Sonderparteitag der SPD am 12.04.1999 in Bonn
Gerhard Schröder, komm. Vorsitzender der SPD, Bundeskanzler
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Gäste! Liebe Genossinnen, liebe Genossen!
Am 27. September des letzten Jahres haben uns die Wählerinnen und Wähler in Deutschland
das Recht gegeben, maßgeblich die Politik des Landes zu gestalten. Sie haben uns
aber damit auch eine Pflicht auferlegt, die Pflicht nämlich, dieses Recht besonnen
und entschlossen wahrzunehmen, die Pflicht nämlich, bei der Gestaltung unserer Politik
Verantwortung nach innen und nach außen zu beweisen.
Liebe Freundinnen, liebe Freunde, wir alle wissen, daß es in diesen Tagen eine Frage
gibt, die die Menschen in Deutschland und auch die Mitglieder unserer Partei wie
keine andere bewegt. Ich meine die Entwicklung im Kosovo. Ich weiß, liebe Genossinnen
und Genossen, daß es an dem Weg, den die Bundesregierung gemeinsam mit den Partnern im
Atlantischen Bündnis eingeschlagen hat, Kritik gibt, auch und gerade aus den Reihen
unserer Partei. Deshalb will ich gleich am Anfang eines klarstellen: Wer aus grundsätzlichen pazifistischen Erwägungen gegen jegliche Militäraktion ist, der muß und wird auch
weiterhin in der SPD eine politische Heimat haben.
Aber mehr noch: Wer skeptisch ist bezüglich der Erfolgsaussichten des von uns, von
der Bundesregierung eingeschlagenen Weges, der muß und wird diese Diskussion in unserer
Partei führen müssen und führen können, liebe Genossinnen und Genossen.
Wir werden deutlich machen, daß wir die Politik der Bundesregierung zu unterstützen
bereit sind. Aber wir werden auch klarmachen, daß die SPD, daß unsere Partei das
Forum ist, auf dem grundsätzliche Fragen besprochen und entschieden werden. Das gehört
zu den Traditionen unserer Partei. Das gehört zu ihren freiheitlichen Traditionen, die
durch nichts und von niemandem in Frage gestellt werden dürfen.
Aber, liebe Freunde, eines muß auch klar sein: Die SPD, wenn sie ihrer Pflicht zur
Verantwortung nachkommen will, darf sich nicht damit begnügen, Fragen zu stellen.
Soviel Respekt vor der Ernsthaftigkeit mancher Fragen ich auch habe: Von uns, von
der Bundesregierung zumal, werden von unserem Volk nicht Fragen erwartet, sondern Antworten.
Wir stehen in der Verantwortung vor den Wählerinnen und Wählern und nicht nur vor
ihnen, sondern vor allen Deutschen. Wir stehen in der Verantwortung gegenüber unseren
Bündnispartnern innerhalb der NATO. Wir haben in schwierigen Zeiten von unseren Partnern Solidarität erfahren, und wir sind verpflichtet, in anderen Zeiten Solidarität
zu gewähren. Diesen Forderungen, diesen Erwägungen müssen wir nachkommen.
Wir stehen, liebe Genossinnen und Genossen, aber auch in der Verantwortung gegenüber
den Menschen, die im Kosovo Opfer grausamster Menschenrechts-verletzungen sind: Opfer
von Vertreibung, Vergewaltigung und Mord. Auch und gerade diese Menschen erwarten
von der großen deutschen Sozialdemokratie Solidarität.
Diese Menschen erwarten von uns, daß unsere Verpflichtung auf die Internationalität
unserer Politk auch und gerade dann gilt, wenn es schwierig für jeden von uns wird,
daß wir uns nicht wegducken, nicht wegsehen, sondern Internationalität begreifen
als die Notwendigkeit, gegen diese Menschenrechts-verletzungen vorzugehen, nie wieder zuzulassen,
daß in Europa, in unserem Europa, Menschen gedemütigt, deportiert und getötet werden.
Ich sage: Diese Menschen erwarten von uns, daß Milosevic nicht gewinnen darf gegenüber
denen, die ihre Menschenrechtsverletzungen einklagen.
Ich sage das mit allem Nachdruck: Noch keine Bundesregierung war vor diese schwierige
Entscheidung gestellt, deutsche Soldaten zu entsenden, um gemeinsam mit unseren Partnern
einer humanitären Katastrophe im Kosovo vorzubeugen.
Liebe Genossinnen und Genossen, glaubt es den Mitgliedern der Bundesregierung: Niemandem,
auch mir nicht, ist diese Entscheidung leichtgefallen. Niemand von den Mitgliedern
der Bundesregierung hat sich diese Entscheidung leichtgemacht. Jeder und jede hat
mit sich gerungen, auch auf dem Hintergrund dessen, was von der Partei von ihm bzw.
ihr erwartet wird.
Einem ihr werdet das sicher verstehen, liebe Kolleginnen und Kollegen will ich
gleich zu Anfang meinen besonderen Respekt und meinen besonderen Dank sagen: Das
ist Rudolf Scharping.
Rudolf, ich bin stolz darauf, mit dir arbeiten zu können. Du hast am Beifall gemerkt:
Die Partei weiß deine Besonnenheit und deine Geradlinigkeit zu schätzen. Und wir
wissen: Die Menschen in Deutschland fühlen ebenso.
Die Wertschätzung, die du und auch das gehört zur Fairneß der deutsche Außenminister,
auch wenn er nicht unserer Partei angehört, in der deutschen Bevölkerung haben, haben
auch etwas zu tun mit der Überzeugung, daß ihr wie wir alle nichts, aber auch gar nichts unversucht gelassen habt, um militärische Aktionen nicht stattfinden zu lassen,
um eine friedliche Lösung dieses so dramatischen Konfliktes im Kosovo zu erreichen.
Nicht an uns, nicht an den Partnern in der NATO, sondern allein an Milosevic, an
seinem verbrecherischen Willen, ist bisher eine friedliche Lösung der Krise gescheitert.
Dies darf bei allen Diskussionen nicht in Vergessenheit geraten.
Der jugoslawische Präsident Milosevic hat sein eigenes Volk, hat die albanische Bevölkerungsmehrheit
im Kosovo, hat aber auch die Staatengemeinschaft ein ums andere Mal hintergangen,
in all den Verhandlungen, deren Zeugen ihr gewesen seid und die ihr nachvollzogen habt, hintergangen. Er hat gegen sein eigenes Volk gegen die übergroße Mehrheit
der Kosovaner einen grausamen Krieg begonnen, einen Krieg, liebe Genossinnen und
Genossen, lange bevor die NATO eingegriffen hat. Monatelang haben der EU-Sonderbeauftragte Petritsch und sein amerikanischer Kollege Hill in intensivster Reisediplomatie
mit den Konfliktparteien Gespräche geführt und den Boden für ein Abkommen bereitet,
von dem wir alle hofften, es ließe sich nicht nur unterzeichnen, sondern auch implementieren, um militärische Maßnahmen überflüssig zu machen.
