Freundschaft zwischen den Völkern ist sehr viel mehr als bloße Ökonomie

Ansprache von Bundeskanzler Gerhard Schröder beim Festakt zum 75-jährigen Bestehen der deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer am 4. Oktober 1999 in Athen:

Sehr geehrter Herr Kammer-Präsident Sarantopoulos,
sehr verehrter Kollege, lieber Freund Kosta Simitis,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

lassen Sie mich vor diesem Forum griechischer und deutscher Wirtschaftsführer vielleicht ein wenig ungewöhnlich beginnen, nämlich mit der Erinnerung daran, was Griechen und Deutsche immer verbunden hat. Das war nicht nur die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Politik und auf dem Gebiet der Wirtschaft, sondern das war vor allem immer die Gemeinsamkeit in der Kultur. Wenn man sich einmal überlegt, wo die großartigen Werke griechischer Kultur besonders aufgeschlossen aufgenommen worden sind, dann ist das in einer sehr langen, gelegentlich auch schwierigen Geschichte immer in Deutschland gewesen. Uns, Griechen und Deutsche, verbindet weit mehr als die Zufäll igkeit täglicher Geschäfte, die wichtig sind - das will ich überhaupt nicht bestreiten, ich komme auch noch darauf zu sprechen. Mir liegt jedoch am Herzen, gerade vor diesem Forum und bei diesem Jubiläum klar zu machen, dass die Freundschaft zwischen den Völkern, dass das, was Menschen - Griechen wie Deutsche - verbindet, sehr viel mehr ist als bloße Ökonomie. Damit will ich die Ökonomie nicht klein setzen. Vielleicht sollte das gerade an einem solchen Ort gesagt werden. Mir fällt das jedenfalls immer auf, w enn ich hier bin - viel zu wenig, wie ich zugebe - und wenn ich Griechen in Deutschland treffe - im Übrigen öfter, als ich hier sein kann. Das sind gute Begegnungen. Sie sind von tiefer Sympathie geprägt. Sie sind - ich sage es noch einmal - von einem Gleichklang auch kultureller Interessen geprägt.

Das ist jedoch nicht das Thema des heutigen Abends, sondern das Thema des heutigen Abends ist, dass eine Erfolgsstory zu feiern ist. Sie tun gut daran, das von ganzem Herzen zu tun. Sie tun gut daran, auf 75 Jahre griechisch-deutsche Handelskammer stolz zu sein. Viele - alle, die hier sind, und viele mehr - haben dazu beigetragen. Deswegen ist es angemessen, das in diesem schönen Rahmen zu feiern. Die An-
fänge sind Ihnen bekannter als mir. Was sich aus kleinen Anfängen hin zu einer Kammer mit weit mehr als 1 000 Mitgliedern entwickelt hat, kann man schon eine "Erfolgsstory" nennen. Das basiert auf ganz festen und fest gefügten gemeinsamen Interessen. Das basiert auf der schlichten Tatsache, dass Deutschland für dieses Land der größte Handelspartner ist - gelegentlich berührt von einem anderen wichtigen Land in der Nähe. Wenn ich mir die Zuwächse im letzten Jahr anschaue, dann haben wir alle Grund zur Zufriedenheit. Griechenland ist für Deutschland ebenfalls ein wichtiger Partner. Wir haben es immer so gehalten - und werden es auch in Zukunft so halten , dass wirtschaftlicher Austausch etwas sein muss, das beiden nutzt, das nicht einseitig sein darf. Vielleicht bestimmt das die privilegierten ökonomischen Beziehungen zwischen Griechenland und Deutschland, dass wir nämlich miteinander darauf geachtet haben, dass - wie die Angelsachsen sagen - "win-win-Situationen" eintreten. Wir sind keine Leute, die nur verkaufen wollen. Wir sind Leute,. die auch teilhaben lassen wollen an dem, was bei uns an Technologie, an Know-how, an Ausbildung und anBildung entwickelt wird, und die an dem teilhaben wollen, was hier fantasiereich entwickelt wird. Vielleicht ist es das, was das Besondere ausmacht.

