Musafiri: Von Reisenden und Gästen
Haus der Kulturen der Welt
Leoni Sperling & Tessa Mracsek
„Travelling, displacement, migration, and other shades of physical movements or psychological shifts from A to B are in fact the oldest continuums in human history, and indeed the history of all begins.“
Mit diesen Worten eröffnet die Ausstellung Musafiri: Von Reisenden und Gästen ihre vielschichtige Auseinandersetzung mit einem der zentralen Themen der Menschheitsgeschichte: dem Unterwegssein. Der Titel „Musafiri“, ein Wort aus dem Swahili, bedeutet so viel wie „Reisender“ oder „Gast“ und verweist auf die grundlegenden Fragen der Ausstellung – nach Mobilität, Migration, Gastfreundschaft und kultureller Begegnung. Gewählte Ausstellungsorts sind die Mrinalini Mukherjee Halle sowie verschiedene Foyers und Außenbereiche des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin. Inhalt der Ausstellung ist eine Vielzahl von verschiedenen Exponaten von gemalten Bildern, Kurzfilmen und Skulpturen von über 40 teilnehmenden Künstler:innen aus aller Welt.
Schon im Foyer entfalten herabhängende, farbenprächtige Banner eine kraftvolle Wirkung. Vorbei am Empfang führt der Weg in den abgedunkelten, in Magenta getauchten Ausstellungsraum, wo Licht, Klang und Farbe die Besucher:innen empfangen – wie der Auftakt einer Reise, die Zeit und Raum miteinander verwebt. Um den bewegten Charakter des Themas der Migration einzufangen, haben wir uns dazu entschlossen, die sehr umfangreiche Ausstellung in drei thematische Schwerpunkte zu unterteilen.
Titelbild des Ausstellungsführers Visual: Yukiko Pressebild. Quelle: HKW, abgerufen am 24.07.2025.
Installationsansicht der Ausstellung Musafiri: Of Travellers and Guests, Haus der Kulturen der Welt (HKW), 2025. Foto: Hanna Wiedemann (HKW). Pressebild. Quelle: HKW, abgerufen am 24.07.2025.
1) Ursachen von Migration
Bei dem ersten ausgewählten Objekt im Kontext der Ursachen von Migration handelt es sich um ein Gemälde der Künstlerin Monilola Olayemi Ilupeju aus dem Jahr 2024 mit dem Titel Dust floating above my head like gnats in a daze. Der Titel lässt sich sinngemäß mit „Staub tanzt über meinem Kopf wie benommene Mücken“ ins Deutsche übersetzen.
Fotografie des Werkes von Monilola Olayemi Ilupeju, das im Rahmen der Ausstellung zu sehen war (eigene Aufnahme, 2025).
Das Gemälde ist Teil einer Werkserie und zeigt geschlossene Mohnblumen. Es thematisiert auf vielschichtige Weise die doppelte Bedeutung des Mohns: einerseits als ästhetisch ansprechende und medizinisch genutzte Pflanze, andererseits als global gehandelte Ware, die in politische und ökonomische Konflikte verstrickt ist. Das Werk verknüpft persönliche und globale Perspektiven auf Migration und Handel und lädt dazu ein, über die Ambivalenz von Naturprodukten sowie deren politische und soziale Instrumentalisierung im Kontext von Identität nachzudenken.
2) Reise
Dass nicht nur die Ursachen oder der Ausgangspunkt für die Migration, sondern auch das Reisen selbst oft von Konflikten und Unsicherheit geprägt sind, zeigt das nächste Ausstellungsstück der „Musafiri“. Hierbei ist die gewählte Art der Darstellung ein 20-minütiger Kurzfilm von Roy Dip – Mondial 2010, der im Jahr 2014 veröffentlicht wurde.
Fotografie der Kurzfilminzinierung von Roy Dip: Mondial 2010 (eigene Aufnahme, 2025).
In diesem Film begleiten wir ein homosexuelles Paar auf seiner Reise von Beirut nach Ramallah. Die beiden halten ihre Gespräche mit einer Handkamera fest, ohne sich selbst dabei ein einziges Mal zu zeigen. Das verursacht unterschiedliche Wirkungen – viele der Gespräche zwischen den beiden drehen sich darum, ihren Status als homosexuelles Paar geheim zu halten, um Homophobie, mögliche Ausgrenzung und Konflikte durch ihre sexuelle Orientierung zu vermeiden. Dabei setzen sie sich gegenseitig Grenzen, um ihre Zuneigung zu zeigen. In diesem Sinne sind sie auch hinter der Kamera nicht sichtbar, da sie ihre Identität nicht authentisch ausleben können und sich in diesem Zusammenhang eben nicht nur „vor“ der Kamera, sondern auch im realen Leben verstecken müssen. Jedoch sind die Grenzen, denen sie in ihrer Identität ausgesetzt sind, nicht die einzigen, die das Video prägen. Auch die Grenzen, die zwischen Beirut und Ramallah verlaufen, sind von großer Bedeutsamkeit. Zwischen den Kontrollpunkten der israelischen Besatzung und den palästinensischen Demonstrant:innen, die sich gegen israelische Soldat:innen auflehnen, ist ihre Reise von Stadt zu Stadt von sehr vielen Konflikten geprägt. Zeitgleich zu ihrer Reise findet die Fußball-Weltmeisterschaft statt, welche paradoxerweise die unterschiedlichsten Nationen zusammenbringen soll.