Die Kontaktgruppe mit der Beteiligung Deutschlands hat sich zu keiner Zeit auf eine
der beiden Seiten geschlagen, hat sich, anders als ihr fälschlicherweise unterstellt
wird, längst nicht zum Erfüllungsgehilfen der einen Seite hat machen lassen.
In Rambouillet ist mehrere Wochen lang hartnäckig verhandelt worden. Das dort vorgelegte
Abkommen, auch nicht zuletzt durch deutsche Mitarbeit zustande gekommen, durch die
Mitarbeit des Verteidigungs- und des Außenministers, sollte die Menschenrechte der
albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosovo, aber auch die territoriale Integrität Jugoslawiens
gewährleisten.
Diesem Abkommen hätten nun wirklich alle Parteien zustimmen können. Die Albaner haben
es getan, Milosevic hat es kalt abgelehnt.
Wir haben dann eine weitere zweiwöchige Frist eingeräumt, um die Bedenken der Konfliktparteien
zu zerstreuen. Dann haben wir uns erneut in Paris zu Verhandlungen getroffen. Die
Kosovo-Albaner, ihr wißt es, haben dem Abkommen schließlich zugestimmt. Der Außenminister als EU-Ratspräsident, der russische Außenminister Iwanow, der OSZE-Vorsitzende
Vollebaek und schließlich noch einmal Richard Holbrooke waren bei Milosevic in Belgrad,
um ihn zur Annahme des Antrags zu bewegen, um damit eine militärische Auseinandersetzung überflüssig zu machen.
Wer, liebe Genossinnen und Genossen, auf dem Hintergrund der unsbestreitbaren Tatsache,
daß die Belgrader Regierung all diese Versuche hat scheitern lassen - und nur sie
hat sie scheitern lassen -, davon redet, politische, diplomatische Bemühungen seien
nicht genügend unternommen worden, der irrt, liebe Genossinnen und Genossen, der redet
Falsches.
Aber unser Handeln resultiert nicht nur aus der Tatsache, daß Milosevic und die Belgrader
Führung all das kalt vom Tisch gewischt haben, was die kriegerische Auseinandersetzung
hätte überflüssig machen können. Nein, weit schlimmer: Noch während die Belgrader Führung vorgab, mit der Staatengemeinschaft über Frieden zu verhandeln, hat sie
jene Mord- und Vertreibungskampagne begonnen, die in den letzten Tagen und Wochen
noch einmal systematisch verschärft wurde.
Es ist falsch, davon zu reden, andere seien schuld an der Verschärfung der Situation.
Die jugoslawische Regierung - dies gilt es zu erkennen, liebe Genossinnen und Genossen
- hatte von Anfang an jenen brutalen Feldzug der ethnischen Säuberung geplant, dessen Zeuge wir heute sind. Diesem Feldzug sind bereits Hunderttausende von Menschen
zum Opfer gefallen. Weit mehr als eine halbe Million Albaner wurden vertrieben; sie
wurden ihrer Habseligkeiten und oft auch ihrer Identitätsnachweise beraubt, damit
sie keine Chance auf Rückkehr haben.
Wir haben die Bilder der gesprengten Häuser und die Bilder vom Elend in den Auffanglagern
gesehen. Wir haben die Berichte über die Greueltaten gehört. Die verantwortliche,
sozialdemokratisch geführte Bundesregierung hatte keine andere Wahl, als alle, aber
auch wirklich alle Mittel zu nutzen, um diesem Treiben Milosevics ein Ende zu bereiten.
Dies ist das einzige Motiv für unser Handeln, das wir alle teilen.
Bei aller Bereitschaft, mich auf andere Argumente einzulassen, habe ich eine Bitte:
Niemand darf verkennen, daß diese Greueltaten, über die wir zu reden haben und vor
denen wir nicht wegschauen dürfen, das Werk der serbischen Militär- und Polizeikräfte
sind. Sie sind nicht das Ergebnis der Luftschläge der NATO. Diese Tatsache darf nicht
verwechselt werden; denn lange bevor die NATO dem mörderischen Treiben Milosevics
Einhalt zu gebieten versuchte, war die Kampagne der ethnischen Säuberung nicht nur
geplant, sondern schon ins Werk gesetzt worden. 500.000 Binnenvertriebene sprechen eine zu
deutliche Sprache, als daß eine andere Interpretation erlaubt wäre, liebe Genossinnen
und Genossen.
Die Luftschläge, die wir mitbeschlossen haben und die die NATO durchführt, haben als
einziges Ziel, eine friedliche Lösung für den Kosovo zu bringen, damit die Menschen
im Kosovo ihre Rechte und Lebensmöglichkeiten wieder erhalten. Allein das ist unser
Ziel; wir verfolgen kein anderes.
Ich bin fest davon überzeugt, daß wir die Pflicht haben, dieses Ziel zu verfolgen.
Die NATO ist eine Gemeinschaft der Werte. Die Allianz steht für Freiheit, für Demokratie
und für die Beachtung der Menschenrechte. Die Menschen in dieser von Haß und Leid
geprüften Balkanregion haben zu Recht die Erwartung, daß das demokratische Europa sie
nicht allein läßt, sondern ihnen hilft, den Mord an ihren Eltern, Kindern und Verwandten
zu verhindern. Dieses Handeln sind wir nicht nur diesen Menschen schuldig, sondern
auch uns, wenn wir unsere eigenen Werte und Überzeugungen ernst nehmen.
Bei aller Notwendigkeit, die momentane Not der betroffenen Menschen zu lindern, geht
es auch um etwas Weiterführendes. Es geht nämlich darum, wie das Europa des nächsten
Jahrtausends aussehen soll. In diesem Zusammenhang geht es um die Frage, ob wir,
die demokratischen Europäer, nach den Erfahrungen mit zwei schrecklichen Kriegen in diesem
Jahrhundert es wirklich zulassen dürfen, daß grausame Diktatoren unbehelligt inmitten
dieses Kontinents ihr Unwesen treiben können. Auch diese Frage gilt es zu beantworten. Die Antwort muß gerade für uns Deutsche klar sein: Es darf nie wieder zugelassen
werden, daß Deportationen, Mord und Vertreibung politisch geduldet werden.
Das ist der wesentliche Grund, warum sich die Bundesregierung dazu entschlossen hat,
daß sich Deutschland an den NATO-Aktionen beteiligt. Um mit einem gelegentlich zu
lesenden Urteil aufzuräumen, will ich sagen: Wir haben das nicht getan, weil wir
von unseren Partnern gedrängt wurden. Nein, liebe Genossinnen und Genossen, wir haben das
aus freier Überzeugung und unter Berücksichtigung unserer Verantwortung getan. Wir
haben, von niemandem gedrängt, aus freien Stücken gehandelt. Auf diese Feststellung
lege ich Wert, liebe Genossinnen und Genossen.
