Die Kenntnis der Geschichte ist das Fundament für die Gestaltung der Zukunft
Begrüßungsworte des Bundespräsidenten
Bundespräsident Roman Herzog eröffnete den Festabend zum 25jährigen Jubiläum des Schülerwettbewerbs
"Deutsche Geschichte um den Preis des Bundespräsidenten" am 4. September 1998 im
Schloß Bellevue in Berlin mit folgenden Worten:
Ich begrüße Sie zum 25jährigen Jubiläum des Schülerwettbewerbs Deutsche Geschichte.
Wir feiern heute einen höchst großartigen Erfolg, der nicht von Anfang an vorauszusehen
war. Als der Wettbewerb 1973 startete, stand Geschichte bei der Mehrheit der Jugendlichen und der Gesellschaft überhaupt nicht im Vordergrund. In einigen Kultusministerien
wurde gar über die Abschaffung des Fachs Geschichte zugunsten eines Unterrichts in
"Sozialwissenschaft" nachgedacht.
Damals war es der erfolgreiche Unternehmer Kurt A. Körber, der sich von der Einsicht
leiten ließ, daß Wirtschaftswachstum allein keine Garantie für den Fortbestand unserer
Demokratie ist und daß man nur aus einer eingehenden Kenntnis vom eigenen Standort
und von der eigenen Vergangenheit sichere Fundamente für die Zukunft bauen kann. Befragt
nach Beweggründen für ein Engagement, an dem es konkret nichts zu verdienen gab,
hat Kurt A. Körber immer wieder gesagt: "Es gibt Zukunftsinvestitionen, die sich
nicht in Heller und Pfennig auszahlen und dennoch lohnend sind."
Und diese Investition war wirklich lohnend. Heute ist der Wettbewerb eine feste Größe
in unserer schulischen und öffentlichen Geschichtskultur. Etwa 90 000 Schülerinnen
und Schüler haben mittlerweile an 15 Ausschreibungen teilgenommen. Etwa 17 000 Beiträge lagern im Archiv des Schülerwettbewerbs, mehrere Hundert sind veröffentlicht worden,
viele haben im örtlichen Umfeld zu intensiven Debatten über die Vergangenheit geführt.
Denn das ist das Gütesiegel und vielleicht auch das eigentliche Erfolgsmoment des
Wettbewerbs: die historische Spurensuche am eigenen Wohnort, in der eigenen Region,
in der Familie, unter Freunden und Bekannten. Das hatte man sich damals gut ausgedacht.
Jugendliche sollten an etwas herangehen, das nicht völlig abstrakt und in eine höhere
Ebene abgehoben ist, sondern konkret ihre Erlebniswelt betrifft. Bei dem Schülerwettbewerb
Deutsche Geschichte ging und geht es um Heimatgeschichte im guten Sinn, also ohne Kitsch und Betulichkeit. Was Industrialisierung für ein Dorf bedeutet, wie man bei
der Integration von Heimatvertriebenen verfahren ist oder wie Fremde am Ort aufgenommen
wurden, all das wurde und wird ganz konkret und realitätsnah erforscht, durch Quellenstudium und durch Gespräche mit Zeitzeugen ermittelt. "Grabe, wo Du stehst", später
das Credo einer ganzen Geschichtsbewegung, stand von Anfang an im Zentrum des Schülerwettbewerbs.
Ausgerechnet das wohl schwierigste Thema der vergangenen 25 Jahre hat dann zum endgültigen
Durchbruch der Wettbewerbsidee geführt. Mit "Alltag im Nationalsozialismus" traf
der Wettbewerb Anfang der achtziger Jahre den Nerv der Zeit. Es kam wohl zum ersten mal nach dem Kriege zu einem breiten, manchmal auch aufwühlenden Gespräch zwischen
den Generationen über dieses Kapitel unserer Geschichte. Aber auch bei allen anderen
Themen, ob es sich um die Geschichte der Umwelt handelte, um die Erinnerungsfunktion von Denkmälern oder um die Erfahrungen der Menschen aus Ost und West mit der deutschen
Teilung, was immer man anpackte: Der Wettbewerb hat sich als Experimentierfeld für
historisch wie politisch gleichermaßen wichtige Themen bewährt und über die jeweiligen Projektbeiträge vielfach eine intensive Diskussion vor Ort in Gang gesetzt.