Die deutsch-griechischen Beziehungen - ich habe das heute gesagt und werde es später noch weiter mit dem Ministerpräsidenten besprechen - sind in einem ausgezeichneten Zustand. Nichts ist so gut, dass es nicht noch besser werden könnte, aber ich sehe da kaum noch Möglichkeiten, weil es wirklich gut ist. Wir arbeiten auf vielen Gebieten zusammen: auf dem Gebiet der Entwicklung der Infrastruktur hier, aber auch - lassen Sie mich das ganz frank und frei sagen - auf dem Gebiet, auf dem wir in der NATO Partner sind. Wenn man Verteidigung braucht - und die braucht man; die Kosovo-Krise hat es bewiesen -, dann ist es nur natürlich, dass man die Armeen, die man braucht, um Verteidigung zu machen und um Menschenrechte zu schützen, auch
vernünftig ausstattet. Wenn das dazu führt, dass die Austauschbeziehungen auch auf diesem Gebiet eng sind, dann will ich das durchaus begrüßen. Es ist nichts Schlechtes daran; im Gegenteil: Wir sollten das in beiderseitigem, partnerschaftlichem Interesse entwickeln und ausbauen. Mein Eindruck ist, dass das geschieht. Zweitens. Der Ministerpräsident hat darauf hingewiesen, miteinander unglaublich wichtige Aufgaben bei der Stabilisierung der Region zu erfüllen. Griechenland - das weiß jeder in Europa - ist stabil. Es ist der stabile Faktor in der Region. Weil das so ist, kann Griechenland eine besondere Rolle innerhalb des Europas der Fünfzehn bei der Stabilisierung der Balkan-Region spielen eine besondere Rolle deshalb, weil hier die Kenntnis der Besonderheiten ist und weil hier die engen Verbindungen sind, die sich mit den materiellen Möglichkeiten vereinigen können, die wir übrigen Europäer haben. Deswegen begrüße ich es außerordentlich, dass der griechische Ministerpräsident, mein verehrter Kollege Simitis, so deutlich gemacht hat, wie sehr ihm, wie sehr dieser Region, wie sehr diesem Land am Stabilitätspakt liegt. Wir haben - das war notwendig, und ich weiß, welche Schwierigkeiten das gerade in diesem Land gemacht hat - in Europa und für Europa im Interesse der Menschenrechte im Kosovo intervenieren
müssen. Niemandem - mir erst recht nicht - ist das leicht gefallen. Es war nicht meine Lebensplanung, die Beteiligung Deutschlands an einem Krieg anordnen zu müssen,
aber es war notwendig, und es war richtig.

Wir haben uns in schwieriger Zeit auf die Solidarität Griechenlands verlassen können. Wenn dem aber so ist, dann folgt daraus, dass Frieden in der Region auf Dauer nur
sicherbar ist, wenn wirtschaftliche Entwicklung stattfindet. Es ist eine Illusion, zu glauben, ohne wirtschaftliche Entwicklung seien Konflikte auf Dauer vermeidbar. Das stand
hinter der Idee des Stabilitätspaktes, die unter der deutschen Präsidentschaft, aber in enger Abstimmung mit Griechenland entwickelt worden ist. Wir haben die gemeinsame Verantwortung, dass die Region nach Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzung nicht in Vergessenheit gerät. Hier lag übrigens der Grund, warum Deutsche sich auch personell engagiert haben. Deshalb begrüße ich es außerordentlich, dass der griechische Ministerpräsident mit dem ganzen Gewicht seiner Persönlichkeit in Europa - er ist dort einer der sehr geschätzten Kollegen - deutlich gemacht hat: Bei der Realisierung dieses Stabilitätspaktes darf jetzt kein Mangel an Dynamik stattfinden, sondern das Gegenteil muss stattfinden. Je mehr wir die Region entwickeln können und je mehr wir ihr - sicherlich mittel- und langfristig geplant eine Perspektive zu Europa geben können, desto sicherer wird Frieden sein. Darüber hinaus haben Griechen und Deutsche gemeinsame Aufgaben in Europa. Die haben wir in der Vergangenheit wahrgenommen, und das werden wir auch in Zukunft tun. Was Griechenland angeht, nur so viel: Ich verfolge mit großem Respekt die Anstrengungen
des Landes, um Teil der Euro-Zone werden zu können. Ich bin fest davon überzeugt, dass vor dem Hintergrund einer Politik, für die mein Kollege Simitis steht, das Ziel erreicht werden wird, und zwar in dem Zeitrahmen, den Griechenland sich vorgenommen hat. Deutschland ist bereit, dafür jede, aber auch wirklich jede Unterstützung zu gewähren die man von uns erwartet. Ich denke, dass es die erreichten
Erfolge bei der Inflationsbekämpfung, bei der Reduzierung des Defizits und auch auf anderen Feldern rechtfertigen, dass die übrigen Partner in Europa das ganz genauso sehen. Wir wollen Griechenland so früh es irgendwie geht und für den Zeitpunkt, den es sich selber vorgenommen hat, als Teilnehmer der Eurozone begrüßen.




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