Wahr ist auch, daß wir mit unserem Handeln Vertrauen bei unseren Bündnispartnern geschaffen
haben. Auch das ist ein Wert, den wir nicht geringschätzen sollten. Vertrauen haben
wir im übrigen auch in der eigenen Bevölkerung geschaffen. Wer immer meint, der Bundesregierung jetzt in den Arm fallen zu können, der sollte beachten, daß man dieses
Vertrauen in die Berechenbarkeit, in die Stetigkeit und in die Verläßlichkeit der
Bundesregierung schnell wieder verspielen kann. Das wollen und das dürfen wir nicht
zulassen.
Wir haben Vertrauen bei den betroffenen Menschen geschaffen, die unsere Solidarität
jetzt spüren und die gemerkt haben, daß sie auf unsere Hilfe bauen können. Hierin
liegt übrigens der Grund, warum wir uns nicht damit zufriedengegeben haben, als Teil
der NATO militärisch zu handeln. Wir haben sofort Hilfsmaßnahmen beschlossen, um den Flüchtlingen
in Albanien, in Mazedonien und anderswo schnell und wirksam helfen zu können. Wir
haben Nahrungsmittel, Medikamente, Zelte, Decken und Hilfsmittel für die ärztliche Betreuung zur Verfügung gestellt. Wir haben aber noch mehr getan: Die Bundesregierung
hat als eine der ersten Regierungen in Europa beschlossen, eine wenn auch begrenzte,
aber sicherlich nicht unerhebliche Zahl von Flüchtlingen bei uns aufzunehmen. Dies
ist ein Beweis aktiver Solidarität, der so gemeint und auch so verstanden worden ist.
Für mich ist dieses Handeln nicht nur ein Gebot der Mitmenschlichkeit, sondern auch
ein Zeichen der Solidarität mit jenen Anrainerstaaten des Kosovo, die die Hauptlast
der Aufnahme der Flüchtlinge zu tragen haben und die von uns ebenfalls ein Zeichen
dieser Solidarität erwartet hatten.
Aber unser Handeln resultiert nicht nur aus der Tatsache, daß Milosevic und die Belgrader
Führung all das kalt vom Tisch gewischt haben, was die kriegerische Auseinandersetzung
hätte überflüssig machen können. Nein, weit schlimmer: Noch während die Belgrader Führung vorgab, mit der Staatengemeinschaft über Frieden zu verhandeln, hat sie
jene Mord- und Vertreibungskampagne begonnen, die in den letzten Tagen und Wochen
noch einmal systematisch verschärft wurde.
Es ist falsch, davon zu reden, andere seien schuld an der Verschärfung der Situation.
Die jugoslawische Regierung - dies gilt es zu erkennen, liebe Genossinnen und Genossen
- hatte von Anfang an jenen brutalen Feldzug der ethnischen Säuberung geplant, dessen Zeuge wir heute sind. Diesem Feldzug sind bereits Hunderttausende von Menschen
zum Opfer gefallen. Weit mehr als eine halbe Million Albaner wurden vertrieben; sie
wurden ihrer Habseligkeiten und oft auch ihrer Identitätsnachweise beraubt, damit
sie keine Chance auf Rückkehr haben.
Wir haben die Bilder der gesprengten Häuser und die Bilder vom Elend in den Auffanglagern
gesehen. Wir haben die Berichte über die Greueltaten gehört. Die verantwortliche,
sozialdemokratisch geführte Bundesregierung hatte keine andere Wahl, als alle, aber
auch wirklich alle Mittel zu nutzen, um diesem Treiben Milosevics ein Ende zu bereiten.
Dies ist das einzige Motiv für unser Handeln, das wir alle teilen.
Bei aller Bereitschaft, mich auf andere Argumente einzulassen, habe ich eine Bitte:
Niemand darf verkennen, daß diese Greueltaten, über die wir zu reden haben und vor
denen wir nicht wegschauen dürfen, das Werk der serbischen Militär- und Polizeikräfte
sind. Sie sind nicht das Ergebnis der Luftschläge der NATO. Diese Tatsache darf nicht
verwechselt werden; denn lange bevor die NATO dem mörderischen Treiben Milosevics
Einhalt zu gebieten versuchte, war die Kampagne der ethnischen Säuberung nicht nur
geplant, sondern schon ins Werk gesetzt worden. 500.000 Binnenvertriebene sprechen eine zu
deutliche Sprache, als daß eine andere Interpretation erlaubt wäre, liebe Genossinnen
und Genossen.
Die Luftschläge, die wir mitbeschlossen haben und die die NATO durchführt, haben als
einziges Ziel, eine friedliche Lösung für den Kosovo zu bringen, damit die Menschen
im Kosovo ihre Rechte und Lebensmöglichkeiten wieder erhalten. Allein das ist unser
Ziel; wir verfolgen kein anderes.
Ich bin fest davon überzeugt, daß wir die Pflicht haben, dieses Ziel zu verfolgen.
Die NATO ist eine Gemeinschaft der Werte. Die Allianz steht für Freiheit, für Demokratie
und für die Beachtung der Menschenrechte. Die Menschen in dieser von Haß und Leid
geprüften Balkanregion haben zu Recht die Erwartung, daß das demokratische Europa sie
nicht allein läßt, sondern ihnen hilft, den Mord an ihren Eltern, Kindern und Verwandten
zu verhindern. Dieses Handeln sind wir nicht nur diesen Menschen schuldig, sondern
auch uns, wenn wir unsere eigenen Werte und Überzeugungen ernst nehmen.
Bei aller Notwendigkeit, die momentane Not der betroffenen Menschen zu lindern, geht
es auch um etwas Weiterführendes. Es geht nämlich darum, wie das Europa des nächsten
Jahrtausends aussehen soll. In diesem Zusammenhang geht es um die Frage, ob wir,
die demokratischen Europäer, nach den Erfahrungen mit zwei schrecklichen Kriegen in diesem
Jahrhundert es wirklich zulassen dürfen, daß grausame Diktatoren unbehelligt inmitten
dieses Kontinents ihr Unwesen treiben können. Auch diese Frage gilt es zu beantworten. Die Antwort muß gerade für uns Deutsche klar sein: Es darf nie wieder zugelassen
werden, daß Deportationen, Mord und Vertreibung politisch geduldet werden.
Das ist der wesentliche Grund, warum sich die Bundesregierung dazu entschlossen hat,
daß sich Deutschland an den NATO-Aktionen beteiligt. Um mit einem gelegentlich zu
lesenden Urteil aufzuräumen, will ich sagen: Wir haben das nicht getan, weil wir
von unseren Partnern gedrängt wurden. Nein, liebe Genossinnen und Genossen, wir haben das
aus freier Überzeugung und unter Berücksichtigung unserer Verantwortung getan. Wir
haben, von niemandem gedrängt, aus freien Stücken gehandelt. Auf diese Feststellung
lege ich Wert, liebe Genossinnen und Genossen.
