Übersicht
religiös | physisch | Peinigung | Kritik | atmosphärisch | antreibend | |
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Deutsch | ||||||
Polnisch | ||||||
Slowakisch | ||||||
Tschechisch |
de:1234
pl:12345
sk:123456
cz:123456
Sprachvergleich
geißeln – biczować – bičovať – bičovat
Die Bedeutung der Wörter dt. geißeln, poln. biczować, slow. bičovať und tschech. bičovat ist nur teilweise äquivalent. Das religiöse, physische, Peinigungs- und Kritikprofil wurde in allen vier Sprachen ausgegliedert. Das atmosphärische Profil konnte nur für poln. biczować, slow. bičovať und tschech. bičovat, das antreibende Profil nur für slow. bičovať und tschech. bičovat belegt werden. Die Unterschiede im Reichtum der Polysemie unter den Sprachen gehen darauf zurück, dass das slow. bičovať und tschech. bičovat Bedeutungen ausdrücken, die im Deutschen durch geißeln und peitschen (bzw. aufpeitschen, anstacheln u. a.) und im Polnischen durch biczować, chłostać und andere Wörter (z. B. pobudzać, podniecać für das antreibende Profil) zum Ausdruck gebracht werden.
Als wörtlich empfundene Bedeutung kann in allen vier Sprachen das physische Profil angesehen werden. Seine Semantik unterscheidet sich jedoch in den einzelnen Sprachen. Das dt. geißeln bedeutet im physischen Profil ‘einen Menschen mit einem Stab mit Riemen oder Schnüren (seltener mit einem biegsamen Stock mit einer Schnur) zum Zweck einer Züchtigung schlagen’. Die so bezeichnete Handlung ist entweder eine historische Strafe für rechtliche oder moralische Vergehen (z. B. in der Antike), oder eine sadomasochistische Sexualpraktik. Hervorstechender als das physische Profil ist im Deutschen jedoch das religiöse Profil, wo geißeln eine antike Strafhandlung bezeichnet, der auch Jesus von Nazareth vor seiner Kreuzigung unterzogen wurde. In religiösen Texten, die von der Passion Jesu handeln, wird dieses Verb gebraucht (z. B. Darauf ließ er [Pilatus] Barabbas frei und gab den Befehl, Jesus zu geißeln und zu kreuzigen. Mt 26,27). Das reflexive sich geißeln bedeutet ‘sich kasteien, sich als Bußübung Schmerzen durch Schläge mit einer Geißel zufügen’. Das Wort bezeichnet eine religiös motivierte Handlung, die im Christentum als Nachahmung und Nachempfindung der Leiden Jesu begründet wird. Bei geißeln als Strafe und insbesondere bei sich geißeln sind also die Assoziationen mit dem Leidensweg Jesu ausgeprägt.
Ähnlich wie im Deutschen bezieht sich auch im Polnischen das physische Profil von biczować auf das züchtigende, oder sexuelle Lust erregende Schlagen von Menschen. Hervorstechender ist jedoch auch hier das religiöse Profil – die primäre Assoziation von biczować ist das Auspeitschen von Jesus vor seiner Hinrichtung bzw. bei biczować się ‘sich geißeln’ und anderen Wortbildungen wie biczowanie się ‘Selbstkasteiung’, biczownik ‘Flagellant’ die religiös motivierte Selbstkasteiung.
Im Slowakischen und Tschechischen ist das physische Profil von bičovať/ bičovat breiter. Es bezieht sich sowohl auf das züchtigende Schlagen von Menschen, als auch das antreibende Schlagen von Tieren, insbesondere von Zugtieren wie Pferden. Das slow./ tschech. bič bedeutet ‘Peitsche; biegsamer Stock, an dessen Ende eine Schnur befestigt ist’ (vgl. auf Polnisch bat). ‘Geißel’ als historisches Strafinstrument bezeichnet man dagegen eher tschech. důtky oder metla, slow. korbáč (so z. B. in verschiedenen tschechischen und slowakischen Übersetzungen der Bibelstellen Sir 22,6 und 30,1, 1 sowie Kön 12,11). Entsprechend schwächer ist beim bičovať/ bičovat die Assoziation mit der Geißelung Jesu bzw. mit der religiös motivierten Selbstkasteiung – es handelt sich neben dem Antreiben von Tieren, verschiedenem Schlagen als historische Strafmaßnahme oder Strafmaßnahme nach dem islamischen Recht usw. um eins von mehreren möglichen Vorstellungsbildern.
Aus den Unterschieden in der wörtlichen Bedeutung von geißeln/ biczować/ bičovať/ bičovat ergeben sich auch die Unterschiede in den übertragenen Bedeutungen. Das Peinigungsprofil (‘quälen’) ist in allen vier Sprachen vertreten und bedeutet so viel wie ‘stören, belästigen (zumeist durch die Hervorrufung von unangenehmen Eindrücken und Gedanken)’. In dieser Lesart wirken die Wörter expressiv und häufig übertrieben, manchmal auch scherzhaft. Das Deutsche geißeln unterscheidet sich teilweise von ihren slawischen Pendants. Das Peinigungsprofil hat dort starke biblische Anklänge. Typische Subjekte zu geißeln sind in diesem Profil Krankheit/ Krankheiten (bzw. Namen von Krankheiten), das Objekt dann Menschheit, Bewohner u. ä. Solche Benutzung kann auf biblische Bildlichkeit zurückgehen, wo Schlagen, Geißeln oder Peitschen Metaphern für ‘quälen’, insbesondere für die gerechte Strafe Gottes sind (z. B. Iz 10,26 und Iz 30,32). Assoziationen wie ‘Strafe, die von höheren Mächten kommt’ wecken auch die Phraseme dt. die Geißel der Menschheit/ tschech. metla lidstva, poln. plaga ludzkości ‘über eine schwere Plage oder Heimsuchung, die typischerweise ganze Kollektive ergreift’ sowie in derselben Bedeutung dt. die Geißel Gottes/ poln. bicz boży/ tschech. bič boží (im Polnischen kann das Phrasem ktoś jest biczem bożym ausdrücken, dass jemand nach seiner Überzeugung eine gerechte Strafe ausführt).
