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Neujahrsempfang des Bundespräsidenten für das Diplomatische Corps
Bundespräsident Roman Herzog gab am 13. Januar 1999 im Schloß Bellevue in Berlin den
traditionellen Neujahrsempfang für das Diplomatische Corps.
Ansprache des Doyens
Der Doyen des Diplomatischen Corps, der Apostolische Nuntius Erzbischof Dr. Giovanni
Lajola , hielt anläßlich des Neujahrsempfangs im Schloß Bellevue in Berlin folgende
Ansprache:
Sehr verehrter Herr Bundespräsident!
Es ist für mich eine besondere Ehre, gleichsam Sprachrohr der Leiterinnen und Leiter
der diplomatischen Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland sein zu dürfen,
um Ihnen deren Glückwünsche zum neuen Jahr auszusprechen. Für den feierlichen Rahmen,
in dem Sie uns hier empfangen, danken wir Ihnen herzlich.
Am Anfang des Jahres blickt man mit neuer Hoffnung und mit erwartungsvollem Herzen
der Zeitspanne entgegen, die sich vor einem auftut. Wir möchten, daß sich einige
konkrete Pläne und viele einstweilen eher noch diffuse, aber gleichwohl vorhandene
Wünsche verwirklichen auf der persönlichen Ebene und auf der Ebene des Amtes.
Man kann keine Hoffnungen haben, wenn man sich nicht erinnert. Die Erinnerung kann
den Erwartungen Mäßigung, den Hoffnungen Beständigkeit, den Vorsätzen Kühnheit verleihen.
So ist es gut und naheliegend, daß sich unserem Geist am Anfang eines neuen Jahres
einige markante Momente des vergangenen aufzudrängen versuchen.
In ihm haben sich bestimmt bei weitem nicht alle Wünsche verwirklicht, die wir vor
einem Jahr ausgesprochen haben. Ich weiß nicht, ob das nur mein Eindruck ist. Ich
glaube es aber nicht. Mir scheint, daß das vergangene Jahr insgesamt ein nicht leichtes
Jahr gewesen ist. Eine große deutsche Zeitung überschrieb Ende November einen Jahresrückblick:
,,1998 ein Jahr der Katastrophen, Wirbelstürme, Waldbrände, Überschwemmungen, Erdrutsche:
32 000 Menschen starben" ("DieWelt"vom30.11.). Auf dem Hintergrund einer Untersuchung der FAO ist davon auszugehen, daß die Zahl der unterernährten Menschen
in der Welt weit über 800 Millionen liegt, die in vierzig Ländern leben (vgl. FAZ
vom 26. 11.). Auch die Finanzwelt und die Börsen im Osten und im Westen wurden durch
starke Störungen erschüttert: Mißwirtschaft war die Ursache, negative Auswirkungen im
sozialen Sektor waren die Folgen.
Was noch schlimmer ist: Nach einer Studie über "Das Kriegsgeschehen 1997", die von
der Stiftung Entwicklung und Frieden in Bonn herausgegeben worden ist, gab es im
Jahre 1997 24 Kriege und 19 bewaffnete Konflikte. Ihre Zahl ist leider seither zu
wenig zurückgegangen. Unter den Konflikten, die in den Massenmedien am meisten präsent sind,
sind besonders die Auseinandersetzungen im Kosovo und um den Irak zu erwähnen. Sie
haben die Welt mit Sorge erfüllt und tun es weiter. Man darf aber auch die Krisenherde
in Afrika nicht vergessen. Die geschichtlichen Ursachen und manche Hintergründe der
Auseinandersetzungen weisen über den afrikanischen Kontinent hinaus. Solidarität
mit den betroffenen Völkern ist Pflicht der Völkergemeinschaft.
Neben den kriegerischen Konflikten gibt es das unheilvolle Phänomen des blindwütigen
Terrorismus, dem an so vielen Orten der Erde unschuldige Menschen zumal Frauen
und Kinder zum Opfer fallen. Überall wird unschuldiges Blut vergossen!