Wahr ist auch, daß wir mit unserem Handeln Vertrauen bei unseren Bündnispartnern geschaffen
haben. Auch das ist ein Wert, den wir nicht geringschätzen sollten. Vertrauen haben
wir im übrigen auch in der eigenen Bevölkerung geschaffen. Wer immer meint, der Bundesregierung jetzt in den Arm fallen zu können, der sollte beachten, daß man dieses
Vertrauen in die Berechenbarkeit, in die Stetigkeit und in die Verläßlichkeit der
Bundesregierung schnell wieder verspielen kann. Das wollen und das dürfen wir nicht
zulassen.
Wir haben Vertrauen bei den betroffenen Menschen geschaffen, die unsere Solidarität
jetzt spüren und die gemerkt haben, daß sie auf unsere Hilfe bauen können. Hierin
liegt übrigens der Grund, warum wir uns nicht damit zufriedengegeben haben, als Teil
der NATO militärisch zu handeln. Wir haben sofort Hilfsmaßnahmen beschlossen, um den Flüchtlingen
in Albanien, in Mazedonien und anderswo schnell und wirksam helfen zu können. Wir
haben Nahrungsmittel, Medikamente, Zelte, Decken und Hilfsmittel für die ärztliche Betreuung zur Verfügung gestellt. Wir haben aber noch mehr getan: Die Bundesregierung
hat als eine der ersten Regierungen in Europa beschlossen, eine wenn auch begrenzte,
aber sicherlich nicht unerhebliche Zahl von Flüchtlingen bei uns aufzunehmen. Dies
ist ein Beweis aktiver Solidarität, der so gemeint und auch so verstanden worden ist.
Für mich ist dieses Handeln nicht nur ein Gebot der Mitmenschlichkeit, sondern auch
ein Zeichen der Solidarität mit jenen Anrainerstaaten des Kosovo, die die Hauptlast
der Aufnahme der Flüchtlinge zu tragen haben und die von uns ebenfalls ein Zeichen
dieser Solidarität erwartet hatten.
Aber unser Handeln resultiert nicht nur aus der Tatsache, daß Milosevic und die Belgrader
Führung all das kalt vom Tisch gewischt haben, was die kriegerische Auseinandersetzung
hätte überflüssig machen können. Nein, weit schlimmer: Noch während die Belgrader Führung vorgab, mit der Staatengemeinschaft über Frieden zu verhandeln, hat sie
jene Mord- und Vertreibungskampagne begonnen, die in den letzten Tagen und Wochen
noch einmal systematisch verschärft wurde.
Es ist falsch, davon zu reden, andere seien schuld an der Verschärfung der Situation.
Die jugoslawische Regierung - dies gilt es zu erkennen, liebe Genossinnen und Genossen
- hatte von Anfang an jenen brutalen Feldzug der ethnischen Säuberung geplant, dessen Zeuge wir heute sind. Diesem Feldzug sind bereits Hunderttausende von Menschen
zum Opfer gefallen. Weit mehr als eine halbe Million Albaner wurden vertrieben; sie
wurden ihrer Habseligkeiten und oft auch ihrer Identitätsnachweise beraubt, damit
sie keine Chance auf Rückkehr haben.
Wir haben die Bilder der gesprengten Häuser und die Bilder vom Elend in den Auffanglagern
gesehen. Wir haben die Berichte über die Greueltaten gehört. Die verantwortliche,
sozialdemokratisch geführte Bundesregierung hatte keine andere Wahl, als alle, aber
auch wirklich alle Mittel zu nutzen, um diesem Treiben Milosevics ein Ende zu bereiten.
Dies ist das einzige Motiv für unser Handeln, das wir alle teilen.
Bei aller Bereitschaft, mich auf andere Argumente einzulassen, habe ich eine Bitte:
Niemand darf verkennen, daß diese Greueltaten, über die wir zu reden haben und vor
denen wir nicht wegschauen dürfen, das Werk der serbischen Militär- und Polizeikräfte
sind. Sie sind nicht das Ergebnis der Luftschläge der NATO. Diese Tatsache darf nicht
verwechselt werden; denn lange bevor die NATO dem mörderischen Treiben Milosevics
Einhalt zu gebieten versuchte, war die Kampagne der ethnischen Säuberung nicht nur
geplant, sondern schon ins Werk gesetzt worden. 500.000 Binnenvertriebene sprechen eine zu
deutliche Sprache, als daß eine andere Interpretation erlaubt wäre, liebe Genossinnen
und Genossen.
Die Luftschläge, die wir mitbeschlossen haben und die die NATO durchführt, haben als
einziges Ziel, eine friedliche Lösung für den Kosovo zu bringen, damit die Menschen
im Kosovo ihre Rechte und Lebensmöglichkeiten wieder erhalten. Allein das ist unser
Ziel; wir verfolgen kein anderes.
Ich bin fest davon überzeugt, daß wir die Pflicht haben, dieses Ziel zu verfolgen.
Die NATO ist eine Gemeinschaft der Werte. Die Allianz steht für Freiheit, für Demokratie
und für die Beachtung der Menschenrechte. Die Menschen in dieser von Haß und Leid
geprüften Balkanregion haben zu Recht die Erwartung, daß das demokratische Europa sie
nicht allein läßt, sondern ihnen hilft, den Mord an ihren Eltern, Kindern und Verwandten
zu verhindern. Dieses Handeln sind wir nicht nur diesen Menschen schuldig, sondern
auch uns, wenn wir unsere eigenen Werte und Überzeugungen ernst nehmen.
Bei aller Notwendigkeit, die momentane Not der betroffenen Menschen zu lindern, geht
es auch um etwas Weiterführendes. Es geht nämlich darum, wie das Europa des nächsten
Jahrtausends aussehen soll. In diesem Zusammenhang geht es um die Frage, ob wir,
die demokratischen Europäer, nach den Erfahrungen mit zwei schrecklichen Kriegen in diesem
Jahrhundert es wirklich zulassen dürfen, daß grausame Diktatoren unbehelligt inmitten
dieses Kontinents ihr Unwesen treiben können. Auch diese Frage gilt es zu beantworten. Die Antwort muß gerade für uns Deutsche klar sein: Es darf nie wieder zugelassen
werden, daß Deportationen, Mord und Vertreibung politisch geduldet werden.
Das ist der wesentliche Grund, warum sich die Bundesregierung dazu entschlossen hat,
daß sich Deutschland an den NATO-Aktionen beteiligt. Um mit einem gelegentlich zu
lesenden Urteil aufzuräumen, will ich sagen: Wir haben das nicht getan, weil wir
von unseren Partnern gedrängt wurden. Nein, liebe Genossinnen und Genossen, wir haben das
aus freier Überzeugung und unter Berücksichtigung unserer Verantwortung getan. Wir
haben, von niemandem gedrängt, aus freien Stücken gehandelt. Auf diese Feststellung
lege ich Wert, liebe Genossinnen und Genossen.