Das ebenfalls in allen vier Sprachen vertretene Kritikprofil kann als eine Erweiterung des Peinigunsprofils angesehen werden – geißeln/ biczować/ bičovať/ bičovat bedeutet hier ‘heftig kritisieren, anprangern, brandmarken’, also sozusagen sprachlich, durch Worte quälen und „schlagen“. Die Belege aus allen vier Sprachen legen nahe, dass es sich hauptsächlich um eine grundsätzliche, schwerwiegende und häufig öffentlich geäußerte Kritik von moralischen Verfehlungen, politischen und gesellschaftlichen Missständen u. Ä. handelt. Auch für diese metaphorische Übertragung finden sich Vorbilder in der biblischen Sprache (s. beispielsweise die Geißel der Zunge/ poln. bicz języka/ tschech. bič jazyka in Sir 26,6 über verletzende, heimtückische Rede). Die Wörter geißeln/ biczować/ bičovať/ bičovat wirken auch in dieser Bedeutung expressiv, im Deutschen kommt eine buchsprachliche Markierung hinzu. Unterschiede gibt es in der Geläufigkeit des Profils. Beim dt. geißeln und poln. biczować kommt die Bedeutung ‘kritisieren, anprangern’ ausgesprochen häufig vor, im Tschechischen ist sie dagegen sehr selten.
Das atmosphärische Profil ist nur für poln. biczować/ slow. bičovať/ tschech. bičovat belegt. Es bedeutet ‘in etw./ gegen etw. peitschen’, als Subjekt kommen zumeist Bezeichnungen von Niederschlägen oder von Wind vor (beispielsweise slow. Cyklón bičoval ostrovy v Bengálskom zálive. ‘Ein Zyklon peitschte in die Inseln im Golf von Bengalen.’, tschech. Liják bičuje zemi. ‘Der Regen prallt gegen die Erde.’, poln. domki ubiczowane deszczem ‘die durch den Regen gepeitschten Häuser’.). Im Tschechischen und Slowakischen können als Subjekt okkasionell auch andere Dinge auftreten (z. B. Lichtstrahlen, Haare usw.). Wichtig ist dabei das sinnlich wahrnehmbare und heftige Aufprallen und Schlagen gegen etwas.
Das antreibende Profil ist nur für slow. bičovať und tschech. bičovat belegt und bedeutet so viel wie ‘antreiben, aufpeitschen, anstacheln’. Die Wörter wirken expressiv und heben die Intensität und häufig auch eine latente Aggressivität des Vorgehens hervor. Die Grundlage für die Metapher ist vermutlich die Vorstellung, wie Tiere mit einer Peitsche gezüchtigt und zu einer höheren Leistung angetrieben werden. Man stellt sich auch die Wucht und Ungeduld vor, die den Peitschenden beherrschen. Im Slowakischen und Tschechischen gibt es in diesem Profil sehr ähnliche Kollokationen bzw. Kommunikationskontexte, z. B. tschech. bičovat někoho k výkonu ‘jmd. zur Leistung antreiben’ und slow. bičovať ľudí k vyšším výkonom ‘die Menschen zu höheren Leistungen antreiben’, tschech. bičovat v někom nenávist ‘in jemandem Hass aufhetzen’, slow. bičovať vášne ‘Leidenschaften aufpeitschen’, im Tschechischen auch über das Antreiben einer Sportmannschaft durch die Zuschauer (Domácí hráli bičováni fantastickým publikem nad své možnosti. ‘Die Heimmannschaft wurde beim Spiel durch das phantastische Publikum zu Leistungen aufgepeitscht, die über ihren Möglichkeiten lagen.’).
In allen vier Sprachen sind die besprochenen Bedeutungen gut voneinander zu trennen und seit Längerem lexikalisiert. Die metaphorischen Übertragungen sind zum Teil auf die anschauliche Vorstellung des Peitschens und Aufprallens zurückzuführen (das atmosphärische und antreibende Profil), zum Teil auf eine Abstrahierung der ursprünglich physischen Bedeutung (strafen und züchtigen durch mahnende Worte, quälen durch unangenehme Gedanken oder Eindrücke u. Ä.). Im Tschechischen und Slowakischen spielt die Assoziation mit dem religiösen Bereich (die Geißelung Jesu, die Selbstkasteiung, göttliche Strafen) eine geringe Rolle, bei den metaphorischen Bedeutungen sind das atmosphärische und antreibende Profil häufiger als das potenziell religiös konnotierte Peinigungs- und Kritikprofil. Im Polnischen und Deutschen sind die religiösen Assoziationen insgesamt stärker ausgeprägt, die Wörter geißeln/ biczować heben sich auch durch ihre buchsprachliche Markierung ab.