Für die Völker, die wie das deutsche das Glück haben, in Wohlstand und in Frieden
zu leben und auch wie es die heutige Versammlung hier zeigt in freundschaftlichen
Beziehungen mit den wichtigsten Ländern der Welt zu stehen, sind die genannten Daten
und Zahlen vielleicht überraschend und beeindruckend. Sie dürfen aber nicht zu Pessimismus
oder Resignation verleiten, sondern müssen wie ich es eben gesagt habe das Fundament
bilden für eine kühnere und realistischere Hoffnung für uns und unsere Völker.
Viele Menschen guten Willens sind im Einsatz, und ihr Einsatz wird unvermindert weitergehen.
Im vorigen Jahr, im vori-gen Monat hat man weltweit der Verabschiedung der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte durch die Vollver sammlung der Vereinten Nationen vor fünfzig Jahren gedacht.
Darüber hinaus verabschiedete die Generalversammlung der UNO am 9. Dezember des letzten
Jahres die Erklärung über das Recht und die Verantwortlichkeit der Einzelnen, der
Gruppen und der Organe der Gesellschaft, die allgemein anerkannten Menschenrechte
und Grundfreiheiten zu fördern und zu schützen. In Artikel 1 heißt es dort: "Jedermann
hat das Recht, einzeln oder zusammen mit anderen den Schutz und die Verwirklichung
der Menschenrechte und der Grundfreiheiten auf der nationalen und der internationalen
Ebene zu fördern und sich für sie einzusetzen." Es wurde auch als Pflicht des Staates
bestätigt, die Tätigkeit derjenigen zu respektieren und zu schützen, die sich für
die Verwirklichung der Menschenrechte einsetzen (vgl. Artikel 12).
Die Achtung der Menschenrechte ist eine unabdingbare Voraussetzung für einen wahren
und dauerhaften Frieden. Und der Friede selbst ist so möchte ich sagen das umfassendste
Menschenrecht; Menschen und Völker haben ja ein originäres Recht, in Frieden zu leben, weil sie sich nur im Frieden voll verwirklichen das heißt sie selbst sein
können.
Trotz vieler zu vieler Rückschläge hat das vorige Jahr auch in einigen Fällen
entschiedene oder zumindest verheißungsvolle Schritte auf den Frieden zu gesehen.
Ich beziehe mich dabei auf das Good-Friday-Abkommen in Nordirland wie auch auf das
Wye Agreement. Das erste wird mit Erfolg einvernehmlich umgesetzt. In bezug auf das letztere
sind bekanntlich leider neue Schwierigkeiten aufgetreten. Wir alle wünschen, daß
in dem Land, das den Gläubigen von drei großen Religionen heilig ist, die Morgenröte
des Friedens bald aufleuchte.
Auch für den schon seit Jahren andauernden Guerillakrieg in Kolumbien hat das vorige
Jahr Anzeichen für eine positive Wendung gebracht. Das ist hier besonders zu erwähnen,
weil beide Seiten die Möglichkeit einer deutschen Hilfestellung durch die Deutsche Bischofskonferenz begrüßt und in Anspruch genommen haben, um Vorgespräche einzuleiten.
Der Friede kann viele Opfer kosten, er kann große Verzichte verlangen, aber gewichtiger
als all dies sind die materiellen und geistigen Vorteile, die er allen Beteiligten
ohne Unterschied bringen wird. Friede ist die nicht zu unterdrückende Sehnsucht der
Menschen seit jeher. Möge er bald allen Völkern der Erde beschieden sein.