Wahr ist auch, daß wir mit unserem Handeln Vertrauen bei unseren Bündnispartnern geschaffen
haben. Auch das ist ein Wert, den wir nicht geringschätzen sollten. Vertrauen haben
wir im übrigen auch in der eigenen Bevölkerung geschaffen. Wer immer meint, der Bundesregierung jetzt in den Arm fallen zu können, der sollte beachten, daß man dieses
Vertrauen in die Berechenbarkeit, in die Stetigkeit und in die Verläßlichkeit der
Bundesregierung schnell wieder verspielen kann. Das wollen und das dürfen wir nicht
zulassen.
Wir haben Vertrauen bei den betroffenen Menschen geschaffen, die unsere Solidarität
jetzt spüren und die gemerkt haben, daß sie auf unsere Hilfe bauen können. Hierin
liegt übrigens der Grund, warum wir uns nicht damit zufriedengegeben haben, als Teil
der NATO militärisch zu handeln. Wir haben sofort Hilfsmaßnahmen beschlossen, um den Flüchtlingen
in Albanien, in Mazedonien und anderswo schnell und wirksam helfen zu können. Wir
haben Nahrungsmittel, Medikamente, Zelte, Decken und Hilfsmittel für die ärztliche Betreuung zur Verfügung gestellt. Wir haben aber noch mehr getan: Die Bundesregierung
hat als eine der ersten Regierungen in Europa beschlossen, eine wenn auch begrenzte,
aber sicherlich nicht unerhebliche Zahl von Flüchtlingen bei uns aufzunehmen. Dies
ist ein Beweis aktiver Solidarität, der so gemeint und auch so verstanden worden ist.
Für mich ist dieses Handeln nicht nur ein Gebot der Mitmenschlichkeit, sondern auch
ein Zeichen der Solidarität mit jenen Anrainerstaaten des Kosovo, die die Hauptlast
der Aufnahme der Flüchtlinge zu tragen haben und die von uns ebenfalls ein Zeichen
dieser Solidarität erwartet hatten.
Aber klar muß sein: Das politische Ziel bleibt, daß die Flüchtlinge so schnell wie
möglich in ihre Heimat zurückkehren können. Wir müssen dafür sorgen, daß sie es geschützt
tun können.
Liebe Genossinnen und Genossen, die Bundesregierung ist nicht für die früheren Fehler
der Balkan-Politik verantwortlich. Aber sie kann sich auch nicht davonstehlen, was
die Konsequenzen dieser Politik angeht. Wir sind nicht für den Zerfall des ehemaligen
jugoslawischen Vielvölkerstaats verantwortlich. Aber: Wir haben eine historische Verantwortung,
mit den Folgen fertig zu werden. Gerade wir Deutschen haben diese historische Verantwortung,
wir, die Deutschen, die in der Vergangenheit Schuld auf sich geladen und unermeßliches Leid zugefügt haben. Gerade wir - so verstehe ich unsere Verantwortung
- müssen mit anderen, zusammen mit den Partnern, dafür sorgen, daß das nie wieder
geschieht.
So herum kann und muß man geschichtliche Verantwortung vielleicht auch verstehen.
Verbrechen, wie sie serbische Truppen in Kroatien und auch in Bosnien begangen haben
und auch heute an den Kosovo-Albanern begehen, können gerade die Deutschen vor dem
Hintergrund ihrer Geschichte nicht erneut hinnehmen. Wir müssen dagegen vorgehen. Das ist
es, was wir mit unserer Verantwortung für die Werte unserer Demokratie, die auch
die Werte des Bündnisses sind, meinen. Das sind die Maßstäbe, nach denen wir gehandelt
haben. Deshalb sind Soldaten der Bundeswehr an dem Einsatz der NATO beteiligt. So haben
es die von euch gewünschte und unterstützte Bundesregierung und der Deutsche Bundestag
mit seiner übergroßen Mehrheit beschlossen.
Auch in diesem Zusammenhang ein klares Wort: Ich betrachte es als alles andere als
einen Nachteil, daß wir in dieser Frage zwischen den großen politischen Kräften in
Deutschland keinen kleinlichen parteipolitischen Streit führen müssen, sondern daß
sich die Deutschen in ihrer übergroßen Mehrheit im Parlament, im Volke selber einig sind,
daß das Morden im Kosovo beendet werden muß.
Die Belgrader Führung hat es in der Hand, den NATO-Einsatz zu beenden. Sie muß sich
nur glaubhaft für den Frieden entscheiden und entsprechend handeln. Dafür gibt es,
liebe Genossinnen und Genossen, ganz klare substanzielle Bedingungen. Wir erwarten
die tatsächliche und nachvollziehbare Einstellung der Kampfhandlungen und des Mordens im
Kosovo. Wir erwarten den Abzug der militärischen und paramilitärischen Kräfte, also
jener Mörderbanden, die im Kosovo ihr Unwesen treiben. Wir wollen die Stationierung
internationaler Sicherheitskräfte, damit die Vertriebenen und Flüchtlinge ungehindert und
ohne Furcht in ihre Heimat zurückkehren können. Das ist unser Ziel, liebe Genossinnen
und Genossen!
Eines ist klar: Mit der sofortigen Einstellung der NATO-Luftschläge würden wir diesem
Ziel keinen Millimeter näher kommen. Aber genauso klar ist auch, daß wir in unseren
Bemühungen um eine politische Lösung nicht nachlassen dürfen und als Bundesregierung
auch nicht nachlassen werden.
Am letzten Freitag hat der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, eine
Erklärung zum Kosovo-Konflikt abgegeben. Sie entspricht voll unserer Haltung, voll
dem, was Handlungsanleitung der Bundesregierung war. Ich habe deshalb die Initiative
des Generalsekretärs uneingeschränkt unterstützt. Ich hoffe, daß dem gemeinsamen Drängen
der westlichen Staatengemeinschaft und dem Drängen des Generalsekretärs durch die
jugoslawischen Behörden die nachprüfbare Annahme der Forderungen folgt.
Liebe Genossinnen und Genossen, für Mittwoch dieser Woche habe ich als Ratspräsident
die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union nach Brüssel gebeten. Das
habe ich natürlich auch getan, um zu einer politischen Lösung der Situation im Kosovo
beizutragen. Wir werden dort unter den Staats- und Regierungschefs Europas, nicht nur
unter denen der NATO-Mitglieder, über die Initiative des UN-Generalsekretärs beraten.
Ich habe deswegen Kofi Annan zu dieser Zusammenkunft eingeladen. Ich freue mich,
daß er diese Einladung akzeptiert hat.
So klar es ist, daß die Bundesregierung und die westliche Staatengemeinschaft in Übereinstimmung
mit dem NATO-Generalsekretär handeln und handeln wollen, so klar muß auch sein, daß
wir in unseren Bemühungen, Rußland in eine politische Lösung einzubinden, nicht nachlassen werden und nicht nachlassen dürfen.
Übrigens, auch hierzu möchte ich zur Klarstellung sagen: Rußland teilt die Ziele des
Abkommens von Rambouillet. Die Bundesregierung hat immer die russischen Bemühungen
begrüßt, auf Belgrad positiv einzuwirken, auch dann, wenn diese Bemühungen bisher
nicht den erhofften Erfolg gezeigt haben. Die Bundesregierung hielt und hält engen Kontakt
mit der russischen Führung. Das gilt für gestern, das gilt für heute, und das wird
auch für morgen gelten.