Dieser Film arbeitet verknüpfend mit Themen wie Reise, Flucht oder Sexualität und schafft somit eine adäquate Darstellung im Bezug zu Reisen und Migration. Die Reise von einem Herkunftsland zu einem anderen Land ist mit vielen Grenzen verbunden, die es zu überwinden gilt. Oftmals wird in diesem Prozess die eigene Identität in Frage gestellt, vielleicht wird man sogar dazu gezwungen, diese aufzugeben, wenn man im neuen Land „ankommen“ will. In vielen Fällen sterben Menschen bei dem Versuch, Grenzen zu überqueren – während im Kontext von Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen mit Zusammenhalt und Freundschaft geprahlt wird.
3) Ankommen
Die Menschen, die es geschafft haben, Grenzen zu überqueren, stehen nun vor einer unsicheren Zukunft – werden sie ankommen? Wenn ja, welches Leben erwartet sie? Werden sie es schaffen, Arbeit und eine Community zu finden, ein fester Teil der Gesellschaft zu werden? Nachdem Besucher:innen in den Saal eintreten und die lange Rampe wie eine Brücke vom erhöhten Eingang hinuntergehen, um sich auf die Reise in die Ausstellung begeben, werden sie von folgendem Exponat begrüßt: Mittig im Saal angeordnet, präsent und irgendwie auch der Knotenpunkt der Ausstellung, repräsentiert es das Leben und das Ankommen von Migrant:innen: eine Sammlung von 14 Fotografien aus verschiedenen Jahren, die den Alltag von vietnamesischen Menschen, die in die USA eingewandert sind, dokumentieren. Genauer genommen handelt es sich um geliebte Menschen des Fotografen – Ocean Vuong. Ocean Vuong wurde in Vietnam geboren und zog im Alter von zwei Jahren mit seiner Familie in die USA, wo er bis heute lebt. Als Schriftsteller greift er in seinen Büchern seine Erfahrungen und seine Herkunft auf und beschäftigt sich mit Themen wie „Klasse, Sexualität, Migration und geopolitische[n] Ereignisse[n]“, wie im Ausstellungsführer zu lesen ist. Ähnlich wie seine Bücher erzählt auch seine Fotografie-Sammlung eine Geschichte. Die Bilder häufig rund um die Feierlichkeiten zum 4. Juli. Eine Hälfte der Fotos zeigt Momentaufnahmen aus dem Nagelstudio von Vuongs Mutter, die andere Hälfte besteht aus Bildern seines Bruders Nicky.
Ocean Vuong, Phuong and Mom (1) (2009), Archival Pigment Print auf Canson Platine Fiber Paper, ~21" x 31.5". Courtesy Ocean Vuong Pressebild. Quelle: HKW, abgerufen am 24.07.2025.
Im Kontext des US-amerikanischen Unabhängigkeitstags verbindet diese Fotografie-Sammlung die Themen Identität, Migration und Familie miteinander und symbolisiert ein Oxymoron: Selbst am Tag der Unabhängigkeit sind die USA abhängig von bestimmten Dienstleistungen wie denen, die im Nagelstudio von Vuongs Mutter angeboten werden. Die Fotografie des Nagelstudios bildet den Mittelpunkt in Vuongs Werk. Es verbindet alle der vorab genannten Themen und verkörpert die Essenz vom alltäglichen Leben vietnamesische:r Migrant:innen – die stereotype und oft mit Vorurteilen behaftete Arbeit in einem Nagelstudio, dessen Arbeitskraft jedoch verlangt wird, sowie die Bedeutung von Familie und Generation, welche die Identität prägen.
Das Thema Migration wird in der Ausstellung Musafiri eindrucksvoll und vielschichtig präsentiert – lebendig, farbenfroh und zugleich von schmerzhafter Tiefe geprägt. Die große Vielfalt und Dichte der Objekte lädt zu einer intensiven Auseinandersetzung ein, wirkt dabei aber teilweise unübersichtlich, zumal ein klarer thematischer Fokus oder eine Führung nicht vorgegeben sind. Die Ausstellung richtet sich in erster Linie an Personen mit eigener Migrationserfahrung sowie an interessierte Besucher:innen, die sich mit Fragen von Identität, Zugehörigkeit und gesellschaftlicher Teilhabe auseinandersetzen möchten. Im Mittelpunkt steht dabei weniger ein klassisch aufklärerischer Anspruch im Sinne einer externen Wissensvermittlung, sondern vielmehr die Möglichkeit für die Künstler:innen, ihre eigenen Erfahrungen, Perspektiven und Identitäten sichtbar zu machen und zur Diskussion zu stellen. Dadurch hebt sich die Ausstellung in ihrer inhaltlichen und kuratorischen Ausrichtung deutlich von vergleichbaren migrationsbezogenen Inszenierungen ab, die häufig einer eurozentrischen Perspektive folgen und dabei oft bewusst oder unbewusst koloniale Strukturen der Aneignung und Fremdzuschreibung reproduzieren. Diese Ausstellung kommt dem Bemühen nach, eine Welt zu ermöglichen, in der Reisende ankommen können und als Gäste empfangen werden, und formuliert ein dringendes Plädoyer für die Anerkennung und Bekräftigung der polyphonen Welten all derer, die sich von den Orten ihrer Herkunft gelöst und auf den Weg gemacht haben.
Weiterführend für Interessierte:
Kuratorisches Essay von Cosmin Costinaș: https://www.hkw.de/programme/musafiri/musafiri-curatorial-essay
Musafiri: Von Reisenden und Gästen
8. März 2025 bis 16. Juni 2025
Haus der Kulturen der Welt (HKW)
John‑Foster‑Dulles‑Allee 10
10557 Berlin
Öffnungszeiten: Mi – Mo 12:00–19:00 Uhr
Eintritt: Regulär ca. 8 €, ermäßigt ca. 6 € (montags und an ausgewählten Sonntagen freier Eintritt)