Ratsp.htm Die Schwerpunkte der deutschen Ratspräsidentschaft

Rede von Bundesminister Fischer in straßburg

Der Vorsitzende des Rates der Europäischen Union und Bundesminister des Auswärtigen, Joschka Fischer, hielt vor dem Europäischen Parlament am 12. Januar 1999 in Straßburg folgende Rede:

Mit dem 1. Januar 1999 und der Einführung des Euro, der gemeinsamen Währung, durch elf Mitgliedstaaten, hat Europa einen historischen, ja vielleicht sogar revolutionären Schritt getan, der dem europäischen Integrationswerk eine neue Qualität verleihen wird. Zum ersten Mal in der Geschichte des europäischen Integrationsprozesses, jener fast wunderbar zu nennenden Antwort der Völker Europas auf Jahrhunderte eines prekären Gleichgewichts der Mächte auf diesem Kontinent, von gewaltsamen Hegemoniebestrebungen und furchtbaren Kriegen, wurde aus dem Kernbereich nationalstaatlicher Souveränität jetzt ein wesentlicher Teil die Währungssouveränität auf eine europäische Institution übertragen. Dieser Akt schafft in der Tat eine neue politische Qualität. Währung, Sicherheit und Verfassung, das sind die drei wesentlichen Souveränitäten der modernen Nationalstaaten, und mit der Einführung des Euro wurde ein erster Schritt zu ihrer Vergemeinschaftung in der EU getan. Man wird wohl erst mit einigem zeitlichen Abstand die ganze Bedeutung dieses Schrittes für Europa und die internationale Politik begreifen können.

Die Einführung eines gemeinsamen Geldes ist nicht in erster Linie ein ökonomischer, sondern vor allem ein souveräner und demnach eminent politischer Akt. Mit der Vergemeinschaftung des Geldes hat sich Europa auch für einen eigenständigen Weg in die Zukunft und, in enger Verbindung mit unseren transatlantischen Partnern, für eine eigenständige Rolle in der Welt von morgen entschieden. Freilich hat bis heute die EU nur teilweise den Charakter eines politischen Subjekts, und demnach wird aus der Vergemeinschaftung der Währung gegenüber den noch fehlenden politischen und demokratischen Gemeinschaftsstrukturen ein Spannungsfeld entstehen, dessen Dynamik den gegenwärtigen Status Quo bereits in naher Zukunft erschüttern wird. Meines Erachtens werden jene Beobachter recht behalten, die anläßlich der Einführung des Euro darauf hinwiesen, daß die gemeinsame Währung sowohl große Chancen als auch mindestens ebenso große Risiken für die EU enthielte, und zwar je nachdem, wie sich die Mitgliedstaaten zu dem weiteren politischen Vergemeinschaftungsprozeß verhalten würden. Chancen sahen sie dann überwiegen, wenn die Dynamik der Einführung des Euro für weitere substantielle Schritte zur Vergemeinschaftung bis hin zur Vollendung der politischen Union genutzt würde. Die Einführung würde sich aber dann als ein großes Risiko erweisen, wenn in der Logik dieses kühnen Schrittes durch die EU nicht weitere, ähnlich kühne Schritte zur Vollendung der Integration und das umfaßt auch zwingend die schnellstmögliche Erweiterung der EU nach Ostmitteleuropa folgen würden.

Die politische Klugheit, aber auch das nationale Eigeninteresse aller Mitgliedstaaten gebieten es, daß wir es zu dieser Alternative erst gar nicht kommen lassen dürfen, sondern wir müssen statt dessen gemeinsam und energisch die Chancen der gelungenen Einführung des Euro nutzen ! Wir müssen deshalb die politische Aktionsfähigkeit der EU stärken und ihre innere Verfassung auf die neuen Aufgaben ausrichten. Die um neue Mitgliedstaaten vergrößerte politische Union muß von nun an unser Kompaß sein, sie ist die logische Konsequenz der Wirtschafts- und Währungsunion.

Zentrale Aufgabe des deutschen Ratsvorsitzes ist es, die Union in ihren Strukturen und Verfahren darauf vorzubereiten, aus einer westeuropäischen zu einer gesamteuropäischen und zugleich global handlungsfähigen Union zu werden.

