"Wir lieben mutige Unternehmer"
Pearson-Chefin Marjorie Scardino über die Pläne für eine deutsche "Financial Times" und den Umbau des größten britischen Medienkonzerns

Journalist: 50 Jahre lang ist in Deutschland keine größere Tageszeitung gegründet worden, weil die Verleger das Risiko fürchteten. Nun planen Sie zusammen mit Gruner + Jahr für rund 180 Millionen Mark die Einführung einer deutschen "Financial Times". Warum wollen Sie Ihr Geld vernichten?

Scardino: Das haben wir wirklich nicht vor. Wir haben uns lange mit dem Projekt beschäftigt und festgestellt: Die Chancen sind gut. Europa ist das Zuhause der "Financial Times", und Deutschland ist Europas größter und aufregendster Markt. Deshalb müssen wir dort stärker als bisher präsent sein. Natürlich ist es immer eine radikale Sache, eine Zeitung zu starten. Aber wir glauben an Wettbewerb: Er macht die Zeitungen und die Politik besser. Es ist wahr, daß die deutsche "Financial Times" nur Erfolg haben kann, wenn sie dem bisherigen Monopolisten "Handelsblatt" Leser abnimmt. Man kann aber nicht von einem Vernichtungswettbewerb sprechen. Unser Produkt wird aber ganz anders; mit einem viel stärkeren internationalen Akzent. Die Leser werden etwas völlig Neues vorfinden.

Wir wollen soviel Auflage wie möglich. Vergessen Sie nicht: Es gibt immer mehr Leute in Deutschland, die internationale Geschäfte machen. Außerdem bringen wir eine andere Form des Journalismus: Unsere Stärke ist die Analyse, welche Ereignisse verständlich erklärt. Zudem sind wir investigativer als die deutschen Zeitungen. Gerade in den letzten Monaten hatten wir einige spektakuläre Enthüllungen über geplante Fusionen.

Seit 30 Jahren sind wir in Deutschland mit unserer englischsprachigen Ausgabe im Geschäft, die Auflage aber ist stabil bei 20 000 bis 25 000 Exemplaren. Das liegt an der Sprache und der lokalen Ausrichtung. In Spanien und Frankreich dagegen feiern wir mit unseren Landesblättern "Expansion" und "Les Echos" Erfolge. Wir brauchen etwas Vergleichbares auf dem deutschen Markt, das ist eine zentrale Angelegenheit für unser Haus. Wir müssen das Land besser verstehen lernen. Schon heute stammen 20 Prozent der Einnahmen unseres Fernsehgeschäfts aus Deutschland, und auch unser Verlag Penguin verkauft viele Bücher dort.

Gruner+ Jahr hat den Mut, an die deutsche "Financial Times" zu glauben, und wir lieben mutige Unternehmen. Natürlich ist es ein großes Risiko etwas dazuzukaufen wäre viel einfacher. Ich selbst habe 1978 in den USA zusammen mit meinem Mann eine Lokalzeitung, die "Georgia Gazette", gegründet und bin damit sieben Jahre später gescheitert. Ich weiß, wovon ich rede. Doch wir fühlen uns sicher, Gruner + Jahr ist ein großer Partner, der Zeitungen ein bißchen und den Markt sehr gut kennt. Dieser Verlag hat auch eine wunderbare Infrastruktur, beispielsweise ein gutes Vertriebsnetz. Ich weiß es gibt Gerüchte, die deutsche "Financial Times" käme gar nicht auf den Markt. Solche Gerüchte kommen von Leuten,die wollen, daß wir es bleibenlassen. Bei jedem Projekt dieser Art gibt es verschiedene Phasen der Entscheidung. Nichts ist endgültig, alle Dinge sind dynamisch. Aber wir sind dem Plan sehr verpflichtet. In den USA waren viele skeptisch, als wir 1997 eine eigene Ausgabe starteten. Heute verkaufen wir dort über 70 000 Exemplare.


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