Ich stehe in ständiger Verbindung mit dem russischen Präsidenten Jelzin und Premierminister
Primakow. Wir sind uns einig, liebe Genossinnen und Genossen, daß die deutsch-russischen
und die europäisch-russischen Beziehungen durch diesen Konflikt im Kosovo nicht prinzipiell beeinträchtigt werden dürfen. Wir tun alles, das zu verhindern.
Liebe Freundinnen und Freunde, wir wissen: Rußland ist ein zentraler Stabilitätsfaktor
in Europa. Rußland muß in der Lage bleiben, auf dem eingeschlagenen Reformweg weiter
voranzuschreiten. Als Stabilitätsfaktor in Europa ist es uns ein enorm wichtiger
Partner. Das werden wir jederzeit deutlich machen, liebe Genossinnen und Genossen.
Aber auch etwas anderes muß klar sein: Gegenüber denjenigen, die meinen, es bedürfe
nur dieser selbstverständlich engen Zusammenarbeit, um eine diplomatische Lösung
zu erreichen, muß ich deutlich machen, daß Deutschland überfordert wäre, wenn man
glaubte, es gehe allein mit Rußland. Einen deutschen Sonderweg, ein Ausbrechen aus der Solidarität
innerhalb der Allianz wird es mit dieser Bundesregierung nicht geben, liebe Genossinnen
und Genossen.
Je größer unser Vertrauen, je fester unsere Verankerung in der westlichen Staatengemeinschaft
ist, desto größer ist unsere Möglichgkeit, etwas dazu beizutragen, daß Rußland am
Prozeß einer politischen Lösung beteiligt bleibt, liebe Genossinnen und Genossen. So herum wird ein Schuh aus einer politischen Strategie, die gelegentlich zu hören
ist.
Liebe Genossinnen und Genossen, wir wissen, daß die jetzt notwendige Krisenbewältigung
im Kosovo kein Ersatz für eine langfristige Stabilisierung Südosteuropas sein wird
und sein kann. Am Ende dieser Krise, als Licht am Ende des Tunnels - das ist glasklar
-, muß eine politische Perspektive stehen, eine Friedensperspektive für Südosteuropa
und damit eine Friedensperspektive für ganz Europa. Das zu gewährleisten wird die
Aufgabe der Zukunft sein.
Der Balkan - das muß klar sein - braucht endlich europäische Hilfe. Er braucht, wie
damals das Nachkriegsdeutschland, Demokratisierung und wirtschaftlichen Aufbau. Was
wir zusammen mit den europäischen und transatlantischen Partnern schaffen müssen,
das ist eine Art Marshallplan für den gepeinigten Balkan. Das ist die Zielrichtung, in die
wir Politik drängen müssen.
Denen, die uns in Europa und anderswo und auch im eigenen Land sagen werden, eine
solche politische Perspektive für den Balkan koste Geld, sage ich: Das ist wohl wahr;
aber eine dauerhafte militärische Präsenz, Krieg führen zu müssen, um Menschen das
Leben zu erhalten, das kostet noch mehr Geld, und deswegen wollen wir eine politische Lösung
erreichen.
Das ist der Grund, warum die deutsche Ratspräsidentschaft eine solche Initiative vorbereitet
hat und warum wir beharrlich an einer solchen Stabilitätsinitiative weiterarbeiten
werden - Schritt für Schritt, aber mit großer Beharrlichkeit.
Liebe Genossinnen und Genossen, die historische Entwicklung wollte es, daß eine sozialdemokratisch
geführte Regierung den ersten deutschen Militäreinsatz nach dem zweiten Weltkrieg
zu verantworten hat. Die Geschichte unserer Partei weist aus - die Menschen in Deutschland wissen das auch -: Nie haben Sozialdemokraten mit dem Leben von Soldaten
und dem anderer Völker gespielt. Das ist der Grund, warum es vielleicht so schlecht
nicht ist, daß so besonnene Menschen wie zum Beispiel Rudolf jetzt politisch handeln können und handeln müssen.
Liebe Freundinnen, liebe Freunde, ich möchte aber von dieser Stelle aus nicht nur
den Verantwortlichen für ihre Arbeit danken; nein, ich möchte vor allen Dingen den
deutschen Soldaten danken.
Unsere Soldaten erfüllen eine schwierige und eine gefährliche Mission. Die Redlichkeit
gebietet es, darüber nicht hinwegzureden. Sie und ihre Familien können sich darauf
verlassen, daß wir alles für ihren Schutz und für ihre Sicherheit tun. Aber eines
bleibt klar: Wir können Gefahren für Leib und Leben dieser Soldaten nicht völlig ausschließen.
Nicht zuletzt das ist der Grund, warum ich mir wirklich wünsche, daß dieser Parteitag
unseren Soldaten dankbar ist für ihren Einsatz für die Menschenrechte und die Menschlichkeit.
Gyula Horn, dem ich sehr dankbar bin für das, was er gesagt hat - ich wiederhole das,
was Henning Scherf als Dank zum Ausdruck gebracht hat -, dem wir als Deutsche nie
vergessen werden, was er in der Zeit, als wir um unsere staatliche Einheit gerungen
haben, für Deutschland und damit für uns alle getan hat, hat darauf hingewiesen, daß insbesondere
Europa in diesen und in anderen Krisen seine Handlungsfähigkeit beweisen muß. Die
Kosovo-Krise, der Rücktritt der Europäischen Kommission und die Agenda 2000, das waren in dieser Bündelung wohl die größten Herausforderungen, die ein europäischer
Rat jemals zu bewältigen hatte. Ich bin froh und stolz darauf, daß die Europäische
Union diese Prüfung bestanden hat. Auf der Sondertagung des Europäischen Rates in
Berlin hat Europa seine Verantwortung für eine friedliche Entwicklung auf dem Kontinent bekräftigt.
Wir werden noch in dieser Woche - ich habe darauf hingewiesen - daran weiterarbeiten.
Wir können heute mit berechtigtem Stolz sagen: Auch angesichts der schwierigen Mission
im Kosovo spricht Europa mit einer Stimme. Nach Zustimmung durch das Europäische
Parlament werden wir schon im Sommer wieder eine handlungsfähige Kommission unter
einer wirklich kompetenten Leitung haben. Auch daran hat die Bundesregierung mitgewirkt.
Wir bleiben - das ist deutlich geworden - auch jetzt und gerade jetzt Motor der europäischen
Integration. Aber mehr noch, liebe Genossinnen und Genossen: Der Beschluß über die
Agenda 2000 bedeutete nicht nur das Zustandebringen der Finanzarchitektur für das Europa der 15; nein, dieser Beschluß war sehr viel mehr. Durch diesen Beschluß hat
sich das Europa der 15 aufnahmefähig für jene Länder in Osteuropa gemacht, mit denen
wir über ihren Beitritt verhandeln. Ungarn nimmt eine der ersten Stellen dabei ein.