Wir setzen im kommenden Halbjahr vier Schwerpunkte : Erstens : Wir wollen die Verhandlungen über die Agenda 2000 bis zum 24./25. März erfolgreich abschließen. Das ist kein willkürliches Datum. Gelingt uns bis dahin keine Einigung, würde die Union ihre Reformfähigkeit, die auch Voraussetzung für die Erweiterung ist, ernsthaft in Frage stellen. Keine Frage: Die Verhandlungen werden sehr schwierig. Eine Lösung wird nur im Rahmen eines umfassenden Interessenausgleichs gefunden werden. Der deutsche Vorsitz wird dabei darauf achten, daß keine Lösung auf Kosten der schwächsten EU -Partner zustande kommt, sondern daß auf dem ER Ende März eine gleichgewichtige Lösung erreicht wird.

Auch wenn die Positionen in entscheidenden Fragen noch auseinander liegen - ich bin optimistisch, daß wir uns einigen können. Auf meiner Sondierungsreise vor Weihnachten habe ich in allen Partnerländern die Bereitschaft gespürt, die Verhandlungen konstruktiv zu führen und eine Einigung bis März zu erzielen. Alle wissen, daß wir nur Erfolg haben werden, wenn wir die Agenda 2000 als Gesamtpaket behandeln und wenn jeder zum Kompromiß beiträgt. Es darf keine Gewinner und keine Verlierer geben. Das alles wird dem deutschen Vorsitz einen schwierigen Balanceakt abverlangen. Dabei vertrauen wir auch auf die Unterstützung und das Verständnis des Europäischen Parlamentes, mit dem wir eng zusammenarbeiten wollen.

Jetzt müssen wir so schnell wie möglich die Substanzfragen anpacken: Bei der Strukturpolitik halte ich zunächst eine Konzentration auf die strukturschwächsten und förderungsbedürftigsten Regionen für notwendig. Die Förderung muß einfacher, dezentraler, ökologischer und beschäftigungswirksamer werden.

Zukunftsfähigkeit und Legitimität der EU erfordern eine faire Lastenverteilung. Klar ist: Deutschland wird als wirtschaftsstärkstes EU-Mitglied auch künftig seine europäische Verantwortung tragen und größter Nettozahler bleiben. Aber bei der Verteilung der Lasten haben sich Ungerechtigkeiten eingeschlichen, die wir korrigieren müssen. Dieses Anliegen, das Deutschland mit anderen Mitgliedstaaten teilt, wird von der Kommission und inzwischen auch von vielen Partnern als legitim anerkannt.

Die Erweiterung ebenso wie die nächste WTO-Verhandlungsrunde machen eine grundlegende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik und eine Senkung der Agrarausgaben erforderlich. Wenn wir die überwiegend noch agrarisch strukturierten Länder Mittel- und Osteuropas aufnehmen wollen, dann können wir die europäische Agrarpolitik nicht unverändert fortschreiben. Die europäische Landwirtschaft muß wettbewerbsfähiger und umweltverträglicher werden; gleichzeitig müssen die Interessen der Landwirte gesichert werden.

Zweitens : Wir wollen deutliche Fortschritte hin zu einer wirksamen Beschäftigungspolitik erzielen. Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ist die drängendste Sorge der Menschen in Europa. Sie erwarten zu Recht, daß nicht nur die nationalen Regierungen gegen die Arbeitslosigkeit vorgehen, sondern auch die europäische Ebene einen Beitrag leistet. Deshalb wollen wir beim Europäischen Rat in Köln einen europäischen Beschäftigungs-pakt verabschieden. Der Pakt soll Ausdruck einer aktiven Arbeitsmarktpolitik werden, die mehr als bisher auf Prävention setzt: auf den Abbau der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit sowie der Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt.

Drittens : Wir wollen und müssen die Erweiterung der EU schnellstmöglich voranbringen. Die EU darf nach dem Ende des Kalten Krieges nicht auf Westeuropa beschränkt bleiben, sondern es liegt im Wesen der europäischen Integrationsidee, daß sie gesamteuropäisch angelegt ist. Darüber hinaus lassen die geopolitischen Realitäten auch gar keine ernsthafte Alternative zu. Wenn dies richtig ist, dann hat die Geschichte 1989/90 bereits über das Ob der Osterweiterung entschieden, allein das Wie und das Wann muß noch gestaltet und entschieden werden.




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