Unterschiedliche Fächer=unterschiedliche Ansprüche

Ein häufig genanntes Argument gegen die Publikation und Nachnutzbarmachung von Forschungsdaten verweist auf die sehr unterschiedlichen Ansprüche der jeweiligen Fachgemeinschaften und zu differenzierende vor allem rechtlich und /oder ethisch begründete Herausforderungen (urheber- und datenschutzsrechtliche Bedenken, Sorge vor Fehlinterpretationen oder Missbrauch u.ä.) der unterschiedlichen Formen von Forschungsdaten. Hier stellt sich die Frage, wer jeweils die Verantwortung für die publizierten und bereitgestellten Forschungsdaten übernimmt. In der Forschungsdatenpoliciy der Humboldt-Universität heißt es:

Die Humboldt-Universität empfiehlt, Forschungsdaten ebenso wie die wissenschaftliche Publikation gemäß der Open-Access-Erklärung der HU frühestmöglich öffentlich zugänglich zu machen.

Es ist jedoch unstrittig, dass dies, anders als bei der Debatte um den freien Zugang zu mit öffentlichen Mitteln finanzierten Publikationen (Open Access), bei der Bereitstellung von Forschungsdaten oft nur mit der Einschränkung einer rechtlichen und forschungslogischen Eignung der jeweiligen Daten realisiert werden kann. Eine grundsätzliche Bedeutung erhalten dabei die Aufbereitungsschritte für Forschungsdatensätze, die einerseits eine eindeutige Dokumentation und die Auszeichnung mit standardisierten Metadaten umfassen und andererseits auch eine redaktionelle Aufarbeitung von Forschungsdaten, so dass Rechtskonformität (bzw. Compliance) erreicht und eine sinnvolle Nachvollziehbar- und Nachnutzbarkeit abgesichert wird. Aufgrund der Heterogenität der Forschungsdatenaktivitäten in unterschiedlichen Forschungsfeldern kann keine pauschale Vorgabe für alle Anwendungsfälle formuliert werden.

Intelligent Openness

Ein Ansatz, mit dieser Herausforderung umzugehen, findet sich in dem 2012 von der Royal Society formulierten Ansatz einer Intelligent Openness, der die Verantwortung, so eine Lesart, jeweils an die Fachgemeinschaften delegiert.

Realising the benefits of open data requires effective communication through a more intelligent openness: data must be accessible and readily located; they must be intelligible to those who wish to scrutinise them; data must be assessable so that judgments can be made about their reliability and the competence of those who created them; and they must be usable by others. For data to meet these requirements it must be supported by explanatory metadata (data about data). As a first step towards this intelligent openness, data that underpin a journal article should be made concurrently available in an accessible database. (S.7)

Der landläufige Schluss, dass sich daraus ein von den fachwissenschaftlichen Gemeinschaften definierter Grad der Freiheit des Zugangs ergibt (so unlängst im Bericht zur KOBV-Veranstaltung »Roundtable Forschungsdatenpolicies« am 16.6.2016 im ZIB) lässt sich aus dem konkreten Wortlaut freilich nicht zwingend ableiten. Die Royal Society formuliert vielmehr einen sehr konsequenten Anspruch an die Offenheit von Forschungsdaten (zugänglich und abrufbar) und die Grundbedingung der Auszeichnung mit erläuternden Metadaten für die Nutzbarkeit. Die Aussage “must be intelligible to those who wish to scrutinise them” unterstreicht einzig, dass man sich dabei an den jeweils für die Nachvollziehbarkeit notwendigen fachkulturellen Standards halten sollte. Das Adressaten dieser Openness sind - im Unterschied zum Open Access zu Publikationen - weniger Vertreter*innen einer allgemeinen (Fach-)Öffentlichkeit sondern eher konkret die Peers, die auf der Grundlage der zugänglich gemachten Daten die wissenschaftliche Qualität der Arbeit ihrer Fachkolleg*innen einschätzen können. Damit dies möglich wird, müssen laut des Berichtes vier allgemeine Kriterien erfüllt sein: Zugänglichkeit (accessibility), Verständlichkeit (intelligibility), Bewertbarkeit (assessability) und Nutzbarkeit (usability). (vgl. Royal Society, S. 66)

Perspektiven

Dessen ungeachtet scheint es sinnvoll, ein Konzept für eine abstufbare und differenzierte Zugänglichmachung von Forschungsdaten zu haben, die idealerweise von der jeweiligen Fachgemeinschaft definierten Standards folgt. Für die in diesem Bereich aktiven Infrastruktureinrichtungen ist eine Kenntnis dieser Eigenheiten und ein Verständnis der dahinter stehenden Überlegungen notwendig. Andererseits dürfte es im Aufgabenbereich der Infrastrukturanbieter (=Bibliotheken, Rechenzentrum u.ä.) liegen, generelle und fachübergreifende Ansprüche im Bereich der Forschungsdatentransparenz und -publikation an die Fachgemeinschaften zurück zu vermitteln und nach Möglichkeit einen entsprechenden interdiszipilinären Dialog zu fördern. Das Ideal einer möglichst offenen Zugänglichkeit und damit Forschungstransparenz sollte dabei durchaus weiter verfolgt werden. Der Erfahrungsrahmen, die Bedürfnisse und die Möglichkeiten der unterschiedlichen Forschungskulturen sind in die Ausgestaltung des Möglichen jedoch unbedingt einzubeziehen. Aus diesem Grund suchen wir im eDissPlus-Projekt bewusst den Kontakt zu Promovierenden aus einer großen Bandbreite von Disziplinen, um über Interviews die jeweiligen Besonderheiten herauszuarbeiten. Sollte uns im Zuge dessen eine passendere Bezeichnung als intelligent openness begegnen, werden wir dies umgehend hier vermelden.

Quelle: The Royal Society: Science as an open enterprise. London: 2012, PDF