertags 10.00–18.00 Uhr, montags geschlossen
Eintritt: Frei