Liebe Genossinnen und Genossen, wir haben das Zustandekommen der Agenda gewollt, weil
wir eine weitere Integration, weil wir Schritte hin zur politischen Union machen
wollten und machen mußten. Aber wir haben es auch gewollt, weil wir den Ländern Osteuropas, jenen, die sich auf den Weg der Reformen gemacht haben, Sicherheit bieten wollen,
Sicherheit bieten müssen. Im Politischen, im Herkömmlichen, haben es diese Länder
Polen, Tschechien, Ungarn durch den erfolgten Beitritt zur NATO geschafft. Aber
diese Sicherheit reicht ihnen zu Recht nicht. Sie wollen mehr. Sie wollen diese außen-
und sicherheitspolitischen Zuverlässigkeiten durch ökonomische Sicherheiten unterlegt
haben. Hierin liegt der Grund, warum sie in die Europäische Union hineinwollen und
warum wir ihnen helfen müssen, daß sie hineinkommen. Es gibt keine auf Dauer angelegte
Sicherheit ohne ökonomischen und sozialen Ausgleich auch und gerade in diesen Ländern.
So schwierig die Erweiterung Europas sein mag, so viel Lasten damit auch verbunden
sein mögen: Europa aufnahmefähig für die Demokratien Ost- und Südosteuropas zu machen,
das liegt nicht nur im Interesse der Demokraten dort; nein, das liegt im unmittelbaren nationalen Interesse Deutschlands, weil deren Frieden auch unser Frieden ist. Das
lehrt uns die Situation in Jugoslawien.
Liebe Freundinnen und Freunde, am 27. September haben wir nicht nur den Auftrag erhalten,
außen- und sicherheitspolitisch besonnen und in fairer Partnerschaft mit unseren
Verbündeten zu handeln; wir haben vielmehr auch ich habe darauf hingewiesen den
Auftrag zur Gestaltung der innen- und wirtschaftspolitischen Lage in Deutschland bekommen.
Ottmar Schreiner hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, daß wir gelegentlich allzu
bereit sind, unser Licht unter den Scheffel zu stellen und die eigenen Leistungen
kleiner zu schreiben, als sie es verdienen.
Es ist wahr ich bin stolz darauf , daß wir das, was wir, Dieter, den Gewerkschaften
versprochen haben, die Punkte, die wir genannt haben, nämlich die Wiederherstellung
der Lohnfortzahlung, die Rücknahme der Kürzungen bei der Rente und bei Krankheit,
die Verbesserung des Kündigungsschutzes, in den ersten Monaten nicht nur auf den Weg
gebracht haben, sondern auf Punkt und Komma realisiert haben.
Das ist eine neue Erfahrung für die Menschen in Deutschland, eine neue Erfahrung sicher
auch für die Kolleginnen und Kollegen in den deutschen Gewerkschaften.
Übrigens: Wir reden ständig miteinander, Dieter Schulte, und wir wissen, daß es falsch
wäre, wenn die Gewerkschaften die SPD als gleichsam verlängerten parlamentarischen
Arm begriffen. Das würde uns und auch euch nicht reichen. Aber falsch wäre es auch,
wenn wir die Gewerkschaften gleichsam als Vorfeld einer politischen Organisation begriffen.
Beide traditionsreichen Organisationen leben von der gegenseitigen Befruchtung, davon,
daß man miteinander in einem engen, vertrauensvollen Dialog ist, einem Dialog, der um so leichter fällt, als die Grundprinzipien unseres jeweiligen Handelns die
gleichen sind. Deshalb sage ich dir, Dieter, und all den anderen führenden Gewerkschaftern,
die hier auf diesem Parteitag sind, wirklich von Herzen die Bereitschaft zur fairen, zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit ausdrücklich zu. Das hat damals gegolten,
als wir uns zusammen auf den Weg gemacht haben, und das wird auch in Zukunft gelten.
Das schließt nicht aus, daß es gelegentlich Meinungs-unterschiede gibt; das wird
in Zukunft genauso sein. Aber klar bleibt, daß wir an gemeinsamen Zielen, am Ziel der Demokratie
und der sozialen Gerechtigkeit arbeiten, jeder in seinem Feld, aber jeder mit Bestimmtheit
und Nachdruck.
Liebe Genossinnen und Genossen, besonders stolz, ihr werdet das nachvollziehen können,
bin ich auf ein Projekt dieser Regierung, das sehr viel mit der Zukunft unseres Landes
zu tun hat. Ich meine jene Maßnahme, die wir beschlossen haben, um hunderttausend
Jugendlichen eine Perspektive zu geben.
Auch hier will ich noch einmal an das erinnern, was wir den Menschen in Deutschland
den ganzen Wahlkampf über versprochen haben. Im Zentrum dessen, was wir gesagt haben,
stand, daß wir der Jugend eine Perspektive geben wollen, daß wir erkannt haben, daß
es keinen Sinn macht, sich über eine aussteigerwillige Jugend zu verbreiten, wenn man
ihr keinen Einstig in das Arbeitsleben verschafft.
Wir haben auch gesagt, wir schreiben das nicht auf Papier; wir machen nicht nur Gesetze.
Nein, wir helfen in der täglichen Praxis. Unser 100.000-Arbeitsplätze-Programm hat
130.000 Jugendliche erreicht. 75.000 junge Menschen sind durch dieses Programm allein bis jetzt in Ausbildung und Arbeit gekommen. Ich bin stolz darauf, liebe Genossinnen
und Genossen, und ihr solltet es auch sein.
Noch eines in diesem Zusammenhang: Wir haben deutlich gemacht, daß Arbeit, daß der
Kampf gegen Arbeitslosigkeit im Zentrum unserer Politik steht. Das bleibt so, auch
wenn wir uns jetzt um die Lösung internationaler Krisen zu kümmern haben. Davon wird
nichts vergessen, nichts abgestrichen. Auch in diesem Punkt haben wir einen richtigen Weg
beschritten. Ich sage das insbesondere mit Blick auf die Situation in Ostdeutschland.
Regine Hildebrandt wird mir das bestätigen. In vielen Wahlauseinandersetzungen, die
wir miteinander bestritten haben, Regine, ich räume ein, ich bin da wenig zu Wort gekommen,
hat immer wieder eine Frage, von dir auf die Tagesordnung gesetzt, eine große Rolle
gespielt: Wie durchbrechen wir die traurige Erfahrung der Menschen die besonders
auf dich, auf Manfred Stolpe und auf andere schauen , die sie in den letzten Jahren
gemacht haben? Der Aufwuchs der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vor den Wahlen war gewaltig,
und vier Wochen später war nichts mehr. Das war die Erfahrung, von der du, Regine,
so oft geredet hast und angesichts derer wir gemeinsam gesagt haben: Das werden wir
ändern. Wir haben es geändert. Zum erstenmal gibt es eine Verstetigung jener Maßnahmen,
auf die man im Osten noch eine ganze Weile angewiesen sein wird, um Arbeit zu finanzieren,
anstatt Arbeitslosigkeit finanzieren zu müssen.
