Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Dr. Werner Müller, zur Eröffnung der 7. Lateinamerika-Konferenz der deutschen Wirtschaft am 31. Mai 2001 in München.


Meine Damen und Herren,

zur 7. Lateinamerika-Konferenz der deutschen Wirtschaft hier in München möchte ich Sie alle sehr herzlich begrüßen. Ganz besonders willkommen heiße ich natürlich unsere Gäste aus Lateinamerika. Ich freue mich, dass Sie unserer Einladung nach Deutschland gefolgt sind.

Das Motto dieser 7. Lateinamerika-Konferenz lautet "Lateinamerika - neue Chancen durch freien Handel". Dabei werden insbesondere zwei Regionen Lateinamerikas in den Blickpunkt gerückt, nämlich der Mercosur und Mexiko. Diese Tage werden Gelegenheit bieten, die Möglichkeiten und Chancen zu erörtern, die sich für den Ausbau und die Vertiefung der traditionell guten Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und den Ländern Lateinamerikas bieten. Selbstverständlich gilt das auch für die Länder, die nicht zu den genannten Schwerpunktregionen dieser Konferenz gehören.

Die Voraussetzungen für eine Intensivierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Lateinamerika sind gut. Seit langem verbindet Deutschland und Lateinamerika politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich und kulturell eine verlässliche Partnerschaft. Deutschland genießt in Lateinamerika durch die Beziehungen, die seit Jahrhunderten deutsche Auswanderer, Kaufleute, Unternehmer, Wissenschaftler und Künstler aufgebaut haben, Ansehen und Vertrauen. Und für die Länder Lateinamerikas bietet die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland, nicht zuletzt wegen seiner Einbindung in die Europäische Union, interessante Perspektiven. Auch zwischen den Staaten Lateinamerikas und der Europäischen Union bestehen enge, historisch gewachsene Verflechtungen. Beide Seiten haben die große Bedeutung, die sie den wechselseitigen Beziehungen beimessen, auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, Lateinamerikas und der Karibik im Juni 1999 in Rio de Janeiro bekräftigt.

Die besondere Qualität der Beziehungen macht Lateinamerika zu einem wichtigen strategischen Partner für Deutschland und Europa. Dazu gehören wirtschaftliche, technologische und politische Kooperation ebenso wie die kulturelle Zusammenarbeit. Die Globalisierung fordert uns alle gleichermaßen heraus: Europa wie Lateinamerika. Die ernorme Steigerung des Welthandels, die rasche Zunahme der Direktinvestitionen und eine geradezu explosionsartige Entwicklung der Finanzmärkte in den letzten Jahren sind nur einige dieser Herausforderungen. Darüber hinaus sind Informationen, Güter und Dienstleistungen praktisch global verfügbar. Weltweit stehen Standorte und Unternehmen mit ihren Technologien und ihren Produkten, aber auch mit ihren Arbeitsplätzen im Wettbewerb.

Mit Interesse und Anerkennung habe ich deshalb verfolgt, wie die Staaten Lateinamerikas die Herausforderungen der Globalisierung angenommen haben. Fast alle Länder der Region haben ihre Wirtschaftspolitik gezielt auf Marktwirtschaft ausgerichtet und Marktöffnung, Liberalisierung und Privatisierung vorangebracht. Ich meine, die Erfolge der wirtschaftlichen und auch der politischen Stabilisierung in Lateinamerika sind beeindruckend. Laut der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika CEPAL, wird sich die relativ günstige Wirtschaftsentwicklung Lateinamerikas im Jahr 2000 auch 2001 fortsetzen. Es wird ein Wirtschaftswachstum von durchschnittlich knapp vier Prozent erwartet. Und auch bei Exporten und ausländischen Investitionen wird weiterhin mit einer positiven Entwicklung gerechnet. Ein wichtiger Erfolg ist die weitere Reduzierung der Inflationsrate. Der Durchschnittswert lag im Jahr 2000 bei knapp neun Prozent, da viele Länder in Lateinamerika inzwischen einstellige Inflationsraten verzeichnen.

