Zwischen Herkunft und Ankunft,
irgendwo in der Mitte stecken geblieben ...
Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin
Maram Hasnaa Kayed und Nada Aldeiab
In einer von Krieg gezeichneten Gesellschaft sind Vertriebene oft mit den unterschiedlichsten Reaktionen konfrontiert. Die Ablehnung der Einheimischen gegenüber den Neuankömmlingen ist groß, ihre Sprache, Kultur, Religion und Herkunft lassen sie fremd wirken. Außerdem fördert die eigene Not Neid und Missgunst – der Zugang zu Grundbedürfnissen, wie z.B., zu Unterkünften und Versorgungen, fehlt oft oder wird Vertriebenen bewusst verweigert.
Das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin ist ein Ort der Erinnerung sowie der Aufklärung, des Dialogs und der Migration. Es widmet sich den gewaltsamen Vertreibungen und Fluchtbewegungen des 20. Jahrhunderts, insbesondere im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen für Flüchtlinge und Überlebende. Die Dauerausstellung thematisiert historische wie aktuelle Formen der Flucht und Vertreibung mit besonderem Fokus auf das 20. Jahrhundert und die Zeit nach 1945. In der zweiten Etage findet man die Bibliothek. Diese bietet viele unterschiedliche Dokumente, Bücher und Berichte mit dem Fokus auf das Thema Migration. Außerdem umfasst das Dokumentationszentrum Veranstaltungs- und Workshopräume, in denen es unterschiedliche Angebote gibt, die zu Diskussionen anregen soll.

Die Dauerausstellung zeigt, wie Millionen von Menschen aufgrund von Krieg, ethnischer Verfolgung oder politischen Umbrüchen ihre Heimat verloren, was ihr Schicksal prägte und bis heute nachwirkt. Ihre Geschichten werden nicht nur aus deutscher Perspektive erzählt, sondern in einen gesamteuropäischen Kontext gestellt. Die Darstellung soll uns an das Leid der Betroffenen erinnern, ohne dass die historischen Ursachen und Verantwortlichkeiten ausgeblendet werden.
Die Ausstellung verfolgt einen großen dreiteiligen Ansatz:
Das Dokumentationszentrum dient nicht nur als Museum, sondern auch als ein Ort der Begegnung: als ein Ort, der zum Nachdenken und zur eingehenden Beschäftigung mit dem Thema anregt und der Raum bieten soll, sich mit Frieden und Menschenrechten auseinanderzusetzen.
Die Dauerausstellung gliedert sich in mehrere thematische Bereiche. Der historische Abschnitt beleuchtet die Ursachen und Folgen von Zwangsmigration, insbesondere die Vertreibungen der Deutschen aus Ost- und Mitteleuropa nach 1945. Doch andere Vertreibungen, wie in der Sowjetunion, auf dem Balkan oder in Asien werden ebenfalls thematisiert. Zum anderen thematisiert die Dauerausstellung die menschlichen Schicksale in Bezug auf Zwangsmigration und Vertreibung. Mit Gegenständen, etwa persönlichen Erinnerungen, Briefen und Fotos, wird eine Nähe zu den Betrachter:innen geschaffen. Im Mittelpunkt des Dokumentationszentrum stehen die persönlichen Erzählungen, wie zum Beispiel Tagebücher, Audioaufnahmen und Videointerviews mit den Zeitzeug:innen, die die emotionale Ebene von Heimatverlust und Neuanfang vermitteln. Im „Raum der Stille“ kann man innehalten und sich diesen widmen.

Gegenstände aus einer sudetendeutschen Heimatstube, Foto: Markus Gröteke

Raum der Stille, Entwurf: Königs Architekten (Köln), Foto: Markus Gröteke
Das Dokumentationszentrum versucht vielfältig zu repräsentieren, jedoch lässt sich auch Kritik formulieren. Es legt den Schwerpunkt auf die Vertreibungen nach 1945. Zwar werden frühere Formen von Zwangsmigration erwähnt, doch bleiben diese untergeordnet. Die nationalsozialistische Umsiedlungspolitik vor 1945 sowie die Verfolgung und Vertreibung von Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich werden nicht vertiefend behandelt. Die Ausstellung tendiert damit zu einer einseitigen Opferperspektive auf die deutsche Geschichte.
Zum Schluss möchten wir kurz erläutern, warum solche Orte – auch wenn sie nicht alle Perspektiven abdecken können – wichtig für das soziale und gesellschaftliches Leben sein können. Flucht und Vertreibung sind kein Thema der Vergangenheit, sie betreffen Millionen von Menschen weltweit. Das Dokumentationszentrum leistet einen Beitrag dazu, solche Erfahrungen sichtbar zu machen und eine Kultur des Erinnerns und der Verständigung zu fördern. Kritisch sehen wir jedoch, dass viele der Vertriebenen Teil von einer Gesellschaft waren, die zuvor selbst Täterrollen innehatte. Diese Ambivalenz wird zwar erwähnt, aber nicht konsequent problematisiert. Die Darstellung bewegt sich damit in einem Spannungsfeld zwischen Erinnerung und nationaler Selbstvergewisserung.
Unser Standpunkt: Das Zentrum ist ein notwendiger Ort des Erinnerns, muss aber deutlicher aufzeigen, dass ein Teil der Vertriebenen nicht nur Opfer war, sondern auch aus Tätergesellschaften kam. Außerdem fehlt die Frage, welche historischen Geschehnisse vor 1945 zu Zwangsmigration führten. Eine stärker transnationale, selbstkritische Perspektive würde einseitigen Opfernarrativen entgegenwirken.
Ort: Stresemannstraße 90, 10963 Berlin
Öffnungszeiten: Di – So, 10 –19 Uhr
Eintritt: frei (Spenden sind willkommen)
Barrierefreiheit: Das Gebäude ist rollstuhlgerecht ausgestattet.
Webseite: https://www.flucht-vertreibung-versoehnung.de/de/home