Manet – Sehen. Der Blick der Moderne
Kunsthalle Hamburg
Björn Swoboda
„Die Kunst ist zurück – und die Kunsthalle schöner denn je!“ Nach einer zweijährigen Modernisierung erstrahlt das 150 Jahre alte Gebäude in neuem Glanz und wartet nun auf mit einem spannenden Programm für 2016. Hierzu gehört die überwältigende Ausstellung „Manet – Sehen. Der Blick der Moderne“, welche vom 27. Mai bis zum 4. September im Sockelgeschoss der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle zu finden ist. Präsentiert werden hierbei rund 40 Gemälde von Èdouard Manet (1832-1883) worunter auch zahlreiche Hauptwerke des Künstlers zu finden sind. Manet ging es um gekonnte und auffällige Inszenierungen. Er skizzierte in Cafés und auf den Boulevards was er sah. Szenen des Alltags. Randgruppen der Gesellschaft die sich mit dem Großbürgertum vermengen. Prostituierte und Bettler. Gehobene Gesellschaft und Adel. All dies brachte er in großem Format in seinem Pariser Atelier auf Leinwand und schockierte damit das Bürgertum.
Die Ausstellung thematisiert „das Sehen“ in Manets Bildern, wozu Leihgaben aus Paris, Washington, Chicago und 30 anderer Museen zusammengetragen wurden. „Sechs Jahre haben die Verhandlungen gedauert“ berichtete der Direktor der Kunsthalle Hubertus Gaßner, ein Aufwand der sich offensichtlich gelohnt hat, denn so eine umfassende Ausstellung Manets gab es in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr.
Bei der Kunstausstellung handelt es sich hierbei nicht etwa um eine einfache Manet-Ausstellung, es dreht sich viel mehr um das Sehen und zwar im doppelten Sinne: So geht es einerseits um den Betrachter selbst und andererseits um die dargestellten Blicke bei Manet. Die Wechselwirkung dieser zwei Seiten wird thematisiert was eine recht eigentümliche Stimmung erzeugt. Jene Blicke sind nämlich geradezu irritierend: Frauen bei der Morgentoilette schauen aus dem Bild knapp am Betrachter vorbei. Eine Kellnerin serviert einem Gast ein Bier, sieht dabei aber ganz woanders hin und auch in dem berühmten Balkon-Bild aus dem Musée d´Orsay in Paris sind zwei Frauen in festlichen Kleidern und ein Mann in dunklem Frack und Zylinder zu sehen, welche jedoch alle in unterschiedliche Richtungen schauen. Scheinbar hat jede der abgebildeten Personen einen eigenen Blick in die Ferne, einen eigenen voyeuristischen Interessengeleiteten Blick und ist hierbei gleichzeitig recht schamlos dem Blick des Betrachters ausgesetzt. Ein interessantes Wechselspiel, welches sich durch einen Großteil der Ausstellung zieht.
Ein zweites zu beobachtendes Phänomen ist der fast schon unverschämte direkte Blick einiger Portraits. Der Betrachter fühlt sich angestarrt oder gar ertappt, doch die weitere Kommunikation bleibt wie zu erwarten leider aus. Es handelt sich eben doch nur um leblose Malerei. Dabei möchte man am liebsten mit den Portraits in Interaktion treten Starr, stumm und dennoch lebendig. Die Ausstellung Manet´s regt zum Denken, Reflektieren und Verweilen an, denn wer sich durch die Ausstellungsräume bewegt „erntet Blicke“.
Revolutionär ist hierbei vor allem die Tatsache, dass Édouard Manet den Hintergrund hinter den Figuren schloss und ihn oft monochrom gestaltete. Er verzichtete auf den gewohnten illusionistischen Bildraum und damit auf die Projektionsfläche, die in eine andere Welt lockt. Das Bild entwickelt sich somit nach vorne, auf den Betrachter zu. Die Bilderfahrung wird mittelbarer.
„Das Besondere von Manet ist, dass er Szenen zeigt, die immer im Ambivalenten oder im Ungefähren bleiben: Alle Blicke gehen aus dem Bild heraus oder die Blicke von zwei Personen, die sich im Bild nicht treffen, bringen den Betrachter in ein Gefühl, in einen Schwebezustand, sodass er nicht genau weiß, was passiert. Es wird eine Erzählung angefangen aber nicht zu Ende geführt“, erklärt Gaßner in der einführenden Rede zur Eröffnung der Ausstellung. Diese Geschichte weiterzuspinnen bleibt hierbei wohl Aufgabe des Betrachters, was eine sehr individuelle Erfahrung der Kunstwerke möglich macht.
Die Kunsthalle Hamburg hat es geschafft, diese besonderen Facetten Manets gebührend darzustellen und ist daher nicht nur für den Kenner und Liebhaber eine Reise Wert.
Manet – Sehen. Der Blick der Moderne
27.05–04.09.2016
Kunsthalle Hamburg
Glockengießerwall
20095 Hamburg
www.hamburger-kunsthalle.de