Ostberlin in Westberlin
Harald Hauswald - VOLL DAS LEBEN! RELOADED! im C/O Berlin
Alicia Dengel
„Größe: 183 cm
Gestalt: schlank
Kopfform: oval
Gesichtsfarbe: blasser Teint
Augenfarbe: blaugrau
Haarfarbe: dunkel
Haarstruktur: glatt
Frisur: Langhaarfrisur, über die Schultern fallend, Mittelscheitel
Bart: Vollbart
Haltung: leicht nach vorn gebeugt
Kleidung: verwaschene Jeans oder Kordhosen, verwaschene olivgrüne Wetterjacke oder dunkler, unmoderner Ledermantel
Besonderheiten: starker Raucher, Haare unter der Oberbekleidung tragend bzw. im Sommer als Pferdeschwanz gebunden“
So lautet die Personenbeschreibung in der Stasi-Akte Harald Hauswalds, die schon vor dem Betreten des ersten Ausstellungsraumes die Aufmerksamkeit der Besucher*innen auf sich zieht. Heute würde man ihn wohl eher als einen der wichtigsten Fotograf*innen in der Geschichte unseres Landes beschreiben. 1954 in Radebeul geboren, wuchs er in der ehemaligen DDR auf. In den Jahren von 1977 bis 1989 wegen seiner regimekritischen Ansichten, die auch in vielen seiner Fotografien zum Ausdruck kamen, vom Ministerium für Staatssicherheit beobachtet, sind ca. 250 seiner eindrucksvollen Lichtbilder aktuell unter dem Titel Harald Hauswald - VOLL DAS LEBEN! RELOADED! bei der C/O Berlin Foundation im Amerika Haus zu sehen.
Der „beobachtete […] Beobachter“[1]
Als Kurator der Ausstellung, findet Felix Hoffmann mit diesen Worten eine passende und prägnante Beschreibung für Harald Hauswald. Auch der erste Raum der Ausstellung ist von dem Paradoxon des „überwachten Überwacher[s]“[2] gezeichnet. Neben Hauswalds Personenbeschreibung, die bis unter die Decke reicht, befinden sich hier auch zahlreiche Kopien aus den Akten der Stasi, die die Überwachung des Fotografen dokumentieren, wie auch ein paar seiner Fotografien. Der dunkle Raum mit den hell beleuchteten Akten an den Wänden, spielt scheinbar symbolisch auf die dunklen Seiten des Lebens in der DDR an, erinnert aber zugleich auch an ein Fotolabor, den ersten Arbeitsplatz Hauswalds. Ein prägnanter Einstieg in die Ausstellung gelingt.
Liebe zum Detail
Diese legt nicht nur Hauswald in seinen herausragenden Fotografien an den Tag, auch das Kurator*innenteam, bestehend aus Felix Hoffmann (C/O Berlin), Ute Mahler (Ostkreuz) und Laura Benz (Ostkreuz), stellt in der Ausstellung seinen Blick für Ästhetik unter Beweis. Die Stimmigkeit von farblicher und räumlicher Gestaltung in Einklang mit den Fotografien Hauswalds, fällt auch einem nicht geschulten Auge sofort nach Betreten des zweiten Ausstellungsraumes auf und zieht sich durch die gesamte Exposition: dunkelbraune Holzrahmen umspielen die Bilder und heben sie stilvoll von der grauen Farbe der Wand ab, die, wie der schwarze Fußboden, perfekt mit der Schwarzweissfarbe der Fotografien harmoniert. Hin und wieder finden sich große, rahmenlose Fotografien als Hintergründe an den Wänden, die die sonst eher gradlinige Anordnung der Fotografien gekonnt aufbrechen. Die Ausstellungsräume sind weitläufig und hell, die Fotografien werden mit Spots noch einmal besonders hervorgehoben.
Eine ungestörte Wirkung der Bilder wird auch durch die Abwesenheit störender Informationsschilder an den Wänden garantiert, denn statt direkt neben den Fotografien sind diese wenige Zentimeter über dem Boden, leicht nach oben gerichtet, angebracht, wo sie mit dicker, schwarzer Schrift für jeden gut lesbar sind. Ergänzt durch diverse Sitzgelegenheiten und die Möglichkeit, einen Fahrstuhl nutzen zu können, wird außerdem klar, dass die Kurator*innen auch Wert auf eine möglichst barrierefreie Konzeption ihrer Ausstellung gelegt haben.
