Offenheit hat ihren Preis

Der Bundestagsabgeordneter Volker Beck über Schwule uns Lesben in der Politik und das Recht auf Privatleben.

Journalist: In Berlin hat sich mit Klaus Wowereit zum ersten Mal ein Spitzenpolitiker als Schwuler geoutet. Erleben wir einen "Feldversuch in Sachen Toleranz", wie die "Berliner Zeitung" schrieb?

Volker Beck: Eine Stadt wie Berlin kann gut damit umgehen. Wir Grünen haben die Tür aufgestoßen, durch die Herr Wowereit jetzt gegangen ist. Ich hoffe, am Outing von Klaus Wowereit erweist sich: Es ist ein Anachronismus, wenn andere Kollegen mit ihrer Homosexualität immer noch so umgehen, als müsste man ein Staatsgeheimnis hüten. Wirklich normal ist es in Deutschland erst dann, wenn ein Bundesminister, ein Wirtschaftskapitän oder der Leiter einer großen Behörde sich outet und es danach kein Rascheln im Blätterwald gibt. Deutschland hinkt gegenüber anderen europäischen Ländern in Sachen Toleranz hinterher, wenn es um alternative Lebensstile geht. Als Bertrand Delanoë, der Bürgermeister von Paris, sich bekannt hat, hat sich in Frankreich kein Mensch darüber aufgeregt.

Das Coming-out macht stark und unangreifbar. Ich glaube, dass Herr Wowereit jetzt besser schläft. Und das erlebt jeder, der sich outet. Man fühlt sich einfach nicht gut, wenn die Gefahr besteht, dass die Presse oder der politische Gegner das Heft des Handelns in die Hand nimmt. Mir ist noch gut in Erinnerung, wie eine Bundesweit sehr renommierte liberale Zeitung eine drei viertel Seite lang darüber räsoniert hat, warum ein Bundesminister der Regierung Kohl nicht sagt, dass er schwul ist. Das ist natürlich eine besonders perfide Form des indirekten Outings. Je früher man es sagt, umso eher hat man es hinter sich. Meistens macht man sich mehr Gedanken darüber als die gesamte Umgebung. Wenn es einmal raus ist, merkt man, dass man sich viel zu viele Sorgen gemacht hat.

Ich glaube, dass die meisten homosexuellen Kollegen das Ende der Wahlperiode versteckt im Schrank erleben. Dabei wäre es eine gute Gelegenheit, das im Windschatten von Wowereit unaufgeregt über die Bühne zu bringen. Wenn man davon ausgeht, dass zehn Prozent der Bevölkerung homosexuell sind, und voraussetzt, dass der Bundestag ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, müsste es ungefähr 70 lesbische oder schwule abgeordnete geben. Bis die sich alle bekannt haben, müssen wir wohl noch ein bisschen warten. So was muss auch reifen. Ich wage die Prognose: Am Ende dieses Jahrzehnts kostet es auch einen Unionspolitiker auf dem flachen Land wahrscheinlich nichts mehr, wenn er sagt. Bis ein Schwuler Kanzler oder eine Lesbe Kanzlerin werden kann, dauert es wohl noch ein wenig länger.


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