Übersicht
personal | ikonographisch | doktrinär | messianistisch | emotional | |
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Deutsch | |||||
Polnisch | |||||
Slowakisch | |||||
Tschechisch |
de:1234
pl:12345
sk:12345
cz:12345
Sprachvergleich
Christus – Chrystus – Kristus – Kristus
Das Wort Christus/ Chrystus/ Kristus/ Kristus ist in den vier untersuchten Sprachen ein Internationalismus, der im Zuge der Christianisierung als Lehnwort aus dem Lateinischen übernommen wurde. In allen vier Sprachen bezieht sich das Lemma in erster Linie auf Jesus als eine der drei Wesenheiten Gottes, der laut christlichem Glauben die Menschheit durch seinen Opfertod am Kreuz erlöst hat. Diese typische Extension des Wortes hat zur Folge, dass es meistens als Eigenname bzw. als Beiname Jesu verstanden wird und die Bedeutung ‘Gesalbter’ bzw. ‘Erlöser’ den Sprechern nicht unbedingt bekannt ist. Damit hängt zusammen, dass das Wort auch in den slawischen Sprachen immer großgeschrieben wird. Eine Ausnahme bilden dabei nur Interjektionen mit dem Bestandteil Kristus im Slowakischen und Tschechischen, wo sowohl Groß- als auch Kleinschreibung belegt ist (z. B. tschech. Kriste Pane! wie auch kriste pane! oder slowak. pre Kristove rany! wie auch pre kristove rany!).
Die metonymischen Übertragungen der Personenbezeichnung auf die Bezeichnung eines Abbilds oder der Lehre von Jesus (hier als ikonographisches und doktrinäres Profil erfasst) sind in allen vier Sprachen belegt. Diese Metonymien spiegeln wider, welche Aspekte von Jesus als Person und Gott sprachübergreifend häufig thematisiert werden, nämlich seine Darstellung als Gemälde oder Plastik, die von Gläubigen nicht nur als Kunstwerk, sondern auch als Kultobjekt wahrgenommen wird, und seine Lehre, wie sie im Neuen Testament verzeichnet und durch christliche Kirchen verbreitet wird. Das personale, ikonographische und doktrinäre Profil werden in allen vier Sprachen durch äquivalente lexikalische Relationen, Wortbildungen wie auch Phraseme und Kollokationen charakterisiert. Diese Überlappung ergibt sich aus der Ähnlichkeit der Diskurse, in denen Jesus Christus thematisiert wird (z. B. Evangelien, theologische Abhandlungen, Reflexion des Glaubens durch die Laien u. ä.), wie auch aus universalen Vorstellungen, die das Christentum hervorbringt. Vgl. das Phrasem in Christus/ w Chrystusie/ v Kristu/ v Kristu ‘in Anlehnung an die christliche Lehre, durch den Glauben an Christus vereint’ (z. B. in der Anrede der Gläubigen Schwestern und Brüder in Christus/ siostry i bracia w Chrystusie/ sestry a bratia v Kristu/ sestry a bratři v Kristu), das sich auf der mystischen Vorstellung gründet, alle Gläubigen bilden eine Gemeinschaft als Teile Christi Leibs (z. B. Röm 12,4–5, 1 Kor 12, 12–14) oder die Thematisierung des gekreuzigten Christus im ikonographischen Profil (vgl. Beispiele wie dt. ein Christus hängt da mit zerquältem Antlitz und zerschundenen Gliedern am Kreuz; poln. w sali wisi krzyż z Chrystusem; slowak. najstaršie krucifixy ukazujú Krista na kríži ako Boha v ľudskej podobe, ktorý nemôže trpieť; tschech. kříž, na němž visí Kristus).
Ebenso im messianistischen Profil erweisen sich sprachübergreifende Ähnlichkeiten. Der appellativierte Gebrauch des Wortes Christus/ Chrystus/ Kristus/ Kristus sowohl im religiösen Sinn als ‘Erlöser’ als auch übertragen als ‘Retter’ ist in allen vier Sprachen verhältnismäßig selten. Gegenüber Christus/ Chrystus/ Kristus/ Kristus werden andere Lexeme wie Erlöser/ zbawca, Zbawiciel/ spasiteľ/ spasitel oder Messias/ Mesjasz/ mesiáš/ mesiáš bevorzugt. Die Appellativierung wird häufig durch zusätzliche Signale angedeutet, z. B. die Attribuierung ein neuer Christus/ nowy Chrystus/ nový Kristus/ nový Kristus oder eine Erklärung, wie die Bezeichnung eines Menschen als Christus motiviert wurde, vgl.:
Nur Allan, der als einziger gegen den Mord war, bleibt schließlich - als die anderen von einem Flugzeug gerettet werden - freiwillig im Boot zurück. Als neuer Christus nimmt er die Sünden der Gemeinschaftsmörder mit in den Tod.
(Salzburger Nachrichten, 24.04.1992)
oder
Je to proto, říká Cendrars, že je Kristem: nikoliv ve smyslu náboženském, ale lidském. Je to člověk, co trpí pro nás, co se každý den pro nás sebevraždí poezií.
(Hospodářské noviny – víkend, roč. 1995)
Aus kulturhistorischer Sicht ist die polnische Redewendung Polska Chrystusem Narodów ‘Polen – Christus der Nationen’ kennzeichnend, die auf romantisch-messianistische Vorstellungen aus dem 19. Jh. zurückgeht, im Konkreten auf die Idee, polnische Nation leistet durch ihren Niedergang ein stellvertretendes Opfer, das zur Erlösung bzw. Freiheit und Selbstbestimmung aller anderen Nationen führen wird. Die Wendung ktoś jest Chrystusem Narodów wird auch im Gegenwartspolnischen – entweder als Zitat, oder negiert bzw. anzweifelnd – verwendet. Vgl. Schlagzeilen wie Ameryka nie jest Chrystusem Narodów ‘Amerika ist kein Christus der Nationen’ oder folgendes Beispiel aus einem Blog zum Flugzeugabsturz bei Smolensk am 10. April 2012:
Moze i Rosja niespecjalnie nas kocha, ale nie jest wyjątkiem – pogrzeb Prezydenta pokazał jak mało znaczymy dla Europy – poza dawnym blokiem socjalistycznym nikt nawet nie próbował dojechać. Czy to znaczy, że wszyscy byli w spisku? Bo za duzo podskakujemy, mamy za duże wymagania? Polska nie jest "Chrystusem narodów", nie jest pepkiem świata. To tylko nasza mania wielkości.
http://www.deon.pl [6.6.2012]
Das emotionale Profil ist nur für die slawischen Sprachen belegt. Es bezieht sich auf Interjektionen, die das Wort Chrystus/ Kristus/ Kristus als Bestandteil haben. Meistens handelt es sich um eine erstarrte Vokativform (z. B. poln. Chryste Panie!, slowak. Ježišu Kriste!, tschech. Ježíši Kriste!) oder erstarrte Beschwörungsformeln (z. B. poln. Na rany Chrystusa!, slowak. Pre Kristove rany!, tschech. Pro Krista Pána!). Im Tschechischen zeichnet sich die Tendenz ab, dass einige dieser Interjektionen schrittweise aus dem Gebrauch verschwinden oder bereits als buchsprachlich gelten (z. B. Pro pět ran Krista Pána!).