Die Fortsetzung einer soliden Finanz- und Geldpolitik in den meisten Ländern half der Region auch im letzten Jahr, außenwirtschaftliche Chancen wahrzunehmen. Die Ausfuhr von Gütern und Dienstleistungen stieg um rund 20 Prozent auf 410 Milliarden US-Dollar. Aber die Region blieb auch ein gewichtiger Käufer und importierte Waren im Wert von 422 Millionen US-Dollar, das waren 17 Prozent mehr als 1999. Und Lateinamerika zog weiterhin Investitionskapital in großem Umfang an, wenn auch die Direktinvestitionen aus dem Ausland mit rund 57 Milliarden US-Dollar niedriger ausfielen als im Rekordjahr 1999.

In sechs Monaten wird die vierte Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation in Katar stattfinden. Im Zeitalter der Globalisierung und der wachsenden internationalen Verflechtung können Antworten auf die weltweiten Probleme nur im multilateralen Rahmen gefunden werden. Es gilt, einen erneuten Fehlschlag wie in Seattle zu vermeiden. Der Stillstand im multilateralen Bereich provoziert zunehmend regionale Handelsabkommen, die langfristig das globale System aushebeln können. Auch der BDI hat kürzlich in einer Veröffentlichung eine transatlantische Freihandelszone als überlegenswert, aber nur als "zweitbeste Lösung" gegenüber dem multilateralen Ansatz bezeichnet.

Marktöffnung und Zollsenkung sind ebenso notwendig wie die Durchsetzung von Rechtssicherheit und Transparenz. Nur so können auch die Entwicklungsländer von den Möglichkeiten verstärkter Investitionen, wachsender Produktion und der aktiven Teilnahme am weltweiten Handel profitieren. Auch die aktuell mit den USA erzielte Einigung zum EU-Einfuhrregime für Bananen dient letztlich der weiteren Marktliberalisierung. In den bereits laufenden WTO-Verhandlungen über Dienstleistungen und Agrarprodukte haben wir ein großes Interesse an weiterer Liberalisierung, sind aber auch zu Konzessionen bereit. Wir haben uns in Landwirtschaftsabkommen verpflichtet, den Weg der Liberalisierung des Agrarhandels weiter zu beschreiten. Unser besonderes Augenmerk gilt Fortschritten in den Bereichen Finanzdienstleistungen, Telekommunikation und elektronischer Geschäftsverkehr. Denn zwei Drittel aller Arbeitsplätze in den Industrieländern sind im Dienstleistungsbereich angesiedelt.

Die Bundesregierung hat sich stets dafür eingesetzt, dass Europa sich nicht abschottet, sondern den Weltmärkten öffnet. Das werden wir auch weiterhin tun. Wir wissen, dass wir als wichtigster Handelspartner Lateinamerikas innerhalb der Europäischen Union hierbei eine wichtige Rolle spielen können. Und diese Verantwortung werden wir auch künftig wahrnehmen. Die Europäische Union hat inzwischen ein Freihandelsabkommen mit Mexiko abgeschlossen, das seit Juli letzten Jahres in Kraft ist. Die Verhandlungen mit den Ländern des Mercosur und Chile über Assoziationsabkommen sind im Gange. Wir verbinden mit diesen Abkommen die Perspektive, Freihandel auch im wichtigen und sensiblen Agrarbereich zu erreichen. Die Abkommen mit den lateinamerikanischen Staaten haben für Deutschland und Europa strategische Bedeutung.

Insbesondere im Hinblick auf die bis 2005 angestrebte Freihandelszone für ganz Amerika sollten wir alles tun, um die Verhandlungen möglichst rasch zum Abschluss zu bringen. Denn wir wollen ja unseren amerikanischen Freunden mindestens "eine Nasenlänge voraus" sein. In der Europäischen Union setzt sich die deutsche Bundesregierung für eine intensive interregionale Zusammenarbeit mit Lateinamerika ein. Das gilt ganz besonders für einen zügigen Verlauf der Verhandlungen über die genannten Assoziationsabkommen mit Mercosur und Chile. Die wirtschaftspolitische Neuorientierung in vielen lateinamerikanischen Staaten wird verstärkt durch zunehmende Bemühungen um regionale Integration. Diese regionale Integration hat in den letzten Jahren gute Fortschritte gemacht und ich hoffe, dass sie durch aktuelle wirtschaftliche Turbulenzen in einigen Ländern nicht gefährdet wird.