Das vergangene Jahr ist auch für Deutschland ein Jahr von besonderer Tragweite gewesen:
In voller und selbstverständlicher Respektierung der demokratischen Regeln, die im
deutschen Volk unumstritten sind, gab es nach der Bundestagswahl vom 27. September
einen Wechsel. Die bisherigen Oppositionsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen unter
Bundeskanzler Gerhard Schroder übernahmen die Regierung. Ich
glaube sagen zu dürfen, daß die diplomatischen Vertreter mit Genugtuung und Zustimmung
von der Versicherung der neuen Bundesregierung über die Ziele ihrer Außenpolitik
Kenntnis genommen haben, sie werde in Kontinuität mit der deutschen Politik der
zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts sich in den Dienst am Frieden stellen und für den Schutz
und die Verwirklichung der Menschenrechte eintreten. Es erfüllt sie mit Zuversicht,
daß die Bundesregierung sich den Völkern der Entwicklungsländer verpflichtet weiß
und sich für die Erleichterung der Schuldenlast der ärmsten Entwicklungsländer einsetzen
will. Es sind hochgesteckte Ziele, für die sie ich bezweifle es nicht kompetente
und bereitwillige Mitwirkung seitens der bei ihr akkreditierten diplomatischen Vertretungen finden wird.
Mit dem 1. Januar dieses Jahres wurde mit der Fixierung der Wechselkurse zwischen
den W ährungen, die in den Euro eingehen, eine wichtige Schwelle im Hinblick auf
die Einführung des Euro überschritten. Der Prozeß der europäischen Einigung schreitet
voran und nimmt immer festere Formen an. Die europäischen Völker sehen darin einen in seiner
Bedeutung nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Vereinfachung und Konsolidierung
der gegenseitigen wirtschaftlichen Beziehungen und ein wichtiges Mittel zur Festigung
der bestehenden Bindungen und hegen die Hoffnung, daß auch weiteren Staaten der Beitritt
ermöglicht wird. Die übrigen Völker erwarten, daß eine europäische Union, die an
Gewicht gewinnt, auch ein offeneres Europa darstellen wird und daß dieses auch zu
einem neuen und entschiedenen Einsatz zugunsten der Entwicklungshilfe und des Friedens bereit
sein wird. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in diesem Halbjahr läßt hoffen, daß
weiteren positiven Entwicklungen die Wege bereitet werden.
Herr Bundespräsident! Vielfältig sind die Wünsche für Frieden und Wohlergehen, die
wir als Missionschefs in Deutschland am Anfang des neuen Jahres Ihrem Volk entbieten.
In diesem Jahr wird die Bundesrepublik Deutschland fünfzig Jahre alt. Diese Jahre
waren Jahre einer schmerzlichen Spaltung, aber auch der Wiedervereinigung, Jahre,
die durch schwere Opfer gekennzeichnet waren, aber auch durch große Errungenschaften,
Jahre des Elans, aber auch mancher Infragestellung. Dem deutschen Volk wünschen wir, daß
es den Idealen des Grundgesetzes treu bleibt und sich immer der großen Gestalten
der Väter dieser Bundesrepublik würdig erweist.
Mögen die großen Werte, die Deutschland in seiner Geschichte viel Bewunderung eingebracht
haben, lebendig bleiben und mit Gottes Hilfe zu neuer Fruchtbarkeit heranreifen.
Möge die innere Einheit des Landes auch auf der sozialen und wirtschaftlichen Ebene
vervollständigt und vervollkommnet werden.
Mögen die Probleme, die für viele Deutsche noch Grund zur Besorgnis sind, insbesondere
das Problem der Arbeitslosigkeit, zu einer guten Lösung gebracht werden.
Mit diesen Wünschen verbinden wir unsere aufrichtigen Wünsche für das Wohlergehen
Ihrer Person, sehr verehrter Herr Bundespräsident, für die Bundesregierung, für die
öffentlichen Institutionen der Bundesrepublik, für jede deutsche Familie, ja, für
jeden Menschen von jedweder Herkunft, der das neue Jahr in Deutschland verbringen wird.
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