Musafiri: Of Travellers and Guests
Haus der Kulturen der Welt
Radha Marius Le Prince
Von der Decke hängende lange, bunte Batik-Stoffbahnen begrüßen mich im Sylvia Winter Foyer des Hauses der Kulturen der Welt. In Ena de Silva’s Fauna- und Flora-Motiven verbinden sich buddhistische, hinduistische und europäische Einflüsse, eine Erinnerung an die gewaltvolle Kolonialgeschichte Sri Lankas – und so stehe ich schon mitten in Musafiri: Of Travellers and Guests. Die Ausstellung erstreckt sich über das ganze, an der Spree liegende Gebäude und tritt mit der Architektur des HKW in einen Dialog.
Installationsansicht der Ausstellung Musafiri: Von Reisenden und Gästen, Haus der Kulturen der Welt (2025), Foto: Hanna Wiedemann/HKW
Mit dem Titel beklebte Glastüren führen in den Hauptausstellungsraum, dahinter tauche ich in ein Meer voller Farben, unterschiedlichster Materialien und verschiedenster Formen. Die Ausstellung lebt von einer Vielfalt an Perspektiven, welche sich in den Werken von über 40 Künstler:innen manifestieren. Ausgestellt ist ein Sammelsurium aus Malereien, Videoinstallationen, Fotografien, Skulpturen, Textilien. In vielen Werken sind präzises Handwerk und freies künstlerisches Arbeiten eng miteinander verflochten. Auch wenn historische Begebenheiten viel thematisiert werden, ergibt sich keine klassische geschichtliche Dokumentation. Gleichzeitig beeinflussen Geschichte und Geschichten von Wanderung, freien und erzwungenen Reisen das künstlerische Schaffen in einem komplexen Wechselspiel.
Während meiner eigenen Reise durch die Welt der Musafiri habe ich stets die Worte von Bonaventure Soh Bejeng Ndikung im Ohr: „Reisen, Wanderung, Migration, und andere Formen der physischen Bewegung oder psychologischen Verschiebungen von A nach B sind in der Tat das älteste Kontinuum in der Geschichte der Menschheit, ja in der Geschichten aller Wesen.“ Diese auf den ersten Seiten des Begleitbuches zu lesenden Worte des Intendanten und Chefkurators des HKW bilden den roten Faden der Ausstellung – sie schweben wie ein Mantra über allem und sind zugleich wohl das wichtigste Statement in persönlicher wie auch politischer Dimension.
Die Ausstellung erzählt Geschichten von freiwilligen Reisenden auf der Suche nach einem besseren Leben und unfreiwilligen, gewaltvoll verschleppten Individuen sowie vom Ankommen, vom Empfangenwerden und der Macht der Personen, die entscheiden, wer willkommen ist und wer nicht. Es werden künstlerische Begegnungen beleuchtet und verfolgt, die entstehen, wenn man die Grenzen des Vertrauten hinter sich lässt. Die Ausstellung entspringt dem Wunsch, eine Welt zu erschaffen, in der Reisende ankommen und als Gäste empfangen werden können. Daher auch der Titel musafiri, ein arabisches Wort das so viel bedeutet wie Reisende. Es existiert mit einer erstaunlichen phonetischen Ähnlichkeit in vielen anderen Sprachen, darunter Hindi, Urdu, Türkisch, Swahili, Farsi und Rumänisch, in dem es eine besondere Form des Gastseins beschreibt.
Eine wichtige kuratorische Entscheidung liegt in dem vollständigen Verzicht auf Beschriftungen. Stattdessen liefert der Reader Informationen zur Ausstellung, zu den Künstler:innen und deren Werken. Das Handbuch kann in deutscher oder englischer Ausgabe am Empfang entgegengenommen werden. Das Fehlen der Informationstexte regt besonders intensiv zum eigenen Wahrnehmen an. Es ist spannend zu beobachten, welche Werke mich anziehen und welche von mir übersehen werden. Ich merke schnell, dass das Ziel der Kuration, mit allen Sinnen in Berührung zu kommen und den Ausstellungsbesuch selbst als eine sinnliche und körperliche Art der Wissensaneignung zu verstehen, bei mir von Beginn an fruchtet.
Installationsansicht der Ausstellung Musafiri: Von Reisenden und Gästen, Haus der Kulturen der Welt (2025), Foto: Hanna Wiedemann/HKW
Es wird auf eine Chronologie verzichtet und so entsteht ein hierarchieloser Raum der Begegnung zwischen den Werken. Das einzige Element, welches für Besucher:innen eine leitende Rolle einnimmt, ist ein farbiger Steg. Dieser fungiert sowohl als barrierefreier, demokratischer Einstieg für alle, als auch als Podest, welches einen Ausblickspunkt schafft. Es entstehen mehrere Ebenen und verschiedene Blickachsen, die den Perspektivwechsel innerhalb der Ausstellung ermöglichen. Das Aufeinandertreffen der vielen Welten und die Fülle an Informationen, Wissen und Perspektiven erscheinen zeitweise auch überfordernd. Gerade die Freiheit, den eigenen Weg durch die Ausstellung zu wählen, stößt im Hauptausstellungsraum an Grenzen – die visuelle Überfrachtung kann zu einem Gefühl von Haltlosigkeit führen. In der Überforderung klingt die Erinnerung an ähnliche Reizüberflutungen nach, wie sie bei tatsächlichen Reisen, ob freiwillig oder unfreiwillig, erlebt werden.
Musafiri: Of Travellers and Guests schafft in der gastgebenden Rolle den Spagat zwischen einer intimen, persönlichen und farbenfrohen Ästhetik des Reisens und der Geste der Gastfreundschaft als einem politischen Akt, der die Relevanz und Ernsthaftigkeit des Themas nicht aus den Augen verliert. Der klassische Museumsbesuch wird durchbrochen. Hier wird ein Ort der Begegnung und des Austauschs geschaffen, in dem wir alle ein Stück weit zu Reisenden und Gäst:innen werden. Am Ende steht für mich die Frage: Wird es irgendwann einen Tag geben, an dem die Musafiri ankommen – in einer Welt, in der das Recht zu entscheiden, wer bleibt und wer geht, allen selbst gehört?
Musafiri: Of Travellers and Guests
1. März 2025 bis 16. Juni 2025
Haus der Kulturen der Welt
John-Foster-Dulles-Allee 10
10557 Berlin
Öffnungszeiten: Mittwoch bis Montag 12-19 Uhr, Dienstag geschlossen
Eintritt: Erwachsene 8€, ermäßigt 5€, montags und jeden ersten Sonntag im Monat frei
https://www.hkw.de/programme/musafiri