Ich verhehle nicht, dass ich in dieser Hinsicht mit Besorgnis die aktuellen Meinungsverschiedenheiten der Partnerländer über die Entwicklung des Mercosur verfolge. Ich bin deshalb auch gespannt, was uns Minister Cavallo später dazu sagen wird. Aus eigener Erfahrung mit der europäischen Integration wissen wir, dass es immer wieder die Gefahr von Rückschlägen gibt, wenn die Lösung nationaler Wirtschaftsprobleme in den Vordergrund tritt. Gleichwohl hat die Entwicklung in Europa gezeigt, dass Integration Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und politische Stabilität fördert.

Die Bundesregierung und ihre europäischen Partner unterstützen auch deshalb die Integrationsprozesse in Lateinamerika. Ebenso wie wir die Reformanstrengungen in Deutschland selbst weiter vorantreiben werden. Ziel ist, eine sozial und ökologisch verantwortliche Marktwirtschaft zu verwirklichen, Innovation und Wachstum zu fördern, den Rahmen für einen funktionierenden Wettbewerb zu gewährleisten und die Startchancen in der Gesellschaft durch Förderung von Bildung und Ausbildung zu verbessern. Damit wollen wir die Bereitschaft der Menschen stärken, den strukturellen Wandel zu akzeptieren und mit zu gestalten. Die Politik der Bundesregierung zielt konkret  darauf ab, die Steuerlast zu senken, die Staatsquote zu verringern und den Faktor Arbeit im Interesse von mehr Beschäftigung von Kosten zu entlasten. Steuerreform, Rentenreform und Haushaltskonsolidierung sind hierbei die wichtigsten Stichworte.

In Lateinamerika mag in den letzten Jahren zuweilen der Eindruck entstanden sein, Deutschland habe sich nach der Wiedervereinigung und der Öffnung der Märkte Mittel- und Osteuropas zu sehr mit sich selbst und seinen östlichen Nachbarn befasst. Ich bin der Meinung, dass deutsche Unternehmen durch ihr Engagement in Mittel- und Osteuropa zusätzliche Erfahrungen als Partner bei der wirtschaftlichen Umstrukturierung und Modernisierung gewonnen haben. Wir können somit das Know-how bieten, das Wachstumsmärkte brauchen, nämlich Investitionsgüter und Infrastruktur im weitesten Sinne. Damit bietet sich die deutsche Wirtschaft als kompetenter Partner bei der Entwicklung neuer Wachstumszentren auch in Lateinamerika an. Ein großes Plus für deutsche Unternehmen ist dabei, dass viele schon seit langem in Lateinamerika engagiert sind.

Rund 2.000 deutsche Unternehmen mit Direktinvestitionen in Höhe von gut 52 Milliarden DM - Bestand im Jahr 2000 - besetzen Schlüsselpositionen in Branchen wie Kraftfahrzeuge, Chemie, Pharmazie, Elektrotechnik und Maschinenbau und erzielten 1999 ein Handelsvolumen von rund 45 Milliarden DM. Das sind beachtliche Fakten! Auf den dynamischen Märkten Lateinamerikas gilt aber auch für die deutschen Unternehmen mehr denn je: "Die Konkurrenz schläft nicht". Ich denke dabei insbesondere an unsere europäischen Nachbarn, aber auch die USA. Spanien hat in den letzten drei Jahren durch umfangreiche Neuinvestitionen im Energie-, Telekommunikations- und Finanzsektor Deutschland vom traditionellen zweiten Platz als Investitionspartner Lateinamerikas - nach den USA - verdrängt. Niederländische, britische und französische Unternehmen haben die Privatisierungen in Lateinamerika genutzt, um ihr Engagement kräftig aufzustocken.

Für die deutsche Wirtschaft kommt es in Lateinamerika meines Erachtens
in Zukunft vor allem darauf an, neben dem traditionell hohen
Engagement in der verarbeitenden Industrie auch die Chancen bei der in
vielen Ländern noch nicht abgeschlossenen Privatisierung von
Schlüsselbereichen der Wirtschaft wahrzunehmen. Insbesondere den
Bereich Infrastruktur möchte ich hier noch einmal erwähnen. Aus
Lateinamerika hören wir immer wieder das große Interesse an einer
Beteiligung der deutschen Wirtschaft. Über unsere Botschaften, die
Bundesstelle für Außenhandelsinformationen und durch gezielte
Ansprache der Verbände oder einzelner Unternehmen weisen wir deutsche
Unternehmen fortlaufend auf konkrete Investitionsprojekte in
Lateinamerika hin und ermutigen sie zu einem wirtschaftlichen
Engagement.