Mal in Gruppen, mal in Reihen, ist die räumliche Anordnung der Fotografien abwechslungsreich, jedoch nicht willkürlich. Innerhalb der einzelnen Collagen lässt sich durchweg Kohärenz erkennen, von einer Bildgruppe zum Thema Tanzveranstaltungen, über eine Bilderwand ganz der Stephanus-Stiftung gewidmet, für die Hauswald als Fotograf arbeitete, bis hin zu einer Collage, die nur aus Fotografien von Demonstrationen und anderen politischen Veranstaltungen besteht. Während der thematische Fokus der Ausstellung zwar auf Fotografien Hauswalds in Ostberlin liegt, zeichnet sie trotzdem ein allumfassendes Bild der Arbeit des Fotografen, indem auch Bilder aus der Zeit nach der Wiedervereinigung und außerhalb von Berlin ausgestellt werden. In Hauswalds Fotografien spiegeln Schwimmbäder, Landschaften, Fußballspiele, spielende Kinder, Häuserfassaden und die U-Bahn die Vielseitigkeit des Alltags in der DDR genau so authentisch wider, wie es die Berliner Mauer und das Staatswappen vermögen.
Hol dir die Ausstellung nach Hause!
Zum Ende der Exposition besteht die Möglichkeit in einem kleinen, abgedunkelten Raum ein Video über die Überwachung Hauswalds durch die Stasi, wie auch das Making-Of zum Ausstellungs- und einem damit verbundenen Buchprojekt, das interessante Einblicke in die durchdachte Gestaltung der Ausstellung gibt, anzuschauen. Diese beiden kurzen Filme sind außerdem, ergänzt durch ein aufschlussreiches Interview mit Harald Hauswald und dem Kurator*innenteam, wie auch einen digitalen Ausstellungsbesuch, begleitet von Hauswald und Kurator Felix Hoffman, auf dem Youtube-Kanal von C/O Berlin für jeden zugänglich.[3] Hier zeigt sich erneut die sorgfältige und detailverliebte Arbeit der Kurator*innen, die es damit auch in Zeiten der Corona-Pandemie, jedem ermöglichen, die Ausstellung erleben zu können.
Harald Hauswald - VOLL GUT GEMACHT!
„Es geht darum die Hauptstadt der DDR so darzustellen, wie sie n i c h t ist, aber nach dem […] Willen verständigungsfeindlicher Kreise gesehen werden soll“, heißt es in einem Gutachten des Ministerrats der Deutschen Demokratischen Republik am Ministerium für Kultur, über Harald Hauswalders gemeinsames Buch mit Lutz Rathenow Berlin-Ost: Die andere Seite einer Stadt, durch das 1987 einige seiner Fotografien, anlässlich der 750-jährigen Jubiläumsfeier Berlins, in Westdeutschland veröffentlicht wurden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Hauswalders Fotografien des ostdeutschen Alltags sind unverfälscht, realitätsnah und beeindrucken bis heute.
Mit der Ausstellung Harald Hauswald - VOLL DAS LEBEN! RELOADED! gelingt es den Kurator*innen, das Leben dieses bedeutsamen Fotografen und seinen einzigartigen Blick für einen so wichtigen Teil der deutschen Geschichte, nicht nur anhand seiner Fotografien, sondern auch mithilfe von anderen, ausgewählten Exponaten eindrücklich zu vermitteln. Und so, wer hätte es für möglich gehalten, befindet sich im Jahr 2022, durch diese großartige Exposition, ein kleiner Teil Ostberlins, mitten im ehemaligen Westen der Hauptstadt.
[1] Harald Hauswald . Voll das Leben! The Making-of . Dokumentarfilm von C/O Berlin × Steidl. https://www.youtube.com/watch?v=fk7zSX7eoak (letzter Zugriff: 04.02.2022). 22:24 min.
[2] Ausstellungstext: Hauswald und das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS)/ and the Ministry of State Security. In: Harald Hauswald - VOLL DAS LEBEN! RELOADED!, C/O Berlin Foundation, Amerika Haus, Berlin 2022.
[3] https://www.youtube.com/user/COBerlinVideo/featured
Harald Hauswald - VOLL DAS LEBEN! RELOADED!
11.12.2021 bis 21.04.22
C/O Berlin Foundation im Amerika Haus
Hardenbergstraße 22-24
10623 Berlin
www.co-berlin.org
Öffnungszeiten: täglich von 11:00 Uhr bis 20:00 Uhr
Eintritt: 10 Euro, ermäßigt 6 Euro