"Hurra, ich lebe noch"

Hat er Selbstmord verübt oder ist er untergetaucht? Seit über einem Jahr war der berühmteste Polit-Provokateur der Republik verschollen. Jetzt kündigt Dieter Kunzelmann eine spektakuläre "Wiederauferstehung" an.

Journalist: Warum haben Sie Ihren Selbstmord vorgetäuscht?

Kunzelmann: Ich hatte die Idee schon lange. Wenn ein Haftbefehl besteht, gibt es nichts Besseres, als tot zu sein. Und im November 1997 habe ich mit meinem Freund, dem dänischen Künstler Jens-J rgen Thorsen, auf dem Flughafen von Kopenhagen überlegt: Wenn ich jemals eine Chance habe, glaubwürdig scheintot zu sein, dann jetzt. Jens-Joergen Thorsen war zunächst der einzige der davon wußte. Wir hielten Kontakt, als ich Ende 1997 von Dänemark nach Südeuropa umgezogen bin. Unser Codewort: "Viva la muerte". Am 11. Februar 1998 habe ich dann zwei Freunde aus Berlin in mein neues Exil eingeladen und ihnen meine Idee vorgetragen. Nach langen Diskussionen waren wir der Meinung, daß man das machen kann. Zwei weitere Freunde, die Bescheid wußten, haben dann die Todesanzeige aufgegeben. Natürlich war auch meine Familie eingeweiht. Es ist schon eine sehr schwerwiegende Entscheidung, seinen Freitod bekanntzugeben, wenn er nicht stattgefunden hat. Ich bitte auf diesem Weg all jene um Entschuldigung, die ernsthaft um mich getrauert haben. Es war nicht meine Absicht, mit Gefühlen zu spielen.

Es war für mich eine völlig neue Erfahrung, als Toter lebend herumlaufen zu können. Ich hatte ständig über diverse Kuriere einen regelmäßigen Kontakt nach Hause. Und deutsche Zeitungen konnte ich in meinem Exil überall kaufen. Ich hatte von Anfang an geplant, nur bis zum Jahre 1999 tot zu bleiben. Ich bin ein Mensch, der gern zehn Schritte vorausdenkt. Das habe ich als Kind beim Schachspiel gegen meinen Vater gelernt. Meine Wiederauferstehung wollte ich ursprünglich aus dem Jenseits als unabhängiger Direktkandidat für die Berliner Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Oktober zelebrieren gegen den Regierenden Eberhard Diebgen und den Walter Momper. Ich wollte wissen, was passiert, wenn eine Leiche gegen die anderen Leichen antritt. Eine Idee, die ich mir aber wieder abschminken mußte, weil in Berlin die Direktwahl des Stadtoberhauptes nicht möglich ist. Nun, will ich die elfeinhalb Monate Knast hinter mich bringen. Dafür werde ich mich stellen müssen.

Ich wurde zu fünf Monaten Haft verurteilt, weil ich mit einem Ei den Dienst-Mercedes des Regierenden Bürgermeister Diepgen attackiert habe. Das war am 11. Oktober 1993, beim ersten Spatenstich für den Postdamer Platz. Damit wollte ich gegen Immobilienspekulation und städtebaulichen Größenwahn protestieren. Durch den Eierwurf splitterte damals die Windschutzscheibe von Diepgens Dienstfahrzeug. Ich war selbst überrascht. Es war ein frisches, rohes, deutsches Ei, Güteklasse A. Während des Prozesses habe ich dann am 20. Dezember 1995 dem anwesenden Zeugen Eberhard Diepgen ein weiteres Ei auf dem Kopf ausgedrückt. Um mit dem Ei durch die Kontrolle zu kommen hatte ich zwei Eier so versteckt, daß sie bei der Durchsuchung gefunden werden mußten. Das dritte Ei trug ich in einem Suspensorium zwischen meinen beiden eigenen. Es war ein relativ kleines Ei gewesen, eins von freilaufenden Hühnern. Das habe ich dem Regierenden dann in einem passenden Moment auf dem Kopf zerdrückt. Mit einem Gruß, der von Herzen Kam: "Frohe Ostern, Sie Weihnachtsmann!" Dafür wurde ich noch einmal zu sechs Monaten verknackt.


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