Für die Zukunft wünsche ich mir, dass das Echo auf diese Angebote
deutlich stärker wird. Ich appelliere deshalb ausdrücklich an Sie,
meine Damen und Herren Unternehmer: Nutzen Sie die vielfältigen
Möglichkeiten für wirtschaftliches Engagement in Lateinamerika!
Seitens der Bundesregierung wollen wir Ihr Engagement tatkräftig
unterstützen. Neben den bestehenden gemischten Kommissionen mit
Argentinien, Venezuela und Brasilien wurde im April mit Unterstützung
des BMWi ein deutsch-kolumbianischer Unternehmerrat gegründet. Und
nach der Einigung über die Altschulden stehen wieder Hermes-Deckungen
für Kuba zur Verfügung.

Im Juli diesen Jahres werde ich mit einer Wirtschaftsdelegation nach
Kuba reisen. Im August werde ich gemeinsam mit dem Bundeskanzler in
Begleitung einer großen Wirtschaftsdelegation Mexiko, Brasilien und
Argentinien besuchen. Mit dieser ersten bilateralen Bundeskanzlerreise
seit 1996 zeigt Deutschland Flagge in Lateinamerika. Gleichzeitig kann
die Reise als Voreinstimmung auf den nächsten EU-Lateinamerika-Gipfel
dienen, der im Mai 2002 in Madrid stattfinden wird. Das
außenwirtschaftliche Förderinstrumentarium wird darüber hinaus laufend
überprüft und aktualisiert.

Auf Initiative des BMWi haben sich die wichtigsten Akteure der
Außenwirtschaftsförderung zu einem Serviceverbund Außenwirtschaft
zusammengefunden. Ziel des Serviceverbundes ist es, im Interesse der
Unternehmen eine stärkere Bündelung und Vernetzung des vielfältigen
Informations- und Förderangebots zu erreichen und damit das
Gesamtsystem der deutschen Außenwirtschaftsförderung transparenter zu
machen. Das erste konkrete Projekt des Serviceverbunds ist das
Außenwirtschaftsportal iXPOS. An diesem Internetportal beteiligen sich
neben Ministerien, Kammern, Verbänden auch andere Institutionen wie
zum Beispiel die Hermes-Kreditversicherung oder die Kreditanstalt für
Wiederaufbau; iXPOS bietet somit praxisorientierte Informationen zu
allen Fragen der Außenwirtschaft. Wirtschaftsprojekte von zentraler
Bedeutung sollen künftig auch gezielter und stärker politisch
flankiert werden.

Ein besonderes Augenmerk liegt dabei weiterhin auf
Infrastrukturprojekten. Mit der 1999 begonnenen Betreiberinitiative
sollen Unternehmen unterstützt werden, die international im Wettbewerb
um Betreiberprojekte stehen oder in diesen Wettbewerb eintreten
wollen. Ich sehe es als gemeinsames Ziel von Wirtschaft und Politik,
durch eine stärkere Präsenz auf Betreibermärkten weltweit
Zukunftsmärkte zu sichern und zu erschließen. Darüber hinaus wird die
Bundesregierung das Netz der Verträge zum Schutz und zur Förderung von
Investitionen und zur Vermeidung von Doppelbesteuerung weiter
ausbauen. Sie wird auch weiterhin darauf drängen, dass bereits
ausgehandelte Verträge zügig in Kraft gesetzt und noch bestehende
Diskriminierungen gegenüber Unternehmen mit ausländischer Beteiligung
in einzelnen lateinamerikanischen Ländern abgebaut werden.

Deutschland ist und bleibt ein kompetenter und verlässlicher Partner
für Lateinamerika. Uns vereinen gemeinsame vitale wirtschaftliche
Interessen, wir haben in weiten Bereichen gemeinsame kulturelle
Traditionen. Wir können zurückblicken auf eine lange und fruchtbare
Zusammenarbeit. Der peruanische Schriftsteller Vargas Llosa sagte
einmal: ,,Europa und Lateinamerika... gehören zusammen wie das
Zusammenströmen zweier Nebenflüsse zu einem Strom". Ich bin sicher,
dass diese Konferenz uns neue Impulse für unsere weitere
Zusammenarbeit vermitteln wird.




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