Wir haben mit dem "Bündnis für Arbeit" begonnen, jener perspektivisch angelegten Veranstaltung,
von der man nicht erwarten kann, daß sie bereits in den ersten Wochen und Monaten
jene Erfolge zeitigt, die wir alle wünschen. 15 Jahre haben die Niederländer gebraucht, bis ihr Bündnis für Arbeit für alle zufriedenstellend funktionierte. So
lange soll es bei uns nicht dauern. Aber eines muß klar sein: Wir brauchen dieses
"Bündnis für Arbeit", weil es uns die Chance bietet, die gesellschaftlichen Kräfte,
um die es uns geht, in dieser Frage zu einer Politik zusammenzubringen, weil es uns die Chance
bietet, nicht nur mit den Mitteln des Staates Rahmenbedingungen zu schaffen, damit
wieder mehr Beschäftigung möglich wird, nicht nur mit den Mitteln des Staates Jugendlichen eine Perspektive zu geben, sondern zu erreichen, daß die ganze Gesellschaft,
daß Wirtschaft und Gewerkschaften und zum dritten der Staat sich jener zentralen
Frage annehmen, die heißt: Wie schaffen wir für alle Menschen in Deutschland Arbeit?
Das bleibt unsere Aufgabe. Wir werden sie miteinander immer wieder neu beginnen.
In dem Zusammenhang auch von mir ein Wort an die deutsche Wirtschaft. Niemand wird
mir vorwerfen, daß ich mich vor Kontakten, vor enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft,
auch mit den Verbänden der Wirtschaft, besonders drücken würde. Ich betrachte das
übrigens, liebe Genossinnen und Genossen , laßt mich auch das einmal sagen , nicht
als einen Fehler. Wer glaubt, unsere Mitglieder, die Menschen, die uns wählen, wünschten
nicht, daß wir ein vernünftiges Arbeitsverhältnis zu dem haben, was man Wirtschaft
nennt, der irrt.
Aber angesichts gelegentlicher Äußerungen aus den Verbänden sage ich , mit der Zurückhaltung,
zu der nur ich fähig bin :
So, liebe Freunde da drüben, geht es auch nicht. Wer gegenüber einer sozial-demokratischen
Bundesregierung, die sich auf eine wirklich deutliche Legitimation durch die Menschen
in Deutschland stützen kann, auftritt, als habe er das Sagen, der irrt, und zwar deutlich.
So groß meine Bereitschaft zur Zusammenarbeit auch und gerade mit der Wirtschaft ist:
Wer versucht hat, uns, die wir in der Bundesregierung zusammenarbeiten, über den
Tisch zu ziehen, ist noch immer gescheitert und wird auch in Zukunft scheitern.
Wer partikulare Interessen vertritt, wie das die Verbände der Wirtschaft tun , das
ist erlaubt in einer Demokratie, sogar geboten in einer pluralistisches Demokratie
, der darf das auch ruhig lautstark tun. Aber er muß sich auch sagen lassen, daß
in einer Demokratie allein die gewählte Regierung, allein das gewählte Parlament bestimmt,
was die Interessen des gemeinen Wohls gegenüber Partikularinteressen sind. Darauf
werden wir achten, liebe Freunde.
Es hat laßt mich das noch anfügen vielfältige Diskussionen über die Frage gegeben:
Wie kommen wir, Partei und Regierung, nun miteinander zurecht, in der Frage, die
ich eingangs thematisiert habe, und in anderen Wirtschafts-, Sozial- und innenpolitischen Fragen?
Einen Rat habe ich mir nach langen Jahren gelegentlich anderen Verhaltens von Johannes
Rau abgeguckt. Johannes hat nämlich gesagt: Nehmt doch häufiger das Telefon und weniger
das Mikrofon in die Hand.
Ich räume ein, daß das eine Mahnung ist, die ich vor ein paar Jahren auch noch an
mich selbst hätte richten können.
Aber, liebe Genossinnen und Genossen, so ist das nun einmal.
Übrigens - um auch das klarzustellen : Wir deutschen Sozialdemokratie wollen, daß
Johannes Rau unser nächster Bundespräsident wird.
Um auch das öffentlich frank und frei zu sagen: Wir wollen das nicht, weil das in
irgendwelchen Telefonaten oder Hinterzimmern ausgekungelt worden ist, sondern wir
wollen das, weil die deutschen Sozialdemokraten davon überzeugt sind, daß er der
beste ist, den Deutschland zur Zeit anzubieten hat. Das ist der Grund, warum wir wollen, daß
Johannes Rau gewählt wird.
Gerade in schwierigen Zeiten brauchen wir eine Persönlichkeit, die nachgewiesen hat,
daß sie nicht spaltet, sondern versöhnt, daß sie zusammenführt. Gerade in Zeiten,
wo wir ökonomisch und sozial zwischen Ost und West enger zusammenwachsen, brauchen
wir eine Persönlichkeit, die versteht, die fühlt, daß bei aller Notwendigkeit, ökonomisch
und sozial gleiche Lebensbedingungen zu schaffen, auch die psychologische Seite eine
eminent wichtige ist.
Weil wir dies Johannes Rau zutrauen und weil wir ihm vertrauen, werden die Sozialdemokraten,
werden die Koalitionspartner und, wie ich hoffe, ganz viele darüber hinaus ihn zum
zweiten sozialdemokratischen Bundespräsidenten wählen. Ich will dafür viel arbeiten.
Liebe Genossinnen und Genossen, ich habe darauf hingewiesen: Wir haben am 27. September
einen wirklich großen Wahlsieg gefeiert. Wir haben daraus die Legitimation genommen
und dies zu Recht , in Deutschland Politik zu gestalten. Aber Mehrheiten in den
Parlamenten, Mehrheiten in den anderen demokratischen Institutionen sind noch keine
dauerhaften Mehrheiten in der Gesellschaft. Nur wer über die dauerhafte Mehrheit
in der Gesellschaft verfügt, wer die Menschen jedesmal wieder hinter seine Politik
bringen kann, nur der wird auf Dauer Erfolg haben.
Der Schlüssel dafür liegt auch in der Geschlossenheit unserer Partei. Das können wir
ich sage das, ohne andere herabsetzen zu wollen in besonders erfolgreichen Landesverbänden
sehen: Es macht keinen Sinn, Partei und Regierung als etwas Entgegengesetztes zu sehen. Das wird in Brandenburg nicht gemacht und in Nordrhein-Westfalen nicht,
im Saarland nicht und in Niedersachsen nicht. Weil man dort zusammengeht, weil man
dort einander stützt und unterstützt, ist man in besonderer Weise erfolgreich. Das
ist übrigens einer der Gründe, warum ich euch um Zustimmung bitte.
Liebe Genossinnen und Genossen, was auch immer die Motive für Oskar