Eine einmalige oder gar mehrmalige Teilnahme am Geschichtswettbewerb kann und soll
natürlich nicht Historiker schaffen. Es geht darum, daß historische Laien etwas Entscheidendes
lernen, nämlich in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ihr eigenes Urteilsvermögen zu schulen und erste Erfahrungen mit wissenschaftlichen Methoden zu
gewinnen. Die jungen Leute können erkennen, wie Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen
zum Erfolg führen können. Sie lernen, was Einfallsreichtum und Kreativität bewirken
können. Eigenständigkeit, präzises Argumentieren, vernetztes Denken, Arbeiten im Team,
das alles erfährt man durch die Teilnahme am Wettbewerb. All das sind Qualitäten,
die die moderne Gesellschaft mehr und mehr verlangt.
Ich glaube, daß die Kenntnis von Geschichte, daß zumindest der Sinn für historische
Zusammenhänge in ganz besonderer Weise für die Gestaltung der künftigen Gesellschaft
wichtig ist. Geschichte hat eine aufklärende Funktion. Wer sich mit ihr beschäftigt,
sei es auf lokaler Ebene oder im Weltmaßstab, der wird nicht mehr so leicht von kurzatmigen
Prognosen und aufgeregten Propheten aus dem Gleichgewicht gebracht werden können.
Das erzeugt eine Form von Gelassenheit, die für mich die Voraussetzung für eine rationale Analyse und für begründetes politisches Handeln in der Gegenwart ist.
Schließlich stärkt die Beschäftigung mit Geschichte den Umgang der Generationen untereinander.
Wir erkennen, wie die Generationen miteinander verwoben sind, und wir erkennen natürlich
auch, daß wir nicht erst heute in eine Umwelt hineingestellt sind und daß sich dadurch auch viele Dinge bei näherer Sicht relativieren. Ich erinnere nur an
die Ausschreibung "Unser Ort Heimat für Fremde". Als sich hier Schüler intensiver
mit der Geschichte der eigenen Famille befaßten, mußten sie feststellen, daß auch
sie Wurzeln in der Fremde, etwa in Polen, Frankreich oder wo auch immer hatten. Eine den
Punkt treffende Aussage dazu war: "Wenn wir ,Ausländer raus' schreien, müßten wir
eigentlich selber die Koffer packen."
Geschichte, Gegenwartsbezug und forschendes Lernen sind die tragenden Pfeiler des
Schülerwettbewerbs. Ich glaube, man kann mit Fug und Recht sagen, im Schülerwettbewerb
Deutsche Geschichte gehen der Inhalt, die Methodik und die pädagogisch-politische
Intention eine gelungene Verbindung miteinander ein. Das verlangt aber auch Menschen, die
eine Sache tragen und bewegen. Den großzügigen Stifter Kurt A. Körber habe ich schon
genannt. Ihm gilt unser ganz besonderer Dank. Eine tragende Rolle im Wettbewerb spielen aber auch die Lehrer, die Projekte initiieren und begleiten und die Teilnehmer betreuen.
Ohne sie geht es beim Schülerwettbewerb beim besten Willen nicht. Deshalb möchte
ich mit Nachdruck bei aller Kritik, die heute so geme und einfach gegenüber Lehrern laut wird betonen, daß es nach wie vor solche Vorbilder gibt, die ihren Beruf
als Berufung verstehen und deren Engagement nicht mit dem schulischen Klingelzeichen
endet. Herzlichen Dank und weiter so!
Dem Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte wünsche ich auch für die nächsten Jahre
gutes Gelingen. Um Themen und Teilnehmer ist mir nicht bange. Wenn ich die Fragen
zum Maßstab nehme, die ich selbst noch an die Geschichte habe, dann ist dem Schülerwettbewerb eine lange Existenz gesichert.
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