Türkei Offizieller Besuch des Präsidenten der Republik Türkei vom 4. bis 7. November 1996

Der Präsident der Republik Türkei, Süleyman Demirel ,stattete der Bundesrepublik Deutschland vom 4. bis 7. November 1996 einen offiziellen Besuch ab.

Empfang im Schloß Bellevue

Bundespräsident Roman Herzog hielt bei dem Abendessen zu Ehren des Präsidenten der Republik Türkei, Süleyman Demirel, und Frau Nazmiye Demirel im Schloß Bellevue in Berlin am 4. November 1996 folgende Ansprache:

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Frau Demirel,
meine Damen und Herren,

ich freue mich sehr, Sie, Herr Staatspräsident, und Ihre verehrte Frau Gemahlin heute hier in Berlin und in Deutschland willkommen heißen zu dürfen.

Es ist Ihr erster Deutschlandbesuch als Staatspräsident der Türkei und der erste Besuch eines türkischen Staatsoberhauptes seit der deutschen Vereinigung. Vieles hat sich verändert, seit Sie im Jahre 1967 als türkischer Regierungschef Deutschland besucht haben. Eines aber nicht: Die Freundschaft zwischen unseren Völkern. .

Die guten und vertrauensvollen Beziehungen zur Türkei und zum türkischen Volk haben für uns traditionell einen besonderen Stellenwert. Aber sie sind mehr als nur Tradition. Sie sind mehr als die Summe langer historischer Verbundenheit und enger politischer, wirtschaftlicher und kultureller Zusammenarbeit in der Gegenwart. Sie sind, wie jede Freundschaft, eine stetige Herausforderung für Herz und Verstand. Nicht immer ist beides im Einklang. Aber wenn eine Freundschaft auf sicheren Fundamenten steht, hält sie den Schwierigkeiten des politischen Alltags stand.

Unsere Freundschaft steht auf sicherem Grund: dem engen Geflecht unserer bilateralen Beziehungen und der langjährigen Zusammenarbeit im Europarat, dem Nord-atlantischen Bündnis, der WEU und der Europäischen Union.

Die bilaterale Zusammenarbeit ist von einer menschlichen Qualität, die nur wenige Partnerländer kennen. Über zwei Millionen türkische Staatsangehörige leben bei uns in Deutschland, viele von ihnen schon in der zweiten oder dritten Generation. Viele von ihnen gehören heute zur wirtschaftlichen und intellektuellen Leistungselite unseres Landes. Sie haben sich im wahrsten Sinne des Wortes mit Deutschland verbunden, ohne hierdurch den Bezug zu ihrer Heimat verloren zu haben.

Mehr als 40 000 türkische Unternehmen in Deutschland mit intensiven wirtschaftlichen Beziehungen zu ihrem Heimatland leisten einen wertvollen Beitrag zur Volkswirtschaft beider Länder. Andererseits w erden im Jahre 1996 fast zwei Millionen Deutsche die Türkei als Touristen besucht haben. Sie bilden damit die mit Abstand größte Gruppe in dem für die türkische Wirtschaft wichtigen Fremdenverkehr.

Viele der hier seit vielen Jahren lebenden Türken möchten ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland behalten. Wir unterstützen ihre Integration in unsere Gesellschaft. Mit der Regelung eines Anspruchs auf Einbürgerung geht Deutschland weiter als die meisten anderen Staaten.

Besonders wichtig ist uns die Ausbildung der türkischen Kinder und Jugendlichen, die in unserem Land leben. Fast 500 000 türkische Kinder besuchen deutsche Schulen, 16 000 junge Türken studieren an unseren Hochschulen. Integration bedeutet für uns aber nicht die Aufgabe der türkischen Identität. Deshalb wird in allen Bundesländern zusätzlicher Unterricht in der türkischen Muttersprache angeboten. Neben den in Deutschland lebenden Türken sind die in die Türkei zurückgekehrten Türken, ebenso wie die Deutschen, die die Türkei zu ihrem Lebensmittelpunkt gewählt haben, eine Brücke zwischen unseren Völkern. Wir fördern deshalb deutsch-sprachige Studiengänge an der Marmara Universität und den Unterricht in deutscher Sprache an 18 Anadolu-Gymnasien.

Wir setzen uns für Integration und friedliches Miteinander ein. Davon profitieren Deutsche und Türken. Ihre Landsleute, die bei uns leben und bleiben, wissen, daß Deutschland trotz mancher schlimmer Vorfälle in den letzten Jahren, die wir zutiefst bedauern, ein ausländerfreundliches Land ist. Die eindeutige Reaktion der deutschen Öffentlichkeit auf diese Vorfälle zeigt dies. Unsere Gesellschaft hat nicht das geringste Verständnis für die Verbrechen an Türken und anderen Ausländern. Sie setzt auf Toleranz gegenüber allen Menschen, gleich welcher Nationalität. Sie toleriert nicht, daß radikale Gewalttäter dieses Miteinander gefährden oder gar zerstören. Die geistigen und tatsächlichen Brandstifter trifft die volle Härte des deutschen Gesetzes.

Das gilt auch in der Bekämpfung des Terrorismus. Deutschland steht hinter dem Anspruch der Türkei auf Bewahrung ihrer territorialen Integrität. Gewalt darf kein Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele sein.

Wer in Deutschland gegen Recht und Gesetz verstößt, wird im Rahmen des Gesetzes unnachgiebig verfolgt. Ein freiheitlicher Rechtsstaat kann über diesen Rahmen aber nicht hinausgehen. Er muß sich mit den Ursachen politisch motivierter Gewalt auch politisch auseinandersetzen, um den inneren Frieden zu bewahren. Das ist für uns Deutsche allerdings dort schwierig, wo sich diese Ursachen unserer Einwirkung entziehen. Wir hoffen als Freunde der Türkei, daß diese für die schwierige Frage einer Lösung der Probleme in ihrem Südosten konstruktive Antworten findet, Antworten, die den Prinzipien der Verhältnismäßigkeit, des Völkerrechts und der Menschenrechte entsprechen, Antworten, die dem Terrorismus den Boden entziehen und damit auch bei uns ein friedliches Zusammenleben aller türkischen Bürger sicherstellen.


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